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Präsenz? Digital? Oder hybrid? Die Kanäle, über die Lerninhalte vermittelt werden können, sind unterschiedlich. Soziale Kontakte zu knüpfen, die Kommiliton:innen und auch die Lehrkräfte real kennenzulernen – das ist das große Plus von Präsenzlehre. Die Präsenzlehre hat sich nach der Pandemie verändert. Und wo sie sich noch nicht verändert hat, sollte dies dringend geschehen. Das sagen Michael Barton und Franziska Brenner im Gespräch mit dem Universitätsmagazin. Brenner arbeitet im E-Learning im Universitätsrechenzentrum, Barton ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät. Beide engagieren sich im "Netzwerk Lehre.Digital" an der Universität Leipzig.

Herr Barton, Sie haben versucht, die guten Dinge der Digital- in die Präsenzlehre zu übernehmen. Was ist das Gute?

Michael Barton: Vor zwei Jahren hatten wir die Herausforderung zu überlegen, was von der Präsenzlehre direkt ins Digitale gespiegelt werden kann. Vor einem Jahr standen wir vor der Herausforderung, wie die guten Inhalte und Elemente der Digitallehre in die Präsenz übernommen werden können. Zum Einen das Angebot, eine Veranstaltung auf digitaler Basis anzubieten, zum Anderen auch für die Präsenzveranstaltung die digitalen Tools zur Verfügung zu stellen: Alle Informationen, wichtige Materialien, Übungsaufgaben, Ergebnisdokumentationen finden sich einfach in diesem digitalen  Moodle-Kurs. Die Teilnehmenden haben die Wahl, die Aufgaben als Gruppenarbeit entweder in Präsenz oder in einer Online-Konferenz zu bearbeiten. Und ich nutze jetzt auch in Präsenz die digitale Konferenztechnik, die ich vorher nur online genutzt habe, also BigBlueButton. Das hat den Vorteil, dass alle Personen die im Raum sind mit ihrem digitalen Endgerät mit der Präsentation interagieren können. Meine Studierenden nehmen sozusagen auf der Leinwand teil, tragen dort Lösungen zusammen, führen Abstimmungen oder Feedbacks durch. Kollaborative Online-Dokumente zur Ergebnisdokumentation behalte ich auch in der Präsenzlehre bei, insbesondere Etherpads.

Meine Erfahrung hat übrigens gezeigt, dass hybride Lehrveranstaltungen nicht gut funktionieren, da ich die unterschiedlichen Zuhörendengruppen kaum gleichberechtigt berücksichtigen und behandeln kann. Es braucht dafür stets mindestens eine weitere Lehrperson. Diese muss überwachen, dass der Stream nicht abreißt und den Chat im Auge behalten. Das können wir alleine gar nicht leisten. Ich empfehle daher, Lehrveranstaltungen entweder online oder in Präsenz zu halten, sofern dies möglich ist. Hybride Lehrveranstaltungen sollten Ausnahmen bleiben, zum Beispiel dann, wenn es äußere Rahmenbedingungen wie eine Pandemie erfordern. Für Tagungen jedoch können Hybridveranstaltungen ein geeignetes Mittel sein.

Welche Auswirkungen hat die digitale Lehre aus der Zeit des Lockdowns während der Pandemie auf die heutige Präsenzlehre, bzw. auf die Lehre insgesamt?

Franziska Brenner: Ich glaube es ist eine Chance, dass die Uni ihre Lehr- und Lernformate grundlegend auf den Prüfstand stellen kann: Sind die Lehr- und Lernsettings, die wir heute haben, überhaupt noch zeitgemäß? Hätte es nicht diesen Einschnitt gegeben, wer weiß, wann dann der Punkt gekommen wäre, an dem wir wirklich mal darüber nachgedacht hätten, was wir vielleicht an den hochschuldidaktischen Konzepten ändern sollten, damit die Studierenden Begeisterung in ihrem Studium und für Lehrveranstaltungen haben. Lehrende haben sich neuen Herausforderung gestellt und neue Sachen ausprobiert – und ihren Studierenden das auch so kommuniziert, sie mitgenommen. Ich hoffe, dass sich die Rolle des Lehrenden und das Verhältnis zwischen Lehrenden und Studierenden dadurch positiv geändert hat bzw. weiterhin ändern wird.  

  • "Die Lehrenden, denen es aufgrund digitaler Kompetenzen und ausreichender Kapazität möglich war, haben die zwei Digitalsemester genutzt, um diese digitale Lehre auf die Beine zu stellen. [...] Und alle anderen benötigen ein Unterstützungsangebot von einer zentralen Stelle, um ihre digitale Kompetenz überhaupt erst einmal zu entwickeln."
    Michael Barton

 

Es wird von manchen Lehrkräften beklagt, dass gar nicht die nötige Zeit zur Verfügung steht, digitale Lehre bedarfsgerecht zu betreiben, dass immer wieder neue Aufgaben hinzukommen. Ist das auch Ihre Beobachtung?

Brenner: So wie die Lehrdeputate heutzutage berechnet sind, ist es nicht mehr zeitgemäß. Digitale Lehre und generell das Entwickeln und Ausprobieren neuer Lehr-Lern-Formate braucht sehr viel Zeit, bedeutet häufig sehr viel mehr Aufwand, als das Präsenzformat in gewohntem Format. Damit ein Kulturwandel stattfinden kann, müssen auch die Lehrdeputate anders bemessen werden. Ich sehe auch im Netzwerk immer wieder so viele tolle engagierte Lehrende, die wirklich bereitwillig ihre Praxiserfahrung teilen, aber ich glaube, mit den Jahren sind sie vielleicht irgendwann erschöpft und ausgebrannt. Sie brauchen einfach mehr Anerkennung und Entlastung für ihr Engagement in der Lehre. Mit Ausschreibungen und Preisen wird dies zum Teil versucht. Diese temporären Entlastungen können aber keine Dauerlösung sein.

Von wem sollte dieses Mehr an Anerkennung oder Wertschätzung kommen, von wem die Ressourcen zur Verfügung gestellt werden?

Barton: Ich sehe bei uns gar nicht den Spielraum, personell Strukturen zu erweitern. Die sind festgesetzt. Die Lehrenden, denen es aufgrund digitaler Kompetenzen und ausreichender Kapazität möglich war, haben die zwei Digitalsemester genutzt, um diese digitale Lehre auf die Beine zu stellen. Sie können ihre digitale Lehre erweitern oder Sachen daraus nutzen, um sie jetzt in Präsenz fortzuführen. Und alle anderen benötigen ein Unterstützungsangebot von einer zentralen Stelle, um ihre digitale Kompetenz überhaupt erst einmal zu entwickeln. Wir haben verständlicherweise auch Lehrkräfte, die keinen Bezug zu Digitalisierung, digitaler Lehre oder digitalen Kompetenzen haben. Sie haben diese zwei Semester überstanden und dann die Rolle rückwärts gemacht. Und diese brauchen meiner Meinung nach an irgendeiner zentralen Stelle ein Unterstützungsangebot, sei es über Kursvorlagen oder Best Practice-Beispiele, um diese schnell für die unterschiedlichen Lehrveranstaltungen zu adaptieren.

Natürlich bietet das hochschuldidaktische Zentrum ein breites Weiterbildungsangebot, bei dem man seine Lehrkompetenzen ausbauen kann. Mir geht es aber eher darum, individuell beraten zu werden, wie ich meine vorhandene Präsenzveranstaltung digitalisieren kann.

Brenner: Gerade für die Leute, die vielleicht nicht so in dem digitalen Zeitalter groß geworden sind, ist das eine ganz schöne Herausforderung und mit vielen Ängsten verbunden. Hier müssen wir neben zentralen Anlaufstellen wie dem Lehre.Digital Hilfekurs auf Moodle oder der Kollektion: LEHRPRAXIS für Good Practice-Beispiele mit Beratungs- und Austauschangeboten ansetzen, wie wir es beispielweise im Netzwerk Lehre.Digital tun.

  • "Wir müssen uns fragen: Was brauchen die Studierenden in der späteren Forschungs, Arbeits- und Lebenswelt? Was wird noch relevant sein? Wird es relevant sein, dass ich alle Theorien herunterrattern kann? Oder sind vielleicht ganz andere Kompetenzen relevant, die eher gefördert werden sollten."
    Franziska Brenner

 

Angst vorm Scheitern, Angst vor dem Sich-lächerlich-machen bei den Digital Natives?

Brenner: Auch. Auch auf der Seite der Studierenden muss etwas an den Selbstlernkompetenzen getan werden. Die Orientierung in der digitalen Welt, sich auch Sachen allein erarbeiten zu müssen, die Informationsflut im Internet zu bewältigen, das sind Dinge, die immer wieder als schwierig empfunden werden. Da häufig sehr viel Stoff in den einzelnen Veranstaltungen  vermittelt werden muss, ist für Lehrende gar keine Zeit mehr, noch Selbstlernkompetenzen der Studierenden zu fördern. Eigentlich müsste Stoff reduziert werden und eine Art Lernberatung ins Studium integriert sein. Wir haben natürlich zentrale Stellen, die sich um entsprechende Angebote kümmern, aber auch in den einzelnen Lehrveranstaltungen selbst wäre eine Kompetenzförderung notwendig.   

Barton: Wir haben eine große Heterogenität in der digitalen Kompetenz der Studierenden: In den Extremen stoßen Studierende mit hoher digitaler Kompetenz auf Lehrende mit geringer digitaler Kompetenz und Lehrende mit hoher digitaler Kompetenz stoßen auf Studierende mit niedriger digitaler Kompetenz. Wir hatten am Anfang die Gefahr der Überforderung: Wir haben den Handwerkskasten aufgemacht mit einer Vielzahl an Möglichkeiten, die Moodle als Lernplattform bietet. Manche Studierende und auch Lehrkräfte waren von dieser großen Auswahl an Tools überfordert. Hilfreich wäre an dieser Stelle die Konzentration auf wenige, ausgewählte Tools, die dann vielleicht auch weiterentwickelt werden, aber mit denen alle auf dem gleichen Level umgehen können. Die Angst der Studierenden, etwas falsch zu machen oder sich auch lächerlich zu machen im Umgang mit der Technik versuche ich mit Video-Tutorials zu den einzelnen Tools entgegenzuwirken.

Das würde bedeuten, das auch die Studierenden weitergebildet, geschult werden müssen?

Brenner: Beim Tag der Lehre hatte die Keynote Speakerin, Prof. Dr. Janique Brüning, davon erzählt hat, dass sie so eine Lernberatung für ihre Studierenden anbietet. Wir müssen uns fragen: Was brauchen die Studierenden in der späteren Forschungs, Arbeits- und Lebenswelt? Was wird noch relevant sein? Wird es relevant sein, dass ich alle Theorien herunterrattern kann? Oder sind vielleicht ganz andere Kompetenzen relevant, die eher gefördert werden sollten.

  • "Alle sitzen mit ihren digitalen Endgeräten in den Lehrveranstaltungen, doch in den Prüfungen müssen Studierende seit ein, zwei Jahren das erste Mal wieder einen Stift in der Hand halten, um in zwei Stunden am Stück mehrere A4-Seiten zu befüllen. Zum Unmut der Studierenden wurde hier eine Weiterentwicklung der bewährten, digitalen Prüfungsformate zu schnell verworfen."
    Michael Barton 

 

Wer beantwortet diese Fragen?

Brenner: Von zentraler Stelle – zum einen die hochschuldidaktischen Akteuren mit ihren Angeboten zur Weiterbildung, zum anderen Leute, die sich mit der Curriculumsentwicklung beschäftigen, hoffe ich. Unsere Erfahrungen aus den zurückliegenden Semestern ist, dass es trotz fester, starrer Strukturen möglich ist, eine gewisse Flexibilität zu haben. Diese müssen wir uns bewahren.

Barton: Die Frage ist: Was haben wir Lehrenden für Vorgaben und Freiheiten? Leider wiedersprechen sich die verschiedenen Vorgaben von unterschiedlichen Stellen manchmal. Eine Vorgabe ist: Wir sind eine Präsenzuniversität im digitalen Zeitalter, und an einer anderen Stelle wird gesagt: Bitte bevorzugt wieder Präsenzlehre. Ein Beispiel: Wir fördern die digitalen Kompetenzen unserer Studierenden, z.B. die Suche, Bewertung und Weiterverarbeitung von Informationen oder die kollaborative Erstellung digitaler Inhalte durch die Nutzung digitaler Kommunikationsmittel. Alle sitzen mit ihren digitalen Endgeräten in den Lehrveranstaltungen, doch in den Prüfungen müssen Studierende seit ein, zwei Jahren das erste Mal wieder einen Stift in der Hand halten, um in zwei Stunden am Stück mehrere A4-Seiten zu befüllen. Zum Unmut der Studierenden wurde hier eine Weiterentwicklung der bewährten, digitalen Prüfungsformate zu schnell verworfen.

Brenner: Es gibt einen Hochschulentwicklungsplan und es gibt eine Digitalisierungsstrategie. Dort steht, dass die Studierenden in ihren digitalen Kompetenzen gestärkt werden sollen. Woran es uns mangelt, ist die konzeptionelle Unterfütterung der Digitalisierung. Ja, wir waren jetzt alle dazu gezwungen, von gestern auf heute Digitalisierung umzusetzen, jeder hat das irgendwie gemacht, manchmal mehr und manchmal auch weniger gut. Und jetzt sollten wir uns alle fragen: Was hat gut funktioniert, was können wir verwerfen, was entwickeln wir weiter? Es fehlt die Konzeptionalisierung und ein Fahrplan. 

Wir als Netzwerk Lehre.Digital stehen zur Verfügung, unsere Ideen zur Lehre im digitalen Zeitalter weiterzutragen und uns auszutauschen. Wir sind engagierte Leute, die sich gerne einen Kopf darüber machen. Schon am Anfang der Corona-Pandemie hatte ich festgestellt, dass wir so viele Inseln für Digitalisierung an der Universität haben, aber das zu überblicken ist schwer und daher brauchen wir mehr Austausch und Transparenz. Es gab schon zu diesem Zeitpunkt die AG Digitalisierung, es gibt das Netzwerk Lehre.Digital, es gibt die Angebote des E-Learning, es gibt ein Universitätsrechenzentrum, den AVT-Service, das Zentrum für Medienproduktion, die Stabsstelle für Qualitätsentwicklung in Lehre und Studium. Es fehlt die Übersicht: Wie stehen all diese Akteure miteinander in Verbindung, wer macht was? Und wer hat da den Hut auf?

 

  • Hintergrund Netzwerk Lehre.Digital:
    Um Wissen rund um die Entwicklungen digital gestützter Lehr- und Lernszenarien hochschulweit besser sichtbar und nutzbar zu machen, wurde am 5. Tag der Lehre am 8. November 2019 mit einem Kick-Off-Workshop der Grundstein für das Netzwerk Lehre. Digital gelegt. Seitdem treffen sich die Mitglieder des Netzwerks in regelmäßigen (digitalen) Treffen. Auch außerhalb der Treffen bietet ein Moodle-Kurs Gelegenheit zur Vernetzung. Das Netzwerk setzt sich aus verschiedenen Statusgruppen (Studierende, Lehrende und Mitarbeitende aus Unterstützungsstrukturen) zusammen und bietet so vielfältige Einblicke auf die digitale Lehre. Netzwerk Lehre.Digital ist Preisträger der Universitätsgesellschaft 2022.
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