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Seit 1. Juni 2023 ist Alexander Biedermann neuer Direktor des Zentrums für Lehrer:innenbildung und Schulforschung (ZLS) der Universität Leipzig. Fast zeitgleich mit seinem Amtsantritt ist die Novelle des sächsischen Hochschulgesetzes in Kraft getreten, durch die die Bedeutung des ZLS innerhalb der Universität gestärkt wird. Darüber und über die gesellschaftlichen Herausforderungen, vor denen die Lehramtsausbildung steht, spricht Alexander Biedermann im Interview mit dem Universitätsmagazin.

Sie sind seit Juni im Amt des Direktors des ZLS und waren seit 2012 Geschäftsführer. Können Sie bitte kurz Ihre Laufbahn skizzieren? Was hat sich über die Jahre verändert?

Ich bin eigentlich ein Eigengewächs der Universität Leipzig. Ich habe hier studiert und wollte auch immer in die Schule, als Lehrer unterrichten. Zu dieser Zeit sind wir auf das modularisierte Staatsexamen umgestiegen. 2012 hatte das ZLS ungefähr acht Beschäftigte, heute ca. 120. Es war ein anderer Job. Ich hatte das Angebot, zunächst in Elternzeit als Geschäftsführer zu arbeiten. Dann ergab sich die Möglichkeit, dauerhaft Geschäftsführer zu sein. Für das zweite Staatsexamen und Fachlehrertätigkeiten an zwei Schulen wurde ich von der Universität einige Zeit freigestellt. Im neuen Amt stelle ich nun fest: Die Aufgaben eines Geschäftsführers und eines Direktors unterscheiden sich schon erheblich. Vor allem bietet das Amt die Möglichkeit, in einer extrem kritischen Phase des Bildungswesens und der Lehrkräfteausbildung mehr Verantwortung zu übernehmen, um zu gestalten. Das einzige, was ich vermisse, ist die Arbeit mit Schüler:innen.

Und kaum sind Sie im Amt, kommt dem ZLS, und damit dem Direktor, durch die Novelle des Hochschulgesetzes (§99) mehr Bedeutung zu. Was sind die wesentlichen Änderungen?

Wir haben mit dem modularisierten Staatsexamen erheblich mehr Verantwortung übernommen und die Zahl der Lehramtsstudierenden an der Universität Leipzig hat sich verdreifacht, auf über 6.500. Das sind 20 Prozent unserer Matrikelliste und so viele, wie manche Hochschulen insgesamt Studierende haben. Alle absolvieren Pflichtmodule am ZLS und nehmen Angebote wahr. Aber das Gesetz stellt klar, dass das Kerngeschäft von Lehre und Forschung weiter an den lehrerbildenden Fakultäten stattfindet. Das ist gut so. Geregelt ist nun, dass die Zentren für Lehrerkräftebildung, in Leipzig ist das das ZLS, die Fäden aus den Fakultäten noch besser zusammenführen können und vor allen Dingen Leistungen bezüglich der Lehrer:innenausbildung übernehmen, die an einer zentralen Einrichtung wie dem ZLS besser aufgehoben sind als an einer Fakultät. Manche Leistungen halten im Zweifel die Wissenschaftler:innen auch von ihrer Arbeit ab. Die Organisation von Praktika oder Graduiertenkollegs, die Organisation der Ausbildung von Seiteneinsteiger:innen, die Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften – das alles war vor der Gründung des ZLS im Jahre 2004 ausschließlich Aufgabe der wissenschaftlichen Mitarbeitenden an den Fakultäten. Die haben jetzt in unseren Gremien weiter Anteil daran. Die neuen gesetzlichen Regelungen werden die Fakultäten aber weiter von nichtwissenschaftlichen Aufgaben entlasten.

Den Gremien des ZLS, vor allem dem Zentrumsrat, ein Äquivalent zu den Fakultätsräten, und dem Vorstand des ZLS, kommen nun mehr Verantwortung zu. Das Gesetz fordert vom ZLS, die Lehrkräftebildung zu gestalten, zu steuern und Kohärenz sicherzustellen. Das ist schon ein sehr verantwortungsvoller gesetzlicher Auftrag und den werde ich natürlich nicht allein als Direktor wahrnehmen, sondern mit vielen Expert:innen aus den Fakultäten.

Fachunterricht ist ein großer und wichtiger Teil des Lehrer:innenberufes. Aber die gesellschaftlichen Herausforderungen im Bildungssystem bestehen darin: Wie gestalten wir unsere Schule? Wie arbeiten wir in multiprofessionellen Teams miteinander?

Alexander Biedermann

Was ist der Hintergrund dieser wachsenden Bedeutung der Lehrerbildungszentren? Ist es ein wachsender politischer und gesellschaftlicher Druck, mehr und bedarfsgerecht Lehrer:innen auszubilden?

Das Rektorat hatte sich schon vor mehreren Jahren, ohne gesetzlichen Auftrag, dafür entschieden, das ZLS stark aufzustellen. Wir bilden für fünf Schularten in über 30 Fächern aus. Diese Ausbildung muss effizient koordiniert werden, durch das ZLS. Ich nehme mit Freude wahr, dass sich die Fakultäten an unserer Universität sehr bewusst dem Lehramt annehmen. Vieles hat sich bewährt, auch die Strukturen im Dezernat 2. Die Idee des Gesetzes ist aber, das Lehramt an der Universität institutionell und strukturell weiter zu stärken. Ich will im Dialog mit der Universitätsleitung, den Fakultäten und den Studierenden prüfen, welche Chancen sich daraus noch ergeben.

Das ZLS ruft viele innovative Lehr- und Lernformate ins Leben, unter anderem auch für die Praxis: „PraxisdigitaliS“, „StartTraining“. Was ist das Ziel?

Ich bin überzeugt, dass wir ein hochwertiges Lehramtsstudium anbieten. Das bestätigen uns auch diejenigen, bei denen unsere Absolvent:innen landen. Fachunterricht ist ein großer und wichtiger Teil der Lehrer:innenberufes, aber das ist nicht alles. Die gesellschaftlichen Herausforderungen im Bildungssystem bestehen mehr darin: Wie gestalten wir unsere Schule? Wie arbeiten wir in multiprofessionellen Teams miteinander? Und die großen Herausforderungen unseres Schulwesens betreffen Grund- und Oberschulen, nicht den Deutsch-Leistungskurs am Gymnasium. Daran muss man an der Universität manchmal erinnern.

Wir möchten die Lehramtsstudierenden heranführen an Schnittstellen und Tätigkeitsfelder abseits des Fachunterrichts: Im StartTraining speziell an die Förderung von Schüler:innen im Bildungsübergang. Eine Klasse über ein ganzes Jahr zu analysieren und aktiv eine Beziehung aufzubauen ist eine wesentliche Ressource, die normalerweise im Studium nicht entdeckt werden kann. Allein am StartTraining nehmen pro Semester freiwillig 700 Studierende teil, das sind 10 Prozent der Studierenden. Das ist ein tolles Ergebnis für das Projekt.

Ein Vorwurf lautet, Praxis käme im Lehramtsstudium zu kurz, dafür würde zu viel wissenschaftliches Fachwissen vermittelt.

Wir haben diese Diskussion seit Jahr und Tag, und da ist in den letzten Jahrzehnten schon viel passiert. Und es muss klar sein, dass das Lehramtsstudium nicht direkt zum Lehrer:innenberuf führt, es führt in einen Vorbereitungsdienst, in ein Referendariat, das ja dann eine sehr praktische Ausbildungsphase ist. Seit Jahren wird auch darüber diskutiert, ob man so viel Fachwissenschaft im Lehramt braucht, vor allem im Bereich Oberschule und Gymnasium, wie es den Lehramtsstudierenden bisher vermittelt wird. Und ja, man kann sicherlich darüber streiten, ob es jetzt 80 Leistungspunkte im Fach sein müssen. Mit 60 werden Sie wahrscheinlich auch noch ein ganz passabler Lehrer. Aber die wissenschaftliche Bildung, die wir als Universität gewährleisten, braucht es, um der Komplexität dieses Jobs zu genügen.

zur Vergrößerungsansicht des Bildes: Zu sehen ist ZLS-Direktor Alexander Biedermann im Gespräch
ZLS-Direktor Alexander Biedermann im Interview mit dem Universitätsmagazin. Foto: Katarina Werneburg/Universität Leipzig

Es strömt ungemein viel auf die Lehrer:innen ein: 25 Schülerinnen und Schüler in einer Klasse, jede Stunde unterrichten sie eine andere Klasse in unterschiedlichen Klassenstufen. Das müssen sie fachdidaktisch und pädagogisch in die Unterrichtsplanung einordnen, theoriegeleitet reflektieren. Dafür brauchen sie tatsächlich ein hohes Maß an wissenschaftlicher und fachlicher Bildung. Das Wissen und die Fertigkeiten, die durch die Universität bis zum ersten Staatsexamen vermittelt werden, müssen für die nächsten zehn bis zwanzig Jahre tragen, teilweise ein Berufsleben lang.

So viel kann ich versprechen: Wir werden auch die Praxisphasen qualitativ und quantitativ weiter ausbauen und ausdifferenzieren. Unsere Studierendenvertreter:innen haben eine sachsenweite Befragung unter Lehramtsstudierenden durchgeführt. Dabei zeigt sich, dass sie bei bestimmten organisatorischen Variablen unzufrieden sind. Unter anderem sind die Leipziger Studierenden unzufrieden damit, dass die Stadt Leipzig nicht alle für Praxisphasen an Schulen aufnehmen kann und die Studierenden aufs Land müssen.

Unzufrieden sind manche auch, weil sie sich wie Vertretungslehrer:innen vorkommen. Wir sind mit den Schulleitungen und dem Landesamt für Schule und Bildung, also Schulaufsicht und Kultusministerium, intensiv im Gespräch: Lehrkräfteausbildung ist auch eine Aufgabe der Lehrer:innen und Schulleiter:innen vor Ort. Die nehmen diese Verantwortung gerne wahr. Es ist aber auch Fakt, dass Lehrermangel herrscht. Da kann es passieren, dass vielleicht mal eine Klasse unversorgt ist und die Studierenden in die Bresche springen müssen. Das ist nicht ideal, wird aber in den nächsten Jahren immer mal wieder passieren. Ich will dafür sorgen, dass das so wenig wie möglich passiert.

Die Lehrpläne sind derzeit fachlich überfrachtet, das erste Staatsexamen auch. Ich will diesen Knoten im engen Schulterschluss mit den Lehrerausbildungsstätten auflösen.

Alexander Biedermann

Es gibt immer wieder Forderungen, dass die Lehrpläne an die Wirklichkeit und die Herausforderungen der Gesellschaft angepasst werden sollten, etwa politische und gesellschaftliche Bildung, Medienpädagogik. Ebenso gibt es stets neue Forderungen von unterschiedlichen Seiten nach neuen Lehrinhalten und Vorschläge, an welcher Stelle gekürzt werden sollte. Wie sind die Lehramtsstudierenden darauf vorbereitet, dass sich die derzeitigen Lehrpläne in den folgenden Jahren stärker verändern könnten, bis hin zur Neuordnung der Schulfächer?

Wir haben den Anspruch, als Universität unseren Absolvent:innen ein akademisches Rüstzeug zu geben für eine lebenslange Berufsausübung, in dem Wissen, dass lebenslanges Lernen dazugehört. Natürlich merken wir, dass die Anforderungen sehr stark wechseln. Ob bestimmte Schulfächer, die wir heute noch ausbilden, in 20 Jahren so noch existieren, wissen wir nicht. Trotzdem sind die Fachdidaktiken für mich die Schlüsseldisziplin der Lehrkräftebildung, weil sie beispielsweise Möglichkeiten und Grenzen der Digitalisierung auf die Konzeption und die Gestaltung von Fachunterricht übersetzen – und damit Lehrkräfte qualifizieren, die diese Fragen letztlich als reflektierte Praktiker:innen in ihrer Schule beantworten müssen. Diese hohe Eigenverantwortlichkeit von Lehrkräften ist auch ein Grund für die hohen Ansprüche unseres Studiums.

Ich halte es für wahrscheinlich, dass die Lehrkräfte im Laufe ihrer Karriere zukünftig ein zweites Mal an die Universität kommen, um sich weiter zu qualifizieren. Zum Beispiel, wenn sie Schulleiter:in oder Fachausbildungsleiter:in werden wollen. Sie müssen dazu in der Lage sein, auch die Schule als Organisation zu entwickeln und Veränderungsprozesse zu moderieren.

Ein relevanter Teil der notwendigen bildungswissenschaftlichen Studieninhalte würde vermutlich mehr zur Geltung kommen, wenn schon etwas Berufspraxis reflektiert werden könnte. Die Lehrpläne sind derzeit fachlich überfrachtet, das erste Staatsexamen auch. Ich will diesen Knoten im engen Schulterschluss mit der zweiten Phase, den Lehrerausbildungsstätten, auflösen. Nicht jede Anforderung, die an Lehrkräfte gestellt wird, muss im Studium aufgegriffen werden. Lebenslanges Lernen ist Teil des Berufsethos. Das müssen wir einfordern.

Über die Lehrpläne für die Schulen und auch über die Lehramtsprüfungsordnung entscheiden aber nicht die Universitäten, die für das Lehramt ausbilden, sondern das Kultusministerium.

Richtig, gemeinsam mit Lehrkräften und uns. Das sind gesellschaftliche Diskurse. Wir müssen an den Universitäten in der Lage sein, wissenschaftliche Expertise und auch unsere Interessen zu artikulieren. Und unsere Wissenschaftler:innen sind auch gefragt. Es ist auch Aufgabe des ZLS, diese Perspektiven zur Geltung zu bringen und anders herum Fragen der „Praxis“ für die Forschung zu operationalisieren. Aber in Sachsen kommt in Sachen Lehrkräftebildung niemand an der Universität Leipzig vorbei.

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