Zwischen Naturkatastrophen, Kriegen und einer Pandemie schrieb schon zirka 170 v. Chr. der römische Kaiser und Philosoph Mark Aurel in sein Tagebuch „Das, was im Weg steht wird zum Weg“. Sein Tagebuch gilt heute als Klassiker der stoischen Philosophie und war zu Zeiten der Corona-Pandemie aktueller denn je. Auch den Wissenschaftler: innen der Arbeitsgruppe (AG) „Kinder und Natur“ des LeipzigLabs an der Universität Leipzig stellten sich gleich zu Projektbeginn Anfang 2020 einige Hindernisse in den Weg, die eine kreative Antwort forderten. Die AG hatte gerade alle Vorbereitungen abgeschlossen, um in Deutschland und Sambia Interviews mit Kindern und Jugendlichen zu führen. Den Forschungsschwerpunkt sollten die Einstellung von Kindern gegenüber Tieren und die kulturelle Variabilität dieser Mensch-Tier-Beziehung bilden. Das Hindernis war jedoch ein pandemiebedingtes Einreiseverbot in andere Länder.
International Daten gesammelt – trotz Reisebeschränkungen durch Pandemie
Die kreative Antwort darauf lautete „Remote Data Collection“. Eine Methode, bei der die Mitarbeitenden des Kinder-und-Natur-Projektes lokale Forschungsassistent:innen in inzwischen fast 30 verschiedenen Gemeinschaften in der Durchführung von Interviews mit Kindern und Jugendlichen ausgebildet haben: zum Beispiel in China, Indien, Indonesien, auf den Galapagos-Inseln in Ecuador oder in Syrien. Diese führten dann in ihren Heimatländern und ihren jeweiligen Gemeinschaften Interviews mit Kindern und Jugendlichen zwischen 4 und 17 Jahren sowie mit Erwachsenen durch. Anschließend verschriftlichten und übersetzten sie diese. Die Kinder standen während des Interviews nur mit den Forschungsassistenten:innen vor Ort im physischen Kontakt, in einigen Gemeinschaften konnten die Interviews aufgrund der Pandemie nur online durchgeführt werden.
Bisher wurden mehr als 1.500 Interviews erhoben, die gerade kodiert und ausgewertet werden. Welche Tiere kennen Kinder? Welche mögen sie, welche nicht? Schreiben sie ihnen Gefühle oder gar Gedanken zu? Wie verändern sich diese Einstellungen von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter? Wie variieren sie zwischen verschiedenen kulturellen Kontexten? Wissen sie, welche Tiere vom Aussterben bedroht sind? In welchen Kontexten und von wem lernen Kinder über Tiere? Wo begegnen sie ihnen? Das sind nur einige der Fragen, die im Kinder-und-Natur-Projekt beantwortet werden sollen.
Impulse für Masterarbeiten und Dissertationen
Und obwohl noch lange nicht alle Interviews ausgewertet sind, trägt das Projekt die ersten Früchte. So schrieb Magie Junker, seit dem ersten Tag wissenschaftliche Hilfskraft im Projekt, ihre Masterarbeit im Rahmen des „Early Childhood Research“-Studiengangs an der Universität Leipzig über die Beziehung zwischen Tierwahrnehmung und Hilfeverhalten gegenüber Tieren bei Kindern. Tom Herrnsdorf untersuchte in seiner Masterarbeit die Zuordnung und Gruppierung verschiedener Lebewesen und unbelebter Objekte von Schulkindern in Deutschland im Vergleich zu Indien, um herauszufinden, ob Kinder Lebewesen bevorzugt aufgrund ihrer Ähnlichkeiten oder aber Nützlichkeit für den Menschen oder aufgrund ihrer ähnlichen Funktion einander zuordnen. Ein anderes Beispiel ist die Promotion von Noemi Thiede, eine Kooperation mit dem Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. Sie interessiert sich für die Entwicklung von Moralvorstellungen in der Tier-Mensch-Beziehung und geht der Frage nach, ob Kinder im Vergleich zu Erwachsenen verschiedene Tiergruppen (Haus- und Nutztiere) dem Menschen bevorzugen. Bernardo Arroyo Garcia untersuchte in seiner Masterarbeit die Einstellungen von Erwachsenen auf den Galapagos-Inseln in Ecuador zu invasiven Arten. Sophia Schütz, Schülerin des Wilhelm-Ostwald-Gymnasiums in Leipzig, hat ihre Besondere Lernleistung (BELL) zur Wahrnehmung von Fantasietieren und dem prosozialen Verhalten von Schulkindern angefertigt.