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Zum „Jugendwort des Jahres 2022“ wurde „smash!“ auserkoren. Es steht für „mit jemandem etwas anfangen“. Im Jahr 2021 war es „cringe“, 2020 „lost“. Die mediale Berichterstattung über diese Jugendwörter-Kür eines Wörterbuchverlages hat oft einen Tenor, wie: „Was macht die Jugend von heute so Abgefahrenes?“ oder „Wie strange ist das denn!?“ – bis hin zu „Irre!“ Nichts ist irre, denn: „Jugendliche gehen professionell mit unserer Sprache um“, sagt Dr. Diana Walther im Interview mit dem Universitätsmagazin. Sie ist Sprachwissenschaftlerin am Institut für Germanistik der Universität Leipzig und gibt unter anderem Seminare für Lehramtsstudierende zum Thema Jugendsprache.

Was ist mehr cringe: dass ich mich auf unser Interview zu diesem Thema intensiv vorbereiten musste – und dazu auch googeln musste – oder dass ich versuche, dieses Wort in meiner Frage unterzubringen?

Dr. Diana Walther: Es ist cringe, dass Sie das Wort in der Frage unterbringen, weil das zeigt, welches Bild von Jugendsprache da ist. Nämlich eines, das möglicherweise medial geprägt ist: Hippe Wörter, die man im Kopf hat und von denen man meint, das sei Jugendsprache und alle Jugendlichen sprechen so. Ich muss bei dieser Frage schmunzeln, auch weil Sie sagen, sie hätten gegoogelt. Wonach haben Sie denn gegoogelt?

Nach der Bedeutung von sus, cringe und sheesh zum Beispiel.

Ich halte mich bei diesen Jugendwörtern immer etwas zurück, weil das nur bedingt Thema für die Jugendsprachforschung ist. Das ist eine mediale Stilisierung von Jugendsprache, aber Jugendliche sprechen ja nicht den ganzen Tag so. Wir Forschende kämpfen seit Jahren gegen das medial vermittelte Bild der Jugendsprache an. Wenn man Jugendlichen zuhört, sprechen sie viel normaler und unspektakulärer, auch wenn das manch einer nicht glauben will. Bei der Wahl zum „Jugendwort des Jahres“ war auch lange Zeit nicht klar, wer die Worte zur Wahl überhaupt einschickt und ob sie konstruiert waren oder natürlichen Gesprächssituationen entspringen. Und es steckt jedes Jahr aufs Neue ein Verlag dahinter, also auch kommerzielles Interesse.

 

  • "Es werden situativ Formulierungen übernommen, um sprachspielerisch aufzutreten oder sich in der Gruppe lustig zu machen. Aber Jugendliche sind auf jeden Fall in der Lage, sich Situationen und Gesprächspartnern anzupassen."
    Dr. Diana Walther

 

Wie forschen Sie? Wie kommen Sie an Ihr Material, das Sie untersuchen?

Wir grasen nicht Instagram, Tiktok und andere Plattformen ab und schauen, was trendy ist. Wir untersuchen authentische Gesprächssituationen von Jugendgruppen im Alltag: In der Schule, in der Freizeit, mündlich, schriftlich – durch Langzeitbeobachtungen, in dem ein Forschender sich über längere Zeit in einer Gruppe integriert, wir machen Audio- und Videoaufnahmen. Es kommen auch Fragebögen zum Einsatz und Interviews, in denen wir fragen: Kennst du dieses Wort? Nutzt du das? Wenn ja, in welchem Zusammenhang? Und dann erfahren wir auch, dass viele Jugendliche diese „Jugendwörter des Jahres“ vielleicht kennen und mal gehört haben, sie aber nicht nutzen geschweige denn, dass sie die Bedeutung der Wörter kennen.

Bei schriftlichen Texten schauen wir uns Schulaufsätze an, Tagebücher, Chatnachrichten, Foreneinträge. Und da stellt sich heraus, dass nicht nur gesprochene, sondern auch geschriebene  Jugendsprache weitaus unspektakulärer und viel normaler ist, als die breite Öffentlichkeit meint.

Gibt es Unterschiede bei der Sprache, zum Beispiel hinsichtlich des sozialen Umfelds?

Es gibt zum Beispiel Forschung zum Thema Kiez-Deutsch. Jugendliche, die in Sprachkontakt mit arabisch- oder türkischstämmigen Jugendlichen kommen. Dabei werden auch Sprachphänomene übernommen, zum Beispiel fallen Präpositionen oder Artikel weg. Da heißt es dann zum Beispiel: „Ich bin gleich Augustusplatz.“ Es werden situativ Formulierungen übernommen, um sprachspielerisch aufzutreten oder sich in der Gruppe lustig zu machen. Aber Jugendliche sind auf jeden Fall in der Lage, sich Situationen und Gesprächspartnern anzupassen. Sie wissen sehr wohl, dass sie mit der Lehrerin, bei einem Bewerbungsgespräch oder mit den Eltern anders sprechen sollten, weil es hier andere Normen gibt als in der Freundesgruppe. Und sie schreiben einen Schulaufsatz anders, als sie in einer Chatgruppe schreiben. Da ist keine „Verrohung“ oder ein „Sprachverfall“, wie von Manchem befürchtet, zu erkennen.

 

  • "Mir geht es in den Seminaren darum, die Lehramtsstudierenden zu sensibilisieren für das Phänomen, die Besonderheiten, die Funktionen. Und es gibt auch nicht „die Jugendsprache“. Ein Zitat besagt: Es gibt so viele Jugendsprachen, wie es Jugendgruppen und Situationen gibt."
    Dr. Diana Walther

 

Wenn es darum geht, wie Begriffe in die Sprache kommen, dann spielen natürlich Englisch, Arabisch, Türkisch eine Rolle. Aber das hält sich im Rahmen. Anglizismen zum Beispiel sind ja immer wieder in der Diskussion, nach dem Motto: Das Englische verunglimpft unsere deutsche Sprache. Aber so ist das ja nicht. Englische Wörter werden angepasst ans grammatische System des Deutschen. Bestes Beispiel ist „boostern“, das erst kürzlich zum Anglizismus des Jahres gewählt wurde: Ich boostere, du boosterst, er boostert. Ich bin geboostert, er ist geboostert. Das fügt sich wunderbar in die Grammatik der deutschen Sprache ein.

Sie bieten ein Seminar an, dass sich an künftige Lehrer:innen richtet. Warum ist das gerade für diese Gruppe wichtig?

Es ist für Lehrer:innen jeder Fachrichtung essentiell, dass sie sich damit auseinandersetzen, weil sie in ihrem Arbeitsalltag täglich mit Jugendlichen zu tun haben. Und speziell für Deutschlehrkräfte ist es wichtig, weil Jugendsprache im Lehrplan verankert ist, in Sachsen in der 8. und 10. Klasse in der Oberschule und am Gymnasium. Und wenn man sich Lehrwerke für den Deutschunterricht anschaut und sieht, wie versucht wird, Jugendsprache zu vermitteln, dann sind das teils fragwürdige Methoden nach dem Motto: „Übersetze mal das Wort aus der Jugendsprache in Standardsprache.“ Und dann kommt so etwas wie „cringe“ oder „Gammelfleischparty“ heraus, das auch mal „Jugendwort des Jahres“ war - und sonst passiert nichts. Es wird nicht kritisch darauf geschaut, man setzt sich nicht wirklich mit dem Phänomen auseinander. Mir geht es in den Seminaren darum, die Lehramtsstudierenden zu sensibilisieren für das Phänomen, die Besonderheiten, die Funktionen. Und es gibt auch nicht „die Jugendsprache“. Ein Zitat besagt: Es gibt so viele Jugendsprachen, wie es Jugendgruppen und Situationen gibt. Jede Jugendgruppe spricht anders und hat ihre bestimmten Wörter, die sie über eine Zeit benutzt, bis sie wieder out sind. Und dann kommen neue Wörter.

 

  • "'Geil' ist ein neutrales Adjektiv geworden. Oder 'porno': 'Der neue Kinofilm war porno' – Das hat mit Sexualität nichts zu tun."
    Dr. Diana Walther

 

Kann man sagen, über welche Zeithorizonte sich Jugendsprache entwickelt?

Sie entwickelt sich sehr, sehr schnell: Was heute in ist, ist morgen wieder out. Was in den 70ern vielleicht „knorke“ war, ist vor zehn Jahren „geil“ gewesen, vor fünf Jahren „porno“, und heute ist vielleicht „Mittwoch“ hip. Man muss auch sagen, dass Jugendsprache keine Ansammlung von irgendwelchen Wörtern ist, sondern sie ist ein Stil, je nach Situation und Jugendgruppe. Bedeutungen werden beispielsweise abgewandelt. Deshalb ist es auch schwer zu beschreiben, was Jugendsprache eigentlich ist, weil es ein so komplexes Phänomen ist. „Geil“ als Adjektiv war in den 80ern noch sexuell und jugendsprachlich konnotiert, für Erwachsene ein Unwort, dann schaffte es den Weg in die Alltagssprache für „super“, „toll“, und heute ist die sexuelle Konnotation nicht mehr da - bei der älteren Generation sicherlich noch, aber bei der jüngeren gar nicht mehr.  „Geil“ ist ein neutrales Adjektiv geworden. Oder „porno“: „Der neue Kinofilm war porno.“ – Das hat mit Sexualität nichts zu tun.

Es gibt auch Einflüsse zum Beispiel aus der Musik, in dem aus Songs Wörter und Begriffe in die Umgangssprache einfließen. Wie entwickelt sich, ob beziehungsweise welcher Begriff aus einem solchen Song in den allgemeinen Sprachgebrauch übergeht. Hat das etwas damit zu tun, ob ein Song „viral“ geht?

Es ist schwer nachzuvollziehen, wie bestimmte Begriffe welchen Weg nehmen, wo sie ihren Ursprung haben. Es gibt nicht die eine Person, die vorgibt, dass dieser Begriff ab sofort benutzt wird. Das ist ganz schwer nachzuvollziehen. Und manche Begriffe halten sich in der Jugendsprache auch nur sehr kurz und schaffen es gar nicht in die Alltagssprache. Es ist übrigens ein ganz langer Weg, bis es ein Wort schafft, in den Duden aufgenommen zu werden.

 

  • "Jugendliche gehen professionell mit unserer Sprache um. Wenn sie sprachspielerisch tätig sind, zeigen sie, dass sie sich der Regeln bewusst sind und wissen, wie ihre Sprache funktioniert."
    Dr. Diana Walther

 

Dass die deutsche Sprache leidet und immer mehr vereinfacht wird – das Schreckgespenst wird seit Jahrzehnten an die Wand gemalt. Dabei finden sich auch abgewandelte deutsche Wörter in der Jugendsprache wieder, nicht nur Anglizismen...

Jugendsprache ist keine Vereinfachung der Standardsprache. Was passiert ist, dass sich Jugendliche ganz regulär der Phänomene, die die Standardsprache zur Verfügung stellt, wie grammatische Regeln oder Wortbildungsprozesse, bedienen. Jugendtypisch ist, dass Standardsprache etwas gehäufter abgewandelt wird, spielerisch mit Sprache umgegangen wird. Ich würde sogar sagen: Jugendliche gehen professionell mit unserer Sprache um. Wenn sie sprachspielerisch tätig sind, zeigen sie, dass sie sich der Regeln bewusst sind und wissen, wie ihre Sprache funktioniert.

Wenn Lehrer:innen oder Eltern direkt mit Jugendsprache konfrontiert werden - was würden Sie ihnen raten: Die Begriffe zu adaptieren oder müde und voller Altersweisheit zu lächeln, die Schulter zucken lassen nach dem Motto: „Macht mal, ihr werdet schon noch erwachsen“?

Wenn Sie uncool wirken wollen, dann adaptieren Sie die Begriffe! Es ist uns vielleicht nicht bewusst, aber unsere Eltern und Großeltern haben auch Jugendsprache gesprochen, als sie Jugendliche waren. Das war früher nur etwas anders ausgeprägt, die Wörter waren andere. Im Jugendalter befinde ich mich in einer Identitätsfindung. Ich muss für mich herausfinden: Wer bin ich? Und das funktioniert über Abgrenzung – also auch über die Sprache. Ich benutze Begriffe, die andere vielleicht nicht verstehen. Und in jugendlichen Gruppen steht das Spaßhaben und der Gruppenzusammenhalt im Mittelpunkt, auch die Abgrenzung zu anderen Jugendlichen. Das war früher so und ist heute immer noch so.

 

  • Jugendwort des Jahres

    Nach Angaben des veranstaltenden Langenscheidt-Verlages waren für das „Jugendwort des Jahres 2022“ auch „bodenlos“, „Macher“ und „slay“ Kandidaten. Für das „Jugendwort des Jahres 2021“ wurden nach Angaben des Verlags 1,2 Millionen Vorschläge eingesandt. „Cringe drückt ein Gefühl des Fremdschämens aus und kann auch als Adjektiv Gebrauch finden“, heißt es in der Pressemitteilung. „Cringy“ könne sein, wenn Erwachsene beim Versuch, cool zu wirken, Jugendsprache verwenden. Auf den Plätzen zwei und drei landeten „sus“ (Kurzform von „suspicious“, suspekt, argwöhnisch, misstrauisch) und „sheesh“ (Wort des Erstaunens), auf Platz vier „Mittwoch“ (steht unter anderem dafür, sich bereits am Mittwoch auf das Wochenende zu freuen). 2020 wurde „lost“ auf Platz eins gevotet. Dieses englische Wort steht unter anderem für „verloren“ oder „ahnungslos“.

 

Der Artikel wurde zuletzt aktualisiert am 26.10.2022.

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