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Die Reihe „Gesichter der Uni Leipzig“ stellt regelmäßig die Menschen vor, die sich hinter unzähligen kleinen und großen Aufgaben an unserer Hochschule verbergen – im Studium, in der Lehre, in der Universitätsverwaltung oder – so wie diesmal – in der Forschung. Heute stellen wir wieder eine unserer Nachwuchswissenschaftlerinnen vor: Caroline Meier zu Biesen, Postdoc im Leipzig Lab „Global Health“, hat einige Fragen beantwortet.

Name: Caroline Meier zu Biesen

Geboren am/in: 12.10.1978 in Mwanza (Tansania)

Fachgebiet: Sozial-und Kulturanthropologie, Soziologie

Das habe ich studiert: Sozial- und Kulturanthropologie, Soziologie und Erziehungswissenschaften an der Freien Universität Berlin

Dazu habe ich promoviert: „Globale Epidemien, lokale Antworten: eine Ethnographie der Heilpflanze Artemisia annua in Tansania“

Im Rahmen meiner Promotion war die Einführung eines neuen (auf der chinesischen Medizinalpflanze Artemisia annua basierenden) Anti-Malaria-Medikaments in Tansania der Ausgangspunkt für eine vielschichtige Untersuchung: Neben der Analyse der Integration der Artemisia-Pflanze in das lokale Gesundheitswesen habe ich die komplexen Dynamiken und Machtverhältnisse der globalen Malaria-Medikamentenproduktion untersucht, die sich im Zusammenspiel kultureller, politischer und ökonomischer Kräfte auf verschiedenen Ebenen (lokal, regional, global) ausgestalteten. Über politisch-ökonomische Faktoren hinaus, die bei der Ausbreitung von Malaria eine wichtige Rolle spielen, interessierte mich, wie Patientinnen und Patienten ihr individuelles Wissen der epidemischen Krankheit Malaria entwickeln und wie Behandlungsoptionen ausgehandelt werden in Kontexten, die durch ein hohes Maß an Ungleichheit und Armut charakterisiert sind.

Mein aktuelles Forschungsthema:

Aktuell beschäftige ich mich intensiv mit Themen im Forschungsbereich „Global Health“:  

In Sansibar (Tansania) forsche ich zum Anstieg nicht-übertragbarer Krankheiten (so genannter "non-communicable diseases", NCDs), etwa Diabetes und Bluthochdruck. Auf der ostafrikanischen Insel erfährt der traditionelle Medizinsektor nach einer langen Phase der Marginalisierung neue politisch-institutionelle Anerkennung. Heilerinnen und Heiler werden in die staatliche Gesundheitsversorgung für NCDs integriert. Ich untersuche, wie aus der Begegnung von traditionellen, religiös-spirituellen Praktiken und biomedizinischen Therapieformen neue Formen hybridisierten medizinischen Wissens entstehen, und welche Rolle neue Technologien (etwa Glukometer) in der Sichtbarmachung beziehungsweise Evidenzbildung dieser relativ neuen Krankheitsbilder spielen. Zum anderen interessiert mich, wie westliche NCD-Präventionsdiskurse und -praktiken – die auf der Idee basieren, dass Individuen ihre Gesundheit selbstverantwortlich mitgestalten oder Lebensstile verändern (können) – in Sansibar aufgenommen werden, einem Kontext, in dem vielmehr die Lebensumstände (wie Armut, strukturell schlechtere Ausgangsbedingungen medizinischer Versorgung oder Umweltgesundheitsgefahren, zum Beispiel ausgelöst durch den hohen Einsatz von Pestiziden) den Anstieg und das Management von NCDs (mit-)bedingen. 

Durch die COVID-19-Krise hat das Thema globale Gesundheitssteuerung besonders an Aktualität und Brisanz gewonnen. Auch unsere gemeinsame Arbeit im Leipzig Lab spiegelt das wider: Wir beschäftigen uns zum Beispiel mit Quarantänestrategien als Maßnahmen im Kampf gegen Pandemien sowie den Prozessen der Responsibilisierung, also der Aufforderung an Individuen, Verantwortung für die eigene Gesundheit und diejenige anderer zu übernehmen. In einem interdisziplinären Forschungsteam untersuchen wir die Zirkulation von Quarantänewissen in globalen Gesundheitsdiskursen. Die Untersuchung bezieht eine historische Dimension mit ein (die Geschichte der Quarantäne während der Spanischen Grippe in den USA) sowie Beispiele aktueller Praxis der Quarantäne (mit Fokus auf die Handhabung der Corona-Pandemie in Südafrika).

Dem Begriff „Triage“ sind sicher viele Leserinnen und Leser in den letzten Monaten begegnet. In einem Team von Sozial- und Politikwissenschaftlerinnen und Politikwissenschaftler sowie Historikerinnen und Historiker vom Forschungszentrum Cermes3 in Paris, dem Leipzig Lab „Global Health“ und dem Leipziger Institut für Ethnologie forschen wir zu diesem Begriff beziehungsweise dahinterstehenden Konzepten, die gute Ansatzpunkte bieten, um die sozialen und ökonomischen Auswirkungen neoliberaler Reformen auf die Gesundheitsversorgung von Menschen in verschiedenen Ländern zu untersuchen. Ein Beispiel sind „Improvisationen“ bei der medizinischen Versorgung oder „alternative Versorgungsmodelle“, die infolge von Strukturanpassungsprogrammen in einigen afrikanischen Staaten schon lange die gesundheitliche Versorgung bestimmen, und nun in Europa, zum Beispiel Griechenland, als Folge der Austeritätspolitik in ähnlicher Form zu finden sind. Die Corona-Pandemie hat hier (mehr oder weniger) latente Entwicklungen sichtbarer gemacht.

Warum forschen Sie gerade zu diesem Thema? Was treibt Sie an und was fasziniert Sie persönlich daran?

Interdisziplinäre Kollaborationen bilden für mich eine Voraussetzung dafür, dass sozialwissenschaftliche Arbeit – angesichts der rasanten Veränderungen kultureller und sozialer Praktiken in einer komplexen, zunehmend vernetzten Welt – Relevanz erhält, und analytische Potentiale voll ausschöpfen kann. Ein Beispiel hierfür sind gesundheitspolitische Forschungsprojekte, an denen ich mitgearbeitet habe und die ich besonders spannend fand, da sie einen konkreten Praxis-Bezug hatten. Wie etwa in Sansibar, wo ich seit langem gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium, Heilerinnen und Heiler, NCD-Spezialistinnen und -Spezialisten und der NGO World Doctors zu den Kollaborations-Möglichkeiten zwischen dem biomedizinischen und traditionellen Heilungssektor forsche.

Großes Interesse habe ich auch an der Verbindung von akademisch verorteter historischer, rechtlicher und sozialanthropologischer Auseinandersetzung mit Migration und Medizin, und Erfahrungen aus der Praxis. Den Themenschwerpunkt Migration und Gesundheit habe ich in der Lehre vertreten und auch an Kongressen für das medizinische Personal des Südtiroler Sanitätsbetriebes teilgenommen, in denen es darum ging, die Auseinandersetzung um das komplexe und häufig konfliktive Themenfeld „Migration und medizinische Versorgung“ zu versachlichen. Die medizinische Anthropologie kann hier gute Beiträge leisten, Vorurteile im medizinischen Alltag abzubauen und gesundheitssuchendes Verhalten besser zu verstehen.

Während meiner Promotionsforschung hat mich die Frage einer möglichen Dekolonisierung der medizinischen Forschung und Praxis von Malaria interessiert. Seit Jahrtausenden werden pflanzliche Extrakte zur Behandlung von Infektionskrankheiten eingesetzt, so auch die chinesische Artemisa-Pflanze. In einem äthiopischen Dorf bin ich Anfang 2000 erstmalig auf Artemisia gestoßen, ein Pharmakologe hatte sie in seinem Heimatdorf angebaut und in Tee-Form als natürliche Kombinationstherapie gegen Malaria eingeführt – mit großem Erfolg…und das in einem hochendemischen Malariagebiet. Das hat mich fasziniert! Also bin ich der chinesischen Artemisia-Pflanze durch verschiedene Kontexte „gefolgt“ – von China über die WHO-Archive in Genf bis nach Ostafrika. Durch Corona ist die (speziell gezüchtete) Artemsia-Pflanze erneut in die Schlagzeilen gekommen, ihre Extrakte werden auf antivirale Eigenschaften gegen Covid-19 untersucht, in Afrika wird ein Artemisia-Cocktail als Anti-Corona „Vaccine“ gehandelt…

Welche Stolpersteine und Highlights begegnen Ihnen auf Ihrem Weg/sind Ihnen begegnet?

Die unvergesslichen Highlights sind meistens mit Forschungs-und Lehraufenthalten im Ausland verbunden – und natürlich dem Austausch mit Kolleginnen und Kollegen sowie Studierenden, von denen ich selbst immer viel lerne. Der akademische Weg kann per se holprig sein…und erfordert einiges an Durchhaltevermögen und eine eigene hohe Mobilität.

Welche Entdeckung, Erfindung oder Erkenntnis wünschen Sie sich in den nächsten zehn Jahren?

Um beim Beispiel Global Health zu bleiben: Gerade durch die Corona-Pandemie sind nochmals verschiedene „Baustellen“ und Herausforderungen unserer wissenschaftlichen Praxis sehr deutlich geworden. Ein wichtiges, wenn auch nicht neues Stichwort ist die Dekolonisierung, also die Notwendigkeit, die eigene Forschung kritisch auf ihre ideologischen und politischen Voraussetzungen zu befragen, und Prozesse der Wissensproduktion und der Hierarchisierung von Wissen in eine kritische Reflexion der Motive und Interessen der beteiligten (staatlichen, privatwirtschaftlichen, zivilgesellschaftlichen, multilateralen) Akteurinnen und Akteure einzubetten. Eine wichtige Grundlage hierfür ist die Intensivierung und Ausweitung transnationaler und -kontinentaler wissenschaftlicher Kooperationen, die ich mir wünschen würde.

Als Mitglied des weltweit aktiven Netzwerks Women in Global Health (WGH) würde ich mir zukünftig auch mehr Chancengleichheit in der globalen Gesundheit und mehr Sichtbarkeit von Frauen in Global Health. Frauen stellen weltweit etwa 70 Prozent der Global Health Workforce dar, aber nur 25 Prozent von ihnen sind in Führungspositionen vertreten. Über die Finanzierung und Ressourcenverteilung in der globalen Gesundheit entscheiden ganz überwiegend (zu 70 Prozent) Männer. Auf den vielen Diskussionspanels zur globalen Gesundheit – Corona hat es einmal mehr gezeigt – sind vorwiegend Männer vertreten... Hinzu kommt das Missverhältnis in der Care-Arbeit und Kinderbetreuung… Um diese Situation zu verändern, schlägt die WGH in einem Positionspapier wichtige Veränderungen vor, die in den nächsten Jahren hoffentlich nach und nach umgesetzt werden.

Womit verbringen Sie gern Ihre Freizeit?

Ich bin gerne in der Natur, liebe es, zu wandern, zu gärtnern (mich interessiert vor allem Permakultur) und fahre gern zu den Seen im Berliner Umland. Ein weiteres Hobby ist kochen, am liebsten in großen Gruppen. Außerdem mache ich seit vielen Jahren Yoga. Das berufsbedingte Reisen ist eigentlich auch ein wichtiger Teil meiner Freizeit…und ich mag Interieur Design und das Restaurieren alter Möbel, zurzeit suche und sammle ich leidenschaftlich gerne Scherenlampen, Temde- und frühe Midgard-Leuchten...

Was gefällt Ihnen besonders an der Uni und/oder Stadt Leipzig?

Ich freue mich sehr darauf, Leipzig noch weiter zu erkunden…und auf unsere persönlichen Team-Meetings, auch mit den anderen Leipzig Labs in der schönen Villa Tillmanns, sobald es die Lage wieder erlaubt. Ich denke, wir sind sehr privilegiert, an diesem besonderen Ort forschen und lernen zu können, ein Ort an dem recht frei auch innovative Themen und Forschungsperspektiven entwickelt werden können.

Das Interview führte Karoline Marx.

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