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Der Akademische Senat hat in seiner jüngsten Sitzung die Nachhaltigkeitsstrategie bis 2030 zustimmend zur Kenntnis genommen. Sie umfasst sämtliche Handlungsfelder: Vom Gebäudemanagement über Studium und Lehre bis hin zu Forschung und Transfer. Erarbeitet wurde die ganzheitliche Strategie von der Nachhaltigkeitskommission, die sich aus Studierenden, Forschenden und Mitarbeitenden der Verwaltung zusammensetzt. Die Federführung dafür hat der Prorektor für Campusentwicklung: Kooperation und Internationalisierung, Prof. Dr. Matthias Middell. Im Interview spricht er unter anderem über die Definition des Begriffs Nachhaltigkeit, den Entscheidungsprozess und welche Bereiche der Universität die Strategie einbezieht.

Herr Prof. Middell, der Senat hat soeben die Nachhaltigkeitsstrategie für die Uni verabschiedet. Warum brauchen wir so eine Strategie? Was ist das Ziel? 

Die ganze Welt und ihre Gesellschaften sind in hohem Maße von Klimawandel, Biodiversitätseinschränkungen und damit zusammenhängender Ungleichheit betroffen, und es ist klar, dass wir unseren Zugang zu und unseren Umgang mit Ressourcen überdenken und auf die Klimakrise reagieren müssen. Allerdings stellt sich das Problem für eine Universität anders dar als für die Industrie. Wir können nicht nur fragen, wie wir Emissionen reduzieren, so wichtig das auch ist, sondern wie sich unsere Aktivitäten insgesamt zum Thema Nachhaltigkeit verhalten. 

Nachhaltigkeit ist ein dehnbarer Begriff, jeder versteht etwas anderes darunter. Wie definieren wir ihn als Universität? 

Es ist ein sehr weiter Begriff, und er ist durchaus umstritten. Wenn wir vom menschengemachten Klimawandel sprechen, beeinflussen wir diesen in sehr verschiedenen Handlungsfeldern und haben es mit einer ganzen Serie von Zielkonflikten zu tun. Vor diesem Hintergrund gibt es unterschiedliche Prioritätensetzungen. Allgemein gesprochen, verstehen wir unter Nachhaltigkeit einen Umgang mit den Ressourcen auf dieser Erde, der es ermöglicht, dass auch die nachfolgenden Generationen unter Bedingungen leben können, die für sie angenehm und erstrebenswert sind. Seit den 1980er Jahren gab es weltweit Diskussionen dazu, mit dem Ergebnis, dass sich die UNO auf 17 Nachhaltigkeitsziele verständigt hat, die international vereinbart worden sind. An diesen richten wir auch unsere Nachhaltigkeitsstrategie aus. Und diese schließen die Reduzierung von Emissionen genauso ein wie die Herstellung sozialer Gerechtigkeit und den gleichberechtigten Zugang zu einer Vielzahl von Ressourcen, aber auch Gesundheit und Wohlergehen. Die Erreichung dieser Ziele ist bei Weitem nicht nur eine Frage passender Technologien, sondern auch eine der politischen Aushandlungen und sozialen Ordnungen. Nachhaltigkeit ist deshalb auch nur im Zusammenwirken aller an der Universität vertretenen Disziplinen zu schaffen. 

Prorektor Prof. Dr. Matthias Middell

Schnell wurde klar, dass es nicht ausreicht, etwa den CO2-Abdruck der Universität zu messen, sondern dass wir als Universität eine eigene Vorstellung davon entwickeln müssen, wie wir Nachhaltigkeitsprozesse beeinflussen können.

Prof. Dr. Matthias Middell

Wer war an der Entstehung der Nachhaltigkeitsstrategie beteiligt? Können Sie den Prozess kurz  beschreiben? 

Das Rektorat hatte zunächst beschlossen, dass wir „Nachhaltigkeit“ in die Zielvision der Universität aufnehmen möchten. Daraus ergab sich die Einrichtung einer Nachhaltigkeitskommission, der wir die Aufgabe zugemessen haben, eine Nachhaltigkeitsstrategie zu entwerfen, die dem Rektorat und dem Senat vorzulegen sein würde. Parallel wurde die Stelle eines Nachhaltigkeitsmanagers eingerichtet, der diesen Prozess koordiniert hat und die verschiedenen Felder, in denen wir unsere Nachhaltigkeitsstrategie zum Ausdruck bringen, miteinander verknüpft. 

Die Nachhaltigkeitskommission setzt sich aus Vertreter:innen der verschiedenen Fächer, aus Studierenden und aus Mitarbeiter:innen der Verwaltung zusammen und dies hat sich als enormer Gewinn erwiesen, denn auf diese Weise haben wirklich sehr verschiedene Perspektiven die Strategie beeinflusst. Aber selbstverständlich kann auch die umfangreichste Kommission nicht alles abbilden, so dass wir auch im weiteren Prozess immer wieder neue Erfahrungen und Impulse aufnehmen wollen. 

Es war ein sehr intensiver Entstehungsprozess, der sich über ein Dreiviertejahr gestreckt hat. Es konnten aber auch verschiedene Expertisen, über die wir an unserer Universität verfügen, mit einfließen?

Es gab zahlreiche Sitzungen mit vielen Beratungen in Unterarbeitsgruppen, weil es ja um eine ganze Menge Details geht. Wichtig war, dass wir zunächst in der Kommission einen Konsens herstellen: Worum soll es uns bei Nachhaltigkeit an der Universität gehen? Und schnell wurde klar, dass es nicht ausreicht, etwa den CO2-Abdruck der Universität zu messen, sondern dass wir als Universität eine eigene Vorstellung davon entwickeln müssen, wie wir Nachhaltigkeitsprozesse beeinflussen können. 

Das passiert zunächst durch die Erzeugung neuen Wissens. Dieses Wissen kann sich auf neue Technologien zur Einsparung von CO2 oder anderen Emissionen oder auf Maßnahmen gegen Beschränkungen der Biodiversität beziehen, aber eben auch auf die soziale Organisation, die über die Verwendung und Akzeptanz solcher Technologien entscheidet. Einen zweiten erheblichen Einfluss auf Nachhaltigkeit haben wir als Universität durch die Ausbildung von Absolventinnen und Absolventen, die im vor uns liegenden Zeitraum intensiverer Bemühungen um Nachhaltigkeit selbst eine andere Lebensführung anstreben, ihre Kinder erziehen oder in ihrem Beruf Einfluss auf nachhaltigere Lösungen nehmen. In diesen beiden Dimensionen haben wir gewissermaßen einen ökologischen Handabdruck, den wir möglichst groß gestalten wollen. Und dann gibt es die Frage nach unserem ökologischen Fußabdruck, als der Nachhaltigkeit unserer Infrastruktur, die wir vom Freistaat zur Verfügung gestellt bekommen, um die Prozesse in Forschung und Lehre so zu organisieren, dass sie möglichst wenig ökologischen Schaden anrichten. Das betrifft übrigens nicht nur den Betrieb von Gebäuden und Laboren, sondern zum Beispiel auch das Mobilitätsverhalten der Mitarbeitenden und der Studierenden.

Sie sagten es gerade schon: Die Infrastruktur wird für die Universität vom Freistaat zur Verfügung gestellt, dem Staatsbetrieb Immobilien- und Baumanagement SIB. Welchen Einfluss kann die Uni auf diesen technischen Betrieb nehmen? 

Das ist sehr differenziert. Bei Bestandsgebäuden haben wir einen Einfluss auf den Umgang mit diesen Gebäuden, ob wir sie rund um die Uhr beleuchtet lassen oder ob wir das Licht nur anmachen, wenn wir die Gebäude auch nutzen. Wir haben alle in den letzten Jahren auch erlebt, dass Heizen etwas ist, was unserem eigenen Einfluss unterliegt, wenn sich die Thermostate angemessen regeln lassen. Wir insistieren natürlich gegenüber dem SIB und gegenüber den Ministerien, die dafür verantwortlich sind, dass der SIB beauftragt wird, dass Modernisierungen in diesen Bestandsgebäuden vorgenommen werden, die einen nachhaltigeren Gebrauch möglich machen. 

Bei neu errichteten oder noch zu errichtenden Gebäuden kann Nachhaltigkeit noch eine ganz andere Rolle spielen, so dass zum Beispiel andere Energiequellen genutzt werden und Geräteanschlüsse effizienter gestaltet werden, als das in älteren Gebäuden mit dem Stand von vor vielleicht 20, 30 Jahren oder vor 50 Jahren der Fall war. 

Im Bereich Studium und Lehre soll es darum gehen, auf ein nachhaltigeres Leben vorzubereiten. Wie kann das umgesetzt werden?

Der einzige Studiengang, der bei uns den Titel „Nachhaltigkeit“ direkt trägt, ist in der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät angesiedelt. Damit wird schon deutlich, dass es sich nicht um eine Frage handelt, die nur durch naturwissenschaftliches Wissen gelöst werden kann, sondern eben um eine, die eine ökonomische Dimension hat. Und genauso lässt sich das für die Dimension sozialer Gerechtigkeit und Verteilungskämpfe sagen. Im Bereich der Politikwissenschaft, der Soziologie oder der Global Studies haben wir eine Reihe von Modulen, die sich mit Fragen der Nachhaltigkeit und ihrer politischen Umsetzung, ihrer politischen Akzeptanz, beschäftigen. Aber klar: Ein großer Schwerpunkt liegt in den Natur- und Lebenswissenschaften, weil dort neue Technologien und neue Beobachtungen von Naturphänomenen im Vordergrund stehen, die uns überhaupt erst darauf hinweisen, wo mit einem besonders großen Wirkungsgrad neue Technologien Nachhaltigkeit beeinflussen können. Es wird darauf ankommen, die vielen Beiträge zur Nachhaltigkeitsdiskussion, die es jetzt schon in unserem Lehrangebot gibt, sichtbarer und damit auch für die Studierenden bewusster zu machen. Mittelfristig scheint es mir möglich, dass sich die verschiedenen Fächerkulturen in einem gemeinsamen Nachhaltigkeitsprofil treffen und viel enger zusammenarbeiten.

Es gilt die Freiheit von Forschung und Lehre. Welchen Einfluss hat die Universität als Institution auf die Curricula, auf die Forschungsfelder, unter dem Nachhaltigkeitsaspekt? Gibt es da eventuell Konflikte oder Konfliktpotenzial? 

Ich sehe eigentlich kein besonderes Konfliktpotenzial, weil wir in einer Welt leben, in der die große Mehrheit, und ich glaube auch die Mehrheit der Hochschulangehörigen, der Überzeugung ist, dass etwas getan werden muss, um nachhaltiger zu wirtschaften und nachhaltiger zu leben. Bisher sind alle Initiativen in diesem Bereich aus den Fächern selbst hervorgegangen. Es gibt also keine Anweisung, mehr Nachhaltigkeit zu lehren, sondern es ist vielen ein tiefes Bedürfnis, sowohl bei den Lehrenden als auch bei den Studierenden. Was wir als Universitätsleitung tun können, ist, die Wege zu ebnen, auf denen Veränderungen in Curricula vielleicht schneller in diese Richtung erreicht werden können. Wir haben an der Universität eine sehr aktive Studierendenschaft, die darauf drängt, dass Themen der nachhaltigen Entwicklung in ihrem Studium vorkommen, damit sie vorbereitet sind auf ein Wirken als künftige Lehrerinnen und Lehrer, Technikerinnen und Techniker in der Industrie, als künftige Verwaltungsangestellte in den verschiedensten Bereichen, vom Bauen bis zur Sozialarbeit – also alles das, was wir mit Daseinsvorsorge beschreiben.

Hinzu kommt der Druck aus den Berufsfeldern und die Erwartungen der Studierenden, die diese Berufsfelder demnächst besetzen wollen und müssen, an die Institute, selbst aus wissenschaftlichem Interesse für solche Themen bereit zu sein. Es geht nicht darum, allen ein einheitliches Verständnis von Nachhaltigkeit zu vermitteln, sondern die Studierenden zu befähigen, die Komplexität und Vielschichtigkeit von Nachhaltigkeit in ihren Entscheidungen zu berücksichtigen. 

Für Forschung zu Nachhaltigkeit steht an unserer Universität auch das Biodiversitätsforschungszentrum iDiv. Inwiefern schließt die Nachhaltigkeitsstrategie Forschungsschwerpunkte mit ein?

Biodiversität, wie sie das iDiv seit langem extrem erfolgreich untersucht, aber auch die Attribution von Katastrophenereignissen, wie Dürren oder Hochwasser und die Frage, wie diese Katastrophenvorgänge miteinander zusammenhängen, sind zentrale Forschungsschwerpunkte im [Exzellenz-]Cluster Breathing Nature. Und man kann ohne hellseherische Fähigkeiten davon ausgehen, dass auch künftig ein ganz substanzieller Beitrag unserer Nachhaltigkeitsstrategie in diesem Bereich liegen wird. Das zweite große [Exzellenz-]Cluster adressiert Zivilisationskrankheiten, die mit dem Stoffwechsel zusammenhängen. Deren Bekämpfung ist ebenfalls ein ungeheuer wichtiger Beitrag zur Gestaltung einer nachhaltigeren Zukunft. Man kann sich gut vorstellen, dass in fünf oder zehn Jahren diese Schwerpunkte dazu geführt haben werden, dass wir international als Leuchtturm der Nachhaltigkeitsforschung gelten und dass sich zugleich weitere Forschungsschwerpunkte dazu gesellt haben. Das wäre dann ein Anlass, die Nachhaltigkeitsstrategie zu justieren. 

Prorektor Prof. Dr. Matthias Middell

Die Strategie ist eine Leitlinie, die Zielrichtung und Handlungsfelder definiert, in denen wir wissen, wo wir Nachhaltigkeit stärker umsetzen müssen. Dahinter liegt ein Maßnahmenkatalog, der genau diese zielgerichtete Steuerung ermöglicht...

Prof. Dr. Matthias Middell

Das Definieren von Nachhaltigkeit, das Ableiten von Handlungsempfehlungen, Sie haben es gerade beschrieben, sind dynamische Prozesse. Es können sich schnell Rahmenbedingungen ändern, zum Beispiel gesetzlicher Art, mit Auswirkungen auf die Nachhaltigkeitsstrategie, die nun verabschiedet wurde. Gibt es Ihrerseits Möglichkeiten, die Strategie neuen Erkenntnissen anzupassen?

Wir können die Strategie ändern, wenn die Notwendigkeit dafür besteht. Wir haben uns aber vor diesem Hintergrund bemüht, eine flexible Strategie zu formulieren und uns gar nicht so sehr auf verbindliche Einzelmaßnahmen zu konzentrieren, die vielleicht in einem Jahr überholt sind, weil sich, wie Sie sagen, die gesetzlichen Bestimmungen verändert haben. 

Die Strategie ist eine Leitlinie, die Zielrichtung und Handlungsfelder definiert, in denen wir wissen, wo wir Nachhaltigkeit stärker umsetzen müssen. Dahinter liegt ein Maßnahmenkatalog, der genau diese zielgerichtete Steuerung ermöglicht, über die dann auch berichtet wird. Die Strategie selbst reicht aktuell bis zum Jahr 2030, das ist ein relativ kurzer Zeitraum und wir müssen uns beeilen, die ambitionierten Ziele zu erreichen. Es wird sich aber gewiss ein neuer Strategieprozess anschließen, in den die bis dahin gesammelten Erfahrungen einfließen werden. 

Es ist absehbar, dass wir als Universität in naher Zukunft dazu verpflichtet sein werden, über unser nachhaltiges Handeln zu berichten. Eine entsprechende Vorgabe der Europäischen Union wird voraussichtlich in nationale Gesetzgebung überführt werden, die dann in konkrete Regelungen mündet. Wir sollten uns aber von den administrativen Berichtslasten nicht erdrücken lassen, sondern unseren Fokus weiter auf den Handabdruck in Lehre, Studium, Forschung und Transfer des Wissens legen, ohnen die Verringerung des Fußabdrucks zu vernachlässigen. Derzeit arbeiten wir daran, unseren ersten Nachhaltigkeitsbericht zu erstellen, der uns einen Überblick über unseren Beitrag zur Nachhaltigkeit in den genannten Dimensionen verschaffen wird. 

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