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Eine Gruppe Wissenschaftler:innen am LeipzigLab der Universität Leipzig forschte während der Corona-Pandemie in 17 verschiedenen Ländern – von Zuhause aus. Wie die besonderen Umstände alternative Forschungsmethoden ins Zentrum der Wissenschaft rückten, berichten Prof. Dr. Katja Liebal, Projektleiterin (gemeinsam mit Daniel Haun, MPI EVA) sowie der Vorstandsvorsitzende des LeipzigLabs, und der Anthropologe Dr. Ferdiansyah Thajib.

Zwischen Naturkatastrophen, Kriegen und einer Pandemie schrieb schon zirka 170 v. Chr. der römische Kaiser und Philosoph Mark Aurel in sein Tagebuch „Das, was im Weg steht wird zum Weg“. Sein Tagebuch gilt heute als Klassiker der stoischen Philosophie und war zu Zeiten der Corona-Pandemie aktueller denn je. Auch den Wissenschaftler: innen der Arbeitsgruppe (AG) „Kinder und Natur“ des LeipzigLabs an der Universität Leipzig stellten sich gleich zu Projektbeginn Anfang 2020 einige Hindernisse in den Weg, die eine kreative Antwort forderten. Die AG hatte gerade alle Vorbereitungen abgeschlossen, um in Deutschland und Sambia Interviews mit Kindern und Jugendlichen zu führen. Den Forschungsschwerpunkt sollten die Einstellung von Kindern gegenüber Tieren und die kulturelle Variabilität dieser Mensch-Tier-Beziehung bilden. Das Hindernis war jedoch ein pandemiebedingtes Einreiseverbot in andere Länder.

International Daten gesammelt – trotz Reisebeschränkungen durch Pandemie

Die kreative Antwort darauf lautete „Remote Data Collection“. Eine Methode, bei der die Mitarbeitenden des Kinder-und-Natur-Projektes lokale Forschungsassistent:innen in inzwischen fast 30 verschiedenen Gemeinschaften in der Durchführung von Interviews mit Kindern und Jugendlichen ausgebildet haben: zum Beispiel in China, Indien, Indonesien, auf den Galapagos-Inseln in Ecuador oder in Syrien. Diese führten dann in ihren Heimatländern und ihren jeweiligen Gemeinschaften Interviews mit Kindern und Jugendlichen zwischen 4 und 17 Jahren sowie mit Erwachsenen durch. Anschließend verschriftlichten und übersetzten sie diese. Die Kinder standen während des Interviews nur mit den Forschungsassistenten:innen vor Ort im physischen Kontakt, in einigen Gemeinschaften konnten die Interviews aufgrund der Pandemie nur online durchgeführt werden.

Bisher wurden mehr als 1.500 Interviews erhoben, die gerade kodiert und ausgewertet werden. Welche Tiere kennen Kinder? Welche mögen sie, welche nicht? Schreiben sie ihnen Gefühle oder gar Gedanken zu? Wie verändern sich diese Einstellungen von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter? Wie variieren sie zwischen verschiedenen kulturellen Kontexten? Wissen sie, welche Tiere vom Aussterben bedroht sind? In welchen Kontexten und von wem lernen Kinder über Tiere? Wo begegnen sie ihnen? Das sind nur einige der Fragen, die im Kinder-und-Natur-Projekt beantwortet werden sollen.

Impulse für Masterarbeiten und Dissertationen

Und obwohl noch lange nicht alle Interviews ausgewertet sind, trägt das Projekt die ersten Früchte. So schrieb Magie Junker, seit dem ersten Tag wissenschaftliche Hilfskraft im Projekt, ihre Masterarbeit im Rahmen des „Early Childhood Research“-Studiengangs an der Universität Leipzig über die Beziehung zwischen Tierwahrnehmung und Hilfeverhalten gegenüber Tieren bei Kindern. Tom Herrnsdorf untersuchte in seiner Masterarbeit die Zuordnung und Gruppierung verschiedener Lebewesen und unbelebter Objekte von Schulkindern in Deutschland im Vergleich zu Indien, um herauszufinden, ob Kinder Lebewesen bevorzugt aufgrund ihrer Ähnlichkeiten oder aber Nützlichkeit für den Menschen oder aufgrund ihrer ähnlichen Funktion einander zuordnen. Ein anderes Beispiel ist die Promotion von Noemi Thiede, eine Kooperation mit dem Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. Sie interessiert sich für die Entwicklung von Moralvorstellungen in der Tier-Mensch-Beziehung und geht der Frage nach, ob Kinder im Vergleich zu Erwachsenen verschiedene Tiergruppen (Haus- und Nutztiere) dem Menschen bevorzugen. Bernardo Arroyo Garcia untersuchte in seiner Masterarbeit die Einstellungen von Erwachsenen auf den Galapagos-Inseln in Ecuador zu invasiven Arten. Sophia Schütz, Schülerin des Wilhelm-Ostwald-Gymnasiums in Leipzig, hat ihre Besondere Lernleistung (BELL) zur Wahrnehmung von Fantasietieren und dem prosozialen Verhalten von Schulkindern angefertigt.

zur Vergrößerungsansicht des Bildes: Die Grafik zeigt eine Wortwolkr der in den Interviews in China (städtische Region) genannten Tiere.
Wortwolke der in den Interviews in China (städtische Region) genannten Tiere. Grafik: Magie Junker

Dr. Ferdiansyah Thajib, der ebenfalls als Wissenschaftler im Kinder-und-Natur-Projekt gearbeitet hat, interessiert sich unter anderem für die Herausforderungen und Erkenntnisse, die sich aus den letzten knapp drei Jahren der „Remote Data Collection“ ergeben haben und hat dafür die lokalen Forschungsassistent:innen und Kooperationspartner:innen sowie studentische Hilfskräfte des Teams, die einen Großteil der Interviewkodierung und -auswertung ermöglichen, interviewt.

Das Foto zeigt Dr. Ferdiansyah Thajib.

Es zeigt sich, dass der vertraute kulturelle Hintergrund des Interviewers ein Gefühl von Sicherheit für die Kinder während der Befragung ermöglicht.

Dr. Ferdiansyah Thajib

Die wichtigsten Erkenntnisse aus diesen Interviews fasste er in einer wissenschaftlichen Publikation zusammen, welche die lokalen Forschungsassistent:innen als Co-Autorinnen mit einschließt und die demnächst im Magazin Ethos veröffentlicht wird.

Ein weiteres wichtiges Ergebnis des Projekts ist das internationale und interdisziplinäre Netzwerk, welches inzwischen mehr als 40 Menschen aus zirka 30 verschiedenen Gemeinschaften, ländlichen und städtischen Gebieten, mit verschiedenen beruflichen und sozio-ökonomischen Hintergründen sowie hoher kultureller Diversität in Amerika, Afrika, Europa und Asien vereint: Lehrer:innen, Zoopädagog:innen, Menschen aus der Tourismusbranche sowie dem Natur- und Umweltschutz, studentische Hilfskräfte und Wissenschaftler:innen aus der Biologie, Anthropologie und Entwicklungspsychologie verbindet ihr Interesse, von Kindern und Jugendlichen über deren Einstellungen zu anderen Lebewesen zu lernen.

zur Vergrößerungsansicht des Bildes: Die Grafik zeigt das Forschungsnetzwerk der AG „Kinder-und-Natur“ im LeipzigLab.
Forschungsnetzwerk der AG „Kinder-und-Natur“ im LeipzigLab, Grafik: Bernardo Arroyo Garcia
das Foto zeigt Prof. Dr. Katja Liebal.

Ein langfristiges Ziel ist, mit den Erkenntnissen aus diesem Projekt kultursensitive Bildungsprogramme aus den beteiligten Gemeinschaften heraus zu entwickeln, um einen respektvollen Umgang von Kindern mit anderen Lebewesen zu fördern.

Prof. Dr. Katja Liebal

In Zeiten großer Herausforderungen – wie Pandemien, Klimawandel und dem Verlust von Biodiversität – ist es umso wichtiger, von der Generation zu lernen, die am stärksten von den Entscheidungen von heute betroffen sein wird. Kinder können uns wichtige Erkenntnisse über die grundlegenden psychologischen Mechanismen der Mensch-Tier-Beziehung näherbringen, wenn wir die Welt mit ihren Augen betrachten. Der Weg dahin wird für Wissenschaftler:innen und Entscheidungsträger:innen stets mit Hindernissen belegt sein. „Das, was im Weg steht wird zum Weg“ – wollen wir als Herausforderungen anerkennen und sie in Möglichkeiten umwandeln.

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