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Seit dem Ausbruch des Kriegs in der Ukraine am 24.02.2022 häufen sich bei Helen Matthey, Beraterin von Studierenden mit Fluchterfahrung an der Stabsstelle Internationales der Universität Leipzig, und Jana Kuppardt, Leiterin der Sozialberatung und Ansprechpartnerin für internationale Studierende beim Studentenwerk Leipzig, die Beratungsanfragen von Studieninteressierten und Studierenden aus der Ukraine. Neben dem dadurch entstandenen erhöhten Arbeitspensum müssen sich die beiden Frauen stets an geänderte Gesetzeslagen anpassen und den jungen Menschen hin und wieder auch vermitteln, dass sie für einen Einstieg ins deutsche Hochschulsystem einen langen Atem benötigen. Wie die beiden mit diesen Herausforderungen umgehen und wie vielschichtig ihre tägliche Arbeit ist, erklären sie im Interview mit dem Universitätsmagazin.

Wie haben sich Ihre Aufgaben seit dem 24.02.2022 verändert?

Helen Matthey: Inhaltlich haben sich die Aufgaben auf meinem Schreibtisch eigentlich so gut wie gar nicht verändert, da ich bereits seit über fünf Jahren unter anderem Studieninteressierte mit Fluchterfahrung zu ihrem Studieneinstieg berate und gemeinsam mit meinen Kolleginnen seitdem auch die studienvorbereitenden Deutschkurse für Geflüchtete organisiere. Natürlich gibt es bei dieser Arbeit aber immer wieder Veränderungen und Neues, zuletzt beispielsweise durch die erstmalige Nutzung der EU-Massenzustromrichtlinie. Die wurde in Deutschland mit dem § 24 Aufenthaltsgesetz umgesetzt und brachte einige aufenthaltsrechtliche Neuerungen mit sich.

Was sich jedoch seit dem 24. Februar 2022 auf jeden Fall sehr verändert hat, ist das tägliche Arbeitspensum. Zu den üblichen Anfragen kommen seitdem nun natürlich auch die Anfragen der Studierenden und Studieninteressierten aus der Ukraine dazu. Ich würde schätzen, dass wir von einem Drittel mehr Anfragen als gewöhnlich ausgehen können, was sich sowohl in der Beratung als auch bei unseren Infoveranstaltungen bemerkbar macht.

Jana Kuppardt: Ich würde auch sagen, dass sich bis auf die aufenthaltsrechtlichen Sachen, die Helen bereits ansprach, inhaltlich auf meinem Schreibtisch nicht allzu viel verändert hat. Wir bemerken in der Sozialberatung eigentlich immer relativ schnell, wenn es Krisenherde auf der Welt gibt und Fluchtbewegungen stattfinden. Inhaltlich bedeutet das bei mir, die Zielgruppe der Studierenden sowie Studieninteressierten mit Fluchterfahrung zur Studienfinanzierung, zu aufenthaltsrechtlichen Fragen oder auch dem Thema Wohnungssuche sowie vielen weiteren sozialen, finanziellen und organisatorischen Fragen rund um das Studium und die Studienaufnahme zu beraten. Im Hinblick auf das Arbeitspensum kann ich Helen auf jeden Fall beipflichten, denn das hat sich wirklich deutlich erhöht. Wie stark der Bedarf an Beratung aktuell ist, wurde uns am Infotag für internationale und geflüchtete Studieninteressierte am 13. Mai nochmal deutlich. Wir organisieren die Veranstaltung in Kooperation mit der HTWK und der Uni Leipzig schon seit fünf Jahren und hatten in der Regel 150-200 Gästen. In diesem Jahr waren es rund 450 Interessierte. Nicht allein deshalb haben wir zusätzliche Online-Infoveranstaltungen für studieninteressierte Ukrainer:innen sowie Drittstaatler:innen aus der Ukraine angeboten.

  • "Es ist definitiv eine Herausforderung, insbesondere Studierenden höherer Semester, deren Studiengänge an der Uni mit einem NC belegt sind, mitzuteilen, dass ihre Chancen auf die Weiterführung ihres Studienfaches aus Kapazitätsgründen teilweise nur sehr gering oder gar aussichtslos sind. Hier sind allen voran die medizinischen Fächer zu nennen."
    Helen Matthey

 

Was sind aus Ihrer Sicht die drei größten Herausforderungen dabei?

Kuppardt: Eine unserer derzeit wohl größten Herausforderungen ist es, der Anzahl an Beratungsanfragen gerecht zu werden. Man muss dabei bedenken, dass Studierende, nach wie vor aufgrund der Pandemie, einen gesteigerten Bedarf an Sozialberatung haben und es darüber hinaus auch noch immer ein großes Studieninteresse von Menschen mit Fluchterfahrung aus beispielsweise Syrien, Venezuela, Afghanistan oder der Türkei gibt. Hinzu kommen nun die Anfragen von Studieninteressierten und Studierenden aus der Ukraine, die wir bei gleicher Personalkapazität bewältigen müssen. Das führt natürlich zu längeren Wartezeiten auf einen Termin.

Zum anderen ist es auch eine große Herausforderung, sich im Hinblick auf die Gesetzeslage stets aktuell informiert zu halten. Um richtig beraten zu können, müssen wir immer genau wissen, wenn sich Regelungen oder Gesetze ändern, was neben den alltäglichen Beratungen, Projekten und Aufgaben manchmal gar nicht so leicht ist und auch nur mit einer sehr guten Netzwerkarbeit gelingen kann.

Nicht zuletzt sind wir leider auch häufig in der Position, schlechte Nachrichten zu überbringen. Vielen Menschen ist oft kein schneller Zugang zur Hochschulbildung möglich, da die Studien- und Sprachvorbereitung sowie die Bewerbung um einen Studienplatz lange Zeit in Anspruch nehmen können. Dadurch stellt sich nach der Flucht oft eine Wartezeit ein. Das zu übermitteln fällt nicht immer leicht.

Matthey: Den letzten Punkt, den Jana gerade genannt hat, kann ich gleich mit einem Beispiel der Uni Leipzig verdeutlichen. Es ist definitiv eine Herausforderung, insbesondere Studierenden höherer Semester, deren Studiengänge an der Uni mit einem NC belegt sind, mitzuteilen, dass ihre Chancen auf die Weiterführung ihres Studienfaches aus Kapazitätsgründen teilweise nur sehr gering oder gar aussichtslos sind. Hier sind allen voran die medizinischen Fächer zu nennen.

  • "Neben der reinen Beratung von geflüchteten Studieninteressierten und Studierenden hören wir natürlich sehr individuelle Geschichten von unterbrochenen Bildungsbiographien bis hin zum Verlust von Familienmitgliedern oder Freund:innen. Dabei müssen wir versuchen, diese Informationen soweit es geht fern von uns zu halten, um weiterhin professionell beraten und den Menschen eine Stütze sein zu können."
    Jana Kuppardt

 

Als weitere Herausforderung in der Beratung sehe ich außerdem die teilweise langsam getroffenen politischen Beschlüsse, wie zum Beispiel rechtliche Regelungen zum Aufenthalt von Drittstaatler:innen, die aus der Ukraine fliehen mussten oder auch Regelungen zur Anerkennung der Schul- bzw. Studienleistungen. Das alles sind Aspekte, die uns und viele andere Beratungsstellen im Netzwerk des Öfteren mit einem unbefriedigenden Gefühl hinterließen, da wir die Ratsuchenden über längere Zeiträume hinweg nicht umfassend zu ihrem Studienvorhaben beraten konnten.

Außerdem empfinde ich es in diesen Zeiten auch als sehr wichtig, die Bedürfnisse anderer studieninteressierter Schutzsuchender weiterhin im Blick zu behalten. Allen voran denen, die in Deutschland das Asylverfahren durchlaufen müssen und dadurch teilweise anderen rechtlichen Bedingungen ausgesetzt sind. Vor allem auch hinsichtlich des Fachkräftemangels birgt diese Zielgruppe ein großes Potential, das sie wesentlich schneller entfalten könnte, wenn ihr nicht so hohe bürokratische Hürden im Weg stehen würden.

Welcher Moment im Hinblick auf Ihre Arbeit mit den Ukrainer:innen hat Sie besonders berührt und warum?

Kuppardt: Ich glaube, das, was mich im Hinblick auf Februar 2022 wirklich zutiefst berührte, war die Statistik, die das UNHCR veröffentlichte, dass inklusive der geflüchteten Ukrainer:innen weltweit circa 100 Millionen Menschen auf der Flucht sind vor Kriegen, Konflikten und Verfolgung. Neben der reinen Beratung von geflüchteten Studieninteressierten und Studierenden hören wir natürlich sehr individuelle Geschichten von unterbrochenen Bildungsbiographien bis hin zum Verlust von Familienmitgliedern oder Freund:innen. Dabei müssen wir versuchen, diese Informationen soweit es geht fern von uns zu halten, um weiterhin professionell beraten und den Menschen eine Stütze sein zu können. Das was mich dabei immer wieder aufs Neue berührt ist diese unbändige Willenskraft und dieser Mut der Menschen mit Fluchterfahrung, die hier in Deutschland beziehungsweise in Leipzig die Kraft aufbringen, nochmal ein neues Leben zu starten.

Matthey: Mir geht es genauso wie Jana. Ich finde es auch wahnsinnig erschütternd, wie viele Menschen weltweit aus ihrem Herkunftsland oder Aufenthaltsort fliehen müssen. Die Auswirkungen davon kriegen wir hier an der Uni Leipzig, wenngleich auch nur partiell, aufgrund der steigenden Beratungsanfragen relativ schnell auf Arbeitsebene mit. Für uns ist wichtig, dass wir die ankommenden Menschen bestmöglich zur Aufnahme oder Weiterführung ihres Hochschulbildungswegs beraten und sie begleiten sowie sie beispielsweise durch unsere studienvorbereitenden Deutschkurse gut auf das Studium vorbereiten.

Besonders berührt oder eher gefreut hat mich im Februar, dass das uniinterne wie auch externe Netzwerk, mit dem wir seit vielen Jahren gerne zusammenarbeiten, auch nach der digitalen Coronaphase schnell wieder reaktiviert wurde und die wichtige Arbeit, die es seit vielen Jahren leistet, erneut sichtbar wird. Eine umfassende Beratung kann nur mit der Expertise der verschiedenen Stellen passieren.

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