„Leipzig im Jahre 1681: die 15-jährige Anna Voigt steht vor Gericht, sie soll ihr neugeborenes Baby getötet haben. Die Obrigkeit will sie verurteilt sehen, es droht ihr der Tod – wie vielen anderen Mädchen und Frauen in dieser Zeit, die des gleichen Verbrechens bezichtigt werden. Aber dieser Fall ist anders: Sie hat nicht nur einen mächtigen Vater, der sich für sie einsetzt. Sondern es findet sich auch ein Arzt, der etwas spektakulär Neues wagt und ein wissenschaftliches Verfahren entwickelt, das in die Medizingeschichte als ‚Lungenschwimmprobe‘ eingehen wird. Durch dieses soll nachgewiesen werden, dass es tatsächlich eine Totgeburt war, wie Anna hartnäckig versichert, und kein Mord.“
Soweit ein Auszug aus dem Werbetext des Verlags. Die Lungenschwimmprobe sei ein „packender historischer Roman“, basierend auf wahren Begebenheiten, die der Autor akribisch recherchiert hat“ – nicht zuletzt zu Christian Thomasius, der Annas Anwalt war. Thomasius, der als Wegbereiter der Frühaufklärung in Deutschland gilt, studierte und lehrte an der Universität Leipzig und war nach einem Lehrverbot in Sachsen maßgeblich an der 1694 erfolgten Gründung der Universität Halle beteiligt.
Frau Schmidt-Funke, wenn Sie im Klappentext oder anderswo Formulierungen wie „nach einer wahren Begebenheit“ lesen, werden Sie dann erstmal stutzig oder skeptisch?
Ich habe als Jugendliche solche sogenannten historischen Romane verschlungen und würde sagen, dass das Studium der Geschichtswissenschaft einem die Lust an solchen Stoffen verleidet. Man kann sich darauf nicht mehr einlassen, weil man anfängt, kritisch zu hinterfragen und die Erzählung mit dem eigenen Wissen abzugleichen. Die Fiktion kann sozusagen nicht mehr ungefiltert wirken. Zum Glück ist das bei der „Lungenschwimmprobe“ anders.
Warum?
Erstens, weil das Buch hervorragend recherchiert ist. Zweitens, weil es kein reiner Roman ist. Der Autor Tore Renberg ist nicht unsichtbar, er bricht die Fiktion, indem er sich immer wieder einblendet und sagt: So bin ich zu diesem Stoff gekommen. Seine Wahrnehmung der Gegenwart, seine Wege der Recherche und sein Romanstoff vermischen sich. Das unterscheidet sein Buch von einem historischen Roman, der ganz auf die Fiktion setzt, inklusive Eintauchen in die Vergangenheit.
Ich bin bei der Lektüre sehr gut in einen Lesefluss gekommen, unter anderem, weil es in dem Roman auch ganz stark menschelt. Was die Gefühle seiner Figuren angeht, bewegt sich der Autor sicher auf der Ebene der Fiktion. Dennoch werden bestimmte Dinge angesprochen, die für die Frühe Neuzeit und das 17. Jahrhundert kennzeichnend sind. Der Versuch, eine Stimmung einzufangen, ist insgesamt gut gelungen, auch aufgrund der Auseinandersetzung des Autors mit der ständischen Gesellschaft und dem Geschlechterverhältnis.
Im Prinzip macht Renberg etwas, das wir in der Geschichtswissenschaft in bestimmten Maßen auch tun, dass wir nämlich Analogieschlüsse vornehmen. Wir wissen zwar nicht, wie Christian Thomasius selbst sich gekleidet oder gewohnt hat, aber wir wissen es vielleicht von seinem Amtskollegen. Das Arbeiten mit solchen Analogieschlüssen ist in der Geschichtswissenschaft unvermeidbar. Die Überlieferung ist lückenhaft, und diese Lücken füllen wir, indem wir gewissermaßen Wahrscheinlichkeiten angeben. Da könnte man schon sagen, das macht Renberg auch. Er schildert Szenerien, wie sie sich zugetragen haben könnten, und erreicht damit meiner Meinung nach ein hohes Maß an Plausibilität.
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