„Mir hat Mathematik schon immer Spaß gemacht – seit ich denken kann“, sagt Silvia Schöneburg-Lehnert. Ihre Begeisterung möchte sie Schülerinnen und Schülern weitergeben. Lehrerin wollte sie werden, da war sie sich sicher. Also studierte sie Latein und Mathematik auf Lehramt an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. „Schon während meiner Studienzeit habe ich versucht, beide Fächer zu verbinden“, sagt sie. „Als wissenschaftliche Hilfskraft habe ich lateinische Texte für die Mathematik übersetzt.“ Eine eigene, faszinierende Welt öffnete sich: Die Geschichte der Mathematik. Diese gefiel ihr so gut, dass sie gleich ihre Promotion ans Studium anschloss. Darin untersuchte sie die Lehrtätigkeit an der Universität Wittenberg im 16. und frühen 17. Jahrhundert, die überwiegend in der lateinischen Sprache stattfand. Könnte man einige Herangehensweisen der Gelehrten der Frühen Neuzeit auch noch heute für einen anschaulichen Unterricht verwenden? Silvia Schöneburg-Lehnert probierte es einfach aus.
Mathematik begreifbar machen
„Während meiner Promotion habe ich am Georg-Cantor-Gymnasium in Halle – das ist eine mathematisch-naturwissenschaftliche Spezialschule – ein halbjähriges Projekt zum Pantographen gemacht. Das ist ein historisches Zeichengerät zum Verkleinern und Vergrößern – eine Art Kopierapparat“, erläutert sie. Die Schüler erarbeiteten unter ihrer Anleitung auf Basis lateinischer Texte die Besonderheiten des Geräts, das auch „Alleszeichner“ oder „Storchenschnabel“ genannt wird. „Wir haben anhand von lateinischen Texten erarbeitet, welche Mathematik bei diesem Instrument zur Anwendung kommt und haben uns auch angeschaut, in welchen Bereichen der Pantograph genutzt wurde.“ Das kam bei den Schülerinnen und Schülern gut an. Eines sei im Unterricht wichtig: Den Schülern die Möglichkeit zu geben, selber mathematische Gesetzmäßigkeiten spielerisch und experimentell zu entdecken und herzuleiten, anstelle vom Lehrer vorgegebene Formeln zu pauken. „Aber diese praktisch heranführende Herangehensweise ist aufwändiger, man hat nicht immer die Zeit dafür.“ Selbstverständlich sei für einen guten Unterricht nicht nur die Didaktik wichtig, so Schöneburg-Lehnert. „Ein guter Mathematiklehrer braucht natürlich auch eine gute fachliche Basis, das darf man auch nicht unterschätzen.“
Verbindung von Theorie und Praxis ist wichtig
Nach der Promotion machte Silvia Schönburg-Lehnert ihr zweijähriges Referendariat an einem Gymnasium. „Das war für mich sehr wichtig, Schule ‚von innen‘ erleben zu können. So habe ich gesehen, was im Unterricht funktioniert und wo man didaktisch vielleicht noch anders herangehen muss als in der Theorie beschrieben.“ Anschließend zog es sie jedoch wieder an die Uni. „Ich hatte die Möglichkeit, mit einem weiteren Stipendium zurück an die Universität Halle in die Mathematik-Didaktik-Forschung zu gehen, und das reizte mich sehr.“ Im Wintersemester 2010 übernahm sie dann eine Vertretungsprofessur an der Uni Leipzig. Zwei Jahre später trat sie im Tenure-Track-Programm eine Junior-Professur in Leipzig an. Seit Wintersemester 2018 ist sie ordentliche Professorin für Didaktik der Mathematik an der Uni Leipzig, an der sie Mathematik-Geschichte und moderne didaktische Ansätze verbindet. Den Kontakt zur schulischen Praxis hält sie dauerhaft aufrecht, etwa durch sogenannte abgeordnete Lehrkräfte, die mit einer halben Stelle bei ihr an der Uni beschäftigt sind und die andere Hälfte an einer Schule unterrichten. Dies ermöglicht den unabdingbaren Austausch von Praxis und Lehre.
Lernen wie ein Erzherzog
„Gemeinsam mit Dr. Thomas Krohn versuchen wir hier an der Uni Leipzig das sogenannte Organum Mathematicum für den Unterricht nutzbar zu machen. Das ist ein mathematischer Schrein mit zehn Fächern, die verschiedenen mathematischen Disziplinen des 17. Jahrhunderts gewidmet sind.“ Der Schrein wurde für den Unterricht des 12-jährigen Erzherzogs Karl Joseph von Habsburg erdacht und hergestellt. Mit dieser „Mathe-Orgel“ sollten auf anschauliche Weise dem herzoglichen Schüler die Arithmetik, Geometrie, Astronomie nahegebracht werden sowie konkrete Anwendungsgebiete, wie etwa die Konstruktion von Sonnenuhren oder der Festungsbau. „Auf der einen Seite nutzen wir heute die Fächer des Schreins wie damals vorgesehen für mathematische Anwendungen“, so Schöneburg-Lehnert. „Darüber hinaus durchforsten wir mit den Schülern den jeweils mathematischen Hintergrund der in den Fächern enthaltenen Materialien“. Das Ziel ihres Ansatzes: Die Kompetenzen in der Anwendung mathematischen Wissens bei Problemlösungen zu stärken. Derzeit konzipieren Lehramt-Studierende die didaktische Aufbereitung weiterer Fächer des Schreins in ihren Staatsexamensarbeiten.
Ausgebildete Lerntherapeutin
Ein weiterer Punkt, mit dem sich die Professorin in ihrer Arbeit an der Uni Leipzig beschäftigt, ist Lernschwäche bei Schülern, genauer gesagt der Dyskalkulie – also der Rechenschwäche. Um die Bedarfe betroffener Schüler besser zu verstehen, hat sie sich während ihrer Junior-Professur zusätzlich als Lerntherapeutin am Duden-Institut ausbilden lassen und selbst in den vergangenen Jahren betroffene Kinder therapiert. „Ich muss doch wissen, wovon ich rede“, konstatiert sie. „Wir haben uns das Thema Rechenschwäche hier an die Uni geholt, weil wir gesehen haben, dass es nicht nur ein Phänomen der Grundschule ist. Auch an Oberschulen und sogar Gymnasien sitzen Schüler mit solch einer unentdeckten Lernschwäche.“ Eine Doktorandin von ihr hat einen Test für Schulen für die Klassenstufe 8 entwickelt, um Lehrern eine Hilfestellung an die Hand zu geben, wie sie eine Rechenschwäche bei Schülern erkennen können. „Wir möchten das Bewusstsein stärken, dass auch die Lerntherapie ein Weg sein kann, um Kinder und Jugendliche abzuholen und eine Hilfestellung zu geben.“ Denn an Mathe verzweifeln soll niemand.
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