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Seit Beginn dieses Jahres demonstrieren deutschlandweit Hunderttausende für Demokratie und gegen Rechtsextremismus. Wie vielfältig sich Forschende mit den gegenwärtigen Herausforderungen für die Demokratie, ihren Ursachen und möglichen Lösungen auseinandersetzen, zeigen vier herausragende Transferprojekte, die jetzt mit Unterstützung des universitätseigenen Förderprogramms „Wissenschaft trifft Gesellschaft“ beginnen. Dazu zählen die Gesprächsreihe „Jetzt in Sachsen“, für die Wissenschaftler:innen durch Sachsen reisen und die Menschen vor Ort zum Gespräch einladen, ein Leitfaden für Kommunen zur Klimakommunikation, eine Wissensspur durch Leipzig und ein Projekt für diskriminierungsfreie KI für Schüler:innen.

Mit dem Programm „Wissenschaft trifft Gesellschaft“ und seinem Schwesterprogramm „Wissenschaft trifft Wirtschaft“ unterstützt die Universität Leipzig den Start neuer, besonders vielversprechender Aktivitäten im Wissens- und Technologietransfer. In diesem Jahr wurden vier Initiativen ausgewählt. Sie erhalten eine Förderung von maximal 15.000 Euro für die Umsetzung ihrer Idee.

VERSTEHEN, WAS "JETZT IN SACHSEN" PASSIERT

Dr. Fiona Kalkstein und Dr. Piotr Kocyba wollen in den kommenden Monaten gemeinsam mit anderen Forschenden des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts (EFBI) der Universität Leipzig und in Kooperation mit dem Verein „Netzwerk Tolerantes Sachsen“ mit Politiker:innen, zivilgesellschaftlichen Akteur:innen und Bürger:innen sowie Journalist:innen ins Gespräch kommen. Zusammen mit lokalen demokratischen Vereinen und Gruppen laden sie zur Gesprächsreihe „Jetzt in Sachsen!“ ein, um über gesellschaftliche Herausforderungen, ihre politischen Rahmenbedingungen und die Rolle der Zivilgesellschaft zu sprechen, erklärt Piotr Kocyba.

Gesellschaftliche Konflikte spielen sich nicht nur auf der Bundesebene ab, sondern werden auch im Lokalen an konkreten Themen deutlich. Gerade in Klein- und Mittelstädten werden Konflikte oft unmittelbarer und persönlicher erlebt als in Großstädten.

Dr. Piotr Kocyba

In Riesa beispielsweise werden die Forschenden und Vertreter:innen des Vereins Sprungbrett mit Staatsminister Martin Dulig über Arbeitskämpfe und betriebliche Organisation gemeinsam mit anwesenden Bürger:innen und Journalist:innen diskutieren. Weitere Veranstaltungen werden sich damit beschäftigen, was eine demokratische Zivilgesellschaft ausmacht (Netzwerk für Demokratische Kultur e. V., Wurzen), was demokratischen Protest ausmacht (Hillersche Villa, Zittau) oder wieso Antifeminismus eine Bedrohung für die Demokratie darstellt (Ort der Demokratie, Aue).

zur Vergrößerungsansicht des Bildes: Zwei Menschen sitzen auf einem Sofa und unterhalten sich
Die Diskussion vor der Diskussion: Dr. Piotr Kocyba und Dr. Fiona Kalkstein vom Else-Frenkel-Brunswik-Institut planen die Gesprächsreihe „Jetzt in Sachsen“. Foto: Pia Siemer

GuTes Klima: Klimagerechte Transformation durch Kommunikation

Auch der Klimawandel fordert die Demokratie in ganz verschiedenen Bereichen heraus: Hinsichtlich der gerechten Verteilung von Ressourcen und Lasten, mit Blick auf die Durchsetzung unpopulärer politischer Entscheidungen und auch die öffentliche politische Debatte selbst. Das sieht man im globalen Maßstab ebenso wie lokal vor der eigenen Haustür. Das Projekt „Gerechtigkeit und urbane Transformation Leipzigs in Zeiten galoppierenden Klimawandels“ (GuTes Klima) um den Meteorologen Dr. Karsten Haustein versucht daher, Kommunikationsstrategien für Kommunen zu entwickeln, die einerseits die Bedenken und Sorgen von Bürger:innen, Unternehmen und auch Verwaltungen ernst nehmen, und andererseits eine gemeinsame Anstrengung für die schrittweise klimaneutrale und klimaresiliente Anpassung ihrer Stadt möglich machen. Dabei stehen die soziale und intersektionale Gerechtigkeit sowie Teilhabe im Vordergrund.

Die Frage lautet: Warum gibt es trotz der Faktenlage derart viel Widerstand gegen die nötige Transformation in den wichtigsten Sektoren? Mit ‚GuTes Klima‘ wollen wir diese Frage zunächst für den Wandel im Verkehrssektor beantworten.

Dr. Karsten Haustein

In Zusammenarbeit mit der Stadt Leipzig und dem Verein „Changing Cities“ sowie seinem Leipziger Ableger „Verkehrswende Leipzig“ wollen die Forscher:innen daher strukturelle Probleme und „diskursive Fallen und Fehler“ in der Klimakommunikation analysieren und die individuellen Erfahrungen der Akteur:innen vor Ort verstehen. Im Ergebnis soll ein einfacher und universell anwendbarer Kommunikationsleitfaden für kommunale Entscheidungsträger:innen, zivilgesellschaftliche Akteur:innen sowie Forschende entstehen.

zur Vergrößerungsansicht des Bildes: Blick auf eine Fahrradgarage mit vielen Fahrrädern
Vorreiter Niederlande: Alte Fahrradparkanlage Amsterdam Centraal 2014, direkt neben Fähre und zentraler Bushaltestelle. 2023 wurde die Fahrradparkanlage durch ein modernes Unterwasserparkhaus für Fahrräder ersetzt. Foto:…

Wissenschaft verständlich machen: Leipziger Wissensspur

Damit politische Akteure und Bürger:innen wissenschaftlichen Empfehlungen folgen können, müssen sie diese allerdings verstehen und auch, wie Forschende zu ihren Erkenntnissen kommen. Prof. Dr. Jürgen Vollmer vom Institut für Theoretische Physik setzt daher gemeinsam mit Kolleg:innen und Studierenden aus verschiedensten Instituten der Universität bei der Wissenschaftskommunikation außerhalb von Schule und Universität an. Gemeinsam mit dem Verein „INSPIRATA – Zentrum für mathematisch-naturwissenschaftliche Bildung“,  Prof. Dr. Andreas Huth vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) und Dr. Veit Heller vom Musikinstrumentenmuseum der Universität konzipieren sie einen Stadtrundgang auf der Leipziger Wissensspur.

Uns geht es uns darum, dass Menschen verstehen, wie Wissenschaft funktioniert, dass Versuch und Irrtum, dass das Widerlegen von Hypothesen und die Entwicklung neuer Theorien zum Kern wissenschaftlichen Arbeitens gehören.

Prof. Dr. Jürgen Vollmer

Entlang des Stadtrundgangs, der wie die Leipziger Notenspur durch einen mehrsprachigen Audioguide via App begleitet wird, sollen Bürger:innen und Besucher:innen der Stadt die vielfältigen Facetten der Leipziger Wissen(schaft)skultur kennenlernen und sich mit ihnen auseinandersetzen. Dabei wird es nicht nur um herausragende Standorte der Leipziger Wissenschaft und Wissenschaftsgeschichte gehen, sondern auch um aktuelle Themen wie Klimawandel, Digitalisierung und globale Krisen. Auf diese Weise will die Initiative zweierlei erreichen: Einerseits sollen die Leipziger Wissenschaftseinrichtungen durch ihren gemeinsamen Beitrag zur Wissensspur noch besser zusammenarbeiten. Andererseits aber, und das ist Vollmer noch wichtiger, soll Wissenschaft so besser verständlich werden. Die ersten Gespräche zur Umsetzung mit Stadt, weiteren Förderern und Leipziger Wissenschaftseinrichtungen laufen  bereits. Ende 2024 soll der erste Stadtrundgang auf den Spuren der Wissenschaft fertig sein.

zur Vergrößerungsansicht des Bildes: Stadtplan von Leipzig mit einer blauen Linie, die die Leipziger Wissensspur anzeigt
Sieben Kilometer Wissenschaft: Das sind mögliche Stationen der Leipziger Wissensspur. Quelle: www.inspirata.de/wissensspur

Gesellschaftliche und digitale Teilhabe für alle: KI-Kids

Dr. Anne Goldbach vom Institut für Förderpädagogik widmet sich in ihrem Projekt „Wenn Algorithmen Vorurteile haben. KI gemeinsam inklusiv und diskriminierungsfrei entwickeln“ (KI-Kids) einem Thema, das einerseits immer häufiger in Debatten auftaucht, dessen Konsequenzen für Demokratien aber noch lange nicht in vollem Umfang absehbar sind: Der Entwicklung künstlicher Intelligenz (KI).

Anne Goldbach beschäftigt sich mit KI, mit der wir schon jetzt im Alltag häufig zu tun haben, sogenannter Schwacher KI. Diese kann nicht kreativ lernen, sondern lediglich Erkennungsmuster trainieren (Machine Learning) oder auch sehr große Datenmengen durchsuchen und zusammenfassen und dadurch klar definierte – auch komplexere – Aufgaben nach festgelegten Methoden sehr schnell und effizient lösen. Anne Goldbach sucht nach Wegen, wie solche KI-gestützten Tools möglichst vielen Menschen zugänglich werden, benachteiligte Personengruppen unterstützen und ihnen dadurch auch mehr gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen könnten.

Ein Problem, das bisher viel zu wenig Berücksichtigung findet, ist die unzureichende Diskriminierungssensiblität von KI-Systemen. Obwohl das Problem bekannt ist, wird bisher noch zu wenig dafür getan, daran auch etwas zu ändern.

Dr. Anne Goldbach

Gemeinsam mit Johannes Häfner vom Center for Scalable Data Analytics and Artificial Intelligence (ScaDS.AI) an der Universität Leipzig und Nico Leonhardt vom Referat Inklusive Bildung der GEW Sachsen will sie Wege ausprobieren, mit denen Schüler:innen mit kognitiven Beeinträchtigungen künftig aktiv in die Entwicklung von KI einbezogen werden können. Dazu will das Team zunächst herausfinden, inwiefern bei der Arbeit mit KI-Tools in inklusiven Gruppen diskriminierendes Potenzial deutlich wird. Gemeinsam mit den Schüler:innen werden Ideen entwickelt, wie das geändert werden kann. Dazu gibt es im Mai einen eintägigen inklusiven Hackathon mit rund 50 Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 16 Jahren. Die Ergebnisse sollen dann in einen Antrag für ein größeres Forschungsprojekt fließen, mit dem das Team in einem Schulnetzwerk an der kooperativen, diskriminierungsfreien Entwicklungsstrukturen für KI-Werkzeuge arbeiten möchte.

zur Vergrößerungsansicht des Bildes: Abstrakte Darstellung eines digitalen Abbilds mit dem Foto von zwei Personen.
Wir müssen Strukturen entwickeln, die künftig sicherstellen, dass KI nicht diskriminiert, fordert Dr. Anne Goldbach. Foto: Colourbox

Mit dem Programm „Wissenschaft trifft Gesellschaft“ und seinem Schwesterprogramm „Wissenschaft trifft Wirtschaft“ unterstützt die Universität Leipzig den Start neuer, besonders vielversprechender Aktivitäten im Wissens- und Technologietransfer. Jährlich stehen dafür 60.000 € zur Verfügung, pro Projekt können maximal 15.000 € beantragt werden. Voraussetzung ist die Kooperation mit einem externen Partner aus Gesellschaft oder Wirtschaft. Die Ausschreibung des Programms wird jeweils im Spätsommer veröffentlicht, die Auswahl der Projekte findet im Herbst statt.

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