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Komplexe Forschungsdaten für andere zugänglich zu machen erfordert Zeit, Fachwissen und Sorgfalt. Dr. Maie Stein und Prof. Dr. Hannes Zacher möchten erreichen, dass andere Wissenschaftler:innen die Daten aus ihrer arbeitspsychologischen Langzeitstudie nachnutzen können. Eine gezielte Förderung im Bereich Forschungsdatenmanagement unterstützt sie nun dabei.

Was passiert, wenn ein Team von Psycholog:innen mehr als eintausend Menschen immer wieder zu ihrem Erleben und Verhalten befragt, und zwar über fünf Jahre hinweg? Es entsteht ein äußerst umfangreicher und komplexer Datensatz, dessen vollständige Auswertung viele Forschungsjahre beanspruchen würde.

Ursprünglich ging es darum, die Rolle der Arbeit bei der Entwicklung von Zivilisationskrankheiten zu untersuchen: Der Arbeitspsychologe Prof. Dr. Hannes Zacher und sein Team, zu dem auch Dr. Maie Stein gehört, wollten in einer Langzeitstudie Berufstätige unter anderem zu ihren Arbeitsbedingungen sowie ihrer körperlichen und psychischen Gesundheit befragen. Gefördert von der VolkswagenStiftung und in Zusammenarbeit mit einem Umfrageinstitut kontaktieren sie im Dezember 2019 rund 2.000 Menschen und baten sie, einen Online-Fragebogen auszufüllen. Eine große repräsentative Stichprobe von Beschäftigten in unterschiedlichen Branchen aus ganz Deutschland entstand. 

Langzeitstudie erzeugt unerwartet großen Wissensschatz

Dann kam 2020 die Pandemie. Viele Berufstätige arbeiteten plötzlich von zu Hause aus und beschäftigten sich mit ganz anderen Problemen als bisher. Das Forschungsteam reagierte flexibel auf den Ausnahmezustand: „Wir passten unsere Online-Befragung laufend an die neue Situation an, nahmen beispielsweise auch Fragen zum Thema Homeoffice und zu Pandemiemüdigkeit in unsere Befragung auf. Außerdem befragten wir die Teilnehmenden von da an in relativ kurzen Abständen von einem Monat“, erzählt Hannes Zacher. Aus der ohnehin schon umfangreichen Befragung wurde durch die pandemiebedingte Planänderung eine äußerst komplexe Längsschnittstudie mit über 26.000 unterschiedlichen Variablen, also abgefragten Merkmalen.

zur Vergrößerungsansicht des Bildes: Auf dem Bild ist Prof. Dr. Hannes Zacher zu sehen.
Prof. Dr. Hannes Zacher leitete die Langzeitstudie, Foto: Swen Reichhold

Die Arbeitspsycholog:innen erstellten aus den Daten unter anderem eine der weltweit längsten und umfassendsten Studien zur psychischen Gesundheit während der Covid19-Pandemie. Anhand der Befragungsergebnisse aus drei Pandemiejahren fanden sie beispielsweise heraus, dass viele Menschen sich offenbar mit der Zeit an die schwierige Situation anpassten: „Die Lockdowns hatten negative, aber insgesamt eher geringe Auswirkungen auf das subjektive Wohlbefinden“, resümiert Zacher. 

Im Dezember 2024 schlossen die Forschenden die Befragung nach insgesamt 54 Befragungszeitpunkten ab. Mittlerweile bauen 19 Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften auf den Befragungsdaten auf. Doch das Potential ist noch längst nicht ausgeschöpft: „Der Datensatz ist so umfangreich, dass er weit über unsere arbeitspsychologische Forschung hinausgeht. Es bieten sich zahlreiche Möglichkeiten zur Beantwortung weiterführender Fragestellungen – auch in anderen Disziplinen“, erklärt Maie Stein, die schon seit Jahren mit großen Längsschnittdaten arbeitet. 

Es bieten sich zahlreiche Möglichkeiten zur Beantwortung weiterführender Fragestellungen.

Dr. Maie Stein, Arbeitspsychologin

So könnten die Daten zum Beispiel Wirtschaftswissenschaftler:innen helfen, Karriereverläufe oder Fragen rund um das Thema Jobstabilität und berufliche Mobilität zu erforschen. Auch für die Altersforschung verspricht sich die Psychologin interessante Erkenntnisse aus dem Datensatz, zum Beispiel zum gesunden Altern oder zu der Frage, auf welcher Basis sich Menschen entscheiden, in Rente zu gehen. Forschende in der Entwicklungspsychologie könnten den Datensatz nutzen, um Entwicklungsverläufe von Persönlichkeitsmerkmalen und Berufserfahrungen zu untersuchen.

Deshalb entschieden Maie Stein und Hannes Zacher, den Datensatz anderen Wissenschaftler:innen zugänglich zu machen, und warben Fördermittel für genau diesen Zweck ein: Die VolkswagenStiftung unterstützt die Wissenschaftler:innen erneut, diesmal mit 100.000 Euro im Rahmen eines Data Reuse-Projektes. Damit können sie eine umfassende Dokumentation des Datensatzes erstellen, die es anderen Forschenden ermöglicht, die Daten zu verstehen und für ihre eigenen Zwecke zu nutzen.

100.000 Euro für fachgerechte Aufbereitung

Dass Wissenschaftler:innen ihre Forschungsdaten anderen zur Verfügung stellen, ist zwar mittlerweile in vielen Disziplinen gelebte Praxis. Das Data Reuse-Projekt von Stein und Zacher ist jedoch insofern ungewöhnlich, als es als eigenes Projekt dem eigentlichen Forschungsvorhaben nachgelagert ist. „In der Regel ist das Forschungsdatenmanagement innerhalb der bewilligten Projektlaufzeit ohne zusätzliche finanzielle oder zeitliche Ressourcen durch die Forschenden zu bewältigen“, erläutert Pia Voigt, Referentin für Forschungsdatenmanagement im Dezernat 1 der Universität Leipzig. Die Förderung der Arbeitspsycholog:innen im Data Reuse-Projekt sei deshalb „ein großer Erfolg“.

Die Aufgabe ist weder trivial noch kann sie nebenbei erledigt werden.

Pia Voigt, Referentin für Forschungsdatenmanagement

Sie kann nachvollziehen, dass die Fördermittel hauptsächlich dazu bestimmt sind, die Personalkosten zu decken: „Die Aufgabe, diese Art von Daten für die Nachnutzung verfügbar zu machen, ist weder trivial noch kann sie nebenbei erledigt werden.“ Das bestätigt Maie Stein: „Es braucht methodische Expertise und Erfahrung im Datenmanagement, um unseren Datensatz so aufzubereiten, dass andere gut damit arbeiten können.“ 

zur Vergrößerungsansicht des Bildes: Porträt von Maie Stein im Innenhof des Städtischen Kaufhauses
Die Arbeitspsychologin Dr. Maie Stein warb gemeinsam mit Prof. Dr. Hannes Zacher die Förderung für das Data Reuse-Projekt ein, Foto: Nina Vogt

Über zwei Jahre kann nun mit mehr als zehn Wochenstunden daran gearbeitet werden, eine ausführliche Dokumentation zu erstellen. Damit andere Forschende von der Existenz des Datensatzes erfahren, soll zudem ein Data Descriptor, also eine zusammenfassende Beschreibung des Datensatzes, in einer Fachzeitschrift erscheinen. Darüber hinaus planen Stein und Zacher Workshops, in denen sie neue Ideen zur Nutzbarmachung der Daten gemeinsam mit anderen Wissenschaftler:innen und Studierenden entwickeln wollen.

Es fehlt meist nicht an Motivation, sondern an Ressourcen

Ohne zusätzliche Fördermittel wäre eine solch umfangreiche Nachbereitung nicht möglich, versichert Stein. Für Pia Voigt ist das Projekt daher ein gutes Beispiel dafür, wie finanzielle Unterstützung ein nachhaltigeres Forschungsdatenmanagement (kurz: FDM) vorantreiben kann. Da Drittmittelgeber in der Regel nur den Personalaufwand förderten, müssten Forschungseinrichtungen aber die passende Grundausstattung bereitstellen, also zum Beispiel technische Dienste, Beratungsangebote und Schulungen, betont sie.

zur Vergrößerungsansicht des Bildes: Grafik zeigt den Verlauf der Befragungsstichproben zu 54 Zeitpunkten. In der gleichen Grafik wird der Pandemieverlauf anhand der Inzidenzzahlen abgebildet.
Die Forschenden befragten von 2020 bis 2024 insgesamt 54 mal Berufstätige. Viele Befragungszeitpunkte lagen in der Pandemiezeit. Grafik: Maie Stein

Wichtig sei auch, dass die Leistungen, die mit FDM verbunden seien, als wissenschaftliche Leistungen anerkannt würden. „Hier spielen die Drittmittelgeber eine große Rolle, aber auch Forschungseinrichtungen können hier durch Policies, Leitlinien und Anerkennung entscheidend mitwirken.“ Der eigentliche Impuls für die Bereitschaft zur Bereitstellung und Nachnutzung von Forschungsdaten müsse letztlich von den Forschenden selbst kommen. 

Für das Team aus der Arbeitspsychologie ist dieser Gedanke schon längst selbstverständlich. „Gutes Forschungsdatenmanagement ist nachhaltig und für uns mittlerweile fester Bestandteil guter wissenschaftlicher Praxis“, sagt Maie Stein. „Forschungsdaten für die Nachnutzung bereitzustellen ist deshalb für mich keine Frage der individuellen Motivation, sondern vor allem eine Frage der Ressourcen.“

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