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Corona bringt vieles durcheinander, auch mephisto 97.6. Nach 25 Monaten kehrt das Ausbildungs- und Lokalradio der Universität Leipzig ab Dienstag, 19. April, 18 Uhr, wieder zu einem werktäglichen Live-Sendebetrieb zurück, wenn auch nicht in dem Umfang, wie vor der Pandemie. Der Radiosender wird nach Ende der Pandemie nicht mehr das sein, was es von 1995 bis 2020 war. Die Programmdirektion und die Chefredaktion sehen darin eine Chance. Ein Besuch.

(Letztes Update am 14.4.2022)

An einem Nachmittag Anfang Januar in den Räumen des universitären Ausbildungsradios mephisto 97.6, über der Mensa am Park: Die studentische Chefredaktion tagt: Justin Andreae sitzt im Büro, die beiden anderen Chefredakteur:innen Laura Kreuzhage und Leven Wortmann sind zuhause - Videokonferenz. Außer Andreae sind noch zwei Techniker vor Ort, ansonsten sind die weiten Flure, mehrere Büros, zwei Produktions- und ein Sendestudio verwaist. Die Winterakademie steht auf der Tagesordnung, seit Jahren Tradition. „In der vorlesungsfreien Zeit durchlaufen zehn Studierende sechs Wochen lang ein strukturiertes Ausbildungsprogramm: In Seminaren bzw. Workshops von Radioprofis bekommen sie die Grundlagen fürs Radiomachen vermittelt, anschließend durchlaufen sie die einzelnen Ressorts: Tagesredaktion, Musik, … machen Beiträge, planen mit. Das ist eine Art Praktikum, nur dass die Akademisten auch das theoretische Rüstzeug an die Hand bekommen, von Profis“, so Andreae.

Die Profis sind überwiegend Alumnae, alte Mephistos, die nun in den Redaktionen und Medienhäusern dieser Republik arbeiten. Es gab mehr Bewerber:innen als Plätze. „Wir haben viele Interessierte, die gerade zu Semesterbeginn zu uns kommen, Lust auf Radio haben und auch bei der Stange bleiben. Einen Rückgang gegenüber den Jahren zuvor spüren wir nicht, das freut uns sehr.“

  • "Klar war: so schnell kommen wir alle nicht wieder in den Sender, um reguläres Programm zu machen. Wie lange, wusste natürlich niemand. Wir haben sehr schnell Onlineseminare angeboten: Wie produziere ich einen Podcast? Wie produziere ich einen Beitrag zuhause und nicht im Studio? Welche Schnittsoftware ist dafür geeignet?"

 

Dabei war der letzte reguläre Sendetag des Lokalradios am 15. März 2020, dem letzten Tag vor dem ersten kompletten Lockdown. Die vier Sendestunden über UKW waren mit Liveprogramm gefüllt und natürlich auch Nachrichten, Wetter, Verkehr. Um 10 das Magazin „Faustschlag“, eigentlich als Sendung live von der Buchmesse geplant, die allerdings abgesagt wurde, am Abend ab 18 Uhr das tagesaktuelle Magazin „Direkt“, im Anschluss das Satiremagazin „Nachschlag“. Danach stellte mephisto den UKW-Sendebetrieb zwischenzeitlich komplett ein, sendete der Sender R.SA, mit dem sich mephisto die UKW-Frequenz 97,6 MHz teilt, durch. Nach ein paar Wochen lief auf UKW innerhalb der vier Stunden das Programm, das auch auf der 24-Stunden-Frequenz im Digitalradio DAB+ zu hören ist: eine abwechslungsreiche Musik-Playlist, gepaart mit eigenproduzierten Hörspielen und Podcasts. So klingt mephisto 97.6 auch noch heute.

Umstellung von Liveprogramm auf Programm aus dem Home-Office

Programmdirektor Lars Hendrik Beger durchlief selbst als Student alle Bereiche des Senders: Reporter, Ressortleiter, Nachrichtensprecher, Moderator, dann Chefredakteur. Nun ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft (KMW), um Teil der insgesamt siebenköpfigen Programmdirektion zu sein: „Wir haben sehr schnell reagiert. Klar war: so schnell kommen wir alle nicht wieder in den Sender, um reguläres Programm zu machen. Wie lange, wusste natürlich niemand. Wir haben sehr schnell Onlineseminare angeboten: Wie produziere ich einen Podcast? Wie produziere ich einen Beitrag zuhause und nicht im Studio? Welche Schnittsoftware ist dafür geeignet? Ist in der Studenten-WG bereits ein Mikro vorhanden? Was brauche ich überhaupt an Technik? Spreche ich den Beitrag unter der Bettdecke, im Schrank oder unter dem Wäscheständer ein, weil es sonst im Zimmer zu sehr hallt? Dabei hat uns auch der Freundeskreis mephisto 97.6, der aus Alumnae besteht, tatkräftig unterstützt. Anfangs hatten wir drei Podcasts pro Woche im Programm, später wurden es dann mehr. Die Musikredaktion hat fortan die Playlist von Zuhause aus geplant und in den automatisierten Sendeablauf gestellt.“

  • „Mephisto hat seit dem ersten Sendetag 1995 davon gelebt, dass die Generationen ihr Wissen im Learning-by-doing an die folgenden weitergeben. ... Diese Erfahrungen fehlen nun weitestgehend."

 

Liveprogramm gab es im Sommer 2020 und 2021 wieder, als die Corona-Inzidenzen deutlich abgeschwächt waren. Drei Sendungen pro Woche, bis die Fallzahlen wieder in die Höhe schnellten. Die Bedingungen für das Arbeiten in den Räumen des Senders sind im Gegensatz zu anderen Einrichtungen der Universität noch einmal erschwert: „Im Hygieneschutzkonzept gibt es besondere Regelungen, etwa für Labors und Werkstätten, nicht aber für uns. Wir sind einerseits eine Einrichtung des Zentrums für Medienproduktion ZMP, das den Sender technisch betreibt und bei dem auch unsere Studiotechniker angestellt sind“, sagt Beger. „Anderseits sind wir Teil des Instituts für Kommunikations- und Medienwissenschaft, aber die Räume sind weder ein Hörsaal, noch ein Seminarraum. Um keinerlei Risiken einzugehen hatten wir uns in der Programmdirektion entschieden, eher weniger als mehr auf Präsenz zu setzen.“ Zeitweise durften nur drei Studierende gleichzeitig im Sender sein, derzeit sind es sechs. „Obwohl wir wissen, dass 100 Prozent der Mephistos geimpft bzw. geboostert sind.“

Wiederaufnahme des regulären Live-Sendebetriebs bedeutet Neustart analog 1995

Fünf Redakteur:innen sind minimal auch vor Ort nötig, um eine Livesendung auf die Beine zu stellen, aber: „Mephisto hat seit dem ersten Sendetag 1995 davon gelebt, dass die Generationen ihr Wissen im Learning-by-doing an die folgenden weitergeben: Wie schreibe ich Nachrichten, wie spreche ich Nachrichten, wie funktioniert eine Redaktion, wie wird eine Sendestunde geplant, was muss ich beim Moderieren beachten, wie wird eine Live-Sendung aus dem Studio ‚gefahren‘ und vor allem: Wie gehe ich mit Zeitdruck um, damit ein Beitrag, eine Nachricht, eine Moderation sehr kurzfristig ins Programm kommt? Muss eine Sendung kurz vor Beginn oder gar währenddessen auf Grund von aktuellen Entwicklungen komplett umgeplant werden? Diese Erfahrungen fehlen nun weitestgehend. Die Meisten, die damit umgehen konnten und mussten, waren vor zwei Jahren aktiv und sind jetzt weg. Was Live-Sendungen angeht fangen wir bei Null an, wie 1995 zum Sendestart.“

  • "Viele Journalist:innen müssen in den Sendeanstalten ein bisschen von Allem können: Video- und Hörfunkbeiträge, Live-Schalten und gleich noch die Meldung schreiben, das Thema für Social Media und die Webseite aufbereiten. Wir stellen uns die Frage: Was bedeutet das für uns?“

 

In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Änderungen in den Angeboten von Studiengängen, die auch Auswirkungen auf die Zeit hatten, die ein Studierender im Sender aktiv ist. „Es sind tendenziell eher jüngere Studierende, die kürzer bleiben, als es in früheren Jahren der Fall war. Das heißt, eine Spezialisierung auf ein bestimmtes Fachgebiet ist eigentlich nicht mehr möglich. Gefragt sind Allrounder.“ Übrigens auch in den Rundfunkanstalten und Medienhäusern, wie Gespräche zwischen den Ausbildungsabteilungen der großen Sender und der Programmdirektion ergeben hätten, so der Programmdirektor: „Das heißt: viele Journalist:innen müssen in den Sendeanstalten ein bisschen von Allem können: Video- und Hörfunkbeiträge, Live-Schalten und gleich noch die Meldung schreiben, das Thema für Social Media und die Webseite aufbereiten. Wir stellen uns die Frage: Was bedeutet das für uns?“

Grundsätzliches wird auf den Prüfstand gestellt: "Wir denken gerade mephisto neu"

Die Zeit wird also genutzt, sich grundsätzliche Gedanken zu machen, sich neu zu erfinden, alles zu hinterfragen, sagt auch der studentische Chefredakteur Justin Andreae: „Für wen wollen wir eigentlich senden? Wer ist unsere Zielgruppe? Sind die Sende- und damit auch die Redaktionsstrukturen, die es bei uns für das lineare UKW-Programm über Jahrzehnte hinweg gab, noch zeitgemäß? Werden wir unser Publikum on Air ‚Siezen‘, wie bisher, oder ‚Duzen‘? Wie sollten unsere Social Media-Auftritte gestaltet sein?“ Dabei wollen sich Chefredaktion und Programmdirektion an den Bedürfnissen der großen Sendeanstalten, insbesondere des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, orientieren. „Wir bilden aus, das ist unser Kerngeschäft. Mephisto ist eine Marke und hat in der deutschlandweiten Medienlandschaft einen hervorragenden Ruf. Sie wissen: wer mephisto durchlaufen hat, ist in den allermeisten Fällen ein Top-Kandidat unter den Bewerber:innen um Volontariatsstellen“, so Lars Hendrik Beger. Ehemalige Mephistos sind weit verteilt, beispielsweise innerhalb der kompletten ARD, beim Deutschlandfunk, ZDF oder bei der Deutschen Welle. „Unser Sender war von Beginn an ein Aushängeschild unserer Universität, ein Alleinstellungsmerkmal. Das wollen wir auch in Zukunft wieder sein.“

  • "Die Redaktionen haben Konzepte und Pläne erarbeitet, an Ideen mangelt es also keineswegs. Das ist der Geist, der diesen Sender seit 1995 prägt."

 

Dazu braucht es auch Liveprogramm. Wann es wieder einen Regelbetrieb geben wird? Programmdirektor Beger: „Wir hoffen, spätestens zum Wintersemester 22/23. Es hängt auf jeden Fall von der Corona-Lage ab und davon, wie schnell wir wieder Moderator:innen und Sprecher:innen in unseren Studios ausbilden können, ob sie Pilotsendungen im Studio produzieren können, ob es die Umstände erlauben, dass genug Studierende hier im Sender sind, um Livesendungen planen zu können. Alle müssen sich die Fähigkeiten dafür neu erarbeiten. Die Redaktionen haben Konzepte und Pläne erarbeitet, an Ideen mangelt es also keineswegs. Das ist der Geist, der diesen Sender seit 1995 prägt. Und bei alldem stehen uns unsere ehemaligen Mephistos tatkräftig zur Seite. Die gesamte Programmdirektion und der Freundeskreis Mephisto tun alles Mögliche, um uns zu unterstützen. Wir denken gerade mephisto neu und kommen wieder! Und sind eigentlich auch nicht weg.“

„Der Sender lebt“, lächelt Chefredakteur Justin Andreae und sitzt dabei am Mischpult im Sendestudio, um zum Test den Nachrichtenjingle abzuspielen. Geschätzte 30 Studierende sind derzeit bei mephisto aktiv. „Vielleicht auch 40. Die Zahl schwankt immer wieder. Aber so war es schon immer.“

  • mephisto 97.6 sendet werktags von 10 bis 12 und 18 bis 20 Uhr auf UKW 97.6 MHz sowie rund um die Uhr auf DAB+ und im Livestream. Live-Sendungen sind ab sofort werktags von 18 bis 19 Uhr geplant: Montags die Hörkunst-Sendung "Lauschangriff" bzw. das einstündige Interviewformat "M19", dienstags und donnerstags ein regionales Magazin mit Themen aus Gesellschaft, Politik und Kultur, mittwochs das Musikmagazin "Tonleiter" und freitags das Radio-Feuilleton "Kultstatus".

 

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