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Unternehmensgründungen sind ein wichtiger Mechanismus für den Transfer von Wissen und Innovationen aus den Hochschulen in die Gesellschaft. Wie die aktive Förderung und Unterstützung für Angehörige der Universität Leipzig auf dem Weg zur Gründung aussieht, wie man an die begehrten Fördermittel kommt, wo man Unterstützung und Gleichgesinnte findet und welche Fehler man besser nicht machen sollte – darüber sprechen wir mit Sportwissenschaftlerin und Gründerin Luana Cristina dos Santos Held, Informatiker und Gründer Chris Schmidt und dem Professor für Entwicklungsökonomie mit besonderem Schwerpunkt auf kleine und mittlere Unternehmen, Dr. Utz Dornberger. Interviewpartner Chris Schmid steht der Universität Leipzig aktuell auch als Mentor zur Verfügung und bringt seine Expertise in die am Mittwoch (29. März) gestartete Mentoringstaffel ein.

Sie alle eint Ihr Interesse: das Gründen. Wann haben Sie erstmals begonnen, sich damit näher zu beschäftigen?

dos Santos Held: Seitdem ich auf der Welt bin, gehört das Thema Gründen, Selbstständigkeit und Familienunternehmen zu meinem Leben, weil mein Vater seit über 30 Jahren selbstständig ist. Der Wunsch danach ist also aus der Tradition dieses bestehenden Familienunternehmens entstanden, kombiniert mit dem Wunsch meines Mannes, etwas Eigenes aufzubauen.
Schmidt: Ich habe mir nie Gedanken über das Gründen gemacht, bis ich auf eine sehr gute Idee gekommen bin, für die ich viel Unterstützung erfahren habe.
Dornberger: Mit 19 Jahren habe ich direkt nach der Wiedervereinigung einen Eine­Welt­Laden für fairen Handel in Jena und dann 2001 eine Beratungsfirma in Leipzig gegründet. Später habe ich festgestellt, dass es an der Universität keinerlei zentralen Anlaufpunkt gab, um Studierenden, Mitarbeitenden und Graduierten die Idee der Selbstständigkeit näherzubringen. Das wollte ich ändern.

Wie unterstützt die Universität Leipzig beim direkten Schritt in die Selbstständigkeit?

Dornberger: Mit SMILE (Selbstmanagementinitiative Leipzig) bieten wir Gründer:innen ein umfassendes Angebotsspektrum.
Über 600 Gründungen konnten verzeichnet werden, seit die Gründungsinitiative 2006 ins Leben gerufen wurde. Ganz wichtig ist uns, die Talente, die in den Menschen stecken, freizulegen und zu entwickeln. Daher steht bei uns neben der Qualifizierung das individuelle Gründungscoaching mit Bausteinen wie Produkt­ und Geschäftsmodellentwicklung, Marketingkonzept, Vertriebsplanung und Unternehmensfinanzierung im Mittelpunkt. Unser Ziel ist es, zusätzlich zu SMILE auch in den Fakultäten ehrenamtliche Gründungsmentor:innen zu etablieren, die Studierende dazu motivieren, in Richtung Gründung zu denken und diese im Prozess dabei unterstützen. Der Freistaat Sachsen hat ein umfangreiches Förderprogramm aufgelegt, mit dem die Zahl der Ausgründungen aus Universitäten und Hochschulen gesteigert werden soll. Unser Serviceangebot für Wissenschaftler:innen, Absolvent:innen und Studierende ist daher kostenfrei dank der Förderung aus Mitteln der Europäischen Union, des Freistaates und der beteiligten Institutionen.

Sie sind beide Alumni der Universität Leipzig und haben in den letzten Jahren eigene Unternehmen gegründet. An welcher Stelle haben Sie Unterstützung durch die Universität erfahren?

dos Santos Held: Spezifische Angebote von SMILE haben wir für die Unternehmensgründung von Brasilheroe nicht genutzt. Aber das Netzwerk, das ich mir während meines Studiums und meiner späteren Tätigkeit an der Universität Leipzig aufgebaut, und die Erfahrungen, die ich hier gesammelt habe, sind sehr hilfreich gewesen, insbesondere in den Bereichen Marketing und Social Media. Schmidt: Wir haben die komplette Bandbreite von SMILE »mitgenommen«, angefangen vom Modul für Masterstudierende im Gründungsmanagement bis hin zu individuellem Coaching. Im Endergebnis stand dann ein Business­ und ein Finanzplan, der uns bis heute trägt und mit dem wir bislang schon zwei Start­up­Wettbewerbe gewonnen haben. Das mit SMILE erarbeitete Pitch Deck, also die Präsentationsvorlage unserer Geschäftsidee, nutzen wir heute täglich mehrfach sehr erfolgreich, um neue Kund:innen zu gewinnen.

Wann und wie sind Sie auf die Idee für Ihre Unternehmensgründungen gekommen?

dos Santos Held: Wir sind ein deutsch­brasilianisches Familienunternehmen und haben unsere Wurzeln in São Paulo in Brasilien. Vor mehr als 30 Jahren haben dort mein Vater und mein Patenonkel eine kleine Manufaktur für die Restauration von Möbeln aus Handarbeit gegründet. Als ich 2013 zurück nach Deutschland gekommen bin, habe ich als Geschenk einen Sitzsack von meinem Vater bekommen und mitgenommen – für mich ein Stück Heimat. Weil dieser in unserer Wohnung von Gästen immer sehr bewundert wurde, sind wir auf die Idee gekommen, ein bisschen brasilianisches Lebensgefühl nach Deutschland zu bringen. Nach intensiver Marktforschung und Planung habe ich im Jahr 2021 gemeinsam mit meinem Mann, den ich in Deutschland kennengelernt habe, beschlossen, die Tradition hier fortzuführen.

Schmidt: Auch bei mir gibt es einen persönlichen Bezug, der sogar bis in die Schule zurückreicht. Ein Schulfreund mit altersbedingter Seherkrankung hat sukzessive die Fähigkeit des scharfen Sehens verloren, im Unterricht musste ihm sein Banknachbar die Tafel vorlesen. Auch die Arbeit am Computer war für ihn schwer bis unmöglich – er konnte Webseiten nicht gut lesen und dementsprechend schlecht bedienen. Gemeinsam mit meinen drei Mitgründern wollten wir hier eine Lösung schaffen für diese Probleme, die Menschen mit einer Seheinschränkung täglich bei der Nutzung von Webseiten aufweisen. Die von uns entwickelte  Assistenzsoftware Eye­Able schafft digitale Barrierefreiheit und ermöglicht Nutzer:innen, individuelle Anpassungen vorzunehmen. Unser Ziel ist, dass auch Menschen mit visuellen Einschränkungen problemlos und frei das Internet nutzen können. Mit rund 18 Millionen Verwendungen im Monat ist das Produkt mittlerweile erfolgreich am Markt. Neben Ministerien, Banken und Hochschulen sind zum Beispiel auch der FC St. Pauli sowie Werder Bremen unsere Kunden. Der 2019 erlassene European Accessibility Act (EAA), der dazu verpflichtet, den gesamten Online­Handel für Verbraucherinnen und Verbraucher barrierefrei zu gestalten, kommt uns dabei natürlich zugute.

Frauen sind unter den Gründer:innen deutlich unterrepräsentiert. Welche Eigenschaften sollten speziell Frauen mitbringen, um in dem Bereich erfolgreich zu sein?

dos Santos Held: Zum Gründen gehören insbesondere Mut und Unterstützung aus dem eigenen Umfeld. Ich war bei der Gründung nicht ganz allein: Mein Mann und ich haben ja gemeinsam gegründet und ich war während der Gründungsphase zudem schwanger. Also hatte ich zwei Gehirne, die mitgedacht haben. Ich denke, dass Frauen oft in der Gründerszene unterrepräsentiert sind, weil sie zusätzlich noch den Aufwand mit ihrer Familie, insbesondere ihren Kindern, haben. Als Leistungssportlerin war ich aber schon immer zielstrebig. Wenn manein Ziel hat, sollte man es einfach ins Visier nehmen und alles dafür tun, dass man es erreicht.

Wenn ich einer Frau etwas sagen würde, ist es Folgendes: Wenn du was träumst, lauf hinterher. Wenn du denkst, dass du es nicht alleine machen kannst, suche dir Leute, die dich dabei unterstützen können.

Ideen und Projekte sollten möglichst früh auch in einem internationalen Kontext gedacht werden. Welche Möglichkeiten offeriert die Uni Leipzig hierfür?

Dornberger: Wir sind hier noch am Beginn dieser Reise. Einerseits wollen wir internationalen Studierenden beim Gründen unter die Arme greifen. Es gibt einige gute Beispiele von Gründungen im Technologiebereich, in dem sich Nichtdeutsche selbstständig gemacht haben. Aber ich glaube, wir erschließen das Potenzial noch nicht vollständig. Wir haben innerhalb von SMILE nun ein International Start-up Office, das sich explizit mit den ausländischen Studierenden beschäftigt und ihnen konkrete Angebote unterbreitet und bei Formalitäten wie Fördermittelanträgen, die in deutscher Sprache erstellt werden müssen, hilft. Andererseits wollen wir die Gründungen von Deutschen auch internationalisieren. Mit dem International Startup Campus (ISC), in dem die Universitäten Halle, Jena und Leipzig ihre Kompetenzen in der Gründungsunterstützung bündeln, sind wir hier Vorreiter. Ziel ist es, eine Gründungsakademie aufzubauen, Gründerinnen und Gründer aus anderen Ländern für den Standort Mitteldeutschland zu gewinnen und deutschen Startups den Marktzugang in Asien zu erleichtern. Über die Europäische Hochschulallianz Arqus, deren Mitglied wir als Universität sind, können Interessierte Zugang zu den Gründungsinitiativen und Inkubatoren unserer europäischen Partnerhochschulen erhalten.

Was waren die größten Schwierigkeiten und Hürden, die Sie auf Ihrem Gründungsweg überwinden mussten?

dos Santos Held: Die Bürokratie. Aber die kann man sich ja leider nicht sparen. Ansonsten hätte es vielleicht auch geholfen, wenn ich mehr persönlichen Kontakt zu den Menschen gehabt hätte. Uns hat aufgrund der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie dieser Kontakt zu unseren Händlern in Deutschland, Österreich und der Schweiz gefehlt.

Schmidt: Aufmerksamkeit für das Thema Inklusion zu schaffen. Gerade am Anfang mussten wir wirklich viel Überzeugungsarbeit leisten. Viele Menschen haben nicht verstanden, warum ein inklusiver Ansatz jedem Unternehmen und jeder Organisation helfen kann. Das war die Sensibilisierung schwierig, gerade weil durch Corona der persönliche Kontakt vor Ort auch nicht zu Stande kommen konnte. Auch die Mitarbeiter:innensuche hat sich am Anfang nicht immer leicht gestaltet: Im Bereich Software und IT sind gute Fachkräfte selten und man muss einiges an Überzeugungsarbeit leisten, damit sich Entwickler:innen schlussendlich auch für ein StartUp und gegen einen großen Konzern als Arbeitgeber:in entscheiden.

Was waren die größten Fehler, die Sie bisher gemacht haben – und was haben Sie aus diesen gelernt?

dos Santos Held: Am Anfang haben wir viel Geld in Social Media investiert, um unsere Zielgruppe zu erreichen. Erst später haben wir gemerkt, dass unsere Kernzielgruppe – in erster Linie aus dem Bereich Partnerhandel und Innendesign – gar nicht oder nur sehr wenig in Social Media agiert. Wir haben unsere Strategien daraufhin angepasst.

Schmidt: Ich glaube, unser größter Fehler war tatsächlich, ab und zu mal auf Partner:innen zu vertrauen und nicht selbst zu versuchen, in Märkte hineinzugehen. Dadurch sind uns teilweise Marktanteile verloren gegangen. Ein anderer Fehler war, dass wir Hilfe nicht früh genug in Anspruch genommen haben. Mit einem früheren Coaching wären wir noch besser gestartet. Zuletzt würden wir rückblickend nicht nochmal so lang »bootstrappen«, also Ausgaben vermeiden, aber gleichzeitig Einnahmen maximieren wollen. Wir hatten während der Gründungsphase 80, 90 Stunden Wochen und haben am Wochenende noch andere Projekte gemacht, damit Geld reinkommt. Hier habe ich persönlich tatsächlich aber von Corona profitiert, weil die Lehre digital war, sonst hätte ich das nicht so parallel machen können.

Wo sehen Sie sich und Ihre Unternehmung in 5 Jahren?

Schmidt: Bei uns ist es wirklich ein Herzensthema. Wir sind selbst ein inklusives Gründungsteam mit Menschen mit Beeinträchtigungen im Team. Wir wollen sicher weiter wachsen, noch eine kleine Finanzierungsrunde machen, danach aber komplett organisch bleiben. Wir haben nicht das Ziel, ein Weltkonzern zu sein, dafür aber ein attraktiver Arbeitgeber mit einem jungen, dynamischen Team, das auch Ecken und Kanten hat und gern zur Arbeit kommt.

dos Santos Held: Wir wollen internationaler werden und unsere Produkt noch nachhaltiger machen. Wir verwenden schon jetzt regionale Stoffe aus Brasilien und nutzen Reststoffe weiter. Erst kürzlich haben wir dafür eine neue Partnerschaft abgeschlossen und können dadurch die Füllung unserer Sitzsäcke aus 100 Prozent recyceltem Plastikmüll anbieten.

Welche Empfehlungen oder Tipps würden Sie anderen Gründer:innen und Jungunternehmer:innen mit auf den Weg geben?

Schmidt: SSie sollten mal ein Risiko eingehen. Dazu gehört auch, dass man mutig ist, und dass jeder Fehler auch etwas Gutes sein kann. Und nicht vergessen: Hilfe annehmen.

dos Santos Held: Ich sage, träumen ist gut, planen ist besser, machen ist noch besser und dazu mutig sein und sich immer umschauen, wer mich unterstützen kann.

Dornberger: Es ist ein deutsches Problem, dass wir immer denken, wir dürfen es nicht nochmal versuchen, wenn wir einmal gescheitert sind. Ich bin aber der Meinung: Man kann ruhig auch scheitern, und dann kann man die nächste Idee nehmen und mit Hilfe der gemachten Erfahrungen einen neuen Anlauf wagen.

Vielen Dank und weiterhin Erfolg!

Das Interview führten Christin Kieling und Susann Huster am 1. September 2022.

  • Luana Cristina dos Santos Held hat von 2010 bis 2011 den Internationalen Trainerkurs an der Universität Leipzig absolviert, aktuell promoviert sie im Bereich Sport Management. 2021 gründete sie gemeinsam mit ihrem Ehemann »Brasilheroe« und führt damit eine lange Familientradition mit handgemachten und ökologisch hergestellten Sitzsäcken aus ihrer Heimat Brasilien in Leipzig fort.

    Chris Schmidt hat nach einem Informatik-Studium in Würzburg einen Informatik-Master in Leipzig durchlaufen. Mit Hilfe der Gründungsinitiative SMILE entwickelte er den Businessplan für sein Herzensprojekt Eye-Able – eine Assistenzsoftware für digitale Produkte. Das von ihm mitgegründete Software Start-Up Web Inclusion ermöglicht mehr Zugänglichkeit und digitale Teilhabe im Internet.

    Prof. Dr. Utz Dornberger ist Professor für Entwicklungsökonomie mit besonderem Schwerpunkt auf kleinen und mittleren Unternehmen und Direktor des Internationalen SEPT Kompetenzzentrums (SME Promotion and Training) an der Universität Leipzig. Seine beruflichen Schwerpunkte liegen in den Bereichen Innovationsmanagement in Klein- und Mittelunternehmen, Förderung von Entrepreneurship und den Internationalisierungsprozessen von Unternehmen. Daneben leitet er die Selbstmanagement-Initiative Leipzig (SMILE) – die Gründungsinitiative der Universität Leipzig.

Der Beitrag ist als erstes im Alumni-Magazin 2023 (PDF) der Universität Leipzig erschienen.

Das Mentoring-Programm der Universität Leipzig ist ein Angebot des Career Service und des Alumni-Netzwerks der Universität Leipzig.

Kommentare

  • Emily Cox,

    Es ist überaus schade, dass das Mentoring-Programm zwar für die Student*innen der Uni zur Verfügung steht, man aber als Auszubildende*r kategorisch davon ausgeschlossen wird. Während ich noch meine Ausbildung an der Uni absolviert habe, habe ich eine Anfrage dazu gestellt und wurde abgewiesen. Wenn man also wirklich Chancengleichheit gewährleisten will und mehr Menschen den Weg zum Gründen ebenen möchte, so sollte man auch den Azubis der Uni die Möglichkeit bieten an dem Mentoring-Programm teilzunehmen. Ich hätte diese Ressource gerne genutzt, da es als Auszubildende am Botanischen Garten eh keine Möglichkeit gibt, fest übernommen zu werden. Die 1-2 befristeten Facharbeiterjahre wären perfekt, um die Möglichkeit für dieses Programm auch den interessierten Azubis zu bieten.

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    • Susanne Benko,

      Liebe Frau Cox, wir haben uns sehr über Ihr Interesse an unserem Mentoringprogramm gefreut. Unser Programm fokussiert auf den Berufseinstieg mit einem Studium. Natürlich gibt es Überschneidungen bei den beruflichen Erfahrungen in den Bereichen Ausbildung und Studium, aber es gibt auch Unterschiede. Ein entscheidender Unterschied ist, dass viele Studiengänge kein konkretes Berufsbild nach dem Studium haben. Bei Ausbildungsberufen ist das anders. Daher wollen wir an dieser Stelle die Studierenden unterstützen, sich zu orientieren und ihren Weg mit Mentor:innen zu finden.

      Ihre Argumentation kann ich sehr gut nachvollziehen und finde es einen guten Aufhänger, den Bedarf an die Personalabteilung weiter zu tragen.

      Für den Bereich Gründen arbeiten wir im Mentoringprogramm übrigens mit der Gründungsinitiative SMILE zusammen. Deren Angebote können Sie als Auszubildende und/ oder Mitarbeiterin auch ganz unabhängig von unserem Programm kostenfrei nutzen: https://www.smile.uni-leipzig.de/.

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