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„Mein lieber Markus, du hast eine einzigartige Gelegenheit mit Leipzig. Denn da ist ein Land aufzubauen. Du kannst das und du gehst da hin“. Dieser familiäre Auftrag, formuliert vom Vater, war der entscheidende Anstoß für Markus Löffler, sich einige Jahre nach der Wende für die Professur Medizinische Informatik, Statistik und Dokumentation und damit für den Direktorenposten des heutigen IMISE in Leipzig zu entscheiden. Abenteuerlust und Neugier kamen hinzu. Aber wie ist es, als „Kölscher Jeck“, wie sich Markus Löffler selbst beschreibt, mit einer aus dem italienischen Rom stammenden Ehefrau im Jahre 1994, vor 29 Jahren, nach Ostdeutschland zu kommen?

„Mein erster Eindruck von Leipzig war: Hier ist ja alles dunkel. Es gab kaum Straßenlaternen, kaum Verkehr, wenig Geschäfte – und es roch nach Kohlebrand. Aber das hat mich alles nicht gestört. Also, ich hatte mir viel Zeit genommen, bevor ich den Ruf angenommen habe und Gespräche mit jedem einzelnen Mitarbeiter am Institut geführt, weil ich wissen wollte, wer sie sind und was sie denken. Und da habe ich zwei Dinge festgestellt: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren alle sehr gut ausgebildet. Und sie waren fast alle bei der Montagsdemo, das heißt, sie wollten die Veränderung.“ Mit seiner Ehefrau, ebenfalls Medizinerin, schaute er auf die Landkarte und sah, dass es von Rom aus nach Leipzig und Köln gleich weit ist. Damit war die Umzugsfrage erledigt. „Wir waren bereit.“

Vom Gespräch bei der Übergabe der Ernennungsurkunde aus den Händen des damaligen Dekans der Medizinischen Fakultät, Prof. Dr. Gottfried Geiler, erzählt der Mediziner und Physiker Löffler noch heute begeistert. „Es war ein unwirklich kalter und grauer Märztag mit feinem Nebel, der überall durch die Ritzen kroch. Und im Büro des Dekans stand das Fenster weit auf. Von draußen zog die Kälte rein und keine zehn Meter entfernt vor dem Fenster stand eine riesige Dampframme, die eine Stahlplatte in den Boden rammt. Man konnte sich nicht unterhalten, es war einfach zu laut.“ Und der ehemalige Dekan sagte: „Wissen Sie, das ist Musik in meinen Ohren. Es ist zu Ende mit der Friedhofsruhe. Der Aufbruch hat begonnen. Ich heiße Sie herzlich willkommen, Herr Löffler. Krempeln Sie die Ärmel hoch. Packen Sie mit an. Wir brauchen Sie.“ Am selben Tag ist Familie Löffler mit Sack und Pack umgezogen. „Wir wollten in Leipzig richtig eintauchen.“

Prof. Dr. Markus Löffler, Leiter des Instituts für Medizinische Informatik, Statistik und Epidemiologie.

Wenn ich jetzt nach der Pandemie jemanden von unserem Institut erzähle, weiß jeder was Epidemiologie ist.

Prof. Markus Löffler

Wegbegleiter beschreiben Prof. Löffler als Visionär, Kunstschaffenden und Pendant, der anstrengend werden könne, da er auch die zufällige Begegnung am Wochenende im Getränkemarkt nicht auslässt, um an ausstehende Unterschriften auf Anträgen zu erinnern. Er sei ein „homo politicus“ und wisse, worauf es ankomme. Schon vor dem Corona-Virus war er politisch und vor allem wissenschaftlich bestens vernetzt. Die Pandemie rückte das Institut ins Scheinwerferlicht und den Stuhl von Prof. Löffler an den sächsischen Kabinettstisch. „Wir sind das einzige Epidemiologie-Institut in Sachsen und wir nahmen die Pandemie als Auftrag, zu verstehen und zu beschreiben, was passiert. Wir sammelten die Daten und konzipierten Simulationsmodelle, welche wir der Öffentlichkeit in Form von Bulletins bereitstellten,“ erläutert der 68-Jährige seine Arbeit. Löffler hatte Medizin und Physik teilweise parallel studiert mit dem klaren Ziel vor Augen, mathematische Modelle in der Medizin zu entwickeln und anzuwenden. Er und sein Team rechneten nach, dass der sogenannte Wellenbrecher-Lockdown, Ende 2020, Anfang 2021 ungefähr 2.000 Menschen in Sachsen das Leben rettete. Die Ergebnisse der Studie SaxoCov mit universitären und außeruniversitären Kooperationspartnern sollen im Herbst diesen Jahres vorliegen.

„Wenn ich jetzt nach der Pandemie jemanden von unserem Institut erzähle, weiß jeder was Epidemiologie ist,“ so Löffler. Zuvor konnte die Allgemeinheit mit dem Institut für Medizinische Informatik, Statistik und Epidemiologie wenig anfangen. Als er den Direktorenstuhl vor knapp 30 Jahren einnahm, hieß die Einrichtung mit seinen Dutzend Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen „Institut für Dokumentation und Statistik“. Ärzte kamen ins Institut und überbrachten ihre Daten, diese wurden in Lochkarten überführt und statistisch ausgewertet. Die Mitarbeiter verstanden sich als Statistikdienstleister, mit dem neuen Chef kam ein Übergang zu eigenständigem wissenschaftlichem Arbeiten, wissenschaftlichen Studien und Publikationen zustande. In der Folge wurde Ende der 1990-er Jahre das Zentrum für Klinische Studien Leipzig (ZKS) geboren. Aus den anfänglich rund zwölf Mitarbeiter:innen sind durch verschiedene große Projekte und Kohorten rund 150 Personalstellen gewachsen. In seiner Amtszeit warb Prof. Löffler am IMISE rund 45 Millionen Drittmittelgelder ein und insgesamt 150 Millionen Drittmitteleinnahmen für die Universität mit Großprojekten wie LIFE, NAKO, und Projekten der Medizininformatikinitiative wie SMITH und POLAR.

zur Vergrößerungsansicht des Bildes: Der Dekan der Medizinischen Fakultät, Prof. Ingo Bechmann (Mitte) überreichte nach seiner Rede im Hörsaal der Anatomie das Arbeitspapier für die nächsten vier Jahre an Prof. Markus Löffler. Foto: Löffler/Migliore
Der Dekan der Medizinischen Fakultät, Prof. Ingo Bechmann (Mitte) überreichte nach seiner Rede im Hörsaal der Anatomie das Arbeitspapier für die nächsten vier Jahre an Prof. Markus Löffler. Foto: Löffler/Migliore

Es war mir eine Freude, zu gestalten.

Prof. Dr. Markus Löffler

„Ich kann schon sehr ehrgeizig sein.“ Löffler wollte nie kleine Fische fangen, er spricht von „Wale jagen“. Welches Projekt ihm am meisten in Erinnerung bleiben wird? „Es gab mehrere Studien, im Verbund mit vielen Ärzten und Einrichtungen, die insbesondere im Krebsbereich bedeutend waren und hohe Aufmerksamkeit erlangten. Und es gab auch Studien, bei denen es nicht gelungen ist, eine therapeutische Verbesserung zu erzielen. Im Bereich der Sepsis-Erkrankungen zusammen mit Wissenschaftlern aus Jena haben wir herausgefunden, dass eine für erfolgversprechend gehaltene Medikation sogar schädlich ist. Schlussendlich hat die amerikanische Zulassungsbehörde 2014 die Zulassung für dieses Medikament zurückgezogen.“

Bei seiner gut besuchten Abschiedsvorlesung Ende Juni 2023 werden ihm Glückwünsche überreicht - sowie der Plan B der Medizinischen Fakultät: Ein Arbeitsvertrag für fortlaufende Projekte über die nächsten vier Jahre. „Ich bin nicht weg. Ich gehe in den Weniger-Stand“, lächelt Löffler und führt aus: „Es war mir eine Freude, zu gestalten und ich bin dankbar für die vielen phantastischen und inspirierenden Menschen, denen ich begegnen durfte und meiner Wirkungsstätte, der Universität Leipzig.“

Er hat noch viel vor, wie beispielsweise Kunst und Wissenschaft miteinander zu verbinden. Über 10.000 Jahre alte Felsritzungen aus dem italienischen Val Camonica, rund 200.000 an der Zahl, möchte Löffler zum Leben erwecken und im Kunstkraftwerk tanzen lassen. Diese mittlerweile weit über die Landesgrenzen hinaus bekannte Kunstinstitution im Südwesten der Stadt Leipzig hatte Löffler vor rund zehn Jahren mit seiner Ehefrau und einem Freund erworben. Die Bank war anfänglich nicht überzeugt, aber Löffler wäre nicht Löffler, wenn er nicht seine „Wale harpunieren“ würde. „Wir möchten der Stadt auch etwas zurückgeben“, resümiert er, den Wunsch des Vaters auch im offiziellen Ruhestand weiterhin ausführend, und stellt fest: „Wir sind Leipziger geworden.“

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