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Das eigene Lebensende bestmöglich vorauszuplanen und zu organisieren – darum hat sich in Japan ein ganzer Dienstleistungszweig entwickelt. Als Dr. Dorothea Mladenova bei ihren Japan-Aufenthalten immer wieder Werbung dafür sah, war ihr Interesse geweckt. Die Japanologin schrieb dazu ihre Dissertation, die jetzt unter dem Titel „Selbstoptimierung bis in den Tod“ als Buch erschienen ist.

Sie haben sich in Ihrem Promotionsprojekt mit dem japanischen Konzept "shūkatsu" beschäftigt. Können Sie dieses Konzept bitte kurz erläutern? Was hat Sie daran fasziniert, zu untersuchen, wie sich Japaner:innen auf ihr Lebensende vorbereiten?

Shūkatsu ist eine Wortneuschöpfung der Bestattungsindustrie und bedeutet, sich auf sein Ableben selbst vorzubereiten. Das Ziel ist, selbstbestimmte Entscheidungen über das eigene Ableben zu treffen, vor allem aber dabei niemandem zur Last zu fallen. Mich hat daran fasziniert, dass extra ein neues Wort dafür geschaffen wurde, mit dem sich gut Werbung für Dienstleistungen rund ums Alter(n) und Ableben machen lässt.

Zugleich soll damit aber auch ein Kulturwandel angeregt werden. War es früher noch selbstverständlich, dass sich die Nachkommen (der älteste Sohn und die Schwiegertochter) um ältere Menschen kümmern, ist die Bereitschaft, diese Aufgabe zu übernehmen, gesunken und die ältere Generation will es den eigenen Kindern auch immer seltener zumuten. Viele haben auch gar keine Kinder. Daher sollen die Menschen nun lernen, ihr Lebensende frühzeitig selbst zu organisieren.

Da habe ich mich gefragt: Was macht das mit den Menschen, wenn sie überall – in der U-Bahn-Werbung, in Zeitschriften, im Fernsehen – dazu aufgerufen werden, sich mit ihrem eigenen Ableben zu beschäftigen und selbst Vorkehrungen zu treffen?

Der Titel Ihres Buches besagt, dass selbst das Sterben zumindest in Japan der Selbstoptimierung unterliegt. Wie haben Sie diese These wissenschaftlich überprüft?

Die alten Normen in Bezug darauf, wer sich um das (pflegebedürftige) Alter, das Sterben, die Bestattung und die Verwaltung der Hinterlassenschaften kümmert, lösen sich auf. Mit der shūkatsu-Kampagne werden nun neue Normen etabliert: dass sich eben das Individuum darum selbst kümmert – und nicht etwa die Familie, die nachbarschaftliche Gemeinschaft oder die Gesellschaft.

Ich habe daher zuerst in den Texten und Äußerungen der Anbieter:innen von shūkatsu-Diensten untersucht, wie sie sich dieses neue Subjekt idealerweise vorstellen: Es soll sich seiner Sterblichkeit stets bewusst sein, sich informieren und vorsorgen, kurzum: aktiv werden in Bezug auf das eigene Sterben, dabei aber stets das Gemeinwohl im Hinterkopf behalten, d.h. niemandem zur Last fallen. Das erinnert stellenweise an „Das unternehmerische Selbst“, das Ulrich Bröckling beschrieben hat.

Auf der Nutzer:innen-Seite habe ich Interviews mit Menschen geführt, die shūkatsu entweder selbst betreiben oder aber zumindest davon gehört und dazu eine Meinung haben. Ich habe dann untersucht, ob sich zwischen den Nutzer:innen-Interviews und den normativen Vorgaben Überschneidungen finden lassen und wo sie voneinander divergieren. Daraus habe ich Typen im Spektrum zwischen Annahme, (widerständiger) Aneignung und Ablehnung generiert.

Sterben hat sich zu einem individuell zu lösenden und zu bewältigenden Problem gewandelt.“ Lässt sich diese Erkenntnis auch auf den westlichen Kulturkreis übertragen?

Der Neoliberalismus hat diese individualisierenden Tendenzen generell, daher: ja. Ich habe hier am Fallbeispiel Japan untersucht, wie das Sterben in Produkte und in eine Subjektvorstellung gepackt wird. Das hat einige Japanspezifika, aber die Grundidee der Individualisierung und des Konsums, die lässt sich in Deutschland ebenfalls beobachten. 

Mehr erfahren im Podcast

Sushi, Manga, Anime – mit Japan verbinden wir viele Klischees, aber was ist da eigentlich dran? Japanolog:innen versuchen, einen realistischen Blick auf Japan zu gewinnen. Dr. Dorothea Mladenova ist zu Gast in der Folge 40 von "Auf einen Kaffee mit...", dem Wissenschaftspodcast der Universiät Leipzig.
 

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