Herr Professor Lenk, Sie sind seit über 30 Jahren an der Universität Leipzig, waren am Aufbau der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät beteiligt, haben den Neustart der Universität nach der Wende mitgestaltet. Geben Sie uns gern einen kurzen Einblick, wo Anfang der 1990er Jahre die besonderen Herausforderungen waren.
Als ich im Juli 1993 an die Uni Leipzig gekommen bin, war die Wirtschaftliche Fakultät noch nicht gegründet und ich habe die letzten Entscheidungen in der sogenannten „Integrationskommission“ live miterlebt. Da in die neu zu gründende Fakultät nicht nur die Wirtschaftswissenschaften der Karl-Marx-Uni, sondern auch die Handelshochschule Leipzig und Teile der TU Leipzig, der heutigen HTWK, integriert werden sollten, gab es sehr viel mehr Lehrende als mögliche Professorenstellen. Hinzu kamen die neuen Kolleg:innen aus dem Westen. Die Stimmung war entsprechend angespannt. Mit der Neugründung im Oktober 1993 begann die Arbeit, und ich wurde von den Volkswirten beauftragt, die Studien- und Prüfungsordnungen auszuarbeiten. Da die Professoren von verschiedensten Universitäten kamen, hatte jeder eine andere Vorstellung darüber, wie die Struktur der Studiengänge sein solle und was in die Ordnungen müsse und was nicht.
Aber es war auch eine Chance, wenn man etwas Neues schaffen kann?
Es war eine Riesenchance. In der Finanzwissenschaft wie auch in der VWL kam es damals zu einem Umbruch. Aus dem Dreiklang der Hauptfächer Volkswirtschaftspolitik, Wirtschaftstheorie und Finanzwissenschaft wurde vielerorts Mikro-, Makrotheorie und Empirie. Da aus meiner Sicht Finanzwissenschaft mehr ist, als nur eine Anwendung dieser drei Grundlagenfächer und insbesondere auch institutionelles Wissen und Grundkenntnisse im Finanzverfassungsrecht und den Finanzausgleichsgesetzen wichtig sind, konnte ich an unserer Universität eine eher anwendungsorientierte Finanzwissenschaft – auch in der Lehre – aufbauen und damit den Markenkern der Leipziger FiWi schaffen. Viele Absolvent:innen, die in Leipzig Finanzwissenschaft vertieft haben oder sogar bei uns promovierten, sind heute im Bundeskanzleramt, in Bundes- und Landes(Finanz-)ministerien oder auch in Rechnungshöfen zu finden. Unsere Absolvent:innen sind gerade in diesen Institutionen sehr gefragt.
Sie arbeiten in unterschiedlichen Gremien in der Politikberatung, unter anderem im unabhängigen Beirat des Stabilitätsrats …
Das stimmt, und es ist eine große Anerkennung, der stellvertretende Vorsitzende dieses gemeinsamen Gremiums von Bund und Ländern zu sein. Der Beirat wurde im Rahmen der Föderalismusreform II errichtet und ist in Artikel 109a Grundgesetz und im Stabilitätsratsgesetz verankert. Wir unterstützen den Stabilitätsrat bei der Überwachung der Einhaltung der europäischen Fiskalregeln und nehmen halbjährlich insbesondere zu der strukturellen gesamtstaatlichen Defizitobergrenze Stellung.
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