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Für viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Universität Leipzig hat sich das Arbeiten in Zeiten der Corona-Krise stark verändert. Die Redaktion des Leipziger Universitätsmagazins stellt deshalb Alltagsheldinnen und -helden vor, die verraten, wie sie persönliche Herausforderungen meistern. Heute ist es Robin Gühne, der als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Felix-Bloch-Institut für Festköperphysik der Fakultät für Physik und Geowissenschaften arbeitet. Der 34-jährige Physiker hat in einem gemeinsamen Projekt im cotutelle-Verfahren an unserer Uni und an der Victoria University of Wellington (Neuseeland) promoviert. Zu seinen Arbeitsaufgaben an der Universität gehören neben Forschung und Drittmittelanträgen auch Lehrangebote, die Betreuung von Studierenden und die Organisation verschiedener Labore. Im Interview berichtet der Postdoc, warum sich in Zeiten der Corona-Krise für ihn eigentlich wenig, aber trotzdem auch eine ganze Menge verändert hat.

Leipziger Universitätsmagazin: Herr Gühne, wie hat sich Ihr (Arbeits)alltag verändert?

Robin Gühne: Zunächst einmal möchte ich anmerken, dass es unter den aktuellen Umständen viele – bis sehr viele – Menschen gibt, die um einiges drastischere Einschränkungen in ihren Leben hinnehmen müssen, die gerade also um Vieles heldenhafter sein müssen als ich. Dennoch hat sich natürlich auch mein Alltag wesentlich verändert. Allerdings sind diese Veränderungen eher organisatorischer und weniger inhaltlicher Natur.

Vor welchen Herausforderungen standen Sie oder stehen Sie noch immer?

Tatsächlich konnte ich mich relativ leicht auf die neue Situation einstellen. Notwendige Gespräche mit meinem Chef und Studierenden et cetera ließen sich recht problemlos ins Internet verlegen. Probleme dabei entstehen vielleicht einmal, wenn die Verbindung hakt oder wenn man mit den Einschränkungen, die eine rein digitale Kommunikation mit sich bringt, an Grenzen stößt. Damit meine ich zum Beispiel, dass man im wissenschaftlichen Gespräch eben auch mal eine gemeinsame Tafel braucht, um Gedanken zu entwickeln. Das lässt sich mit Videotelefonie nicht ganz so leicht umsetzen, obwohl es natürlich auch dafür Lösungen gibt. Wir sind da in einem Lern- und Optimierungsprozess.

Ein Laborkurs lässt sich schlechterdings nicht durch eine Videoschalte ersetzen.

In Bezug auf die Lehre arbeiten wir noch an einer Lösung. Ursprünglich war ich in diesem Semester mit der Aufgabe betraut, einen Laborkurs als Begleitveranstaltung zu einer Vorlesung durchzuführen. Ein solcher Kurs lässt sich schlechterdings nicht durch eine Videoschalte ersetzen. Das Sich-im-Labor-bewegen ist integraler Bestandteil einer Ausbildung zum Physiker, wobei es neben der Vorbereitung und Durchführung von Experimenten auch um Sicherheit und potenzielle Risiken geht. Wir arbeiten in der Festkörperphysik oft mit tiefsiedenden Flüssigkeiten, wie Helium oder Stickstoff, sehr großen Magnetfeldern oder mit Geräten, die mit Starkstrom betrieben werden. Laborkurse sind also nicht ersetzbar. Zurzeit planen wir daher mit Blockkursen gegen Ende des Semesters – jeweils mit einer sehr kleinen Zahl von Studierenden und mit angemessenen Schutzmaßnahmen, um etwaigen Infektionen vorzubeugen.
Eine gewisse Herausforderung und gleichfalls eine große Chance ergibt sich meiner Meinung nach im Zusammenhang mit der allgemeinen Organisation des Arbeitsalltags. Ich denke, in der aktuellen Situation fallen manche Schwächen oder Mängel umso stärker auf. Das bietet die Chance, ein paar Variationen auszuprobieren, die letztlich auch im Normalzustand von Vorteil sein können. Konkret meine ich etwa das zeitliche Aufteilen von verschiedenen Tatigkeiten oder die richtige Organisation von Gesprächen inklusive der Vor- und Nacharbeiten.

Arbeiten Sie aktuell im Homeoffice? Welche Aufgaben erledigen Sie gegebenenfalls vor Ort?

Ich arbeite jetzt hauptsächlich von zuhause aus. Kontakte zu meinem Chef und Mentor, zu Kollegen und Studierenden laufen fast ausschließlich übers Telefon, über Skype und Zoom. Die Uni besuche ich nur für Experimente. Als Experimentalphysiker sind wir auf deren Durchführung natürlich existenziell angewiesen, um unsere Forschung voranzutreiben.

Mögen Sie uns einen typischen Arbeitstag beschreiben?

Zurzeit beginne ich am Morgen zwischen 8 und 9 Uhr mit Schreibarbeiten. Will heißen, wir schreiben gerade intensiv an Veröffentlichungen oder Anträgen und erfahrungsgemäß gelingt mir das am Morgen besser. Im Laufe des Vormittags tausche ich E-Mails mit meinem Chef aus, oft telefonieren wir auch. Dabei stimmen wir uns organisatorisch ab oder besprechen konkrete wissenschaftliche Fragestellungen, die sich auf Ergebnisse von Experimenten oder den Zusammenhang verschiedener Grundlagen beziehen.
Man darf dabei nicht vergessen, dass der Fortschritt in der Forschung erst im Rahmen der Diskussion und der daraus ableitbaren Schlussfolgerungen entsteht. Wir erforschen ja nichts, was schon bekannt ist. Wir leben in einem ständigen Für und Wider und versuchen, möglichst viele Positionen und Perspektiven einzunehmen, um jede Schwäche einer wissenschaftlichen Aussage, die sich auf bestimmte, möglichst allgemeine physikalische Zusammenhänge bezieht, auszuleuchten. In diesem Zusammenhang sind wir natürlich auch auf Kooperationen mit Kollegen im Ausland angewiesen. Wir arbeiten etwa mit Wissenschaftlern aus Tschechien, Kanada oder Neuseeland zusammen. Das heißt, diese Gespräche und Diskussionen sind die eigentliche wissenschaftliche Arbeit, und sie spinnen sich von Tag zu Tag fort.
Gegen Mittag suche ich meist – natürlich mit dem Fahrrad, allerdings unabhänig von der Krise – das Labor auf, werte Experimente aus und starte neue. Am Nachmittag kehre ich wieder Heim und arbeite weiter an Veröffentlichungen, Anträgen et cetera. Da es mir am Nachmittag nicht immer ganz so leicht fällt, etwa ein Paper zufriedenstellend zu schreiben, widme ich mich dann verstärkt der Aufarbeitung von Experimenten, Analysen, neuen Darstellungsformen von Ergebnissen, der Zusammenfassung der Gespräche vom Vormittag, Literaturrecherchen und so weiter.

Mit Blick auf die Corona-Pandemie: Sehen Sie durch die Lockerungen Gefahren für mehr Infektionen? Wie schützen Sie sich persönlich?

Es ist theoretisch ein schmaler Grad. Ich kann nicht wirklich abschätzen, wie „gefährlich“ die Lockerungen sind. Es muss aber ein vorsichtiges Entspannen der Restriktionen geben. Über das Tempo müssen Entscheidungsträger befinden, hoffentlich mit einem offenen Ohr für Experten. Dabei darf aber auch nicht vergessen werden, dass die Medizin als Wissenschaft natürlich keine finalen Antworten geben kann, dass Wissenschft eben auch in diesem Feld ein Für und Wider ist und dass es nichts Ungewöhliches ist, wenn manche Aussagen irgendwann abgewandelt werden müssen oder gar überholt sind. Hier denke ich, hat mancher ein grundlegend falsches Verständnis für Wissenschaft und ihren Geltungsbereich.
Ich sehe grundsätzlich keine unmittelbaren Gefahren durch die Lockerungen und vertrete eigentlich die Meinung, dass der mündige Bürger durchaus in der Lage sein sollte, selbstbestimmt die leider notwendigen Maßnahmen einzuhalten. Die Politik sollte also besser aufklären – soweit eben möglich – und weniger verbieten. Ich persönlich halte mich an die Vorgaben zu Mundschutz und Abstandsregeln.

Wie motivieren Sie sich in diesen Zeiten jeden Tag neu, Ihre Arbeit anzugehen?

Nicht anders als sonst. Es gibt mal bessere, mal schlechtere Tage. Aber unsere Arbeit ist so spannend, dass ich mich nicht erst motivieren muss.

Gibt es für Sie auch positive „Lehren“ aus der jüngsten Vergangenheit und unserem damit verbundenen, oftmals auf den Kopf gestellten Alltag?

Naja, man merkt schon, was einem fehlt, wenn man Freunde und Familie nicht mehr ganz so einfach treffen kann. Gesellschaftlich gibt es sicher einen gewissen Trend hin zu mehr Solidarischem. Allerdings gibt es auch sehr unschöne Entwicklungen. Wiederum gut sind bestimmte sozialpolitische Entwicklungen, die ohnehin schon lange hätten auf den Weg gebracht werden müssen: Stichworte sind  „das Ansehen bestimmter Berufgruppen“, „Möglichkeiten für Homeoffice“, „alternative Fortbewegungskonzepte“, „Angebote für Kinder“ und vieles mehr. Darum muss sich die Politik endlich ernsthaft kümmern. Andere Entwicklungen verheißen hingegen nicht viel Gutes: das Aussterben von Kultur, positive politische Entwicklungen in Bezug auf unsere Umwelt drohen zu stagnieren, soziale Ungleichheit …

Worauf freuen Sie sich – trotz Corona – in der näheren Zukunft?

Endlich wieder normal Menschen und Freunde treffen, mit Freunden Urlaub machen, gern auch regional.

Vielen Dank.
Die Fragen stellte Katrin Henneberg.

 

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