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Im Herbst startete die Kohorte 2022/23 des Pre-Doc Awards der Universität Leipzig. In diesem Förderprogramm arbeiten angehende Doktorand:innen gemeinsam mit erfahrenen Postdocs auf ihr Promotionsvorhaben hin. 16 Tandems gingen an den Start. Dorothea Schmidt und Dr. Hatem Elliesie, Vertretungsprofessor für Islamisches Recht am Orientalischen Institut, erforschen mit neuen Ansätzen Orient- und Islambilder in der DDR. Das Universitätsmagazin hat mit Ihnen über das Vorhaben gesprochen.

Frau Schmidt, Herr Dr. Elliesie, was genau erforschen Sie in Ihrem Pre-Doc-Projekt?

Dorothea Schmidt: Menschen haben bestimmte Bilder vom Islam im Kopf und tragen diese an Menschen heran, die sie als „muslimisch“ wahrnehmen, ohne zu wissen, ob der Islam praktiziert wird oder ob die Person überhaupt muslimisch ist. Wie wurde das Muslimische, das Islamische, in der DDR wahrgenommen, verhandelt, zum Thema gemacht? Mit welchen Bildern waren Menschen konfrontiert, die als muslimisch gelesen wurden, die hier studiert haben, hier als Vertragsarbeitende und politische Exilant:innen waren? Das ist bisher eine Forschungslücke, die ich schließen möchte. Dabei verwende ich qualitative Methoden der Sozialwissenschaften: Ich führe narrative Interviews und analysiere Zeitdokumente wie DDR-Lehrbücher, Stasi-Akten und Zeitungsartikel. Diese Methoden in der Islamwissenschaft auf aktuelle muslimische Lebenswelten anzuwenden, ist der Spezialbereich von Dr. Elliesie. Er hat mich bereits bei meiner Masterarbeit intensiv beraten. Denn gerade das empirische Vorgehen zeichnet unsere Geisteswissenschaft der Arabistik in Leipzig bisher nicht aus. Da wird vor allem mit Quellen gearbeitet. Somit ist es wunderbar, dass ich jemanden gefunden habe, der diesen Zugang hat.

 

Auf dem Foto sind Dorothea Schmidt und Dr. Hatem Elliesie zu sehen.

Nun betreibt man Islamwissenschaft auch in Deutschland im Hinblick auf die hiesige Gesellschaft und bedient sich zunehmend empirischer Methoden.

Dr. Hatem Elliesie: Am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung (MPI) leite ich seit 2017 ein Projekt, das sich muslimischen Frauen in West- und Ostdeutschland sowie Geflüchteten in städtischen und ländlichen Gebieten widmet. Das Pre-Doc-Projekt passt also auch sehr gut zu unserer Grundlagenforschung am MPI. Wichtig ist zu verstehen, dass sich die klassische Islamwissenschaft vor allem mit der arabischen Welt beschäftigt – von einer philologischen, theologischen Ausrichtung kommend. Seit einigen Jahren ist hier jedoch ein großer Umschwung spürbar: Nun betreibt man Islamwissenschaft auch in Deutschland im Hinblick auf die hiesige Gesellschaft und bedient sich zunehmend empirischer Methoden. Dieser Ansatz ist gerade auch für aktuelle Forschungsfragen zu muslimischen Alltagspraxen bedeutsam. Und dieses Pre-Doc-Vorhaben geht in diese neue, wegweisende Richtung. Es bringt dabei eine spezifische historische Perspektive mit hinein, die in dieser Form in Ostdeutschland bisher noch nicht aufgearbeitet worden ist.

Warum ist das so?

Elliesie: Das hat etwas mit den Migrationsbewegungen zu tun. Das heißt: Die deutsche Migrationsgeschichte beginnt in der Forschungsliteratur zumeist mit der Anwerbung sogenannter türkischer Gastarbeitender in die Bundesrepublik Deutschland. Unsichtbar bleiben hingegen die Erfahrungen von Menschen, die beispielsweise aus Algerien, Syrien oder dem Irak als Vertragsarbeitende, Studierende oder auch politische Exilant:innen in die Deutsche Demokratische Republik kamen.

Auf dem Foto sind Dorothea Schmidt und Dr. Hatem Elliesie zu sehen.

Wenn heute von der ostspezifischen Fremdenfeindlichkeit gesprochen wird, lässt man außen vor, dass es hier bereits seit Jahren muslimische Lebenswelten gegeben hat.

Schmidt: Die Geschichte in Ostdeutschland hierzu war lange kein Thema. Dies wird unter anderem darauf zurückgeführt, dass der Anteil von Menschen aus dem Ausland nur bei einem Prozent lag. Zudem war klar: Der Aufenthalt von Menschen aus anderen Ländern war zweckgebunden und sollte nur befristet sein. Es wurde nie von Migration gesprochen. Eine Rolle spielt auch, dass die DDR ein Staat war, der sich einer anti-rassistischen Maxime verschrieben hatte und es daher das Narrativ gab, dass es in der DDR keinen Rassismus gab. Das beeinflusste Fremdzuweisungen anders als in Westdeutschland. Wenn heute von der ostspezifischen Fremdenfeindlichkeit gesprochen wird, lässt man außen vor, dass es hier bereits seit Jahren muslimische Lebenswelten gegeben hat.

Wie sind Sie beide ein Tandem geworden?

Schmidt: Ich hatte mich bereits 2021 für den Pre-Doc Award beworben, gemeinsam mit Juniorprofessor Philip Bockholt, den ich bei Lehrveranstaltungen als wissenschaftliche Hilfskraft unterstützt hatte. Doch als ich die Zusage bekam, wusste ich schon, dass ich schwanger war. Umgehend haben die damalige Koordinatorin des Programms, Dr. Antje Nolting, sowie anschließend Dr. Nicole Koburger alles in die Wege geleitet, damit ich meine Elternzeit nehmen und erst ein Jahr später einsteigen konnte. Die Universität Leipzig hat sich als sehr familienfreundlich erwiesen und unterstützt mich auch jetzt als alleinerziehende Mutter. Sonst hätte ich die Frage der Promotion für mich ad acta legen können. Inzwischen hat Dr. Philip Bockholt an die Universität Münster gewechselt. Durch die Wahl der Methode für mein Projekt und die Thematik bot sich dann, wie gesagt, Dr. Hatem Elliesie als Tandempartner an.

Was beinhaltet die Pre-Doc-Phase?

Schmidt: Die Pre-Doc-Phase dient dazu, Literatur zu recherchieren und zu sichten, sich methodisch zu orientieren, Probeinterviews zu machen, Stipendien für die Promotion zu beantragen. Ich habe großes Glück, weil ich gleich drei Ansprechpersonen habe. Dr. Philip Bockholt ist exzellent, was Stipendien und Einwerbungen von Drittmitteln betrifft, mit ihm stehe ich nach wie vor in Kontakt. Meine langjährige Chefin und Mentorin, Prof. Dr. Verena Klemm, betreut mich ebenfalls aus dem Ruhestand weiter. Sie ist unsere frühere Lehrstuhlinhaberin der Arabistik und Islamwissenschaft und Mitherausgeberin von „Muslime in Sachsen“. Unter ihrer Leitung entstand auch der Sammelband „Muslimisches Leben in Ostdeutschland“. Durch sie hat die Auseinandersetzung mit muslimischen Lebenswelten in Deutschland bereits Tradition am Orientalischen Institut. Und mit Dr. Hatem Elliesie habe ich den absoluten Hauptgewinn in methodischen Fragen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, das Interviewmaterial in einer interdisziplinären Interpretationswerkstatt vorzustellen und zu diskutieren. Dies wird zunehmend zum Standard, nicht nur in der Arabistik.

Welche weiteren Angebote des Pre-Doc-Programms nutzen Sie, Frau Schmidt?

Schmidt: Ich habe jüngst an einem praxisorientierten Workshop für Stipendien-Bewerbungen teilgenommen, der sehr hilfreich war. Wir bekamen die Kniffe der Praxis vermittelt, welche Mankos wir vermeiden sollten – und uns wurde die Angst davor genommen, wie wir uns erfolgreich um Stipendien bewerben können.

Die Fähigkeit, Drittmittelanträge zu stellen, ist sehr wichtig. Dass die Uni Leipzig so früh damit beginnt, Wissen zu diesem Bereich zu vermitteln, zeichnet sie im Wissenschaftswettbewerb aus.

Elliesie: Die Fähigkeit, Drittmittelanträge zu stellen, ist sehr wichtig. Drittmittelakquise gehört zu den Säulen der Postdoc-Phase und einer Professur. Dass die Universität Leipzig so früh damit beginnt, Wissen zu diesem Bereich zu vermitteln, zeichnet sie im Wissenschaftswettbewerb aus und dürfte den Wissenschaftsstandort Leipzig nachhaltig stärken. Gut finde ich auch, dass die Universität Leipzig viel Wert darauf legt, den Pre-Doc Award sehr interdisziplinär und facettenreich anzubieten.

Schmidt: Neben der Tandem-Partnerschaft ist auch die interdisziplinäre Vernetzungsmöglichkeit, die uns als Pre-Docs eingeräumt wird, eine große Bereicherung. Ich würde sonst eher nicht mit einer Doktorandin aus der Tiermedizin in Kontakt treten und mich über Stipendienbewerbung austauschen, das öffnet noch einmal ganz andere Perspektiven.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Birgit Pfeiffer.

  • Über die Tandem-Partner

    Dorothea Schmidt erforscht am Orientalischen Institut Orient- und Islambilder in der DDR. Damit knüpft sie an ihre Masterarbeit an, in der sie bereits Biografien arabischer Studierender in der DDR untersuchte. Neben ihrem Master in Arabistik und Islamwissenschaft hat sie gleich zwei Bachelor-Abschlüsse in der Tasche: Denn vor ihrem Bachelor in Religionswissenschaft, Arabistik und Islamwissenschaft schloss sie einen Bachelor in Politikwissenschaft und Kommunikations- und Medienwissenschaft ab.

    Der promovierte Jurist, Semitist, Politik- und Islamwissenschaftler Dr. Hatem Elliesie ist Vertretungsprofessor für Islamisches Recht an der Universität Leipzig. Am Max-Planck-Institut für Ethnologie in Halle (Saale) ist er Gruppenleiter. Dort erforscht er unter anderem muslimische Lebenswelten der Gegenwart. Zudem ist er an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg als Nachwuchsgruppenleiter tätig.

Hinweis für alle Interessierten

Im April 2023 wird der Durchgang 2023/24 des Pre-Doc Awards ausgeschrieben.

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