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„Die Menschen in diesem Staat finanzieren auch die Forschung und haben ein entsprechendes Recht, darüber informiert zu werden, was mit diesem Geld gemacht wird“, sagt Prof. Dr. Frank Gaunitz. Der Biochemiker und Leiter des Arbeitskreises Studium universale sagt auch: „Als Forscher ist man oft damit überfordert, die Öffentlichkeitsarbeit selbst zu leisten. Obwohl man als Forscher auch an unserer Universität gute Unterstützung erhält, sollte darüber nachgedacht werden, einen kleinen Prozentsatz der erhaltenen Drittmittel konkret für professionelle Medienarbeit zu nutzen.“ Darüber spricht er im Interview mit dem Universitätsmagazin, dem ersten in unserer vierteiligen Serie zum Thema Wissenschaftskommunikation. Die weiteren drei Interviews folgen in den kommenden Tagen (9.-11. April 2024).

Welche Intention haben Sie bei Ihrer persönlichen Wissenschaftskommunikation, sei es in Form von öffentlichen Vorträgen, Statements für die Medien oder beispielsweise Pressemitteilungen?

Ich halte es für unglaublich wichtig, dass man das, was man wissenschaftlich macht, auch der breiten Öffentlichkeit gegenüber kommuniziert. Allein schon, um dafür auch eine Akzeptanz zu schaffen. Nur wer versteht, was man in der Wissenschaft macht, kann das auch entsprechend unterstützen.

Ich habe in den 1980er Jahren im Bereich Gentechnik geforscht, und damals wie heute gibt es große Bedenken in der Bevölkerung im Sinne von: „Um Gottes willen, was macht ihr da? Das ist doch total gefährlich.“ Es war und ist ganz, ganz wichtig, dass man kommuniziert, worum es wirklich geht, was Gentechnik eigentlich ist. Für viele ist das eine nebulöse Angelegenheit. Da fallen Stichworte, wie CRISPR/Cas, die Genschere, davon haben vielleicht einige schon gehört. Aber was man damit nun wirklich genau machen kann, da sind die Meinungen ja doch recht vielfältig und nicht immer richtig. Gentechnik ist nur ein Beispiel von vielen.

Die Menschen in diesem Staat finanzieren auch die Forschung und haben ein entsprechendes Recht, darüber informiert zu werden, was mit diesem Geld gemacht wird – und gegebenenfalls natürlich auch informiert zu werden, was man vielleicht nicht tun sollte. Es ist nicht so, dass wir nur Reklame machen, um alles tun und lassen zu können, was wir wollen, sondern man sollte auch kritisch rangehen. Die künstliche Intelligenz zum Beispiel: Man kann es in der Bedeutung vielleicht vergleichen mit dem Flaschenzug, der bereits in der Antike zum Heben schwerer Lasten verwendet wurde, nur jetzt ein bisschen fortschrittlicher. Ich kann aber auch mit einem Flaschenzug Blödsinn machen und genauso kann ich auch mit einer KI Blödsinn machen. Das sollte man auch so kommunizieren, um Ängste abzubauen. Es ist unglaublich, wie viel Angst im Zusammenhang mit KI vorherrscht. Wenn ich mit Chat GPT etwas herumprobiere, merke ich: Da kommt auch eine Menge Unsinn heraus.

Wann und und über welche Kanäle sollten sich Wissenschaftler:innen äußern?

Man sollte so viele seriöse Plattformen wie möglich nutzen, um seine wissenschaftliche Arbeit zu präsentieren. Wir haben unglaublich viele neue Formen, sich zu präsentieren, beispielsweise YouTube-Kanäle. Da gibt es sehr gute Kanäle, wo Wissenschaft von professionellen Leuten kommuniziert wird. Natürlich gibt es auch schwarze Schafe, das ist vor allem für das Publikum ein Problem, das die Qual der Wahl hat: Begibt man sich in irgendeine Blase, wo man das erzählt bekommt, was man sowieso schon glaubt zu wissen, oder stößt man auf ein seriöses Angebot.

Es gibt Ähnlichkeiten zu Wikipedia: Als diese Plattform entstand, haben viele vermutet, dass dort nur Unsinn stehen wird, weil jeder etwas reinschreiben kann. Und alle waren überrascht, dass es funktioniert hat. So ist es auch bei verschiedenen Kanälen im Internet: Harald Lesch beispielsweise hat ein großes Publikum, viele andere auch. Blödsinn gibt es natürlich auch, aber das war und ist bei Printmedien nicht anders.

Das Kernproblem ist meines Erachtens, dass wirksame Öffentlichkeitsarbeit einer Schulung bedarf. ... Es sollte darüber nachgedacht werden, einen kleinen Prozentsatz der erhaltenen Drittmittel konkret für professionelle Medienarbeit zu nutzen.

Prof. Dr. Frank Gaunitz

Man sollte sich schon einmischen, wenn man tatsächlich das Gefühl hat: Hier läuft etwas in die falsche Richtung? Und wenn man gesellschaftlich eine Message hat?

Wir sollten sehr früh damit anfangen, zum Beispiel in die Schulen zu gehen und zu sagen, was wir in der Wissenschaft Tolles machen und das vielleicht auch in den Unterricht integrieren. Ich war vor nicht so langer Zeit bei einer Schulklasse in Chemnitz online zugeschaltet. Die Schüler:innen hatten eine Unmenge an Fragen bezüglich der Wissenschaft insgesamt. Als ich in den 1980er Jahren zur Gentechnik geforscht hatte, war ich in Schulen in Baden-Württemberg. Mein Angebot für Informationsveranstaltungen zur Gentechnik wurde sehr, sehr gerne aufgenommen. Man kann das machen, man sollte das machen. Wir sind zwar alle sehr eingespannt, nicht nur in unsere Forschung, sondern auch in viele administrative Aufgaben. Und dann zu sagen: Jetzt nehme ich mir noch die Zeit und erkläre Wissenschaft öffentlich, ist natürlich nicht so einfach. Vielleicht wäre es wünschenswert, extra Stellen für solch eine Kommunikation zu haben.

Es gibt seitens der Drittmittelgeber häufig die Vorgabe, dass Öffentlichtkeitsarbeit Bestandteil des Forschungsprojekts sein soll. Das wird zuweilen unterschiedlich ausgelegt. Wie stehen Sie dazu?  

Das Kernproblem ist meines Erachtens, dass wirksame Öffentlichkeitsarbeit einer Schulung bedarf. Nicht umsonst gibt es schließlich Studiengänge, wie Journalistik oder Kommunikations- und Medienwissenschaften. Als Forscher ist man oft damit überfordert, die Öffentlichkeitsarbeit selbst zu leisten. Obwohl man als Forscher auch an unserer Universität gute Unterstützung erhält, sollte darüber nachgedacht werden, einen kleinen Prozentsatz der erhaltenen Drittmittel konkret für professionelle Medienarbeit zu nutzen.

Man sollte versuchen, immer so sachlich wie möglich zu argumentieren. Das kann man in der Sozialwissenschaft genauso wie in der Naturwissenschaft – und auf dem Boden der Tatsachen, der Beobachtung und der Empirie bleiben.

Prof. Dr. Frank Gaunitz

Wann würden Sie selbst mit eigenen Forschungsaussagen an die Öffentlichkeit gehen, die aus der eigenen Forschungsarbeit heraus resultieren?

Als Naturwissenschaftler habe ich es relativ leicht, weil ich sagen kann: Ich habe ein Experiment unter bestimmten Bedingungen gemacht, und ich habe folgende Beobachtung gemacht. Und diese Beobachtung lässt diese Hypothese zu oder bestätigt eine Hypothese – das ist faktenbasiertes Argumentieren. In nicht-naturwissenschaftlichen Disziplinen ist das erheblich schwieriger, weil es da mitunter Interpretationsspielräume gibt: Soll man ein Parteienverbot aussprechen oder sollte man das besser nicht? Ich kann verschiedenste Argumente gegeneinander abwägen: juristische, soziologische, politikwissenschaftliche. Man sollte einfach versuchen, immer so sachlich wie möglich zu argumentieren. Das kann man in der Sozialwissenschaft genauso wie in der Naturwissenschaft – und auf dem Boden der Tatsachen, der Beobachtung und der Empirie bleiben.

Sollte dies peer-reviewed sein? Oder würden Sie auch etwas veröffentlichen, wenn es bahnbrechend ist und einschränkend dazu sagen, dass es noch weiterer Forschung braucht, um dies zu verifizieren?

Ich habe in meinem Leben oft erlebt, dass Wissenschaftler:innen, auch aus den Naturwissenschaften, aufgrund von ein, zwei Experimenten, die sie gemacht haben, die tollsten Schlussfolgerungen gezogen und zum Beispiel gejubelt haben: „Ich habe den Krebs besiegt!“ Und es gibt sehr viele Menschen, die genau diese Hoffnung auf Heilung haben. Das habe ich real erlebt, bei der Verwendung von Methadon zur Behandlung von Krebserkrankungen: Forschende meinten herausgefunden zu haben, dass mit Methadon der Krebs besiegt werden könne. Offenbar aber fanden die Experimente nur unter ganz bestimmten Bedingungen statt. Die Botschaft ging um die Welt: Das Mittel zum Besiegen des Krebses ist gefunden. Mein Team und ich haben das – aus freien Stücken übrigens, ohne dass wir einen Auftrag bekommen haben, ein Peer Review zu machen – durch Experimente unter anderen Bedingungen nachgewiesen, dass Methadon eben nicht das Wundermedikament zum Besiegen des Krebses ist. Die Ergebnisse haben wir in einem Fachjournal veröffentlicht und sind gemeinsam mit der Medienredaktion auch via Pressemitteilung an die breite Öffentlichkeit gegangen, weil wir in dem Moment die Notwendigkeit dafür sahen, die breite Öffentlichkeit darüber zu informieren, bevor falsche Hoffnungen geweckt werden. Die Nachricht haben natürlich viele nicht gern gehört, das kann ich auch nachvollziehen. Wenn jemand seine letzte Hoffnung auf irgendetwas setzt, dann möchte er nicht gesagt bekommen: „Nein, das kannst du vergessen, das wird nicht funktionieren.“

Ich kann nur jedem raten, egal aus welchem Fachgebiet: Bitte immer so nah wie möglich an den Fakten bleiben und sagen: Ich folgere das und das aufgrund dieser und jener Beobachtung. Aber bitte keine reißerischen Sachen daraus machen.

Ich habe nicht den Eindruck, dass die Corona-Zeit der Durchbruch für die Wissenschaft war – und ganz bestimmt auch nicht für die Wissenschaftskommunikation. ... Viele waren unvorsichtig, aus welchen Motiven auch immer.

Prof. Dr. Frank Gaunitz

Wie sehen Sie die Entwicklung der Wissenschaftskommunikation während der Corona-Zeit? Was lief falsch, was lief gut?

Was mir aufgefallen ist, war die enorme Polarisierung, die wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche Ergebnisse in der Bevölkerung verursacht haben. Die Gruppe der Corona-Leugner zum Beispiel, die übrigens immer noch aktiv sind und sich völlig gegenüber wissenschaftlichen Argumenten gesperrt haben oder ihre ganz eigenen hatten. Es ist schwierig zu sagen, ob diese Zeit zu mehr Akzeptanz geführt hat oder zu weniger. Ich glaube, beides ist der Fall. Manche Menschen sagen: Du hast ja gesehen, wie viele Theorien da kamen und das war ja alles Blödsinn. Und andere sagen: Die Wissenschaftler:innen haben Recht gehabt, und wir haben das Virus mit den RNA-Impfstoffen in den Griff bekommen.

Ich habe nicht den Eindruck, dass man sagen kann: Das war der Durchbruch für die Wissenschaft – und ganz bestimmt auch nicht für die Wissenschaftskommunikation. Es ist ja nicht alles Gold gewesen, was in die Talkshows gekommen ist – und da hätte ich mir sicherlich ein bisschen mehr Vorsicht gewünscht. Es gibt durchaus Forschende, denen ich sagen würde: Das war jetzt aber keine gute Idee mit den Podcasts oder Ähnlichem. Viele waren unvorsichtig, aus welchen Motiven auch immer.

Gibt es Lehren, die Kommunikateur:innen, Medienverter:innen und Wissenschaftler:innen daraus schließen können?

Es wird immer Leute geben, die solche Ereignisse nutzen werden, um sich selbst in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Und diejenigen, die vorsichtig vorangehen – wie Herr Drosten, dem man sicherlich sagen kann, dass er einen guten Job gemacht hat – werden das auch weiterhin tun. Vielleicht sollten die Medien ein bisschen vorsichtiger dabei sein, wem sie wie schnell eine große Zuhörerschaft bieten: Nicht jeden, der kommt und schreit: „Ich habe den Stein der Weisen gefunden!“ gleich zu Anne Will oder ähnlichen Formaten einladen, sondern vielleicht erst einmal schauen: Welchen fachlichen Hintergrund hat der oder die Wissenschaftler:in, wie stark ist die Person in diese konkrete Forschung involviert und fundiert aussagefähig?

Sie sind Leiter des Studiums universale. Worauf legen Sie beim Zusammenstellen des Programms wert? Und haben Sie über die Jahre eine Entwicklung seitens des Publikums, aber auch der Vortragenden, der Forschenden, festgestellt?

Es hat sich in den letzten Jahren einiges entwickelt. Als ich den Arbeitskreis übernommen habe, waren es spannende und interessante Ober-Themen wie: „Farbe“ oder „Wasser. Alles fließt.“

Im Laufe der letzten Jahre haben wir versucht, wesentlich stärker aktuelle Themen in den Fokus zu nehmen: „Identität“ oder „Klima im Wandel“. Und dieses Thema beleuchten wir interdisziplinär von verschiedenen Seiten. Im Sommersemester ist das Thema „75 Jahre Grundgesetz“. Worauf wir Wert legen, ist, dass diejenigen, die bei uns vortragen, wissen, dass sie ein interessiertes Publikum haben, das aber kein Fachpublikum ist.

Vor Corona hatten wir ein Stammpublikum im Alter von 50+, das haben wir verloren. Über die Gründe können wir nur spekulieren. Wir hatten ein paar Online-Formate, statt Präsenzveranstaltungen, die auch bei YouTube eingestellt sind.

Aktuell haben wir zunehmend jüngere Leute, und es ist stärker gemischt: von jungen Studierenden bis hin zu Bürger:innen der Stadt im Alter von 50+. Und das Interesse steigt stetig an, auch bei den Vortragenden. Ich habe für die kommende Reihe relativ schnell sehr viele hochkarätige Referent:innen bekommen können. Stephan Kramer zum Beispiel, Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, hat mir innerhalb von 24 Stunden zugesagt.

Weil es möglicherweise auch bei Fachleuten das Bedürfnis gibt, direkt, eins zu eins, zu kommunizieren?  

Ganz eindeutig: Ja.

Kommentare

  • Medienredaktion,

    Uns erreichten Zuschriften, die sich kritisch auf die Aussagen von Prof. Dr. Frank Gaunitz im Interview bezüglich der Forschungsergebnisse und Erkenntnisse seines Teams zur Behandlung mit Methadon bei Krebserkrankungen im Jahr 2019 beziehen.

    Wir möchten hiermit klarstellen: Das Thema des Interviews ist, im Rahmen einer Interviewreihe, Wissenschaftskommunikation, nicht die Krebsforschung. Prof. Gaunitz verweist in diesem Zusammenhang an Hand eines eigenen Beispiels darauf, wie Wissenschaft funktioniert – und entsprechend auch Wissenschaftskommunikation: Es kann unterschiedliche, auch sich gegenseitig widersprechende, Forschungserkenntnisse geben - auch zum selben Forschungsgegenstand, und die öffentliche Kommunikation dazu. Entsprechend gab es auch öffentlich eine wissenschaftliche Gegenrede zu den Forschungsergebnissen von Prof. Gaunitz: https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2019/daz-15-2019/leipziger-studie-stuetzt-methadon-hypothese
    Gaunitz warnt davor, Wissenschaftskommunikation in Superlativen zu denken. Forschung, und selbstverständlich auch Krebsforschung, befindet sich in einem permanenten und nicht abgeschlossenen Prozess. Das bedeutet grundsätzlich für Wissenschaft auch, dass heute zum selben Forschungsgegenstand fundamental andere Erkenntnisse vorliegen können, als es noch vor einigen Jahren der Fall war.

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