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Wie können wir, wir als Individuum und wir als Gesellschaft, nachhaltiger handeln, um die globale Erwärmung zu verlangsamen? Das war ein zentrales Thema der Veranstaltung "Uni im Dialog: Nachhaltigkeit und gesellschaftlicher Zusammenhalt" am Montag, 17. Juni, im Hörsaal 3 auf dem Campus Augustusplatz. Welche Rolle spielt dabei soziale Gerechtigkeit, regional wie auch global? Dazu diskutierten Dr. Nina Mackert, wissenschaftliche Mitarbeiterin im interdisziplinären "LeipzigLab - Global Health", Prof. Dr. Immo Fritsche, Professor für Sozialpsychologie an der Universität Leipzig, Nina Maherndl, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Meteorologie der Universität Leipzig, Roman Behrends, studentischer Senator sowie Prorektor Prof. Dr. Matthias Middell, Direktor des Global and European Studies Institute an der Universität Leipzig.

Rektorin Prof. Dr. Eva Inés Obergfell führte zunächst in die Podiumsdiskussion ein und brachte den thematischen Schwerpunkt dieses Abends auf den Punkt: „Wir sprechen von der Reduktion unseres ökologischen Fußabdrucks. Dies umfasst alltägliche Maßnahmen wie die Optimierung des Energieverbrauchs, die nachhaltige Gestaltung unserer Campusinfrastruktur oder die Reduzierung der CO₂-Emissionen, die beispielsweise durch Dienstreisen und den universitären Betrieb entstehen. Doch darüber hinaus haben wir auch einen bedeutenden ‚Handabdruck‘ – das sind die positiven Effekte, die wir durch unser Handeln, unsere Forschung und Bildung erzeugen.“ Und vor allem um besagten Handabdruck sollte es an diesem Abend gehen. 

Obergfell verwies auf die Nachhaltigkeitsstrategie, die demnächst vom Senat der Universität verabschiedet werden soll und nicht nur den nachhaltigen Campusbetrieb beinhaltet, sondern auch, wie Nachhaltigkeit in Forschung, Lehre und Transfer verankert werden kann.

zur Vergrößerungsansicht des Bildes: Zu sehen ist Rektorin Prof. Obergfell, die am Rednerpult in die Veranstaltung einführt
Rektorin Prof. Dr. Eva Inés Obergfell begrüßte das Podium und das Publikum und führte in das Thema des Abends ein. Foto: Ulf Walther

Die Diskussion wurde von Moderator Leonard Roemer (mephisto 97.6) mit der Frage eröffnet, ob es einen Bedeutungsverlust fürs Klima gäbe, angesichts weniger Teilnehmenden bei Klimaprotesten oder auch von Wahlumfragen, wonach die Wahlberechtigten angeben, dass die Klimakrise derzeit nicht das Thema ist, was ihnen am meisten Sorgen mache. Roman Behrends sagte dazu: „Wir haben keinen Bedeutsamkeitsverlust der Nachhaltigkeit, sondern mehr Krisen, die die Aufmerksamkeit der Studierenden bedarf. Wir hatten eine Pandemie, den Angriffskrieg auf die Ukraine, den Nahost-Konflikt, der polarisiert. Vor der Pandemie, 2018/19, gab es diese Konflikte so noch nicht. Die Klimakrise hatte damals mehr Aufmerksamkeit.“

Hilflose Politik?

Eine gewisse Hilflosigkeit machten die Diskutierenden aus, nicht nur bei den Menschen als Individuen, sondern auch in der Gesellschaft und sogar der Politik, wie dem Klimawandel wirksam und kollektiv begegnet werden könnte. „Die Politik gibt zu, dass sie nicht genug tun kann“, sagte Matthias Middell. Sozialpsychologe Immo Fritzsche merkte an: „Der Diskurs [über den Klimawandel und Nachhaltigkeit] führt dazu, dass das Thema immer wieder auf den Tisch kommt. Es ist gerechtfertigt, von einer großen Krise zu sprechen. Eine wichtige Rolle spielt, wie wir Klimawandel wahrnehmen: ist es ein persönliches Problem oder ein kollektives? Das Bewusstsein ist da, das Handeln aber nicht.“ 

Wie schwierig Handeln sein kann, verdeutlichte Historikerin Nina Mackert an Hand eines praktischen Beispiels: Die „Planetary Health Diet“ ist ein Speiseplan, der die Gesundheit des Menschen und des Planeten gleichermaßen schützen könnte. Erarbeitet wurde dieser 2019 von 37 Wissenschaftler:innen aus unterschiedlichen Disziplinen und 16 Ländern. Dieser Speiseplan sieht eine ausgewogene Ernährung mit ausreichend pflanzlichen und tierischen Proteinen und 2,500 Kilokalorien täglich vor. Die dem Vorschlag zugrunde liegende Kritik an der Umweltzerstörung durch die Nahrungsmittelindustrie sei begrüßenswert, so Nina Mackert. Allerdings missachte konkret dieser Plan unter anderem kulturelle und religiöse Gepflogenheiten der Völker dieser Erde, beispielsweise eine, so Mackert, „Ernährungssouvernität“. 

Meteorologin Nina Maherndl merkte an: „Das 1,5 Grad-Ziel [des Pariser Klimaabkommens] zu erreichen ist illusorisch. Ich möchte kommunizieren, dass es das Problem gibt. Die Öffentlichkeitsarbeit dazu ist mir als Wissenschaftlerin wichtig.“ Ist das 1,5 Grad-Ziel also nicht mehr erreichbar? „Es ist ein Bewusstein von globalen Herausforderungen entstanden. Wir müssen uns von dem Druck befreien, das Problem kurzfristig und endgültig zu lösen. Wir werden das 1,5 Grad-Ziel möglicherweise nicht schaffen, aber es wäre schön, eine Trendumkehr hinzubekommen. Dazu braucht es politische Akteure“, sagt Historiker Middell: „Wir sind in eine Falle geraten, aus der wir sehen müssen, wie wir vorsichtig wieder herauskommen, ohne den Klimawandel zu leugnen“. Denn Panik bringe uns nicht weiter.

Wir brauchen, um anders zu forschen, eine größere Gleichberechtigung der Disziplinen!

Dr. Nina Mackert

Und was bringt uns weiter? Beispielsweise müsse die Systemfrage gestellt werden, sagt Roman Behrends: „Wir haben ein ausbeutendes System des Kapitalismus: Der globale Norden beutet den globalen Süden aus – Arm gegen reich. Die Universität hat eine große Verantwortung, kritische Lehre zu ermöglichen.“ Und: „Es werden immer mehr Menschen flüchten und nach Europa kommen.“ Insbesondere aus dem globalen Süden.

Wie können nun alle, globalgesehen, mitgenommen werden? Das funktioniere nur, in dem die verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen stärker zusammenarbeiten, so, wie es zum Beispiel das Konzept des LeipzigLab an der Universität Leipzig vorsieht: „Die interdisziplinäre Vernetzungen in einem innovativen Wissenschaftsumfeld“. Nina Mackert, die am LeipzigLab arbeitet, sagte dazu: „Wir diskutieren Klimawandel stark als naturwissenschaftliche Frage. Ist die Klimakrise ein Symptom für eine Gerechtigkeitskrise? Ist es eine Polykrise? Polarisiert deshalb vielleicht die Klimakrise? Wir müssen stärker über Gerechtigkeit reden, auch in den Geisteswissenschaften! Was brauchen wir für den gesamtgesellschaftlichen Dialog?“ Und wie funktioniert die interdisziplinäre Forschung konkret im LeipzigLab? „Es ist wahnsinnig anregend, aber auch sehr herausfordernd“, denn die Befunde und Methoden der unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen zum selben Forschungsgegenstand widersprächen sich zum Teil. Aber gerade das zeige: „Wir brauchen, um anders zum Klimawandel forschen, eine größere Gleichberechtigung der Disziplinen!“

So wichtig das Bestreben der Universität im Rahmen einer Nachhaltigkeitsstrategie sei: Ihre  Verantwortung sei begrenzt, schätzt Roman Behrends ein, aber eine wichtige Aufgabe sei: „Multiplikatoren ausbilden, Studierenden Lösungen an die Hand geben, die sie später in ihren Berufsfeldern anwenden können.“ Matthias Middell pflichtet bei: „Wir alle müssen strategiefähig werden.“ Das bedeute, einen Plan zu haben, wie der Klimawandel aufzuhalten sei. Es sei nicht Aktionismus gefragt ist, sondern ein langer Atem – unabhängig davon, ob die Klimakrise bei den Wahlberechtigten gerade ganz oben auf der Prioritätenliste steht.

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