Frau Prof. Obergfell, Sie sind seit fast 100 Tagen im Amt. Wie haben Sie Ihren Start empfunden?
Er war sehr bunt, vielfältig, interessant, mit allen Facetten. Ich glaube, ich habe bereits jetzt einen guten Querschnitt durch die Themenvielfalt und die unterschiedlichen Bereiche unserer Universität bekommen. Wenn ich daran denke, mit welchen Akteurinnen und Akteuren ich schon gesprochen habe, inneruniversitär wie außeruniversitär, dann ist das sehr vielfältig. Ich habe unter anderem auch schon drei Senatssitzungen geleitet und ein monatlich zusammentretendes Concilium Decanale, ein Treffen mit den Dekaninnen und Dekanen, initiert. Die angestrebten Fakultätsgespräche sind geplant. Ich habe verschiedene außeruniversitäre Forschungseinrichtungen kennengelernt, und selbstverständlich berate ich mich kontinuierlich mit meinen Rektoratsmitgliedern. All das ist sehr vielgestaltig, bunt und spannend. Es macht mir große Freude, auf diese Weise Schritt für Schritt die Universität Leipzig kennenzulernen.
Viele Eindrücke auf einmal. Was ragt hervor?
Das ist schwer zu sagen. Alle Begegnungen, die ich hatte, haben mich auf unterschiedliche Weise berührt. Sie waren jeweils damit verbunden, dass ich die unterschiedlichen Akteurinnen und Akteure und damit die vielen Facetten unserer Universität kennenlerne. Alle Begegnungen sind für mich in meiner Funktion als Rektorin die ersten. Und entsprechend spannend ist es, die verschiedenen Kontexte herauszuhören. Das ist für mich ein wichtiger Punkt. Und diese Gespräche unterscheiden sich natürlich von den Zoom-Sitzungen, bei denen ich die Akteurinnen und Akteure nur in kleinen Bildschirmkacheln sehe. Im persönlichen Gespräch erlebe ich stets die komplette Person und merke, was sie beschäftigt, welchen Charakter sie hat. Es ist auch einfach schön, jetzt nach und nach alle Menschen live und in Präsenz zu treffen.
- "Die aufwändig gestaltete Investitur ist einfach etwas, was mich wirklich froh macht und zugleich auch die Verantwortung, die ich trage, und das Vertrauen, das in mich gesetzt wird, widerspiegelt."
Prof. Dr. Eva Inés Obergfell
Am Donnerstag werden Sie eine Menge Menschen erleben, und die Menschen werden Sie erleben. Es steht eine Veranstaltung an, die im Universitätsleben nicht so oft stattfindet und für alle Beteiligten etwas Besonderes ist, vor allem natürlich für Sie: Ihre Investitur. Wie stufen Sie dieses Ereignis ein? Was bedeutet es Ihnen?
Es ist ein sehr würdiger Moment und ein ganz besonderes Ereignis. So etwas kenne ich aus meiner letzten Wirkungsstätte nicht. Ein solcher Festakt der Investitur ist an vielen Universitäten in Deutschland abgeschafft. Die altehrwürdige Universität Leipzig hat diesen feierlichen Akt der Amtseinführung noch, und das finde ich großartig. Es ist eine Ehre für mich, die Amtskette umgelegt zu bekommen. Ich freue mich auch sehr, dass ich sie aus den Händen meiner Vorgängerin Altrektorin Schücking erhalten werde. Die gesamte feierliche Veranstaltung wird schon seit Wochen vorbereitet. Die aufwändig gestaltete Investitur ist einfach etwas, was mich wirklich froh macht und zugleich auch die Verantwortung, die ich trage, und das Vertrauen, das in mich gesetzt wird, widerspiegelt. Vor diesem Hintergrund bedeutet die Investitur auch eine Zäsur, obwohl ich das Amt schon am 1. April angetreten habe. In diesem wichtigen Moment werden die Verantwortung und die Größe der Aufgabe feierlich bewusst gemacht.
Kommen wir zu sprechen auf ein anderes wichtiges Thema dieser Tage, den Hochschulentwicklungsplan (HEP). Bei der vergangenen Senatssitzung haben Sie noch einmal dazu gesprochen. Die mit dem Ministerium abgestimmte Vorgehensweise trägt der Senat mit, er nahm sie, ebenso wie den bis hierher erarbeiteten Inhalt, am 14. Juni zustimmend zur Kenntnis. Die finale Beschlussfassung wird dem Senat dann erst im Juli vorliegen. Bitte erläutern Sie uns nochmal, wie man sich jetzt diese Aktualisierung vorstellen muss, gerade auch mit Bezug auf den straffen Zeitplan?
Der Zeitplan ist äußerst eng. Er ist gesetzt vom Ministerium. Das neue Rektorat ist in einen Prozess eingestiegen, der bereits lief, ohne ihn noch großartig beeinflussen zu können. Besonders wichtig ist mir eine Einbindung aller Gremien und der unterschiedlichen Statusgruppen. Jetzt ist das nicht mehr in erforderlichem Maße möglich. Das ist das Dilemma. Die Bitte, die Frist ein bisschen nach hinten zu schieben, wurde abgelehnt. Was aber gelungen ist: Wir haben mit dem Ministerium einen Kompromiss gefunden. Der Gremienprozess läuft, es gibt Teilbeschlüsse, wir können wie gewünscht zum 30. Juni ein abgestimmtes Dokument einreichen. Anschließend folgt im Juli die finale Beschlussfassung durch den Senat und dann durch den Hochschulrat. Das bedeutet, das Ministerium bekommt von uns einen Hochschulentwicklungsplan unter dem Vorbehalt, dass sich daraus noch Änderungen ergeben könnten.
Das heißt für uns, dass wir überhaupt nur moderate Änderungen der inhaltlichen Ausrichtung vornehmen können. Die Eckpunkte, die das Rektorat schon 2018 festgelegt hat, werden grundsätzlich beibehalten. Wir nehmen also die vollzogenen Prozesse, die entsprechende Strategie und den Organisationsentwicklungsprozess auf. Alle tiefgreifenden Änderungen, auch die grundsätzlichen Anpassungswünsche, die beispielsweise vom Senat aufkamen, haben wir auf die Zeit danach vertagt. Die Dinge, die wir jetzt eingearbeitet haben, betreffen eher Nuancen. Ein Beispiel: Wir haben das Feld Nachhaltigkeit nun als Querschnittsziel für die Universität definiert. Wir haben auch die Etablierung der KI-Spitzenforschung am Standort Leipzig mit hineingenommen und die erarbeiteten Zukunftskonzepte zwischen Hochschulleitung und Fakultäten. Diese Themen waren bereits zuvor angelegt. Demgegenüber brauchen grundlegende Fragen wie die Überarbeitung des Tenure-Track-Berufungsprozesses eine ausführlichere Beratungsphase, bevor sie näher im HEP beschrieben werden.
- "Mir geht es darum, selbst den Prozess nicht starr vorzugeben, sondern erst einmal zu hören, welche Vorschläge, Ideen und Wünsche es aus den Fakultäten und Zentralen Einrichtungen gibt."
Prof. Dr. Eva Inés Obergfell
Sie haben im Senat gesagt: Nach dem HEP ist vor dem HEP. Und Sie haben angedeutet, dass Sie schon eine gewisse Vorstellung davon haben, wie Sie diesen Prozess angehen möchten, Stichwort Beteiligung. Können Sie dazu schon etwas sagen oder ist es dafür zu früh?
Ich kann grundsätzlich etwas dazu sagen. Wir haben ab Sommer beziehungsweise ab Herbst rund zwei Jahre Zeit für die Fortschreibung der Hochschulentwicklungsplanung. Für mich steht am Anfang die Entscheidung über den Prozess. Wie wollen wir genau vorgehen? Wollen wir mit Impulsen aus dem Rektorat und einer Diskussion auf dieser Grundlage starten? Wollen wir parallel Impulse aus den Fakultäten und den unterschiedlichen Statusgruppen dazu einholen? Welche zeitlichen Eckpunkte wollen wir uns setzen? Das möchte ich nicht allein oder allein mit dem Rektorat entscheiden, sondern dieser Prozess der Fortschreibung des HEP soll auch als solcher beraten werden mit den Dekaninnen und Dekanen, mit den Studierendenvertreterinnen und -vertretern, jenen der akademischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ebenso der nichtwissenschaftlichen Mitarbeitenden. Ich strebe also eine Einbindung schon bei der Frage an, wie der Prozess gestaltet wird. Meine Vorstellung ist, dass wir darüber im Sommer beraten und im Herbst entscheiden und dann im späten Herbst und im Winter mit den thematischen und inhaltlichen Beratungen beginnen.
Bedeutet das auch, dass dieser Meinungsbildungsprozess nicht zwingend in den bestehenden Strukturen stattfindet, sondern auch neue Formate der internen Kommunikation entwickelt werden könnten, neue Wege beschritten werden?
Das ist genau der Punkt, das ist die Frage, die sich stellt. Mir geht es darum, selbst den Prozess nicht starr vorzugeben, sondern erst einmal zu hören, welche Vorschläge, Ideen und Wünsche es aus den Fakultäten und Zentralen Einrichtungen gibt.
- "Es hat für uns höchste Priorität, uns an der Exzellenzstrategie zu beteiligen. Wir wollen uns dementsprechend mit unseren Potenzialen und unserer Leistungsfähigkeit bestmöglich präsentieren."
Prof. Dr. Eva Inés Obergfell
Es gibt noch einen ganz wichtigen Zeitplan, nämlich bei der Exzellenzstrategie: Inwiefern gibt es bezüglich der Ideen für den HEP und für die Exzellenzstrategie einen Zusammenhang?
Alle strategisch wichtigen Dinge der Universität haben natürlich einen Zusammenhang mit dem HEP. Gleichzeitig besteht die Herausforderung, im vorgegebenen, engen Zeitrahmen unsere Anstrengungen zur Erreichung des Exzellenzstatus, zur Gewinnung von Clustern, entsprechend mit einzupflegen. Dabei eine Parallelität der Diskussion herzustellen, über die Exzellenzentwicklungsprozesse wie auch die allgemeine inhaltliche Profilierung, halte ich für herausfordernd und ambitioniert. Der HEP bedeutet im Wesentlichen eine Zukunftsperspektive. Die Clustervorhaben werden gegenwärtig vorbereitet. Wir erwarten den Aufruf für die Teilnahme im Exzellenzwettbewerb für Mitte Dezember, bereits bis Ende Mai 2023 werden die Skizzen für Cluster eingereicht werden müssen.
Es hat für uns höchste Priorität, uns an der Exzellenzstrategie zu beteiligen. Wir wollen uns dementsprechend mit unseren Potenzialen und unserer Leistungsfähigkeit bestmöglich präsentieren. Die Jonglierkunst des Rektorats ist es nun, parallel den Prozess der Exzellenzbewerbung zu hüten und zu befördern und gleichzeitig die Entwicklung der Universität insgesamt mit ganz unterschiedlichen strategischen Aspekten voranzutreiben. Diese sind so vielfältig wie die Universität selbst. Es gibt viele, viele weitere Ziele.
Mein Ansinnen im HEP-Prozess ist es aufzunehmen, was jetzt aus der Universität an neuen Impulsen kommt, die vielleicht vor zwei, drei oder auch fünf Jahren noch nicht da waren, aber jetzt wichtig sind. Ich freue ich mich auf diesen Entwicklungsprozess, denn ich weiß, mir wird die nächsten zwei Jahre nicht langweilig werden. Für mich bedeutet es eine spannende Moderations- und Gestaltungsaufgabe.
Aber nicht jedes Thema wird aufgenommen, nicht jeder Wunsch wird befriedigt werden können.
Die Einladung an die Universität, an diesen Entwicklungsprozessen teilzuhaben, bedeutet natürlich nicht, dass alle Wünsche erfüllt werden können und dass plötzlich alle dafür notwendigen Ressourcen da sind. Es gibt immer Zielkonflikte. Diese mit dem bestmöglichen Ergebnis für die unterschiedlichen Akteure mit ihren jeweiligen Interessen zu lösen, das ist die hohe Kunst.
- "Ein gutes Universitätsleben ist für mich ein wichtiger Schlüssel für inspirierende Forschungs-, Lehr- und Arbeitsbedingungen an der Universität. Wenn es Schwierigkeiten gibt [...], dann glaube ich, dass wir sie leichter meistern können, wenn wir einen gewissen Zusammenhalt empfinden."
Prof. Dr. Eva Inés Obergfell
Universität bedeutet auch ganz viel Universitätsleben, nicht immer nur strategisches Nachdenken. Für den Tag nach ihrer Investitur haben Sie selbst ein Konzert für Studierende und Mitarbeitende initiiert. Am Freitag spielt die Unibigband. Offenkundig ist Ihnen das Universitätsleben wichtig. Wie ist es zu diesem Konzert gekommen und was bedeutet für Sie Universitätsleben?
Ein gutes Universitätsleben ist für mich ein wichtiger Schlüssel für inspirierende Forschungs-, Lehr- und Arbeitsbedingungen an der Universität. Wenn es Schwierigkeiten gibt, wir sprachen gerade von Zielkonflikten vor dem Hintergrund von Ressourcenknappheit, wenn wir vor solchen Herausforderungen stehen, dann glaube ich, dass wir sie leichter meistern können, wenn wir einen gewissen Zusammenhalt empfinden. Wie kommt man zu solch einem universitären Zusammenhalt? Ich denke, das passiert genau über die Dinge, die man mit „Universitätsleben“ beschreiben kann. Man kennt sich, man unterstützt sich und hat Vertrauen zueinander. Man hat auch schon einmal neben der Arbeit Ideen ausgetauscht, die Früchte der vielen Arbeit geerntet und gemeinsame Erfolge gefeiert.
- "Ich möchte einen Beitrag leisten zum Leipziger Universitätsleben."
Prof. Dr. Eva Inés Obergfell
Denken wir an unsere Studierenden: Das Studium ist eine der wichtigsten Phasen in ihrem Leben. Für die Studierenden, die rund zwei Jahre Pandemie als ihre ersten Jahre an der Universität erlebt haben, habe ich großes Mitgefühl. Ihnen wurde in dieser wichtigen, ja prägenden Zeit die Möglichkeit des Austausches und der Teilnahme an einem vielfältigen Universitätsleben beinahe vollständig genommen.
Das Gleiche gilt für Nachwuchsforscherinnen und -forscher, für die Postdocs, die Promovierenden. Für sie ist die Phase der Promotion und der Habilitation eine Phase des Lebens, die sie nicht vergessen werden. Es werden Kontakte geknüpft, die manchmal ein Leben lang halten. Und genau dafür ist ein universitäres Leben wichtig, das mehr ist als reine Bürozeit.
Zum Konzert der Bigband im Innenhof des Leibnizforums: Wir haben auf Grund der Pandemie sehr vorsichtig mit dem Raum im Paulinum geplant, was Platzabstände angeht, und es war klar: Wir werden nur begrenzte Platzkapazitäten haben. Also habe ich gedacht, wir bieten am nächsten Tag etwas an, an dem alle teilnehmen können. In der Zeit der Mittagspause möchte ich Mitarbeitenden und Studierenden die Möglichkeit geben, einen Hörgenuss zu erleben, zusammenzustehen, ein paar Worte zu wechseln und sich zu treffen. Kurzum: Ich möchte einen Beitrag leisten zum Leipziger Universitätsleben.