Herr Middell, wir erleben viele Konflikte innerhalb der Gesellschaft, extreme politische Positionen, schwierige Konstellationen nach den Landtagswahlen, Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, die Folgen des Klimawandels und und und – kurzum: eine Multikrise. Das beschäftigt uns als Privatmenschen, aber auch als Universitätsangehörige. Wie erleben Sie das, wie prägt diese Multikrise die Universität, das Leben an der Universität?
Ich würde auch sagen, wir haben es mit einer Multi- oder Polykrise zu tun, die viele Facetten hat. Und wir sind eine Universität, an der viele Hochschulangehörige sich tatsächlich für die damit impliziten politischen, aber auch moralisch humanitären Fragen sehr interessieren und damit auseinandersetzen. Wir sind da sicherlich nicht die einzige, der es so geht, aber wir unterscheiden uns schon auch von anderen deutschen Universitäten, die solche Dinge viel weniger explizit und engagiert durch eine Mehrheit auf dem Campus diskutieren.
Wir sind die Universität, an der sehr viele Regionalwissenschaften, zum Teil Unikate in Sachsen, vertreten sind, sodass wir quasi mit jedem Konflikt in jeder Weltregion auch wissenschaftlich eine Berührung haben. Wir haben zudem eine große Zahl internationaler Studierender aus sehr vielen unterschiedlichen Ländern und viele Kontakte mit ausländischen Einrichtungen, Partnerschaften auf allen Kontinenten.
Darüber hinaus haben wir seit den 1990er Jahren eine Transformationserfahrung, als wir im Zentrum einer Veränderung der Weltordnung standen. Diese Transformationserfahrung spiegelt sich natürlich wider in einer Sensibilität für die aktuelle Transformation, in der sich die Hinweise häufen, dass die Weltordnung erneut zur Disposition steht. Das hat Folgen und rührt an vielfältige Betroffenheiten, die zwingend zu unterschiedlichen Beurteilungen und zu einem Perspektivenreichtum führen.
Betroffenheit ist ein gutes Stichwort, Unsicherheit könnte man hinzufügen. Daraus erwuchs zuletzt auch eine Erwartungshaltung an die Universitätsleitung, beziehungsweise gab es unterschiedliche, zum Teil sehr konkrete Erwartungen. Bis hin zur Aufforderung, Beziehungen zum Beispiel zu israelischen Partnern auf Eis zu legen. Sie sind in der Universitätsleitung für den Bereich Internationalisierung zuständig. Inwiefern können Sie solche Forderungen nachvollziehen? Und was kann eine Universitätsleitung eigentlich leisten?
Es gibt eine Erwartung an die Hochschulleitung, das auszudrücken, was in der Gesamtheit für die gesamte Hochschule wichtig ist, und dabei zu reflektieren, was in der Forschung auch an Erkenntnissen gefunden wird. Wir sind aber als Universität zunächst mal kein politischer Akteur. Wir entscheiden nicht über Waffenlieferungen, wir entscheiden nicht über Bündnisse, wir entscheiden nicht über Koalitionen.
Sondern wir sind ein akademischer Akteur, und daraus ergeben sich Verpflichtungen, die ich sehr ernst nehme. Das Eine ist Vordenken. Diskutieren und vordenken, wie dieser Wandel der Weltordnung aussehen könnte, welche Verpflichtungen, welche Möglichkeiten sich daraus ergeben. Das Zweite, und das ist eine zentrale Verantwortung der Hochschulleitung: Sie muss sich um ihre Hochschulangehörigen kümmern. Sie muss sich kümmern, dass auf dem Campus niemand diskriminiert wird, dass auf dem Campus niemand in einer unzumutbaren Weise eingeschränkt wird in seiner Tätigkeit als Studierender, Lehrender und so weiter.
Wir können als Universität nicht zwingend unsere Angehörigen davor beschützen, in einer Gesellschaft, in der es Rassismus und andere Formen von Diskriminierung gibt, vollständig dagegen abzuschotten. Wir können aber kritisch artikulieren, wenn so etwas passiert, und um Unterstützung bitten. Manchmal sind das dann auch Sicherheitskräfte, die unterstützen müssen. Die Polizei zum Beispiel, die jemanden vor Belästigung im Straßenalltag schützt. An erster Stelle ist es aber Widerrede gegen rassistische Äußerungen und gegen mehr oder minder subtile Formen der Diskriminierung. Das ist für uns zentral.
Hier liegt unsere Verantwortung als Hochschulleitung, und dazu haben wir uns nun in den letzten Monaten auch auf vielfältigste Weise geäußert. Manchmal sind wir als Hochschulleitung auch gebeten, im Konzert der Hochschulen zu sprechen. Da gibt es Stellungnahmen der Hochschulrektorenkonferenz, der Landesrektorenkonferenz, des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, in denen die Stimme der Universität Leipzig enthalten ist. Das wird nicht zwingend von allen sofort als die Stimme der Universität Leipzig erkannt. Da müssen wir möglicherweise auch in der Kommunikation noch besser werden.
Kommentare
Keine Kommentare gefunden!