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Auf dem Smartphone einen Roman lesen, bei Wattpad eigene Textversuche diskutieren, auf Instagram emotionale Moment mit der Lieblingsautorin erleben – die Literaturszene ist schon lange in der digitalen Welt angekommen. Prof. Dr. Sven Stollfuß erklärt aktuelle Phänomene der digitalen Buchkultur und wie sie unser Leseverhalten verändern.

Viele Menschen lesen Romane und Kurzgeschichten heute über mobile Endgeräte wie eReader und Smartphones. Wie verändert dies das Leseverhalten?

Prof. Dr. Sven Stollfuß: Die Nutzung von eReadern (wie zum Beispiel Kindle von Amazon oder der Tolino-E-Reader des deutschen Buchhandels) ist für viele regelmäßig Lesende zunächst einmal eine oft angenehme Ergänzung oder auch ein Ersatz für das gedruckte Buch. Die Geräte sind in der Regel leicht zu benutzen, man kann gleich mehrere Bücher herunterladen und, wenn Sie so wollen, eine eigene kleine Bibliothek anlegen. Die Geräte bieten zudem Funktionen wie eine Bildschirm-Beleuchtung an, die das Lesen erleichtern können.

Nutzt man hingegen Apps auf Endgeräten der alltäglichen Online- und Unterwegskommunikation wie Tablets und vor allem Smartphones, liest man deutlich stärker unter dem Einfluss von multiplen Störfaktoren (Push-Mitteilungen anderer Anwendungen auf dem Gerät, Parallelnutzung verschiedener Apps usw.). Das verlangt von Lesenden ein anderes Niveau in der Ausbildung von Strategien im Umgang mit bzw. zur Vermeidung von digitalen Störfaktoren.

Darüber hinaus gilt auch zu berücksichtigen, dass wir gemessen an den Textmengen, die über Apps auf Smartphones gelesen werden, zwar quantitativ unterm Strich sogar mehr lesen. Gleichwohl wirkt sich die Nutzung der Endgeräte qualitativ noch einmal anders auf die Veränderung des Leseverhaltens bzw. sogenannter Lesemodi aus. 

Wir unterscheiden in der Forschung zum Beispiel drei grundlegende Lesetypen: (1) Skimming als das Überfliegen von Texten mit dem Ziel, sich einen allgemeinen Eindruck der Inhaltsbotschaft zu machen. (2) Immersed Reading als Lesepraxis, bei der man in die Handlung einer Geschichte eintaucht und dabei die eigene Leseumgebung auch gut ausblenden kann. (3) Das In-Depth Reading wiederum ist ein kognitiv anspruchsvolles, vertiefendes Lesen, bei dem Texte oft schon mit einem gewissen Vorwissen gelesen werden. Dabei gleicht man thematische Aspekte während des Lesens ab und kann so seinen eigenen Wissenshorizont erweitern und auch den eigenen Wortschatz ausbauen. 

Für das digitale Lesen via App auf Geräten wie dem Smartphone werden tendenziell leichtere, also narrativ weniger komplexe Inhalte und Geschichten bevorzugt.

Aus den Studien der letzten Jahre wissen wir aber, dass das Lesen über Endgeräte wie Smartphones gerade das Lesen im Modus des Skimmings verstärkt. Allerdings unterliegt das Skimming gegenüber dem Immersed und dem In-Depth Reading insbesondere in Bezug auf die Ausbildung eines tieferen und auch nachhaltigeren Textverständnisses. Hinzu kommt, dass für das digitale Lesen via App auf Geräten wie dem Smartphone tendenziell leichtere, also narrativ weniger komplexe Inhalte und Geschichten bevorzugt werden. Die damit verbunden Auswirkungen beschäftigen gegenwärtig wesentlich die Forschung zur Veränderung von Lesesozialisation und Lesekompetenz.

Sie forschen auch zur Plattformisierung des Lesens in der digitalen Buchkultur. Was ist damit genau gemeint? Beeinflussen Online-Plattformen wie Wattpad ebenfalls die Art, wie Menschen lesen?

Vereinfacht gesagt ist mit Plattformisierung des Lesens erst einmal jede Form und Art der Textauseinandersetzung auf digital-vernetzten Endgeräten in der Regel via Apps oder auf Onlineplattformen gemeint. 

Plattformisierung heißt aber auch, dass die digital-vernetzten Infrastrukturen die Art des Lesens beeinflussen. Was und wie wir dort lesen hängt zum Beispiel von den technischen Features der Plattform ab oder davon, welche Inhalte kostenfrei zugänglich sind. Onlineplattformen bereiten Inhalte jeweils entsprechend der eigenen, algorithmischen Prozesse auf und entscheiden so immer mit darüber, was und wie gelesen wird. 

Plattformen wie Wattpad oder auch Inkitt und Galatea sind hier in der Tat interessante Akteure. Gerade jüngere Lesende in den Altersgruppen 14 bis 29 wenden sich verstärkt solchen Plattformen zu, um neuen Lesestoff zu finden. Die Plattformen konzentrieren sich primär auf Leser:innen, die Content hauptsächlich über digitale und Social-Media-Plattformen nutzen und dafür eben mobile Endgeräte wie das Smartphone verwenden. Nach letzten Zahlen nutzen rund 90 Prozent der registrierten Nutzenden Wattpad als App auf dem mobilen Endgerät.

Plattformen wie Wattpad folgen den Funktionsprinzipien Sozialer Medien. Man kann Texte also kommentieren, bewerten, teilen etc.

Wattpad fördert das gemeinschaftliche Lesen – wie übrigens auch Schreiben – von Geschichten in einer Online-Umgebung, in der zu großen Teilen den Funktionsprinzipien Sozialer Medien gefolgt wird. Man kann die Texte also kommentieren, bewerten, teilen etc. Beobachtet und unterstützt werden die Nutzendenaktivitäten auf der Plattform durch datengetriebene Prozesse, basierend auf Künstlicher Intelligenz bzw. Machine Learning. 

Wattpad ist für uns als Untersuchungsgegenstand aber auch deshalb interessant, weil das Unternehmen auch hierzulande mit etablierten Verlagen (wie Piper) kooperiert. Geschichten von Autor:innen, die auf der Plattform nach den dort virulenten Reichweitenkriterien erfolgreich sind, haben dann die Möglichkeit, Geschichten über etablierte Verlage traditionell zu veröffentlichen. Plattformen und Verlage stehen hier also sowohl in einem Konkurrenz- wie auch in einem Komplementärverhältnis. Auch das ist ein Effekt von Plattformisierung der Buchkultur. 

zur Vergrößerungsansicht des Bildes: Studentin liest auf einem Smartphone
Jüngere Lesende nutzen besonders gerne Online-Plattformen, um neuen Lesestoff zu finden und eigene Texte zu veröffentlichen, Foto: Grit Hartung

Im digitalen Raum wird also nicht nur gelesen, es wird auch über das Gelesene diskutiert. Bei jungen Leser:innen, die sich auf Instagram und TikTok über Bücher austauschen, ist sogenannte New Adult-Literatur besonders beliebt. Wie stark ist dieses Genre für junge Erwachsene mit digitalen Medien verwoben?

Ich würde sagen, dass man New Adult und digitale bzw. Soziale Medien praktisch gar nicht getrennt voneinander diskutieren kann. Die Autor:innen und die Lesenden-Community im Netz sind auf das Engste miteinander verbunden. Nicht selten werden aus Lesenden – die auch als Rezensent:innen fungieren – selbst Autor:innen von New-Adult-Romanen. 

Die Inhalte orientieren sich wesentlich an den Lebensrealitäten, Problemen, Herausforderungen etc. der Zielgruppe. Viele Autor:innen verarbeiten sogar ihre Beziehung zu den Lesenden in Sozialen Medien in den Geschichten. 

Untersucht man die Lesendenreaktionen dann in Sozialen Medien, wird wiederkehrend eine starke Emotionalität in der Auseinandersetzung mit den Büchern als Gradmesser für gute oder weniger gute Geschichten beobachtbar. Für die jungen Zielgruppen scheinen passionate readership und Identitätsarbeit in Verbindung mit den Konflikten und Entwicklungen der Figuren in New-Adult-Romanen wichtig zu sein. 

Wird dabei ein so enges Beziehungsmanagement zwischen den Autor:innen und der Community gepflegt, scheint das aus Sicht der Lesenden als unmittelbare Resonanz bewertet zu werden, da sie sich dadurch gesehen und auch ernst genommen fühlen. Aus Vermarktungssicht ist das wiederum ein auch offenkundig gut funktionierender Ansatz in der nachhaltigen Kund:innenbindung. 

Prof. Dr. Sven Stollfuß ist Professor für Medienwandel mit Schwerpunkt Buchkultur und digitale Publikationen. Er forscht unter anderem zur digitalen Buchkultur und nimmt dabei Phänomene wie Social Reading, Plattformisierung und künstliche Intelligenz in der Buchbranche unter die Lupe. 
 

Beim Forum UNIBUND auf der Leipziger Buchmesse moderiert er am Freitag, 28. März 2025, um 14:00 Uhr eine Diskussion unter dem Titel „New Adult und digital lesen“ zum Einfluss von Plattformen und mobilen Endgeräten auf das Leseverhalten.
 

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