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In den kommenden zwei Jahren sollen im Rahmen des vom Bund geförderten Tenure Track Programm zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses (WISNA) an der Universität insgesamt 22 Juniorprofessuren im Tenure Track eingerichtet werden. Die erste Juniorprofessorin im Rahmen dieses Programms ist Dr. Nina Simon, die zum 1. April am Herder-Institut berufen wurde und perspektivisch Nachfolgerin von Prof. Dr. Claus Altmayer sein wird. Das Leipziger Universitätsmagazin hat mit beiden über Chancen und Risiken einer Juniorprofessur im Tenure Track-Verfahren und ihre persönlichen Biografien gesprochen. Professor Altmayer ist geschäftsführender Leiter des Herder-Instituts und war bis 2014 Prorektor für Bildung und Internationales an unserer Universität.

Herr Prof. Altmayer, Sie sind Professor für „Deutsch als Fremdsprache mit dem Schwerpunkt Kulturstudien und ihre Didaktik“ am Herder-Institut. Frau JP Dr. Simon, Sie sind seit diesem Semester Juniorprofessorin für „Deutsch als Fremd- und Zweitsprache mit dem Schwerpunkt Kulturstudien“. Thematisch scheinen sich Ihre Themengebiete sehr stark zu ähneln. Warum gibt es jetzt gleich zwei Professuren im selben bzw. sehr ähnlichen Fachgebiet?

Altmayer: In der Zeit, als die Bewerbung der Universität Leipzig für die Teilnahme am durch das BMBF geförderten Bund-Länder-Programms WISNA Formen annahm und das Rektorat die Fakultäten und Institute gefragt hat, inwiefern sie sich daran beteiligen wollen und welche Professuren für die Teilnahme an diesem Leipzig Tenure Track Programm geeignet wären, haben wir innerhalb unseres Instituts konkret zwei Professuren benannt, bei der in absehbarer Zeit die aktuellen Professur-Inhaber ausscheiden. Wir haben entschieden, dass meine dafür geeignet ist, auch im Hinblick auf die Gewinnung wissenschaftlichen Nachwuchses. In meinem Fachbereich gibt es derzeit kaum Wissenschaftler:innen, die für eine W2- oder W3-Professur hinreichend qualifiziert wären, da dieser spezielle Fachbereich ein Alleinstellungsmerkmal der Universität Leipzig im deutschsprachigen Raum ist. In der Regel ist wissenschaftlicher Nachwuchs in diesem Bereich fast nur bei uns ausgebildet worden. Es hätte also schwierig werden können, meine Professur über den herkömmlichen Weg nachzubesetzen. Der Weg über eine TT-Professur scheint uns der geeignetste, um innerhalb der kommenden fünf bis sechs Jahre jüngere Kräfte in diesen Bereich einzuführen.

Frau JP Dr. Simon, können Sie umschreiben, wie sich Ihr wissenschaftlicher Karriereplan in den vergangenen Monaten entwickelt hat?

Simon: Ich wurde dieses Jahr im Januar promoviert und war bis September letzten Jahres als wissenschaftliche Mitarbeiterin auf einer halben Stelle an einer Universität beschäftigt, im Anschluss daran habe ich ein halbes Jahr lang an einer Schule als Lehrerin gearbeitet. Die Wahrscheinlichkeit, direkt im Anschluss an die Promotion eine geeignete Stelle an einer Universität zu finden, ist nicht sehr groß und ich hatte nicht damit gerechnet, dass es bei mir so schnell mit einem Ruf klappt.

Ihr Wunsch war eine Professur, aber für Sie war nicht klar, auf welchem Weg Sie dahin kommen?

Simon: Doch, klar ist mir durchaus gewesen, welche unterschiedlichen Wege zu einer Professur führen, nur ist die Wahrscheinlichkeit, dass es klappt, eben nicht besonders hoch. Es ist meist auch ein langer Weg zu einem Ziel, das viele dann doch nicht erreichen werden, trotz zunehmender Tenure Track-Professuren. Wenn jemand bis Mitte/Ende 40 warten muss, ob sich ihr bzw. sein Traum von einer Professur überhaupt erfüllt, dann ist es häufig so, dass der Gang in die Wirtschaft deutlich attraktiver ist, in den Naturwissenschaften zum Beispiel. Damit gehen dann allerdings viele gute Köpfe für die Hochschulen verloren.

 

  • "Ich hatte bereits vier Kinder, bevor ich berufen wurde und habe privat viel riskiert. Ich habe eine Zeit lang unter der Perspektive gelebt: C4 oder Hartz IV."
    Prof. Dr. Claus Altmayer

 

Altmayer: Ich war 48, bis ich eine klare und sichere berufliche Perspektive hatte, nämlich diese Professur hier in Leipzig. Es war damals nicht absehbar, dass die Universität Leipzig oder eine andere Universität genau eine solche Professur ausschreiben würde. Es gibt nur noch eine ähnliche Professur in Deutschland und das zeigt, wie eng der Flaschenhals ist. Es ist nicht die Lösung des Problems, aber TT ist ein Beitrag zur Lösung, weil es Nachwuchswissenschaftler:innen eine Perspektive gibt. Es ist keine absolute Sicherheit, da es eine Professur auf „Bewährung“ ist, aber es ist eine klare Perspektive.

Ich hatte habilitiert ohne eine klare Perspektive, nur mit der Hoffnung, dass ich ein Thema habe, bei dem ich der Meinung war, dass es das mal als Professur geben wird. Und diese Hoffnung hat sich dann auch erfüllt. Aber ich kenne sehr viele Leute, die habilitiert haben und keine Perspektive auf eine Professur haben und dieses Glück nicht hatten. Ich hatte bereits vier Kinder, bevor ich berufen wurde und habe privat viel riskiert. Ich habe eine Zeit lang unter der Perspektive gelebt: C4 oder Hartz IV. Das ist bis heute vor allem bei Geisteswissenschaftler:innen die Realität. Und ich kann Menschen verstehen, die nicht das Risiko eingehen wollen, mit Mitte/Ende 40 auf der Straße zu stehen und stattdessen lieber in die Wirtschaft gehen. Aber in den Geisteswissenschaften gibt es auch diese Perspektive eher selten, im Unterschied zu beispielsweise Natur- oder Wirtschaftswissenschaften.

 

  • "Es gibt Menschen, die viel Potential haben, aber mit den Hierarchien im deutschen Hochschulsystem nicht zurechtkommen oder nicht zurechtkommen wollen."
    JP Dr. Nina Simon

 

Simon: Eine nicht unerhebliche Anzahl beschließt aus diesen Gründen bereits während ihrer Promotion, dass ihre akademische Laufbahn danach zu Ende sein soll, weil sie eine Fünftagewoche haben wollen, ein Wochenende, weil sie eine Familie gründen wollen und/oder weil sie  eine unbefristete Stelle haben möchten. Und sicher gibt es unter Promovierenden auch welche, die den Doktortitel haben wollen, weil er vielleicht dabei hilft, eine attraktive Stelle außerhalb der Universität zu bekommen. Aber es gibt auch sehr viele, die für ihr Fachgebiet brennen, allerdings eben nicht um jeden Preis. Und es gibt Menschen, die viel Potential haben, aber mit den Hierarchien im deutschen Hochschulsystem nicht zurechtkommen oder nicht zurechtkommen wollen. Mit Anfang/Mitte 30 kann ich in einem anderen Kontext bereits eine Leitungsfunktion innehaben, nicht aber im deutschen Hochschulsystem.

Wir haben bisher viel über die Vorteile eines TT gesprochen. Gibt es auch Nachteile?

Altmayer: Zunächst einmal ist es eine Herunterstufung der Professur, schon allein wegen des „JP“ als Titel und dann auch bei der Einstufung in W1. Und momentan gibt es den Trend, dass auch andere, also z.B. W2-Professuren, zunächst mit Tenure Track versehen, also erst mal befristet werden. Das kann in manchen Fällen hilfreich sein, weil es eher Nachwuchswissenschaftler:innen eine größere Chance gibt, aber es kann das Feld der Bewerber:innen auch stark einschränken. Aber insgesamt überwiegen für mich die Vorteile.

Wie bewerten Sie das TT-Verfahren, das Vereinbaren von Zielvereinbarungen und die zwischenzeitliche Bewertung, ob diese erfüllt wurden?

Simon: Zielvereinbarungen bei Antritt der Professur festzulegen, die für beide Seiten bindend sind und objektiv evaluiert werden können, finde ich wichtig. Die Bewertung ist somit keine Willkür und bietet eine Sicherheit, da das Verfahren auf dem Weg zu einer Entfristung transparent ist.

 

  • "Die Juniorprofessur muss so ausgestaltet sein, dass wir davon ausgehen können, dass bei Erreichen der vereinbarten Ziele dieselbe Qualifikation erreicht wird wie durch eine Habilitation."
    Prof. Dr. Claus Altmayer

 

Herr Prof. Altmayer, können Sie verstehen, wenn es hin und wieder noch Vorbehalte gegenüber dem TT-Verfahren gibt?

Altmayer: Ich kann Kolleg:innen verstehen, die hier eine nachhaltige Minderung von Wertschätzung und Qualität wissenschaftlicher Arbeit befürchten. Daher geht es aus meiner Sicht eher um die Frage, ob die Leistung eines fünfjährigen Tenure Track ausreicht, um die damit erworbene wissenschaftliche Qualifikation mit der einer Habilitation vergleichen zu können und ob dies einen Ersatz für eine Habilitation darstellt. Ich kenne viele Fälle von Juniorprofessor:innen ohne Tenure Track, die nebenher noch habilitieren. Von manchen wird es sogar erwartet. Man bewirbt sich also nach dem Ende der Juniorprofessur und wird gefragt: Wo ist die Habilitation? Das stellt das Anliegen und den Grundgedanken der Juniorprofessur völlig auf den Kopf, denn genau das sollte ja verhindert werden. Die Juniorprofessur muss so ausgestaltet sein, dass wir davon ausgehen können, dass bei Erreichen der vereinbarten Ziele dieselbe Qualifikation erreicht wird wie durch eine Habilitation. Und ich würde noch weiter gehen: Die Habilitation allein ist manchmal vielleicht auch ein bisschen ein Fetisch, weil man sich jahrelang nur um seine Habilitation kümmert und beispielsweise keine Lehrerfahrung macht. Mit einer Juniorprofessur hat man die Lehrerfahrung. Und es kann nicht sein, dass jemand, der habilitiert wurde, bevorzugt wird gegenüber jemandem, der eine Juniorprofessur durchlaufen hat. Wir sollten deshalb dafür plädieren, dass das neue Verfahren als eines wahrgenommen wird, das sogar besser ist als das herkömmliche, weil es mehrere Aspekte abdeckt, die durch das bisherige nicht abgedeckt werden.

In der Berufungsvereinbarung zu einer TT-Professur ist Lehre ein Aspekt, außerdem die Publikation von Forschungsergebnissen. Ein weiterer ist das Einwerben von Drittmitteln, was vollkommen selbstverständlich auch bei der Berufung von Professuren erwartet wird. Aber woher ich diese Erfahrungen nehme, interessiert kaum. Und da ist eine Juniorprofessur deutlich im Vorteil hinsichtlich der sich anschließenden akademischen Laufbahn, der beruflichen und damit auch der privaten Perspektiven. Ich meine allerdings auch, dass der Weg zur Professur über die Habilitation in einigen Fächern auch künftig noch seine Berechtigung haben kann.

Vielen Dank für das Gespräch!

JP Dr. Nina Simon im Portrait

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