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Historische Boxfilme, Unterhaltungsmedien und wissenschaftliche Forschungsliteratur: Prof. Dr. Olaf Stieglitz und seine Studierenden schöpfen aus einer großen Quellenvielfalt, um die USA im 20. Jahrhundert besser zu verstehen. „Körper, Körperlichkeit und Sportgeschichte können uns viel über eine Gesellschaft verraten. Die Diskussion über Körper bringt automatisch weitere Themen mit sich, die wir auch in der Kulturgeschichte und den Kulturstudien analysieren“, sagt Stieglitz.

Das Thema Sport und Sportgeschichte in den USA beschäftigt Olaf Stieglitz, seit 2021 Professor für Amerikanische Kulturgeschichte, schon lange. „In beinahe jeder meiner Lehrveranstaltungen gibt es eine Sitzung zu Sport“, erklärt er. „Dann habe ich angefangen, Seminare zu unterrichten, die sich nur damit befassen, von einführenden Kursen im Bachelor bis hin zu sehr spezifischen Veranstaltungen im Master.“

Sein aktuelles Seminar konzentriert sich auf das 20. Jahrhundert. Gemeinsam mit knapp 15 Studierenden (B. A. Amerikastudien, Wahlbereich sowie Austauschstudierende) untersucht Stieglitz Aspekte, durch die Sport und Sportgeschichte relevant für die amerikanische Kultur und Gesellschaft werden. „Wenn wir über Sport sprechen, reden wir immer auch über Körper und Körperlichkeit“, so Stieglitz. „Und die Diskussion über Körper bringt automatisch weitere Themen mit sich, die wir auch in der Kulturgeschichte und den Kulturstudien analysieren.“

Seine Lehrveranstaltung beschreibt der Dozent als „Geschichtsseminar“, aber eines mit vielfältigen und weitreichenden politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen auf die Gegenwart. Stieglitz‘ Ansatzpunkt ist dabei, auf die Interessen seiner Studierenden einzugehen und diese dann zu historisieren. „Struktureller Rassismus oder die Benachteiligung von Frauen beschäftigen viele unserer Studierenden“, berichtet Stieglitz. „Aber wenn wir die aktuelle Situation in den USA verstehen wollen, müssen wir uns zuerst anschauen, wie sich das Ganze entwickelt hat.“

Warum es wichtig ist, wer in Nationalmannschaften vertreten ist

Die Linse, durch die er und seine Studierenden in diesem Semester schauen, ist dabei geschärft durch Sport und Sportgeschichte. Aufgeteilt in die Epochen 1900 bis 1940 sowie 1940 bis 1990, befasst sich das Seminar mit Aspekten wie nationaler Identität, Geschlechtlichkeit, "Race" und Ethnizität, Medien und Politik – allesamt Konzepte, die in den Kulturstudien eine große Rolle spielen. Wie eng sie miteinander verwoben sind, beschreibt Stieglitz am Beispiel der Olympischen Spiele.

„Ursprünglich“, erklärt er, „war die Idee, die Jugend der Welt zur Feier des Sports zusammenzubringen. Aber neben diesem völkerverbindenden Aspekt war es den Nationen von Anfang an sehr wichtig, im Wettkampf möglichst viele Medaillen zu gewinnen.“ Die Konkurrenz unter den einzelnen Ländern war somit recht hoch; gleichzeitig waren die USA zu Beginn des 20. Jahrhunderts gerade erst dabei, ihre Rolle im globalen Kontext zu entwickeln und zu finden. Umso bedeutender war es da, auf internationaler Ebene Macht und Stärke zu demonstrieren.

zur Vergrößerungsansicht des Bildes: Zu sehen ist der afroamerikanische Schwergewichtsboxer Jack Johnson.
Der afroamerikanische Schwergewichtsboxer Jack Johnson ist einer der Sportler, mit dem und seiner Inszenierung sich Stieglitz und seine Studierenden im Seminar beschäftigen. Quelle: Wikipedia

„Eine Sportmannschaft bei den Olympischen Spielen repräsentiert immer auch das entsprechende Land“, betont Stieglitz. Wer Teil dieser Mannschaft ist und sein darf, hat daher stets eine politische Implikation: „Wer wird ausgeschlossen, wer darf – im wahrsten Sinne des Wortes - mitspielen? Afroamerikanische Sportler und Sportlerinnen sowie solche mit Native American Hintergrund konnten zwar dabei sein und sammelten Medaillen für die USA, waren allerdings auch Kritik und Anfeindungen ausgesetzt.“

Platz für eigene Forschungsinteressen und Materialvielfalt

Sein Seminar bietet den Studierenden dabei viel Raum, ihre eigenen Ideen einzubringen. In sogenannten Moderationsgruppen übernehmen jeweils drei Personen die Verantwortung für eine Sitzung. Auf diese Weise üben die Studierenden, sich innerhalb der Kleingruppe zu organisieren und gemeinsam den ganzen Ablauf einer Seminarsitzung, und nicht bloß eine 15-minütige Präsentation, zu planen.

„Das lässt viel Platz für die eigenen Forschungsinteressen der Studierenden“, erzählt Olaf Stieglitz. „Gleichzeitig haben sie Gelegenheit, sich intensiv mit den Themen und Materialien auseinanderzusetzen. So können sie bereits überlegen, welche Thesen man aufstellen kann, ob weitere Literatur benötigt wird, um bestimmte Fragestellungen zu beantworten – das sind alles Aspekte, die auch beim Schreiben der Hausarbeit wichtig sind.“

Neben Forschungsliteratur und theoretischen Texten kommen im Seminar vielfältige, anschauliche Beispiele zum Einsatz. So schaut sich die Gruppe etwa einen kurzen Film von 1910 über Jack Johnson, den ersten afroamerikanischen Schwergewichtsmeister im Boxen, an. „Auch mediengeschichtlich ist es für die Studierenden sehr interessant, einen so alten Film anzusehen“, erklärt Olaf Stieglitz. „Gemeinsam lernen wir, historische Filme in ihrem Kontext zu begreifen und zu analysieren, beispielsweise auf welche Weise Johnson präsentiert und in Szene gesetzt wird.“

Immer präsent: der Bezug zu den USA im Hier und Jetzt

Obwohl der starke Fokus auf geschichtliche Themen für viele Amerikanistikstudierende neu ist, lassen sie sich immer gerne darauf ein. Denn, so betont Olaf Stieglitz, „für viele Studierende ist es augenöffnend, die historischen Anfänge der Diskurse kennenzulernen, die wir heute führen.“

Anfang Juli, kurz vor Semesterende, beginnt für Stieglitz die Zeit der ausführlichen Beratungsrunden, um die Studierenden optimal bei der Recherche für ein geeignetes Hausarbeitsthema zu unterstützen. Die Möglichkeiten sind schier unendlich, gut 100 Jahre amerikanische Sportgeschichte und vielfältige Aspekte wie Geschlechterstereotypen, Macht, Politik, Ethnizität und nationale Identität stehen zur Auswahl. Eins ist klar: Auch für Olaf Stieglitz ist das Thema Sportgeschichte noch lange nicht zu Ende erforscht.

Fokus: Lehre: Das Seminar „Sports History as 20th Century U.S. Cultural History“ im Modul 04-001-1010 des Instituts für Amerkanistik ist eine von über 800 philologischen Lehrveranstaltungen im Sommersemester 2023.

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