Herr Professor Lengfeld, Sie sind in der Wissenschaftskommunikation seit langem zu Hause und unterstützen die Entwicklung auch in Ihrem Fachgebiet. Mit welcher Motivation betreiben Sie Wissenschaftskommunikation, was bewegt Sie persönlich dazu?
Übersteigerte Eitelkeit. Ich sehe mich halt gerne im Fernsehen. Aber Scherz beiseite. Auch wenn das jetzt vielleicht erstmal ein bisschen detailverliebt klingt: Ich verwende den Begriff soziologische Aufklärung. Mir geht es um die Analyse der Gesellschaft, und damit verbunden darum, die Menschen über die Gesellschaft, in der sie leben, aufzuklären, also mit Wissen zu versorgen.
Warum? Weil in den Sozial- und Geisteswissenschaften ganz allgemein Erkenntnis in der Regel nur zu Wissen führt und nur sehr selten zu konkreten Anwendungen. Man kann also meist nicht sagen, wir haben die und die Studien gemacht und jetzt wissen wir genau, was wir tun müssen. Handlungsorientierung können wir geben, aber das läuft immer nur indirekt. Wir informieren also Bürgerinnen und Bürger über die Gesellschaft und geben ihnen damit eine Möglichkeit, auf Basis dieses Wissens Entscheidungen rationaler, also bedachter, zu treffen als ohne dieses Wissen.
Das ist meine Motivation darin. Daran möchte ich teilhaben. Und ich habe mich in der Vergangenheit, im Laufe meiner Berufserfahrung, auch bewusst dahinbewegt. Aber nicht nur im Sinne von „Ich möchte Erkenntnis verbreiten unter den Menschen“. Die Auswahl meiner Forschungsthemen beinhaltet schon eine Motivation zur Wissenschaftskommunikation.
Es gibt Themen, von denen ich denke, dass sie wichtig sind. Das sind oft die Themen, die auch in der Öffentlichkeit, auch in den Medien und damit auch bei Bürgern, verhandelt werden. Diesen Themen habe ich mich in den letzten Jahren verstärkt zugewandt. Und das macht es natürlich einfacher, Ergebnisse dieser Forschung auch zu kommunizieren, weil sie unmittelbar an einem zumindest basal existierenden Interesse der Bürgerinnen und Bürger anknüpft.
Sie sprechen von Ergebnissen Ihrer Forschung. Nun stellt sich die Frage, wann man denn mit Forschungsergebnissen in die öffentliche Kommunikation geht. In der Corona-Zeit gab es zum Beispiel Preprints, über die öffentlich debattiert wurde, während davor peer-reviewed Paper das Maß der Dinge waren. Welche Kriterien gibt es da für Sie? Welcher Art müssen die Ergebnisse sein und in welcher Form müssen sie in der Wissenschaft bereits publiziert und diskutiert sein?
Dazu zwei Punkte. Der erste Punkt ist sehr generell. Ich bin von der Einheit der Wissenschaften überzeugt. Es gibt ein Grundprinzip: Wir beschreiben, was ist und erklären, warum es so ist. Das ist der Kern der Wissenschaft. Und da ist es mir völlig egal, ob wir von Neurowissenschaften, Biologie oder Kulturwissenschaft reden. Das ist die Einheit der Wissenschaft. Natürlich weiß ich, dass manche das anders sehen, aber ich unterscheide mich in der Logik nicht von einem Naturwissenschaftler oder einem Ingenieur.
Die Pandemiezeit war eine besondere. Generell hat sich die Publikationskultur innerhalb der Natur- und Sozialwissenschaften nicht geändert, nur halt die im Bereich Epidemiologie und Virologie, zumindest vorübergehend. Da ging es um Geschwindigkeit. Es musste schnell gehen. Und Qualitätssicherung, das wissen wir alle, braucht eben auch Zeit und ist mühsam.
Was ist für mich die Voraussetzung, um mit einem wissenschaftlichen Befund an die Öffentlichkeit zu gehen? Genau das Gleiche wie für Naturwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler. Die Qualitätssicherung muss vorher gemacht werden. Wir haben ein Projekt oder eine Fragestellung. Dann brauchen wir Daten dazu. Ich arbeite fast immer mit Umfragedaten. Das heißt, unsere Ergebnisse liegen dann in gewissermaßen statistischer Form vor. Diese muss verschriftlicht werden. Das wird ein Paper, das zu einer Zeitschrift geht oder in ein anderes Publikationsorgan. Erst, wenn das akzeptiert wurde und in der Regel auch erscheint, dann ist der Zeitpunkt gekommen, an die Öffentlichkeit zu gehen.
Davon gibt es nur ganz wenige Ausnahmen. Also bei bestimmten Fragestellungen, für die es gar kein Publikationsformat gibt. Sieben Seiten über die Frage, ob eher Männer oder eher Frauen die AfD wählen. Das nimmt niemand als Paper, da machen wir dann was kleines Eigenes, für einen begrenzten Kreis, vielleicht auch mal für eine Journalistin oder einen Journalisten.
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