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Es war einmal ein fleißiger Aufzug im elfstöckigen Kroch-Hochhaus im Herzen Leipzigs. Klein aber schmuck in messingfarbenem Antlitz transportierte er unermüdlich Tag für Tag Mensch und Material in alle Stockwerke des Hauses. Bis eines Tages Teile ersetzt werden mussten, damit er weiter seinen Dienst verrichten kann. Diese aber befinden sich auf Kreuzfahrt auf irgendeinem Containerschiff zwischen Fernost und Mitteleuropa. Vielleicht im Augenblick in der Nähe der Malediven.

Eine Glosse von Janina Nassauer, Mitarbeiterin der Kustodie.

„Der Aufzug ist momentan außer Betrieb“, so stand es eines morgens an seiner Tür. „Außer Betrieb, das kann doch nicht sein“, dachte er und versuchte mit aller Kraft sich in Bewegung zu setzen. Doch es passierte nichts und so musste er betrübt mit ansehen, wie sich zu Arbeitsbeginn immer mehr Menschen stirnrunzelnd vor ihm im Eingangsbereich des Kroch-Hochhauses versammelten und sich nach der Zettellektüre ob der unerwarteten, alpinen Fitnesseinheit wenig begeistert in Richtung Treppenhaus abwendeten.

„Es wird nicht lange dauern, wir benötigen ein paar Ersatzteile und dann wird die Reparatur in Auftrag gegeben.“ Diese scheinbar beruhigenden Worte entnahm der Aufzug erleichtert einem Gespräch am Ende der Woche. „Sehr gut, dann kann ich ja bald wieder die Menschen und das viele Material nach oben und unten transportieren“, freute er sich.

5 Wochen später …

„Wie sieht Ihre sportliche Leistungsfähigkeit aus, haben Sie zufällig Erfahrung im Bergsteigen? Und wenn ja, in welchem Rahmen bewegt sich dann üblicherweise Ihre Herzfrequenz?“ Natürlich hat der Aufzug seine Augen und Ohren in allen Stockwerken und so belauschte er eines Morgens ein doch sehr ungewöhnliches Zoom-Vorstellungsgespräch für ein Praktikum im 10. Stock. Das verwunderte Gesicht der irritierten Bewerberin konnte sich der Aufzug nur allzu gut vorstellen.

Kurz darauf beobachtete er im Erdgeschoss einen Mitarbeiter, der das Gebäude mit großen Paketen unter den Armen betrat. „Ach, die neuen Zielvereinbarungen, niemals mit leeren Händen aufzusteigen, gelten also bereits … der Arme!“ Der kurz innehaltende Mitarbeiter erfreute sich derweil am neusten Beitrag der stetig wachsenden Zettelsammlung. Doch die Freude währte nicht lange, denn bereits nach wenigen Stufen wich die Freude zunehmender Panik beim Gedanken an die unzähligen noch hoch zu transportierenden Materialien. Seine Kollegin im 11. Stock verließ währenddessen seufzend das Büro: „Ich geh mal die Post holen, ich bin in einer Stunde wieder da. Oder auch in zwei, je nach heutiger Tagesform.“

2 Wochen und 6 Tage später …

Eine E-Mail versetzte das Haus in Aufruhr: „Wir haben soeben erfahren, dass sich die Reparatur des Aufzuges noch länger hinziehen wird. Der Lieferant teilte mit, er warte aktuell dringend auf Zulieferteile. Ein genauer Reparaturtermin wurde uns nicht genannt.“ Selten sah der Aufzug so viele Augen rollen. Ein Hauch von Resignation verbreitete sich ... Doch ein Zettelbeitrag im Eingangsbereich rief zu Gelassenheit auf: „Es könnte noch schlimmer sein. Viel schlimmer.“ Wie viel schlimmer es sein könnte, sollten Bilder des Universitäts-Hochhauses im Vergleich zu einem der höchsten Wolkenkratzer der Welt illustrieren. Der Aufzug bezweifelte jedoch, ob das die völlig verschwitzten Menschen auch so sehen würden, die steinschwere Ausstellungsstücke über das Treppenhaus in den Keller trugen oder ob die betagtere Mitarbeiterin zustimmen würde, die sich Tag für Tag trotz Hüftarthrose nach oben quälte. „Oh je, wenn ich doch nur wieder fahren könnte. Aber bestimmt ist es nun bald so weit“, hoffte er.

Zwei Adventswochenenden und viele Fitnesseinheiten später …

Während ein Mitarbeiter Julio Cortázars „Unterweisung im Treppensteigen“ wohl als besonders hilfreich für die Moral der Hausgemeinschaft empfand, übte sich der Rest eifrig im Sarkasmus: „Bald ist ja Weihnachten, sollen doch der Weihnachtsmann oder das Christkind ein Wunder vollbringen und den Aufzug reparieren.“ Andere scherzten: „Ich wünsche mir das Ersatzteil zu Weihnachten!“ Der Vorschlag, „Wir könnten ein Bergsteiger-Trainingscamp eröffnen“, fand jedoch nicht einmal ironisch gemeinte Zustimmung.

Der Aufzug hatte so seine Zweifel, ob er vor Weihnachten wieder einsatzbereit sein würde, aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Als eines stillen Abends kurz vor Weihnachten tatsächlich eine Person in weihnachtsmannüblicher Kleidung vollgepackt vor der Aufzugtür stand, war der Aufzug dann doch voller freudiger Erwartung. Doch nein, beim Anblick des „Außer Betrieb“-Zettels suchte Knecht Ruprecht fluchtartig das Weite! Nun rollte auch der Aufzug resigniert mit den Augen.

Dann eben im nächsten Jahr. Bestimmt.

 

Kommentare

  • Kommentar von Thomas Semler, 13.12.2021, 11:40 Uhr
  • Eine Material- und Zettelwirtschaft!

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