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So kann interfakultäre Zusammenarbeit zwischen der Philologie und den Lebenswissenschaften funktionieren: Juniorprofessorin Julia Fuchs (Germanistik) und ihre Studierenden haben im Sommersemester 2023 eine standardsprachliche Broschüre des Botanischen Gartens in Leichte Sprache übertragen. Nun ist die Broschüre als PDF frei verfügbar und macht Menschen mit Lernschwierigkeiten oder auch geringen Deutschkompetenzen den Botanischen Garten der Universität Leipzig kommunikativ barrierefrei zugänglich.

Wie Sprachen und Naturwissenschaften produktiv zusammenwirken können, zeigt ein Projekt aus dem Sommersemester 2023 besonders eindrucksvoll: Julia Fuchs, seit Juni 2022 Juniorprofessorin für Germanistische Linguistik mit Schwerpunkt Pragmatik, und Rolf A. Engelmann, verantwortlich für den Bereich Transfer im Botanischen Garten der Universität Leipzig, haben gemeinsam überlegt, wie ein Besuch des Botanischen Gartens inklusiver gestaltet werden kann.

Herausgekommen ist dabei eine Broschüre, die Fuchs zusammen mit etwa 35 Studierenden (B. A. Germanistik, Lehramt Deutsch) übersetzt hat – allerdings nicht etwa in Englisch, Französisch oder Arabisch. „Die Broschüre zum Kuriositätenpfad ist in der deutschen Standardsprache verfasst“, erklärt Julia Fuchs vom Institut für Germanistik. „In der Übung haben wir diese Broschüre dann in Leichte Sprache übertragen.“

Leichte Sprache bedeutet, dass Texte so gestaltet und formuliert werden, dass auch Menschen mit Einschränkungen beim Lesen und Verstehen sie gut erfassen können. Das betrifft beispielsweise Menschen mit Lernschwierigkeiten, aber auch Menschen, die allgemein nicht gut lesen können, oder Personen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. „Mit der Broschüre wollen wir bewusst eine breite Zielgruppe ansprechen“, betont Fuchs. „Leichte Sprache kann dabei als Brücke hin zur Standardsprache fungieren und hoffentlich mehr Personen dazu ermuntern, den Botanischen Garten zu erkunden“, ergänzt Rolf A. Engelmann und ist begeistert über das Ergebnis dieser internen universitären Zusammenarbeit.

Leichte Sprache – leicht zu verstehen, aber auch leicht zu schreiben?

Wer nun denkt, dass es doch nicht so schwierig sein kann, einfach leicht zu schreiben, der irrt sich sehr. Leichte Sprache folgt nämlich einer Vielzahl an bestimmten Regeln:

  • Jeder Satz enthält nur eine Aussage.
  • Nebensätze oder Kommas gibt es nicht.
  • Leichte Sprache nutzt einfache Wörter.
  • Bekannte Wörter sind besser als Fachausdrücke.
  • Leichte Sprache vermeidet bildhafte Sprache.

Da Nebensätze nicht erlaubt sind und Leichte Sprache auch koordinative Strukturen (beispielsweise „und“ oder Aufzählungen, die mit Komma getrennt werden) vermeidet, werden stattdessen meist Listen genutzt – genau so, wie im vorherigen Absatz die Regeln angegeben wurden.

Für Julia Fuchs und ihre Studierenden hieß das, dass sie sich mit ihrer Textgrundlage – also der Broschüre – intensiv und auf mehreren Ebenen beschäftigen mussten. „Zuerst war es wichtig, dass wir aus dem Originaltext alle relevanten Informationen herausgeschrieben haben“, erklärt Fuchs. Außerdem musste gekürzt werden: Von den 15 Pflanzen, die der Kuriositätenpfad umfasst, hat der Kurs zehn ausgesucht, damit die Broschüre nicht zu umfangreich wird und somit für einen Besuch im Botanischen Garten genutzt werden kann. Die Wahl fiel auf Pflanzen mit eher sprechenden Namen, wie beispielsweise der Teufelskralle oder dem Drachenbaum.

Was macht leichte Sätze und leichte Wörter aus?

Als erste sprachwissenschaftliche Ebene wurde im Kurs der Satzbauu des Originaltextes untersucht. Da in Leichter Sprache keine Nebensätze erlaubt sind, war klar, dass die schon vorhandenen komplexen Sätze nicht einfach übernommen werden konnten. Stattdessen galt es, die Bedeutung komplexer Sätze in mehreren Einzelsätzen wiederzugeben: „Auch im Alltag benutzen wir häufig kausale Sätze wie: ‚Ich gehe heute nicht schwimmen, weil es regnet.‘ Das funktioniert in Leichter Sprache allerdings nicht“, berichtet Fuchs. „Stattdessen müssen daraus zwei Hauptsätze werden, die weiterhin alle wichtigen Informationen und vor allem die Bedeutung des Wortes „weil“ enthalten. Ein Beispiel: ‚Heute regnet es. Deshalb gehe ich nicht schwimmen.‘“

Anschließend betrachtete der Kurs die lexikalische Ebene, also das Wort beziehungsweisedie jeweilige Wortwahl an sich. „Gemeinsam haben wir überlegt und diskutiert, wie sich Wörter vereinfachen lassen und was genau ein Wort eigentlich zu einem leichten Wort macht“, so Julia Fuchs. Die Sprachwissenschaft hat hierfür einige Antworten bereit, so spielen etwa die allgemeine Gebrauchsfrequenz, die stilistische Neutralität wie auch die Medienneutralität eine Rolle.

Julia Fuchs erklärt, was das konkret bedeutet: „Wenn wir uns auf eine Prüfung vorbereiten, nutzen die meisten Menschen das Verb „lernen“, es hat also eine hohe Gebrauchsfrequenz. Wir könnten auch „pauken“ oder „büffeln“ sagen; beides kommt jedoch im Vergleich nicht so häufig vor und gilt somit als schwierigeres Wort.“ Gleichzeitig ist „lernen“ stilistisch neutral, hat also keinen abwerten Beigeschmack und wird sowohl mündlich als auch schriftlich verwendet.

Beim Übersetzen vom Standarddeutsch in Leichte Sprache ist es daher wichtig, auf neutrale und gut zu verstehende Wörter zurückzugreifen. Außerdem spielt die Bebilderung des Textes in Leichter Sprache eine große Rolle. So können wichtige Informationen besser transportiert und erklärt werden. In der Broschüre wird beispielsweise immer dann ein eigens entwickeltes Symbol (eine stilisierte Person mit erhobenem Zeigefinger) verwendet, wenn erklärt wird, wie die Eigenschaften einer Pflanze von der Menschheit übernommen und weiterentwickelt wurden, zum Beispiel. der Lotoseffekt der Lotospflanze.

Von der Idee zur Umsetzung mithilfe vieler Beteiligten

Dass der Besuch des Botanischen Gartens nun inklusiver gestaltet werden kann, ist einer Vielzahl an beteiligten Personen zu verdanken. Die Übersetzung der originalen Broschüre hat Fuchs und ihre Studierenden das ganze Sommersemester 2023 über beschäftigt. Bereits vorher haben sich die Juniorprofessorin und Rolf A. Engelmann besprochen. Über die universitäre Stabsstelle Chancengleichheit, Diversität und Familie konnten Mittel des Freistaates Sachsen für die barrierefreie Einrichtung der Leichte-Sprache-Broschüre als PDF-Dokument sowie den Druck von 500 Exemplaren durch das Zentrum für barrierefreies Lesen eingeworben werden. Außerdem wurde der übersetzte Text zweifach Korrektur gelesen: Rolf A. Engelmann hat dabei den Inhalt überprüft, Julia Fuchs hat darauf geachtet, dass die Regeln für Leichte Sprache konsequent eingehalten werden.

Die Arbeit und Mühe haben sich gelohnt: Mittlerweile ist die Broschüre in Leichter Sprache als barrierefreies PDF-Dokument auf der Webseite des Botanischen Gartens frei zugänglich, bis Ende des Jahres sollen auch die gedruckten Exemplare fertig sein und im Botanischen Garten ausliegen.

Julia Fuchs plant währenddessen bereits das nächste Vorhaben. Auch im Wintersemester 2023/24 kooperiert sie mit einem universitären Partner, diesmal mit dem Ägyptischen Museum, und möchte erneut Texte in Leichter Sprache verfügbar machen, um ein breiteres Publikum ansprechen zu können.

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