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Dietrich Raue nennt es das „typisch Leipziger Phänomen“: An irgendeinem Tag lernt man irgendjemanden kennen, und schon eine Woche später denken er und seine neue Bekanntschaft über eine gemeinsame Ausstellung oder eine gemeinsame Lehrveranstaltung nach. So war das auch bei der neuen Sonderausstellung "Hieroglyphen – der alte und der neue Weg zur alten Weisheit 200 Jahre nach ihrer Entzifferung" im Ägyptischen Museum – Georg Steindorff, die am Donnerstagabend (14. Juli) eröffnet wird. Es ist die letzte Schau unter der Führung von Kustos Dr. Raue, der ab Oktober als Direktor der Kairoer Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts arbeiten wird.

Entstanden sei die Idee zu der Schau, an der auch die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig mitgewirkt hat, bei einem Gespräch im Leipziger Museum für Druckkunst. Dort lagerte eine sehr alte Hieroglyphenschrift, die mit großem Aufwand restauriert wurde. Man beschloss, zwei Parallelausstellungen zu den faszinierenden, geheimnisvollen Schriften zu gestalten – eine im Museum für Druckkunst, die andere im Ägyptischen Museum der Universität. Letztere erzählt unter anderem von dem langem Ringen eines jungen französischen Wissenschaftlers, der 1822 den entscheidenden Schritt zur Entzifferung der altägyptischen Hieroglyphen machte. Damit schaffte es Jean-François Champollion, eine seit über tausend Jahren ausgestorbene Schrift wieder mit Leben zu füllen. Die Ausstellung berichtet auch von der allgemeinen „Ägyptomanie“ überall in Europa, den Spuren der Ägypter in Leipzig und zeigt eine Kopie des berühmten Rosetta-Steins, eine Leihgabe der Deutschen Nationalbibliothek. Auf dem Stein ist ein Dekret zu Ehren von Ptolemaios V. und zum zukünftigen Verhältnis des Staates zu den Tempeln zu lesen – in Hieroglyphen und auf Griechisch.

"Gewisses Zuhause-Gefühl in Leipzig"

Dietrich Raue freut sich, dass es in der Schau auch um den Ägyptologen Professor Gustav Seyffarth geht, der im 19. Jahrhundert an der Universität Leipzig ebenfalls zu Hieroglyphen forschte und 1842 durch den Kauf eines großen Holzsargs den Grundstein für das Ägyptische Museum legte – den Ort, an dem Dietrich Raue fast 12 „sehr gute Jahre“ verbrachte, wie er selbst sagt. „Je näher die Abreise rückt, desto mehr weiß ich, was ich institutionell und menschlich verlasse“, sagt der gebürtige Leverkusener nicht ohne Wehmut. Inzwischen habe sich bei ihm „ein gewisses Zuhause-Gefühl in Leipzig“ eingestellt. Voller Stolz sei er, wenn er „seine“ einstigen Erstsemester und ihre Entwicklung zu Doktorand:innen sehe. Glücklich hätten ihn auch die Erfolge der Grabungen auf dem Areal des Sonnentempels in Kairo, seinem künftigen Lebensmittelpunkt, gemacht, und die Stadt Leipzig mit ihren vielen kulturellen Angeboten auf engem Raum.

Beeindruckende Begegnung mit Steindorff-Enkel

Raues persönliches Highlight in den Erinnerungen an seine Zeit am Ägyptologischen Institut und am Ägyptischen Museum der Universität ist allerdings seine Begegnung mit dem Enkel des Namensgebers des Museums, Thomas Hemer. Dieser hatte das Korrespondenzkonvolut seines Großvaters in Schenkungen der Universität Leipzig zur Erschließung überlassen. Im Jahr 2011 wurde ein Rechtsstreit zwischen der Universität und der Jewish Claims Conference (JCC) über das weitere Schicksal der altägyptischen Privatsammlung von Prof. Georg Steindorff in Leipzig gütlich beendet. Beide Seiten kamen überein, dass die Sammlung im Eigentum der Universität Leipzig verbleibt. „Wir haben alle Auflagen umgesetzt, an die die Einigung gebunden war“, resümiert Raue. Sorge habe ihm die Zeit bereitet, in der größere Stellenkürzungen an der Universität im Raum standen. Damals, erinnert er sich, habe er immer wieder darüber nachgedacht, was dann aus Institut und Museum werden soll.

Wo er das Ägyptische Museum Leipzig heute sieht? Raues Antwort ist vielsagend: „Wir sind kein Viermaster, aber ein sehr bewegliches kleines Boot mit wichtigen Objekten, die Aufmerksamkeit erzeugen.“ Wenn Raue Ende September nach Kairo geht, lässt er nicht nur einen Koffer hier, sondern behält seine Wohnung in Leipzig, denn er bleibt der Universität mit Kooperationsvereinbarungen, einer Honorarprofessur sowie Beiträgen zu Lehre und der Betreuung von Doktorand:innen erhalten.

Die Metropole Kairo mit ihren 23 Millionen Einwohnern kennt Raue seit Jahren. Er war öfters zu Grabungen und anderen wissenschaftlichen Arbeiten dort und hatte schon von 2000 bis 2010 in Kairo gelebt. Schon wenn er einen Tag dort ist, fühle er sich heimisch, sagt er. Am Deutschen Archäologischen Institut wird Raue gemeinsam mit dem dortigen Team  forschen, die ägyptischen Partner mit Notgrabungen unterstützen, netzwerken und auch Weiterbildungsprogramme für ägyptische Kolleg:innen unterstützen. Auch seine geliebten Grabungen kann Raue fortsetzen – nur dann mit einem kleineren Anfahrtsweg. „Ich sehe mich auch als Ansprechpartner für die Universität Leipzig in Ägypten“, betont Raue, dessen Nachfolge noch nicht spruchreif ist. Nur seine Sprachkenntnisse müsse er noch verbessern: „Ich spreche bisher nur Straßenarabisch.“

Übrigens hätte Raue für keinen anderen Job der Welt als diesen die Universität Leipzig verlassen, verrät er. „Wenn das in Kairo nicht geklappt hätte, wäre ich irgendwann in diesem Job glücklich in Rente gegangen.“

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