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„Die Öffentlichkeit, Journalistinnen und Journalisten sowie die dahinter stehenden Menschen, haben im Grundsatz ein relativ großes Vertrauen in die Funktionsträger der Wissenschaft“, sagt Soziologe Prof. Dr. Holger Lengfeld. Und: „Wir informieren Bürgerinnen und Bürger über die Gesellschaft und geben ihnen damit eine Möglichkeit, auf Basis dieses Wissens Entscheidungen rationaler, also bedachter, zu treffen als ohne dieses Wissen.“ Warum er Medien- und Öffentlichkeitsarbeit, Wissenschaftskommunikation, als wichtigen Bestandteil seiner wissenschaftlichen Arbeit sieht, erläutert er im Interview mit dem Universitätsmagazin. Und er verrät auch, welche Formate nicht zu seinen bevorzugten gehören.

Herr Professor Lengfeld, Sie sind in der Wissenschaftskommunikation seit langem zu Hause und unterstützen die Entwicklung auch in Ihrem Fachgebiet. Mit welcher Motivation betreiben Sie Wissenschaftskommunikation, was bewegt Sie persönlich dazu?

Übersteigerte Eitelkeit. Ich sehe mich halt gerne im Fernsehen. Aber Scherz beiseite. Auch wenn das jetzt vielleicht erstmal ein bisschen detailverliebt klingt: Ich verwende den Begriff soziologische Aufklärung. Mir geht es um die Analyse der Gesellschaft, und damit verbunden darum, die Menschen über die Gesellschaft, in der sie leben, aufzuklären, also mit Wissen zu versorgen.

Warum? Weil in den Sozial- und Geisteswissenschaften ganz allgemein Erkenntnis in der Regel nur zu Wissen führt und nur sehr selten zu konkreten Anwendungen. Man kann also meist nicht sagen, wir haben die und die Studien gemacht und jetzt wissen wir genau, was wir tun müssen. Handlungsorientierung können wir geben, aber das läuft immer nur indirekt. Wir informieren also Bürgerinnen und Bürger über die Gesellschaft und geben ihnen damit eine Möglichkeit, auf Basis dieses Wissens Entscheidungen rationaler, also bedachter, zu treffen als ohne dieses Wissen.

Das ist meine Motivation darin. Daran möchte ich teilhaben. Und ich habe mich in der Vergangenheit, im Laufe meiner Berufserfahrung, auch bewusst dahinbewegt. Aber nicht nur im Sinne von „Ich möchte Erkenntnis verbreiten unter den Menschen“. Die Auswahl meiner Forschungsthemen beinhaltet schon eine Motivation zur Wissenschaftskommunikation.

Es gibt Themen, von denen ich denke, dass sie wichtig sind. Das sind oft die Themen, die auch in der Öffentlichkeit, auch in den Medien und damit auch bei Bürgern, verhandelt werden. Diesen Themen habe ich mich in den letzten Jahren verstärkt zugewandt. Und das macht es natürlich einfacher, Ergebnisse dieser Forschung auch zu kommunizieren, weil sie unmittelbar an einem zumindest basal existierenden Interesse der Bürgerinnen und Bürger anknüpft.

Sie sprechen von Ergebnissen Ihrer Forschung. Nun stellt sich die Frage, wann man denn mit Forschungsergebnissen in die öffentliche Kommunikation geht. In der Corona-Zeit gab es zum Beispiel Preprints, über die öffentlich debattiert wurde, während davor peer-reviewed Paper das Maß der Dinge waren. Welche Kriterien gibt es da für Sie? Welcher Art müssen die Ergebnisse sein und in welcher Form müssen sie in der Wissenschaft bereits publiziert und diskutiert sein?

Dazu zwei Punkte. Der erste Punkt ist sehr generell. Ich bin von der Einheit der Wissenschaften überzeugt. Es gibt ein Grundprinzip: Wir beschreiben, was ist und erklären, warum es so ist. Das ist der Kern der Wissenschaft. Und da ist es mir völlig egal, ob wir von Neurowissenschaften, Biologie oder Kulturwissenschaft reden. Das ist die Einheit der Wissenschaft. Natürlich weiß ich, dass manche das anders sehen, aber ich unterscheide mich in der Logik nicht von einem Naturwissenschaftler oder einem Ingenieur.

Die Pandemiezeit war eine besondere. Generell hat sich die Publikationskultur innerhalb der Natur- und Sozialwissenschaften nicht geändert, nur halt die im Bereich Epidemiologie und Virologie, zumindest vorübergehend. Da ging es um Geschwindigkeit. Es musste schnell gehen. Und Qualitätssicherung, das wissen wir alle, braucht eben auch Zeit und ist mühsam.

Was ist für mich die Voraussetzung, um mit einem wissenschaftlichen Befund an die Öffentlichkeit zu gehen? Genau das Gleiche wie für Naturwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler. Die Qualitätssicherung muss vorher gemacht werden. Wir haben ein Projekt oder eine Fragestellung. Dann brauchen wir Daten dazu. Ich arbeite fast immer mit Umfragedaten. Das heißt, unsere Ergebnisse liegen dann in gewissermaßen statistischer Form vor. Diese muss verschriftlicht werden. Das wird ein Paper, das zu einer Zeitschrift geht oder in ein anderes Publikationsorgan. Erst, wenn das akzeptiert wurde und in der Regel auch erscheint, dann ist der Zeitpunkt gekommen, an die Öffentlichkeit zu gehen.

Davon gibt es nur ganz wenige Ausnahmen. Also bei bestimmten Fragestellungen, für die es gar kein Publikationsformat gibt. Sieben Seiten über die Frage, ob eher Männer oder eher Frauen die AfD wählen. Das nimmt niemand als Paper, da machen wir dann was kleines Eigenes, für einen begrenzten Kreis, vielleicht auch mal für eine Journalistin oder einen Journalisten.

Grundsätzlich ist es ... Aufgabe der Wissenschaftskommunikation, auch Handlungsempfehlungen zu geben. Wir müssen anwendungsorientiert denken, aber nicht erst, wenn der Journalist fragt, sondern schon im Forschungsdesign.

Prof. Dr. Holger Lengfeld

Es gibt in den Sozialwissenschaften einen sehr guten Grund, warum man wirklich die Qualitätskontrolle durch Kolleginnen und Kollegen nutzen sollte. Ich glaube, dass die Irrtumswahrscheinlichkeit dessen, was wir da tun, verhältnismäßig groß ist. Warum? Weil der Gegenstand, mit dem wir es zu tun haben, Menschen sind, also auch wir selbst. Und damit kommen unsere eigenen Neigungen, Interessen, Wertungen immer mit ins Spiel. Das lässt sich nicht vermeiden. Die Frage ist nur: Welchen Schluss ziehe ich daraus? Es gibt in den Sozial- und Geisteswissenschaften auch eine Haltung, die sagt: Ja, wenn man es nicht vermeiden kann, dann nutzen wir es halt und folgen unseren Werten, Interessen und machen letztlich also, wenn Sie so wollen, Klientelwissenschaft oder Aktivismus. Sie haben dann eine soziale Gruppe im Kopf, mit der sie sympathisieren, das können sozial Benachteiligte sein oder auch Unternehmer einer bestimmten Branche, eine politische Partei, was auch immer. Man orientiert sich dann direkt an den Interessen dieser Gruppe und stellt für die Wissen bereit, um deren Lage zu verbessern. Das kann man machen, das ist okay, das mache ich aber nicht.

Die andere Herangehensweise ist: Man versucht, die eigenen Interessen und Motive so weit zu kontrollieren, wie es geht. Das gelingt natürlich nicht vollständig. Es bleibt ein Restrisiko. Und genau dafür brauchen wir die anderen, die Kolleginnen und Kollegen, die auch darauf achten sollen, ob unbewusst Wertungen in das Forschungsdesign, aber auch in die Durchführung eingebracht worden sind, die dazu geführt haben, dass man bestimmte Befunde oder Beobachtungen erst gar nicht anstellt, obwohl sie hoch plausibel sind.

Wenn es dann so ist, dass die Befunde vorliegen, validiert und publiziert, dann wollen Journalist:innen mitunter dennoch nicht nur über diese Befunde sprechen, sondern fragen auch nach Ihrer Einschätzung, Ihrer Meinung und Ihrer Empfehlung. Inwiefern sehen Sie es als Ihre Aufgabe, solche Fragen auch zu beantworten? Und wie machen Sie das dann?

Ja, das ist ein ist ein sehr guter Punkt. Grundsätzlich ist es aus meiner Sicht Aufgabe der Wissenschaftskommunikation, auch Handlungsempfehlungen zu geben. Wir müssen anwendungsorientiert denken, aber nicht erst, wenn der Journalist fragt, sondern schon im Forschungsdesign. Was in der Frage, die ich stelle, hat eine praktische Relevanz? Ich werde nicht müde, das meinen Masterstudierenden einzubläuen. Wir haben ein Modul, in dem das die ganze Zeit eine Rolle spielt, weil die Wissensproduktion ja irgendeinen Sinn haben muss. Wozu machen wir das? Wer ist der Adressat des Wissens? Wer könnte etwas davon haben, das zu wissen, was ich jetzt hier gerade erforsche?

Jetzt ist es so, dass sich aus sehr vielen Studien, die wir durchführen, halt keine unmittelbaren Handlungsempfehlungen ergeben. Oder die Befunde aus der Studie zeigen etwas ganz anderes als andere Studien. Dann muss man vorsichtig sein, was die Ableitung von Handlungsempfehlungen angeht. Man sollte die anderen Studien auf keinen Fall ignorieren. Denn die Öffentlichkeit, Journalistinnen und Journalisten sowie die die dahinter stehenden Menschen, haben im Grundsatz ein relativ großes Vertrauen in die Funktionsträger der Wissenschaft. Das kann man gefährden oder missbrauchen, und das möchte ich nicht.

Auf der anderen Seite haben wir eine Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft, dort, wo wir es rechtfertigen können, Handlungsempfehlungen zu geben. Und ich habe eine Vorstellung, wie wir das machen sollten. Max Weber, einer der Mitbegründer meines Fachs, der Soziologie, hat ein paar grundlegende Pflöcke zur Orientierung eingeschlagen. Die hat er in seinem berühmten Objektivitätsaufsatz dargelegt. Danach können wir als Wissenschaftler der Gesellschaft nicht sagen, was die Gesellschaft tun soll. Aber wenn wir wissen, was die Interessen der Gesellschaft oder einer bestimmten Gruppe sind oder was eine bestimmte gesellschaftliche Zielsetzung ist, dann können wir sagen, welche Mittel besser als andere Mittel geeignet sind, diese Zielsetzung zu erreichen. Oder, wenn wir als Wissenschaftler richtig gut sind, und das sind wir aufgrund der Komplexität unseres Forschungsgegenstands nicht oft, können wir sagen: Wenn ein Akteur eine bestimmte Handlung begeht, dann könnte das diese und jene Nebenfolgen aufweisen, die er vielleicht gar nicht will.

Meine Erfahrung mit Interviews ist durchgängig gut. Warum? Journalisten haben kein Interesse, Wissenschaftler bewusst falsch zu verstehen oder in die Pfanne zu hauen.

Prof. Dr. Holger Lengfeld

Wenn Sie jetzt von Wissenschaftskommunikation sprechen und die manchmal auch im schon im Hinterkopf haben bei der Wahl des Forschungsthemas, welche Form der Kommunikation meinen Sie dann? Und gibt es vielleicht auch Formate, die Sie gerne noch ausprobieren möchten?

Es gibt Wissenschaftskommunikationsformate, die sind ein bisschen anstrengend, weil man zum Beispiel regelmäßig etwas schreiben muss. Blogs zum Beispiel. Ich bin kein Blog-Fan. Was ich sehr gerne mache, sind klassische Interviews, am liebsten live oder von mir aus aufgezeichnet in einem Take, ohne Schnitt. Das ist immer am authentischsten. Und dann lieber Radio als Fernsehen. Radiointerviews haben dann, zumindest im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, gerne eine Länge von drei bis fünf Minuten. Das reicht, um Dinge zu erläutern, wenn auch knapp. Die Moderatoren sind in der Regel sehr gut vorbereitet. Es gibt meist ein kurzes Vorgespräch, manchmal auch ein paar Leitfragen. Das funktioniert ganz gut. Fernsehen ist dagegen zickig. Von dort wird man oft morgens angerufen, nachmittags kommt dann doch die Absage. Also: Das klassische mündliche Interview für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist wirklich das Beste, was ich kenne.

Und wenn es um Wissenschaftskommunikation sozusagen der ersten Ordnung geht, also um die Kommunikation zu aktuellen, von uns selbst publizierten Befunden, dann ist der Weg ja erstmal ein anderer. Das heißt, wir machen über Sie, die Medienabteilung, eine Pressemitteilung. Danach kommen Anfragen und man bedient diese Anfragen, dafür muss man einen Zeitslot haben, aber das geht, das lässt sich planen.  

Sie sagen, Sie machen gerne Live-Interviews. Ich erlebe viele Forscher:innen, zum Beispiel in unseren Medientrainings, die davor zurückschrecken. Die Aussicht auf die Live-Situation macht sie nervös, sie vermissen zudem Kontrollmöglichkeiten. Was entgegnen sie solchen Kolleg:innen?

Entscheidend sind Selbstbewusstsein und etwas Mut. Wer vor Kamera oder Mikro steht und redet da live rein, der muss dazu stehen, was er da sagt. Denn da gibt es keine Autorisierung oder nachträgliche Änderung. Wozu denn auch? Man sagt es ja, und es wird gesendet. Das ist ein Vorteil. Denn es kann nicht in einen anderen Kontext gestellt werden. Ich habe da die komplette Kontrolle. Ich kann natürlich auch Unsinn reden, dann habe ich halt Unsinn geredet. Aber ich habe die Kontrolle.

Macht Ihnen das auch Spaß?

Auf jeden Fall. Ich mache das sehr gern. Es hat auch schon lustige Interviews gegeben. Ich erinnere mich an einen Radiomoderator von Deutschlandfunk Kultur. Seine Redaktion hatte vorher gesagt, wir hätten 3:30 Minuten Zeit. Dann sind wir beide in einen Flow gekommen, und er hat die nächstfolgende Musik gekippt, und wir haben auf einmal sieben Minuten geplaudert. Er hatte Lust, ich hatte Lust. Das war richtig gut.

Diese Live-Sachen geben auch einen Adrenalin-Schub, das muss ich fairerweise dazusagen. Ich habe aber viel Verständnis für Kolleginnen und Kollegen, die das nicht wollen.

Aber ich möchte die vorherige Frage gerne sachlich noch abrunden. Viele Interviews werden nicht live gesendet, insbesondere nicht, wenn es ums Fernsehen geht. Das heißt, die Reporterin braucht ein Zitat, das dann in dem Sendungsbeitrag fünf Sekunden lang ist oder vielleicht auch 14 oder 20. Den Zusammenhang kann man nicht kontrollieren. Das Risiko, dass ein weniger guter Satz genommen wird oder das später komisch wirkt im Beitrag, das muss man eingehen oder man lässt es.

Meine Erfahrung mit Interviews ist aber durchgängig gut. Warum? Journalisten haben kein Interesse, Wissenschaftler bewusst falsch zu verstehen oder die in die Pfanne zu hauen. Es gibt zwei Typen von Journalisten. Die einen wollen wissen, was ist, und die anderen wollen einen Beleg für das, wovon sie sowieso glauben, was ist. Die wollen von mir ein Zitat, was genau zu dem passt, was sozusagen der Tenor des Beitrags ist. Wenn ich der Überzeugung bin, dass die Aussage, die da von mir verlangt wird oder erbeten wird, sachlich korrekt ist, dann kann ich die auch machen. Wenn nicht, mache ich die nicht, und dann sind die manchmal frustriert. Aber dann hauen die einen auch nicht in die Pfanne, dann wird es einfach nicht gesendet.

Alle Interviews unserer vierteiligen Gesprächsreihe zur Wissenschaftskommunikation finden Sie auf der Seite des universitären Netzwerks Wissenschaftskommunikation.

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