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Wissenschaftler:innen sollten sich so oft es geht einmischen und äußern, nicht nur medial, sondern unter anderem auch über Social Media und im zivilgesellschaftlichen Alltag, meint Klimaforscher und Meteorologe Dr. Karsten Haustein. "Publizieren allein scheint es in den vergangenen Jahrzehnten nicht getan zu haben, also bleibt nur der Weg über Medien und persönliches Engagement im Bereich Kommunikation", sagt er. Ziel von Kommunikation müsse sein, "Forschung besser im Alltag der Menschen sichtbar zu machen." Unter anderem dazu und auch darüber, worin sich Wissenschaftskommunikation im angloamerikanischen und dem deutschsprachigen Raum unterscheidet, spricht Haustein im Interview mit dem Universitätsmagazin (dem vierten und letzten unserer kleinen Interview-Serie).

Welche Intention haben Sie bei Ihrer persönlichen Wissenschaftskommunikation, sei es in Form von Vorträgen, Statements oder Interviews in den Medien?

Prinzipiell geht es mir darum, den Sachstand so verständlich und klar wie möglich in die Gesellschaft zu tragen. Gerade im Bereich Klimaforschung, und erst recht in der Attribution menschengemachter Einflüsse, ist es meine Pflicht, Bevölkerung und Entscheidungsträger:innen bestmöglich zu informieren. Neben den nicht immer angenehmen faktischen Tatsachen beziehungsweise Erkenntnissen gilt es immer, eine ausgewogene Balance zwischen warnenden Worten und lösungsorientiertem Messaging. Soll heißen: Wir haben einerseits oft Ergebnisse zu kommunizieren, die Anlass zur Sorge geben, wissen andererseits in fast allen Fällen, welche Vermeidungs- beziehungsweise Anpassungsstrategien es gibt.

Egal bei welcher Gelegenheit, ich versuche immer die Notwendigkeit bestimmter Maßnahmen zu betonen, dabei jedoch immer konkrete Lösungsszenarien zu skizzieren. Idealerweise gelingt es, statt von "Krise" von Visionen zu sprechen, was sowohl die Motivation zum Handeln fördert, als auch die gefühlte Lähmung aufgrund der Dimension der Aufgabe auflöst. Akteur:innen, die ausschließlich destruktiv - oder schlimmer noch - im Faktenfreien unterwegs sind, muss klar gemacht werden, dass sie Teil des Problems sind. Ihnen muss in meinen Augen entweder entschieden widersprochen werden, oder in manchen Fällen die Aufmerksamkeit gänzlich entzogen werden. Zusammenfassend: Meine Intention ist es, den wissenschaftlichen Konsens so aktuell wie möglich zu vermitteln, aber gleichzeitig konkrete Lösungsmöglichkeiten fürs Hier und Jetzt aufzuzeigen.

Wann sollten sich Wissenschaftler:innen äußern? Nur, wenn sie zum Beispiel im Rahmen eines Expert:innenrats der Politik zurate gezogen werden? Oder sollten sie sich beispielsweise über Medien, vor allem, wenn es die Gesellschaft insgesamt betrifft, auch (ungefragt) einmischen?

In meinen Augen sollten wir Wissenschaftler:innen uns so oft es geht einmischen und äußern. Nicht nur medial, ob nun durch direkte Interviewanfragen oder eigene Artikel, op-eds [Meinungsbeiträge, Anm. d. Red.], Social Media-Postings, sondern auch im zivilgesellschaftlichen Alltag. Am Ende des Tages verfügen wir über Expertise in relevanten Bereichen, die im Wissenschaftsalltag oft in Publikationen "verschwinden", obwohl das Wissen dringend nach "draußen" müsste. Im Rahmen des Science Media Center gibt es die Möglichkeit, den Medien entsprechende Einschätzungen von Expert:innen zu aktuellen beziehungsweise relevanten Themen vorab zur Verfügung zu stellen. Auf die Art lassen sich Ereignisse oder Ergebnisse nicht nur besser einordnen, sondern auch in den gesellschaftlichen Kontext rücken. Etwas, was im Bereich vieler Wissenschaftszweige von erheblicher Relevanz ist. Meines Erachtens sollten wir sogar einfordern, dass uns mehr zugehört wird. Dazu bedarf es freilich einer besseren Sensibilisierung für Medienauftritte und die Wertschätzung entsprechenden Engagements im Forschungsalltag. Letzteres ist meiner Erfahrung nach fast immer der Fall, dennoch wird es allgemein nach wie vor eher als freiwilliges Engagement wahrgenommen.

Es braucht Vorbilder und ‚Dosenöffner‘, die einem die Konfidenz geben, sich medial einzubringen, die Zielgruppen zu erkennen und entsprechend zu adressieren, ... die angesprochene Balance aus faktischer und empathischer Kommunikation zu finden.

Dr. Karsten Haustein

Wann gehen Sie selbst mit Forschungsaussagen an die Öffentlichkeit, die aus der eigenen Forschungsarbeit resultieren? Wenn es bahnbrechende Erkenntnisse gibt und Sie einschränkend dazu sagen, dass es hier noch weiterer Forschung bedarf? Oder erst, wenn die Ergebnisse peer-reviewed sind?

Wenn die eigene Forschung relevant genug ist, werden via Pressemittelung und Unterstützung von Social Media alle medialen Kanäle so gut es geht bespielt. Im Falle von Extremwetterereignissen, allgemeinen Fragen zu regionalen oder globalen Temperaturrekorden, sowie spannenden Ergebnissen anderer Kolleg:innen nutze ich neben Social Media vor allem das Science Media Center.

In speziellen Fällen, wie der Frage der jüngsten globalen Temperaturrekorde, vor allem bezüglich der Ozeantemperaturen, versuche ich mittels wissenschaftlicher oder populärwissenschaftlicher Kommentare, idealerweise gemeinsam mit Kolleg:innen die ebenfalls Interesse am Thema haben, meinen Blickwinkel in die Diskussion einzubringen. Insbesondere dann, wenn die allgemeine Bewertung eines Ereignisses irreführend, verharmlosend oder auch übertrieben panisch dargestellt wird. Hier benötigt es meines Erachtens eines Korrektivs, was selbstredend nicht immer warten kann und muss, bis eine entsprechend ‚reviewte‘ Publikation zur Verfügung steht. Es gibt fast immer ausreichend aktuelle Literatur zum Thema, die sich nutzen lässt.

Welche Wege nehmen Sie dabei? Wem und wie erklären Sie Ihre Wissenschaft und welche Zielgruppen haben Sie dabei im Blick?

Neben den gerade schon genannten Wegen, ist in meinem speziellen Fall als Attributions-Wissenschaftler im Bereich Extremwetter-Attribution, vor einigen Jahren das Projekt „World Weather Attribution“ dazu gekommen. Es ist mit einem ganz klaren kommunikativen Fokus ins Leben gerufen worden, obwohl es selbstredend auf etablierter wissenschaftlicher Methodik beruht. Die Projektidee stammt von Kolleg:innen in Großbritannien, mit denen ich bis 2020 zusammen geforscht und gearbeitet habe. Einerseits mussten wir ins Projekt, insbesondere in die Kommunikationskomponente des Projekts, "reinwachsen". Andererseits ist es sehr hilfreich gewesen, an einem Ort wie Oxford, beziehungsweise Großbritannien generell, forschen zu können und von dort aus Wissenschaft zu erklären. Es eröffnet Kanäle und Reichweite, die man anderswo so schnell nicht bekommt. Myles Allen zum Beispiel ist in der Klimawissenschaft ein anerkannter Wissenschaftler. Ich kannte seinen Namen durch die Medien bereits, bevor ich nach Oxford gegangen bin. Er hat in den Medien damals schon Dinge gesagt, die selbst in der Forschungs-Community mitunter kontrovers waren. Mit anderen Worten: Es braucht Vorbilder und "Dosenöffner", die einem selbst die Konfidenz geben, sich medial einzubringen, die Zielgruppen zu erkennen und entsprechend zu adressieren, sowie die angesprochene Balance aus faktischer und empathischer Kommunikation zu finden.

Es hat bisher bereits einzelne Kolleg:innen gegeben, die sich immer wieder medial eingebracht haben, nur wurde das oft belächelt und als Freizeitvergnügen oder sogar Ablenkung von der wissenschaftlichen Arbeit gesehen.

Dr. Karsten Haustein

Sie hatten also einen Mentor, jemanden, der gezeigt hat: So kann Wissenschaftskommunikation funktionieren?

Myles Allen war – wie später dann meine damalige Kollegin und Chefin Fredi Otto – ein unglaublich großer Mentor – im Persönlichen wie auch im Wissenschaftlichen, nicht nur für mich. Er hat uns gezeigt: Wenn man sich als Wissenschaftler durch die nervösen Anfangsphasen durchgearbeitet hat, generell auch keine Furcht davor hat, sich auch einmal zu exponieren, dann sollte man sich mit dem Wissen, das man hat, auch an Themen wagen, die früher als kontrovers betrachtet worden sind.

Es gibt bis heute Kolleg:innen, die von unseren öffentlichen Aussagen nicht so begeistert sind, weil wir keine richtige Peer Review machen, bevor wir beispielsweise zu einer Pressekonferenz laden. Sich darüber hinwegzusetzen und zu sagen: Wir machen es trotzdem! – diesen Schritt muss man erst einmal wagen. Ich hatte noch einen weiteren Mentor, der leider inzwischen verstorben ist: Geert Jan van Oldenborgh. Er war jemand, der nie zurückgezogen hat, einfach weil er wusste, dass es richtig ist, was er sagt. Und entsprechend hat er es verteidigt. Wenn ich heute irgendwo etwas medial sage, dann weiß ich in der Regel, dass das richtig ist. Auf kritische Nachfragen hat man durch das große angesammelte Wissen immer eine Antwort. Und klar: Wenn man genug Erfahrungen gesammelt hat, kommen auch keine überraschende Fragen mehr.

Sehen Sie Unterschiede bezüglich der Wissenschaftskommunikation zwischen dem deutschsprachigen Raum und Großbritannien oder den USA? Falls ja: Worin bestehen diese?

Im englischsprachigen Raum ist das Bewusstsein für effektive Kommunikation meiner Erfahrung nach generell besser ausgeprägt. Im Wissenschaftsbereich kommt dazu, dass es Muttersprachlern erfahrungsgemäß etwas einfacher fällt, sich selbstbewusst medial zu präsentieren. Allerdings hat die Kommunikation der wissenschaftlichen Ergebnisse außerhalb des klassischen Publikationsbetriebs durchaus mittlerweile einen höheren Stellenwert als noch vor ein bis zwei Jahrzehnten. Es wird nicht nur akzeptiert, dass "Impact" abseits akademischer Metriken generiert wird, sondern durchaus auch von den finanzierenden Stellen gefordert. Entsprechend wird Kommunikations-Training angeboten, zur Nutzung von Social Media ermuntert, das Erstellen verständlicher und ansprechender Illustrationen thematisiert, sowie die Frage gesellschaftlicher Aspekte/Implikationen der eigenen Forschungsarbeit diskutiert. Alles mit dem Ziel, die Forschung besser im Alltag der Menschen sichtbar zu machen. Im Bereich der Klimawandelkommunikation haben sich insbesondere seit der vergangenen Dekade viele Kolleg:innen immer selbstbewusster in den gesellschaftlichen Diskurs eingemischt und nicht nur gewarnt und aufgeklärt, sondern haben Lösungen angeboten und eingefordert. Es ist eben keine Option mehr, einfach nur daneben zu stehen, wenn ganze Gesellschaften sich klimapolitisch einfach nicht bewegen wollen, obwohl es aus wissenschaftlicher Sicht absolut notwendig ist.

(Wo) sehen Sie Nachholbedarf in der Wissenschaftskommunikation im deutschsprachigen Raum?

Derselbe Prozess findet meiner Beobachtung nach mittlerweile auch im deutschsprachigen Raum mit Verzögerung statt. Es hat bisher bereits einzelne Kolleg:innen gegeben, die sich immer wieder medial eingebracht haben, nur wurde das oft belächelt und als Freizeitvergnügen oder sogar Ablenkung von der wissenschaftlichen Arbeit gesehen. Dass mit dem Erstellen der IPCC-Berichte [IPCC steht für Intergovernmental Panel on Climate Change, kurz:  Weltklimarat; Anm. d. Red.] tausende Kolleg:innen über Jahre freiwillig ihre Zeit letztlich in den Dienst der Kommunikation gestellt haben, dürfte die Sicht – nicht nur hier, sondern allgemein den Bereich der Klimaforschung betreffend –  nachhaltig geändert haben. Entsprechend hat sich die Wertschätzung für Mitarbeit an den in mühsamer und extrem anspruchsvoller Synthesearbeit zusammengestellten Berichten erhöht, einhergehend mit einem erhöhten Bewusstsein für den Wert medialer Arbeit. Am Ende des Tages ist den meisten Kolleg:innen klar, dass etwas passieren muss. Publizieren allein scheint es in den vergangenen Jahrzehnten nicht getan zu haben, also bleibt nur der Weg über Medien und persönliches Engagement im Bereich Kommunikation. Diesbezüglich fällt mir auf, dass selbst politischer Aktivismus nicht mehr verteufelt wird. Ganz im Gegenteil: Man spürt sogar so etwas wie Dankbarkeit. Entsprechend beteiligen sich mittlerweile diverse Kolleg:innen auch außerhalb der Forschung am gesellschaftlichen Diskurs. Ich selbst bin bei Scientists for Future aktiv.

Alle Interviews unserer vierteiligen Gesprächsreihe zur Wissenschaftskommunikation finden Sie auf der Seite des universitären Netzwerks Wissenschaftskommunikation.

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