Welche Erfahrungen haben Sie mit digitaler Lehre gemacht, bevor die Pandemie alle dazu gezwungen hat?
Michael Barton: Bis dahin war digitale Lehre vor allem dafür da, um Skripte, Informationen oder Literatur zur Verfügung zu stellen, meist im PDF-Format.
Thomas Rakebrand: Ich habe in der Regel die Präsentationen bei der Lernplattform Moodle eingestellt und Aufgaben an die Studierenden zur Nachbearbeitung. Das ist der „klassische“ Moodle-Kurs gewesen. Je nachdem, welche Art von Seminaren es sind, bietet sich das auch an. Zusatzmaterial als „nice to have“, wie ein Quiz oder anonyme Abstimmungen, die zum Seminarthema passen. Ein Semester vor der Pandemie dachte ich, ich mache wirklich mal ein Web-Format. Unser reformierter Bachelorstudiengang Kommunikations- und Medienwissenschaft bot formell an, Prüfungsleistungen online abzulegen. Die Studierenden haben Weblogs geschrieben. Und bei „Mediensystem und Medienwandel“ liegt solch ein Format auf der Hand. Das war ein Seminar für das erste Semester.
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"Immer und überall auf die Veranstaltung zugreifen zu können, klingt zunächst toll und war ein guter Servicegedanke. Aber meine Studierenden haben mir widergespiegelt, dass sie Interaktionen brauchen, live. Sie brauchen den Austausch, sie wollen und müssen miteinander reden."
Thomas Rakebrand
Wie waren Sie beide auf das Sommersemester 2020 vorbereitet, als von jetzt auf gleich die Lehre komplett digital stattfinden musste?
Barton: Ich bin völlig neu in das Semester gestartet. Ich wollte möglichst viele Informationen, die in Präsenz stattgefunden haben, digital stattfinden lassen. Meine Übungsveranstaltung habe ich zunächst asynchron, also on demand, abgehalten. Das heißt, ich habe immer zwei Videos parallel aufgezeichnet und übereinandergelegt. Ein Video von der Präsentation und ein Video von mir, wie ich die Präsentation halte. Anders als in der Präsenzveranstaltung können Studierende die Videos mehrmals anhören, wenn etwas nicht verstanden wurde. An einem festen Tag in der Woche hatten die Teilnehmenden wöchentlich ein neues Kapitel mit Videos und Aufgaben online gefunden, und sechs Tage später habe ich die Aufgabenlösungen kommentiert. Die Studierenden hatten die Wahl, die Aufgaben allein oder in Lerngruppen zu bearbeiten. Das erfolgte über Etherpads.
Rakebrand: Ich habe das ähnlich gemacht. Und erstmal war das Ziel, alles, was man in Präsenz geplant hatte, möglichst verlustfrei digital anzubieten, auch asynchron. Rückblickend muss ich sagen: Das hat nicht so richtig funktioniert. Auf der Hälfte der Strecke habe ich die Studierenden ein bisschen verloren. Immer und überall auf die Veranstaltung zugreifen zu können, klingt zunächst toll und war ein guter Servicegedanke. Aber meine Studierenden haben mir widergespiegelt, dass sie Interaktionen brauchen, live. Sie brauchen den Austausch, sie wollen und müssen miteinander reden. Und dann wurde es ein Mix aus synchronen Sprechstunden und asynchronen Veranstaltungen. Und ein Jahr später halte ich nur noch synchrone Veranstaltungen. Das ist eine ganz andere Motivation. Für mich war diese Umstellung von Präsenz auf Digital ein sehr großer Aufwand im Sommersemester 2020, jetzt hat sich das ein bisschen eingespielt.
Barton: Ich habe eine große Affinität zu IT und Digitalisierung und ich hatte sicher auch einen anderen Zugang zur digitalen Lehre. Ich hatte große Lust darauf. Mir hat es richtig Spaß gemacht, verschiedene Tools zu benutzen. Ich hatte voriges Jahr zwar auch Live-Sprechstunden, aber ich bin im Sommersemester 2020 mit asynchronen Veranstaltungen gut gefahren. Aber der direkte Live-Austausch fehlte auch den Studierenden und mir sehr. Inzwischen biete ich beides an: Für diejenigen, die eine Live-Veranstaltung lieber mögen, biete ich es live an, für diejenigen, die es lieber asynchron haben möchten, biete ich es asynchron an.
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"Gruppenaufgaben werden gemeinsam in Break-out-Rooms bearbeitet und im Anschluss den anderen Gruppen vorgestellt. Im Hörsaal würden vielleicht 80 Studierende in einer Lehrveranstaltung sitzen und 30 davon wären regelmäßig zur Übung gekommen. Online nehmen wöchentlich etwa 50 teil."
Michael Barton
Ist durch die digitale Lehre die Interaktivität stärker geworden? Und wie misst man eigentlich Erfolg?
Barton: Was ich leider digital nicht sehen kann ist, ob jemand begeistert schaut oder desinteressiert. Aber man kann bei Moodle verschiedene Kennzahlen abrufen, die jedoch oft nicht repräsentativ und aussagekräftig sind. Ich kann in Etherpads anhand verschiedener Farben, die dem jeweiligen Teilnehmenden zugeordnet sind, sehen, wie viele Personen eine Aufgabe bearbeiten. Je mehr Farben zu sehen sind, desto mehr arbeiten daran. Und bei Glossaren sehe ich an Hand der Zahl der Beiträge, wie viele sich daran beteiligen.
Rakebrand: An der Zahl der Teilnehmenden einer Veranstaltung kann ich nicht deren Motivation ablesen. Und selbst wenn sich jemand nicht immer aktiv in Seminarübungen einbringt, kann die Person ja durchaus aktiv zuhören und die Inhalte für sich reflektieren. Erfolg ist, ob das Lernziel erreicht ist. Und das lege ich vorher in meinem Konzept fest. Ich stelle am Ende jeder Sitzung eine Bilanzfrage: Wie gut kommen Sie mit? Die Umfrage ist anonym, weil nur so ehrliche Antworten kommen. Und dann gibt’s natürlich die Prüfungsleistung, an der ich erkennen kann, ob das Lernziel erreicht ist. Motivierend ist auch Gruppenarbeit, die Break out-Rooms, die ich während der Videokonferenzen einrichte, für etwa 30 Minuten.
Barton: Das nutze ich auch bei Live-Übungen. Gruppenaufgaben werden gemeinsam in Break-out-Rooms bearbeitet und im Anschluss den anderen Gruppen vorgestellt. Im Hörsaal würden vielleicht 80 Studierende in einer Lehrveranstaltung sitzen und 30 davon wären regelmäßig zur Übung gekommen. Online nehmen wöchentlich etwa 50 teil.
Rakebrand: Was Studierende bei mir nicht machen können, ist, ein Referat zu halten im klassischen Sinn. Präsentationen, ja. Sie sind da auch sehr kreativ und interaktiv. Aber es ist nicht unbedingt eine Powerpoint-Präsentation. Sie bauen zum Teil ein Quiz ein, fordern die Teilnehmenden zu Interaktionen auf und sind manchmal kreativer als die Dozierenden selbst. Also sie profitieren von digitaler Lehre und entwickeln sie sogar selbst weiter. Und davon können dann wir wiederum lernen.
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"Bei mir ist jedes Kapitel wie eine bunte Blumenwiese aus Lernelementen: Wir haben eine Blumenwiese aus digitalen Tools und die Studierenden können selbst entscheiden, welche Blume(n) sie pflücken. Sie können, müssen aber nicht jede Blume nehmen."
Michael Barton
Hat sich die Medienkompetenz bei Lehrenden und auch Studierenden in den vergangenen Monaten gesteigert?
Barton: Jeder hat neue Tools kennengelernt. Wichtig ist mir, niemanden zu überfordern, nur einen bestimmten Teil an Tools zu nutzen und nicht zwingend alles auszuprobieren. Das gibt Sicherheit. Immer mehr neue Tools im Laufe eines Semesters einzusetzen, führt eher zu Frust.
Rakebrand: Instrumentell hat die Kompetenz zugenommen, ja. Aber Medienkompetenz ganzheitlich betrachtet, strukturell, zum Beispiel beim Thema Datenschutz, das war Anfang Sommer 2020 ausbaufähig. Wir können nicht jedes Tool nutzen. Es gibt nur eine begrenzte Zahl an Videokonferenztools, und zwar die, die über die Uni-Server laufen. BigBlueButton oder Zoom zum Beispiel, aber mit einer Uni-Lizenz. Anderes dürfen wir nicht nutzen. Wir sind jetzt glaube ich soweit und haben auch die Strukturen dafür. Und den Studierenden müssen wir auch mitgeben, dass sie nicht über Google Drive arbeiten, sondern zum Datenaustausch die „Speicherwolke“ nutzen. Aber letztlich ist es ihre Entscheidung, wie sie das untereinander machen.
Wie lang sollte eine digitale Lehrveranstaltung sein? 90 Minuten? Oder 60? Oder anders gefragt: Wie sieht eine perfekte Lehrveranstaltung aus?
Barton: Einerseits können wir schon erwarten, dass Studierende sich die digitalen Veranstaltungen selbstständig so aufteilen, wie es ihnen zeitlich passt. Andererseits kann ich meine 90 Minuten auch in mehrere Blöcke oder Videos innerhalb eines Themas teilen. Mittlerweile nehme ich meinen Einleitungsmonolog als Video auf, das sich die Studierenden als Vorbereitung auf die Live-Veranstaltung anschauen sollen, wann es ihnen zeitlich passt. In der Live-Einheit gibt’s anschließend nur Interaktion, Gruppenarbeit und Austausch.
Rakebrand: Die Frage, ob wir analoge 90 Minuten in digitale 90 Minuten packen, hatten wir untereinander diskutiert. Oder ob wir Inhalte rausschmeißen und prüfen, was wirklich wichtig ist. Viele Studierende mussten erst einmal nachvollziehen, was so alles und wie es angeboten wird.
Barton: Bei mir ist jedes Kapitel wie eine bunte Blumenwiese aus Lernelementen: Wir haben eine Blumenwiese aus digitalen Tools und die Studierenden können selbst entscheiden, welche Blume(n) sie pflücken. Sie können, müssen aber nicht jede Blume nehmen. Die Studierenden übernehmen gegenseitig Verantwortung füreinander, dass jedes Lernelement von mindestens einer Person oder Gruppe bearbeitet wird. Die Bearbeitung ist für alle einsehbar und kann zudem ergänzt, vervollständigt und kommentiert werden.
Rakebrand: Gute Erfahrung habe ich auch mit dialogischer Lehre gemacht. Also nicht alles durchzuplanen, sondern den Studierenden etwas Raum zu lassen, das Seminarkonzept im Laufe des Semesters mitzubestimmen. Nach Rückmeldung mit Studierenden kann man auch etwas umstellen und sogar im Hinblick auf die Prüfungsleistungen Verabredungen treffen. Das funktioniert ganz gut, das kann man sich ruhig mal trauen.
Vielen Dank für das Gespräch!
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