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Als ich Anfang 2022 meinen ARQUS Aufenthalt in Bergen plante, war es – so schien es zumindest – ein weiterer der zahllosen Versuche, welche ich seit Frühjahr 2020 unternommen hatte. Dass es dann im März endlich begann, schien mir unglaublich surreal, ein wenig apokryphisch und vor allem nicht zuletzt wie eine Reise in eine Post-Covid-Welt, da Norwegen just bei meiner Ankunft jedwede Regeln hatte wegfallen lassen.

Im März 2022, habe ich, Maria Faust, als Promovendin der Universität Leipzig, einen Forschungsaufenthalt an der Universität Bergen, Norwegen, im Rahmen der Europäischen Hochschulallianz Arqus absolvieren dürfen. Meine Doktorarbeit thematisiert theoretisch und empirisch quantitativ den Wandel des Zeitverständnisses durch digitale Medien in Deutschland und China – ein Thema, was in Bergen durch deren Schwerpunkt "digital detox" durchaus anschlussfähig war. Die Action Line 6 der Europäischen Hochschulallianz Arqus hatte diverse Forschungsaufenthalte an den Partneruniversitäten ausgeschrieben: "Exchange Educates: short term exchange programmes for postgraduate students, ESRs, senior researchers or professors". Die ursprüngliche Förderzusage dafür erhielt ich bereits im Frühjahr 2020, aber diese fiel – ähnlich anderer akademischer Reisevorhaben – zunächst der Corona-Pandemie zum Opfer.

Die ersten März-Tage verbrachte ich zumeist in der faszinierenden, unberührten Natur um Bergen – in den Fjorden, auf dem Berg Ulriken, am Hafen und gedankenverloren in den endlosen Gassen der skandinavischen Stadt. Die norwegische Uni war im Ruhemodus der Ferienzeit – derer Gepflogenheiten ich mich gern und neugierig anpasste. Als am darauffolgenden Montag die erste Begegnung mit der "Media Use Research Group" unter Leitung von Prof. Hallvard Moe und Prof. Brita Ytre-Arne gemeinsam mit rund 20 anderen Wissenschaftler:innen, Doktorand:innen und Studierenden in einem lokalen Restaurant stattfand, waren die Nachwirkungen deutlich spürbar: „I almost forgot how to order food“ resümierte Prof. Moe, und sprach aus, was alle dachten.

Zwischen Meetings und Kolloquien ab in die Sauna

Die folgenden drei Wochen waren geprägt von unzähligen Meetings mit lokalen Wissenschaftler:innen, die bei Kaffee, Sandwiches mit Suppe (eine gewöhnungsbedürftige norwegische Lunch-Tradition), und stilvoller Beleuchtung in kleinen Cafés und Restaurants über Computational Social Science, Digital Detox und Digital Disconnection berichteten. Eifrig Notizen machend bemerkte ich schnell, dass norwegische Kultur Indirektheit, Distanziertheit und Herzlichkeit neben hoher Kompetenz und Expertise vereinen konnte. Insbesondere meine Büro-Kollegin Hedda Paulsen überraschte mich immer wieder: ausgezeichnet mit glasklarem Verstand, konnte sie in fünf Worten kommunizieren, was der Sachstand war: „I am in a meeting“, hieß, es sei Büroruhe einzuhalten, dem ich gern entsprach und still am Zoom-Bildschirm vorbei huschte. Dass wir zwei Wochen später gemeinsam bei einem Bier mit Freund:innen in der norwegischen Sauna mit Meerblick sitzen sollten, war zu dem Zeitpunkt noch nicht absehbar und eine zweifelsohne einzigartige Erinnerung. Parallel zu meiner Rigorosumsvorbereitung meines auslaufenden Promotionsvorhabens arbeitete ich an einer Buchrezension zu Daoismus und Zeit – spannend, aufschlussreich und überzeugend empfand es auch das norwegische Kollegium, dem ich meinen Arbeitsstand im Lunch Format "Someone has read something" vorstellen durfte. Im Gedächtnis bleiben mir auch die informellen Polit-Diskussionen im Pausenraum der Uni mit einem spanischen und zwei persischen Kolleg:innen, welche die persische Kollegin recht treffend als dringend überfällige Global North – Global South-Kooperation beschrieb.

Freibad-Besuch im März und Technoklänge in der Post-Covid-Welt

Neben dem Berufsalltag hatte ich ausreichend Zeit, mir ein Bild von Stadt, Kultur und außerakademischem Uni-Alltag zu machen: im Wohnhaus unter mir das russische Forschenden-Pärchen – friedlich Seite an Seite wohnend mit einer ukrainischen Doktorandin – und gegenüber, meine uruguayische Nachbarin, die sich geologisch dem Mysterium der Amethyst-Gewinnung und -Untersuchung widmete. Schnell stellten wir fest, dass wir eine Vorliebe für elektronische Musik teilten. Als wir Mitte März schließlich gemeinsam in der Bergener Kunsthalle Landmark zu dunklen Techno-Klängen tanzten, schien uns die Post-Covid-Welt plötzlich ganz da: „Danke Gott!“ rief Fiorella mit spanischem Akzent inmitten der tobenden Menge, und mit breitem Lächeln vergaßen wir für einen Augenblick, was wir die letzten Jahre längst verloren geglaubt hatten. Nicht weniger intensiv war der Schwimmbadbesuch, den ich kurz vor Abreise genießen durfte: gediegene 35 Grad Celsius Wassertemperatur im Freibad, kombiniert mit Meerblick, kostenlosem Kaffee und außergewöhnlich gesprächigen Norweger:innen, die in der Hitze der skandinavischen Sauna im wahrsten Sinne des Wortes auftauten. Nicht zuletzt erschließt sich mir nicht, wie Bergen die Stadt mit dem meisten Regen in Europa sein soll – mich begleitete die Sonne einen ganzen Monat lang. Wer weiß, ob die Wetterstationen sich dem allgemeinen Trend von Fake News angeschlossen haben, um die Tourist:innen von Bergen und der unberührten Natur fernzuhalten.

Was also bleibt? Wenngleich der ARQUS Aufenthalt im Rahmen einer Summer School 2020 in Bergen geplant war, hat es mich doch zur rechten Zeit an den rechten Ort geführt – Dank an dieser Stelle an die stets umsichtige Sekretärin Sylvia Hellmuth des Instituts für Kommunikations- und Medienwissenschaften der Universität Leipzig für die Empfehlung! Als ich zu Beginn meines Austauschs einen alten Bergener mit Alzheimer kennenlernte, ahnte ich nicht, wie recht er behalten sollte, als er mir seine Geschichte erzählte: in den 70er Jahren brach er als geisteswissenschaftlicher Student der Universität Bergen nach Berkeley auf, um die dortige Logik-Forschungsgruppe zu besuchen, von da per Anhalter in die Bronx von New York und zurück mit dem Schiff. In all seiner Vergesslichkeit des täglichen Einkaufs, erinnerte er doch die Einzigartigkeit seiner Fahrt! Er wünschte mir Glück für meine Forschung – sein Wunsch wurde wahr.

Wie meine akademische Reise weitergeht, bleibt offen… Doch jedwedes Reisen, im Inneren wie im Äußeren, birgt die Chance, die Welt mit neuen Augen zu sehen und das Eigene im Fremden zu erkennen!

  • „Wenn du nicht weißt, wo du hingehst, wird dich jede Straße dorthin bringen.“
    Lewis Carroll

 

Maria Faust

Die Europäische Hochschulallianz Arqus hat Mobilitäts-Angebote für alle Mitglieder Ihrer Partnernuniversitäten: Studierende, Promovierende, akademische und auch nicht-akademische Mitarbeiter:innen sowie Forschende. Vom Workshop über Summer School, Auslandssemester, Forschungsaufenthalt bis hin zur Staff Week. Aktuelle Ausschreibungen und Veranstaltungen finden Sie auf der Arqus Website.

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