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Er hat den Neustart der Universität Leipzig nach der Wende miterlebt, lange Zeit die Geschicke der Moritzbastei mitbestimmt, Politik im Finanzsektor beraten, war elf Jahre lang Prorektor für Entwicklung und Transfer der Universität Leipzig – und hat mit Leidenschaft gelehrt. Nun, nach 31 Jahren, wird Prof. Dr. Thomas Lenk, Professor für Finanzwissenschaft, zum 30. September 2024 emeritiert. Im Gespräch mit dem Universitätsmagazin blickt Lenk auf eine Zeit zurück, die facettenreich und von Umbrüchen gekennzeichnet war und er sagt auch, welche Rolle eine Tapete in seiner Zeit als Prorektor spielte.

Herr Professor Lenk, Sie sind seit über 30 Jahren an der Universität Leipzig, waren am Aufbau der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät beteiligt, haben den Neustart der Universität nach der Wende mitgestaltet. Geben Sie uns gern einen kurzen Einblick, wo Anfang der 1990er Jahre die besonderen Herausforderungen waren.

Als ich im Juli 1993 an die Uni Leipzig gekommen bin, war die Wirtschaftliche Fakultät noch nicht gegründet und ich habe die letzten Entscheidungen in der sogenannten „Integrationskommission“ live miterlebt. Da in die neu zu gründende Fakultät nicht nur die Wirtschaftswissenschaften der Karl-Marx-Uni, sondern auch die Handelshochschule Leipzig und Teile der TU Leipzig, der heutigen HTWK, integriert werden sollten, gab es sehr viel mehr Lehrende als mögliche Professorenstellen. Hinzu kamen die neuen Kolleg:innen aus dem Westen. Die Stimmung war entsprechend angespannt. Mit der Neugründung im Oktober 1993 begann die Arbeit, und ich wurde von den Volkswirten beauftragt, die Studien- und Prüfungsordnungen auszuarbeiten. Da die Professoren von verschiedensten Universitäten kamen, hatte jeder eine andere Vorstellung darüber, wie die Struktur der Studiengänge sein solle und was in die Ordnungen müsse und was nicht. 

Aber es war auch eine Chance, wenn man etwas Neues schaffen kann?

Es war eine Riesenchance. In der Finanzwissenschaft wie auch in der VWL kam es damals zu einem Umbruch. Aus dem Dreiklang der Hauptfächer Volkswirtschaftspolitik, Wirtschaftstheorie und Finanzwissenschaft wurde vielerorts Mikro-, Makrotheorie und Empirie. Da aus meiner Sicht Finanzwissenschaft mehr ist, als nur eine Anwendung dieser drei Grundlagenfächer und insbesondere auch institutionelles Wissen und Grundkenntnisse im Finanzverfassungsrecht und den Finanzausgleichsgesetzen wichtig sind, konnte ich an unserer Universität eine eher anwendungsorientierte Finanzwissenschaft – auch in der Lehre – aufbauen und damit den Markenkern der Leipziger FiWi schaffen. Viele Absolvent:innen, die in Leipzig Finanzwissenschaft vertieft haben oder sogar bei uns promovierten, sind heute im Bundeskanzleramt, in Bundes- und Landes(Finanz-)ministerien oder auch in Rechnungshöfen zu finden. Unsere Absolvent:innen sind gerade in diesen Institutionen sehr gefragt. 

Sie arbeiten in unterschiedlichen Gremien in der Politikberatung, unter anderem im unabhängigen Beirat des Stabilitätsrats …

Das stimmt, und es ist eine große Anerkennung, der stellvertretende Vorsitzende dieses gemeinsamen Gremiums von Bund und Ländern zu sein. Der Beirat wurde im Rahmen der Föderalismusreform II errichtet und ist in Artikel 109a Grundgesetz und im Stabilitätsratsgesetz verankert. Wir unterstützen den Stabilitätsrat bei der Überwachung der Einhaltung der europäischen Fiskalregeln und nehmen halbjährlich insbesondere zu der strukturellen gesamtstaatlichen Defizitobergrenze Stellung.

Es scheint gelungen zu sein, eine „Marke“ aufzubauen, die hoffentlich erhalten und weiter ausgebaut wird.

Prof. Dr. Thomas Lenk

Forscher zu sein in einem Fachgebiet, in dem man nicht nur wissenschaftlich veröffentlicht, sondern tatsächlich auch gesellschaftlich etwas damit bewirken kann, macht Ihnen besonders Freude? 

In der Wissenschaft wird gerade auch bei Berufungen darauf geachtet, wie viel, was und wo man veröffentlicht hat: Gefragt wird nach dem Impact Factor. Als junger Mann habe ich versucht, sowohl die Veröffentlichungsschiene zu bedienen als auch als Politikberater wahrgenommen zu werden. Aber mit nationalen beziehungsweise auch regionalen wichtigen Fragestellungen kommt man schwer in internationale Journals. Da gerade in den 90er Jahren mit der Integration der neuen Länder in den Länderfinanzausgleich sowie Themen wie der Solidarpakt I und II auf der Agenda standen, entschied ich mich, meinen Schwerpunkt auf die angewandte Forschung und Politikberatung zu legen. Insbesondere regionale Verteilungsfragen standen dabei lange im Vordergrund. 

Mit der Zeit kamen zu den Verteilungsfragen auf Länderebene die Kommunalfinanzen hinzu. So verfassen wir seit über 20 Jahren den sächsischen Gemeindefinanzbericht und haben insbesondere deutschlandweit viele Gutachten zu kommunalen Finanzausgleichssystemen erarbeitet. Mehrere Studien im Bereich der öffentlichen Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge komplettieren die Expertise, die meine Mitarbeiter:innen und ich über die Jahre aufgebaut haben. Der Forschungs- und Beratungsbedarf war und ist enorm. Entsprechend hat sich die Leipziger Finanzwissenschaft auch weiterentwickelt und arbeitet nun mit den Professuren Public Management und Health Economics and Management zusammen. Zudem haben wir das Kompetenzzentrum für öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge sowie das Kompetenzzentrum für kommunale Infrastruktur Sachsen aufgebaut und haben die 1973 gegründete Schriftenreihe für öffentliche Verwaltung und öffentliche Wirtschaft übernehmen können und haben die Gründung des Jahrbuchs für öffentliche Finanzen vor 15 Jahren initiiert und maßgeblich mitgestaltet. Letzteres gehört inzwischen zu den Standardwerken im Bereich der öffentlichen Finanzen. Damit haben wir die Wahrnehmung der Leipziger Finanzwissenschaft nochmals deutlich gesteigert. Vor diesem Hintergrund hat sich die Landesregierung entschieden, an der Universität Leipzig eine zweite Finanzwissenschaftsprofessur mit der Denomination „Angewandte Finanzwissenschaft“ einzurichten, was mich sehr freut.

Der gesellschaftliche Impact der Leipziger Finanzwissenschaft spiegelt sich neben den Veröffentlichungen insbesondere in den Milliarden Euro wider, die pro Jahr in Deutschland auch auf der Grundlage unserer zum Teil unveröffentlichten Gutachten und Studien umverteilt werden. Das positive Feeback zur Leipziger Finanzwissenschaft auf dem Symposium und die Übergabe einer sehr lesenswerten Festschrift mit sehr renommierten Autoren im letzten Jahr zeigt die große Anerkennung unserer Arbeit auf Bundes-, Landes und kommunaler Ebene und hat mich sehr bewegt. Es scheint gelungen zu sein, eine „Marke“ aufzubauen, die hoffentlich erhalten und weiter ausgebaut wird.

Zu sehen ist eine Porträtaufnahme von Prof. Dr. Thomas Lenk

Ich bin der festen Überzeugung, dass die Hochschulen zukünftig viel mehr als bisher für den Transfer der gewonnenen Erkenntnisse in Gesellschaft und Politik tun müssen.

Prof. Dr. Thomas Lenk

Elf Jahre lang, von 2011 bis 2022, waren Sie Prorektor für Entwicklung und Transfer – und damit der am längsten amtierende Prorektor der Uni-Geschichte. Viel Zeit zum Einarbeiten blieb Ihnen nicht. Was waren die größten Herausforderungen?

Wir, das Rektorat um Frau Prof. Schücking, waren kaum im Amt, als es seitens des Freistaates hieß, unsere Universität müsse Stellen in Größenordnungen abbauen, ein Prozent pro Jahr. Das klingt erstmal wenig, aber das muss man ja erst mal hinkriegen und das hätte für die erste Amtszeit in Summe fünf Prozent und für zwei Amtszeiten zehn Prozent bedeutet. Und vergessen Sie nicht: Die Universität hatte seit der Neuaufstellung in 1993/94 bereits mehrere Kürzungsrunden durchlaufen. Die Personaldecke war absolut ausgedünnt – bei trotzdem permanent steigenden Aufgaben. Jedem war klar, dass vieles eher noch ausgebaut werden müsste, statt eingespart. Wir haben auch Bedarfe gesehen, die bisher wenig Beachtung fanden, zum Beispiel in meiner Zuständigkeit besonders im Bereich Transfer. Und dann stellte der Freistaat fest, dass ihm tausende Lehrerinnen und Lehrer in naher Zukunft fehlen würden und die Universität Leipzig im Bereich der Lehrkräftebildung das Angebot deutlich ausbauen müsste. Eine „traumhafte“ Ausgangslage für jedes Rektorat. 

Damit hatten wir also einen Stellenabbau umzusetzen und eine riesige Strukturaufgabe vor uns, die es auch strukturiert anzugehen galt. Im öffentlichen Dienst betrieblich zu kündigen, geht bekanntlich nicht – und das will man auch nicht. Entstanden ist daher die sogenannte „Lenk-Tapete“. Dies war ein Entscheidungsbaum, den meine Mitarbeiter – Herr Baumert und Herr Lauke – und ich aus Platzgründen tatsächlich auf eine Tapete aufgezeichnet haben; am Ende war er rund zwei Meter lang. Es war ein äußerst komplexer Vorgang und wir mussten viel abwägen, um am Ende Vorschläge vorlegen zu können, die das Rektorat überzeugten und im Senat bestehen konnten. Und aus der Politik hieß es: Wir sollten Stellen abbauen, aber wenn es geht, natürlich alles erhalten. Eine sehr schwierige Zeit, aber das Rektorat hat viel Kraft investiert, um die Vielfalt unserer Fächer zu erhalten - insbesondere in der Theaterwissenschaft, Pharmazie oder auch der Archäologie drohte ja eine komplette Abschaffung. … Von heute aus gesehen mussten wir in der ersten Phase unseres Rektorats 101 Stellen abbauen, um dann in der zweiten Phase im Rahmen des Zukunftsvertrages eine Erhöhung des Personaletats in einem Gegenwert von rund 320 Stellen zu verhandeln und letztendlich auch zu bekommen. Das zeigt auch, wie abhängig wir von den wissenschaftspolitischen Rahmenbedingungen sind. Hier braucht es eine gesunde Balance aus Verlässlichkeit und Erneuerungsfähigkeit, um die Universitäten nicht zu überfordern.

Viel Energie haben wir auch in den Aufbau von Transferstrukturen und in die Transferstrategie der Universität Leipzig gesteckt. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Hochschulen zukünftig vielmehr als bisher für den Transfer der gewonnenen Erkenntnisse in Gesellschaft und Politik tun müssen. Aus dem Zweiklang „Forschung und Lehre“ ist längst ein Dreiklang „Forschung/Lehre/Transfer“ geworden. Unsere Welt ist von tiefgreifenden Transformationen erfasst, die viele Bereiche des Lebens und auch die Wissenschaft selbst unmittelbar betreffen. Einige Transformationen wie zum Beispiel diejenige in der chemischen Industrie passieren gerade genau vor unserer Haustür. Volluniversitäten wie unsere Alma mater Lipsiensis können mit ihrer breiten und reichen Expertise eine zentrale Rolle als Begleiterinnen und Treiberinnen des notwendigen Wandels einnehmen. Ich bin überzeugt, dass gerade in der gesellschaftlichen Mission viele Chancen für die Profilierung unserer Universität liegen.

zur Vergrößerungsansicht des Bildes: Zu sehen ist Thomas Lenk als DJ in einer Disko an den Turntables.
Prof. Dr. Thomas Lenk in Aktion als DJ im Rahmen der Veranstaltungsreihe "My Prof is a DJ" im Jahr 2011 im damaligen Kosmos-Haus. Foto: privat

Kultur spielt auch eine Rolle in Ihrer Zeit an unserer Universität. Unter anderem haben Sie sich an Turntables probiert, bei „My Prof is my DJ“. Mussten Sie sich da stark einfuchsen? 

In die Technik ja, in die Musik nein. Ich hatte als Jugendlicher gerne auf Partys Platten aufgelegt, allerdings nichts mit großer Technik. Es gab Plattenspieler und einen Kassettenrekorder, das musste damals reichen. Als 2011 ein ehemaliger Student auf die Idee kam, in Leipzig eine Veranstaltungsreihe „My Prof is my DJ“ zu beginnen und gesagt hat: „Sie sind doch beliebt, wenn wir Sie als erstes bekommen könnten, wäre das super“ –  habe ich ganz naiv „Ja“ gesagt. Schnell bekam ich dann aber Zweifel, ob „meine“ Musik aus den 70er und 80er Jahren gut ankommen würde. 1.300 Karten wurden für die Veranstaltung im Kosmos-Haus in der Gottschedstraße verkauft – und es wurde von Anfang an getanzt und wir hatten richtig Spaß. 

Sie waren 30 Jahre lang, seit 1994, Kuratoriumsvorsitzender der Moritzbastei, ein Platz für studentische Kultur. Was war Ihr Antrieb? 

In einer der ersten Fakultätsratssitzungen 1993/94 war auch der damalige Prorektor Wartenberg anwesend und erkundigte sich, ob jemand in der neu zu gründenden Stiftung Moritzbastei im Kuratorium mitarbeiten wolle. Er suche noch jemanden der jung ist, der rechnen kann und am besten auch Selbstverteidigung beherrscht. Alle schauten auf mich und so bin ich Kurator der Moritzbastei geworden und wurde in der konstituierenden Sitzung zum Vorsitzenden gewählt. Ich habe dieses Amt über 30 Jahre sehr gerne wahrgenommen und bin ein wenig stolz darauf, dass die Moritzbastei trotz einiger Turbulenzen immer noch zu den TOP-Ten-Locations in Leipzig zählt. Schließlich hat sich das Umfeld enorm geändert. In den 90er Jahren war eine Party gut besucht, wenn 1.000 bis 2.000 Leute in der MB waren und das zwei-, dreimal die Woche. Die MB hat gebrummt, auch weil es damals kaum Konkurrenz gab. Es gab in den 30 Jahren viele Herausforderungen: Brand- und Lärmschutz, Gesundheitsamt, Versorgungsleitungen, barrierefreier Zugang und vieles mehr. Es steckt viel Arbeit drin, die MB am Laufen zu halten, satzungsgemäß zu studentischen Preisen, und ein anständiges Angebot hinzubekommen und quer zu subventionieren. Die beste Anerkennung ist, dass der Laden läuft. Dafür mein allerherzlichster Dank an alle, die sich in der MB engagieren. 

Welches Fazit ziehen Sie für sich über Ihre Zeit an der Universität?

Die Zeit an der Universität Leipzig war für mich erfüllend, sinnstiftend. Es hat mir immer sehr viel Spaß gemacht, Wissen zu vermitteln. Das Feedback der Studierenden war mir wichtig und hat mir gezeigt, wie wichtig gute Lehre ist. … und ja, strategische Überlegungen anzustellen und die Chance zu haben, einen Teil davon auch umzusetzen, sei es an der Uni, sei es in Leipzig oder anderen Kommunen, sei es in Sachsen oder anderen Bundesländern oder auf Bundesebene hat mir Spaß gemacht und mich immer wieder herausgefordert und motiviert.

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