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Erstmals in ihrer 614-jährigen Geschichte gedenkt die Universität Leipzig in einer zentralen Gedenkfeier ihrer verstorbenen Angehörigen. Am Mittwoch, 1. November 2023, 18 Uhr, laden das Rektorat und die Theologische Fakultät zum "Universitätsrequiem" in das Paulinum – Aula und Universitätskirche St. Pauli ein, um an die in den Jahren 2022 und 2023 verstorbenen Studierenden und Mitarbeitenden zu erinnern und sie zu ehren. Zwar wurde den Verstorbenen auch in der Vergangenheit in Universitätsgottesdiensten gedacht, ihrer jedoch in einem weltlichen Rahmen unter Einladung der Rektorin zu gedenken ist wohl ein Novum. Die Idee dazu hatte Universitätsprediger Prof. Dr. Frank M. Lütze, sagt er im Interview mit dem Universitätsmagazin:

Wie sind Sie auf die Idee einer Veranstaltung gekommen, in der verstorbener Universitätsangehöriger gedacht wird?

Ich bin in Münster promoviert worden und dort gab es jährlich einen ökumenischen Gedenkgottesdienst für die verstorbenen Angehörigen der Universität. Ich fand, es war eine sehr stimmige Form. Zugleich war mir klar: Hier in Leipzig, in einem säkularen Kontext, ist die Form eines Gottesdienstes nicht passend, weil zu einem solchen Gottesdienst nur diejenigen kommen, die immer zu Gottesdiensten kommen. Diese Feier richtet sich nicht explizit an die christliche Gemeinde an der Hochschule; vielmehr muss die Hochschule als Ganzes damit umgehen, dass sie Mitglieder durch Tod verliert, und zwar nicht nur Emeritierte und Ehemalige, die im hohen Alter sterben, sondern auch Studierende und Mitarbeitende aus dem aktiven Dienst.

Für diese Art Veranstaltung ist das Paulinum – Aula und Universitätskirche St. Pauli wie geschaffen.

Ich finde diesen Ort ideal, weil er genau diese Doppelgesichtigkeit hat: Man kann das Paulinum religiös deuten als Unikirche, man kann es weltlich deuten als Aula. Und auf dieser Grenzlinie stelle ich mir auch das Universitätsrequiem vor: Ein Requiem kommt aus der christlichen Tradition. Das Christentum beginnt ja mit der Überzeugung, dass Christus den Tod überwunden hat. Das heißt, es ist von Anfang an eine auf Tod und Todesüberwindung fokussierte Religion. Insofern hat das Christentum natürlich viele Sprachbilder und Symbole zum Umgang mit dem Tod. Und ich glaube, man kann einen guten Teil dieser Symbole auch fruchtbar machen, ohne religiös zu sein. Wir haben gerade im Paulinum Epitaphien, also Grabmäler aus der Barockzeit, die teilweise sehr expressiv den Tod darstellen. Und sie inszenieren den Tod und eine Todesüberwindung.

zur Vergrößerungsansicht des Bildes: Der Altarraum im Paulinum – Aula und Universitätskirche St. Pauli.
Der Altarraum im Paulinum – Aula und Universitätskirche St. Pauli, Foto: Steffen Spitzner, Universität Leipzig
Prof. Dr. Frank M. Lütze

Wie gehen wir damit um, dass Menschen manchmal nicht leistungsfähig sind oder endgültig durch den Tod ausscheiden? Ich finde, das ist eine wichtige Frage der Universitätskultur.

Prof. Dr. Frank M. Lütze

Was für ein Requiem wird aufgeführt?  

Wir haben nicht ein Requiem, sondern wir haben jetzt musikalische Stücke von unterschiedlichen Komponisten, aus dem 16. Jahrhundert genauso wie von zeitgenössischen. Es ist ein vielfältiges Programm mit dem Ensemble Lachrymae und dem Universitätsorganisten Daniel Beilschmidt.

Gab es in der Geschichte der Uni Leipzig schon einmal eine derartige Veranstaltung?

Mir ist nichts Derartiges bekannt, von den Universitätsgottesdiensten abgesehen. Ich hatte mich mit meiner Idee an die Rektorin gewandt. Frau Obergfell war dafür von Beginn an offen und findet das Thema wichtig. Ein Aspekt für mich war: Eine Universität ist eine sehr leistungsfokussierte Gemeinschaft, es geht immer darum, dass wir die Besten sein müssen. Und ich finde, man muss aufpassen, dass es nicht inhuman wird. Das betrifft auch den Umgang mit denjenigen, die nichts mehr leisten können, weil sie auf der Strecke geblieben sind. Können wir damit umgehen? Oder gehen wir einfach schweigend drüber hinweg? Wie gehen wir damit um, dass Menschen manchmal nicht leistungsfähig sind oder endgültig durch den Tod ausscheiden? Ich finde, das ist eine wichtige Frage der Universitätskultur.

Die Uni hat über 30.000 Studierende, mehr als 5000 Mitarbeitende. Woher wissen Sie, welche Universitätsangehörigen 2022 und 2023 verstorben sind?

Bei den Professor:innen sind wir am besten informiert, weil das in der Regel im Rektorat angezeigt wird und die Rektorin kondoliert, dazu gibt es ein festes Prozedere. Bei den Mitarbeitenden, die aus dem aktiven Dienst heraus sterben, wissen wir es auch. Bei den Studierenden wissen wir es nicht immer. Manchmal bekommt man es mit, wenn etwas in den Nachrichten erscheint. In diesem Sommer gab es einen tragischen Autounfall in Thüringen, bei dem mehrere junge Menschen gestorben sind, darunter auch eine Leipziger Studentin. Eine andere Studentin , die mit dem Fahrrad unterwegs war, ist im Vorjahr bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Für sie gab es auf dem Campus der Erziehungswissenschaften einen großen Gedenkort. Andere Studierende melden sich nicht zurück und werden dann zwangsexmatrikuliert, ohne dass die Uni erfährt, dass dahinter ein Todesfall steht. Insgesamt sind uns aus den letzten beiden Jahren 37 Namen bekannt geworden. Das ist vermutlich nur ein Teil derer, die wir verloren haben.

Diese Gedenkveranstaltung findet am 1. November statt, am 2. November begehen die Katholiken den Allerseelentag. Der Buß- und Bettag ist ein Tag der Einkehr und am Totensonntag, eine Woche vor dem 1. Advent, gedenken die Protestanten der Toten. Der 1. November als Datum einer universitären Gedenkveranstaltung ist also kein Zufall?

Uns war klar, dass das Totengedenken zwischen Allerseelen und Totensonntag seinen Ort haben soll. Und das nicht an einem Feiertag oder am Wochenende, denn wir laden alle Universitätsangehörigen zu dieser Gedenkveranstaltung ein, auch und vor allem dann, wenn sie an diesem Tag auf dem Campus sind, in den Hörsälen und Seminaren, den Bibliotheken oder im Büro.

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