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Wie hängen Gesundheit und Arbeit zusammen? Was können Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber für das Wohlbefinden ihrer Mitarbeitenden tun, und wie gesund ist eigentlich das Arbeiten im Homeoffice? Darüber sprechen im Interview Arbeitspsychologie-Professor Hannes Zacher und Alumna Anita Lauter, die beruflich in der Organisations- und Personalentwicklung tätig ist.

Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben in den letzten Monaten viel von zu Hause aus gearbeitet. Arbeiten Sie selbst gerne im Homeoffice?

Anita Lauter: Grundsätzlich arbeite ich lieber im Büro, weil ich eine Abgrenzung zwischen Privatleben und Arbeitsleben haben möchte. Was ich schon schätze, ist, wenn man zwischendurch mal einen Tag zu Hause bleiben kann.

Hannes Zacher: Während der Coronakrise war ich natürlich die ersten zwei Wochen auch zwangsweise im Homeoffice – mit kleinen Kindern, und das hat nicht so gut funktioniert. Ich war froh, als die Betreuungssituation wieder besser war und ich wieder durchgängig ins Büro gehen konnte.

Hat das Arbeiten im Homeoffice nicht auch Vorteile?

Zacher: Eine Mischung aus Homeoffice und Büro ist am besten. Die Forschung empfiehlt, maximal zwei Tage die Woche von zu Hause aus zu arbeiten, damit die Zufriedenheit und die Produktivität erhalten bleiben. Man sollte nicht versuchen, Kinderbetreuung und Arbeit durch Homeoffice zu vereinbaren. Auch Vollzeit im Homeoffice ist eher ungünstig.

Lauter: Das Thema hat natürlich einen starken sozialen Aspekt. Gerade in der ersten Phase der Coronakrise hatten viele Menschen Ängste und Sorgen. Wenn ich dann als Arbeitgeber oder Personalerin keinen direkten Kontakt zu den Kolleginnen und Kollegen habe, kriege ich natürlich gar nicht mit, wie es ihnen geht. Insofern glaube ich, dass Homeoffice eine gute Lösung sein kann, aber gerade in der Kombination mit Sorgen oder Herausforderungen bei der Kinderbetreuung ist es schwierig.

Wirkt sich Arbeiten im Homeoffice auf die Produktivität aus?

Lauter: In meinem Unternehmen haben wir das wissenschaftlich begleiten lassen und die Mitarbeitenden und Führungskräfte nach ihren subjektiven Einschätzungen gefragt, wie produktiv sie sich im Homeoffice fühlen. Entgegen unseren Erwartungen gab es quasi keinen Einbruch in der empfundenen Produktivität. Das bestätigt sich auch in unseren Geschäftszahlen.

Professor Zacher, in einem neuen Forschungsvorhaben beschäftigen Sie sich mit dem Zusammenhang von Arbeit und Zivilisationskrankheiten…

Zacher: Mit dem von der VolkswagenStiftung über 6 Jahre geförderten Vorhaben betreten wir in gewisser Weise Neuland, weil die Psychologie das Thema bisher vernachlässigt hat. Doch gerade als Arbeitspsychologen können wir dazu beitragen, die Entstehung und Prävention von Adipositas, Depressionen oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen besser zu verstehen. Wir wollen den Zusammenhang zwischen der Arbeitsgestaltung sowie dem Verhalten bei der Arbeit und der Entstehung dieser Zivilisationskrankheiten herstellen. Ich nenne das immer den langen Arm der Arbeit.

Sicherlich werden sich daraus auch Handlungsempfehlungen für die Praxis ableiten lassen. Frau Lauter, sind solche sogenannten „Volkskrankheiten“ denn bei den Arbeitgebern zurzeit ein Thema?

Lauter: Ich beobachte, dass sich Arbeitgeber zurzeit viel mit psychischen Aspekten der Arbeit beschäftigen, gerade im Zusammenhang mit dem Thema Homeoffice. Wie geht Führung auf Distanz? Wie erfahre ich, wie es meinen Mitarbeitenden geht? Wie schaffe ich ein Teamgefühl? Bei Arbeitgebern, die auf die körperliche Fitness ihrer Mitarbeitenden angewiesen sind, hat natürlich auch die körperliche Gesundheit einen besonderen Stellenwert. Viele Unternehmen bieten auch Sportprogramme an, um körperlich einseitiges Arbeiten auszugleichen. Aber ich sehe hier keinen systematischen Ansatz.

Zacher: Erst seit 2013 ist im Arbeitsschutzgesetz verankert, dass Arbeitgeber eine Beurteilung psychischer Gefährdungen vornehmen müssen. Viele Unternehmen kommen erst langsam dahin, das umzusetzen. Physische Belastungen, die eng verbunden sind mit psychischen Problemen, stehen zwar schon seit Längerem im Fokus, aber die Tätigkeiten haben sich natürlich sehr stark gewandelt. Jetzt geht es eher um Themen wie Vereinbarkeit von Beruf und Familie, entgrenzte Arbeitszeiten, Zeitdruck oder Rollenunklarheit.

Sollten die Arbeitgeber mehr für die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden tun?

Zacher: Es sollte noch stärker auf Prävention gesetzt werden, also auf die Vermeidung von Stressoren und Problemauslösern. Studien zeigen: Wenn man Managerinnen und Manager bittet, Arbeit zu gestalten, entwerfen sie eher monotone und wenig gesunde Aufgaben, die nur auf Effizienz ausgerichtet sind. Wir müssen zu einem besseren Verständnis kommen, was gute Arbeit ist. Wenn die Arbeitstätigkeiten abwechslungsreich und sinnvoll sind, Gestaltungsspielraum ermöglichen, wenn Mitarbeitende Feedback erhalten und von der Planung über die Umsetzung bis zur Leistungskontrolle eingebunden sind, also ganzheitlich arbeiten, dann ist schon viel gewonnen. Erst im zweiten Schritt sollte man fragen, was die Mitarbeitenden selbst tun können, um sich gesund zu erhalten.

Müssten Führungskräfte also anders ausgebildet werden?

Lauter: Wenn man sich solche Ideen auf die Fahne schreibt, kommt man an einem Training der Führungskräfte gar nicht vorbei, weil sich ihre Rolle total ändert. Sie gehen weg von: „Ich mache den Prozess möglichst effizient und produktiv, bitte sei zu folgenden Zeiten da und erledige folgende Aufgaben“ hin zu: „Meine Aufgabe ist es, dir zu ermöglichen, dass du gut arbeiten kannst.“

Hat sich denn diese Einstellung bereits durchgesetzt?

Lauter: Es gibt einige Organisationen, die diese neue Art der Führung praktizieren. New Work ist da ein Stichwort, oder auch Agile oder Situative Führung. Bei diesen Konzepten sollen Mitarbeitende ihre Arbeit in Teams selbst organisieren. Das steht derzeit aber nur in bestimmten Unternehmen auf der Tagesordnung.

Frau Lauter, Sie haben von 2000 bis 2007 Arbeits- und Organisationspsychologie an unserer Universität studiert. Wie halten Sie sich im Berufsleben zu diesen Themen auf dem Laufenden?

Lauter: Durch Netzwerke mit ehemaligen Kommilitoninnen und Kommilitonen, die in ähnlichen Bereichen arbeiten und mit denen ich mich regelmäßig treffe und austausche. Auch auf Kongressen bekommt man gute Einblicke, wie andere Personaler oder Organisationsentwicklerinnen arbeiten. Ansonsten bilde ich mich viel über Medien weiter. Wenn mich ein Aspekt interessiert, recherchiere ich und komme beim Lesen oft gleich zum nächsten Thema.

Zacher: Deshalb ist es mir sehr wichtig, dass wir unsere Forschungserkenntnisse verständlich in der Öffentlichkeit darstellen. Die meisten Praktiker werden nicht die wissenschaftlichen Zeitschriften durchblättern, aber sie lesen Publikationen wie Handelsblatt oder Die Zeit oder auch die Leipziger Volkszeitung. Über solche Medien möchte ich vermitteln, was der aktuelle Stand der Forschung ist. Wir müssen dahinkommen, dass evidenzbasiert gemanagt, geführt und gearbeitet wird.

Gibt es weitere Wege, wissenschaftliche Erkenntnisse in die Praxis zu bringen?

Zacher: Wir fangen bei unseren Studierenden an. Die Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie ist sowohl im Bachelor- als auch im Master-Studiengang Psychologie ein wichtiger Schwerpunkt. Wenn unsere Absolventinnen und Absolventen in Führungspositionen kommen, werden sie Arbeit besser gestalten, Mitarbeitende erfolgreicher anleiten und auch sich selbst besser managen. Das heißt, wir vermitteln Kernkompetenzen für künftige Führungskräfte.

Arbeiten Sie in der Lehre auch mit Unternehmen zusammen?

Zacher: Unsere Studierenden gehen zum Beispiel im Rahmen von Berufspraktika und Projektmodulen in die Unternehmen, und Praktikerinnen und Praktiker kommen öfter als Gäste in unsere Seminare. Wir wollen auch noch mehr gemeinsame Forschungsprojekte durchführen. Ich finde es gut, wenn Unternehmen mit einer konkreten Frage auf uns zukommen, zum Beispiel zu den Themen Arbeitsgestaltung, Führung oder Motivation, und wir mit den Studierenden dann evidenzbasierte Antworten entwickeln.

Was tun Sie eigentlich selbst am Arbeitsplatz für Ihre Gesundheit?

Lauter: Ich gehe in der Mittagspause spazieren, um mich mehr zu bewegen. In meiner Abteilung ist außerdem Achtsamkeit ein großes Thema. Wir pflegen Rituale, wie zum Beispiel fünf Minuten Stille am Tag. Es kann helfen, bewusst eine Pause zu machen und sich zu fragen: Wie geht es mir eigentlich gerade? Wer sich darauf einlässt, erlebt, wie wirksam das ist.

Zacher: Ich pendle aktiv, indem ich zu Fuß aus der Südvorstadt in mein Büro im Städtischen Kaufhaus laufe. In den Arbeitsalltag versuche ich möglichst viel Bewegung zu integrieren, da klopfe ich eher an die Tür der Kolleginnen und Kollegen, anstatt eine E-Mail zu schreiben. Solche Verhaltensweisen zur Routine zu machen, ist ganz wichtig.

Achtsamkeitstraining ist zurzeit sehr populär. Was halten Sie aus psychologischer Sicht davon?

Zacher: Es ist in der Forschung gut belegt, dass Achtsamkeit zu einer besseren psychischen und physischen Gesundheit führt. Es gibt aber auch Trends in der Arbeitswelt, die man eher skeptisch betrachten muss, weil ihre Wirksamkeit nicht belegt ist oder letztlich alter Wein in neuen Schläuchen angepriesen wird. Es ist grundsätzlich am besten, zu hohe Arbeitsbelastung und Stress von vornherein durch richtige Arbeitsgestaltung zu vermeiden und arbeitsbezogene Ressourcen wie etwa Gestaltungsspielraum und soziale Unterstützung zu verbessern.

Erleben Sie auch fragliche Trends in der Arbeitswelt, Frau Lauter?

Lauter: Das gibt es schon, zum Beispiel, wenn sich plötzlich alle duzen, nur weil es gerade chic ist. Das kann problematisch sein, wenn es dabei nicht um echte menschliche Wärme geht, sondern um eine verkappte produktivitätssteigernde Maßnahme. Trotzdem halte ich schon etwas davon, bei neuen Trends zu gucken, wo der Wert darin liegen könnte. Man sollte ausprobieren, was gut funktioniert. Daraus ergeben sich dann auch neue Fälle für die Forschung.

Zacher: Im Idealfall befruchten sich Forschung und betriebliche Praxis gegenseitig. Wir nehmen Themen aus der Praxis auf und erforschen sie und andersherum werden Forschungsergebnisse dann auch in der Praxis genutzt.

Das Interview führten Nina Vogt und Christin Kieling. Der Beitrag erschien zuerst im Alumni-Magazin 2021 der Universität Leipzig.

 

  • Prof. Dr. Hannes Zacher ist seit 2016 Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Leipzig. In einem aktuellen Forschungsvorhaben beschäftigt er sich mit der Rolle der Arbeit bei der Entwicklung von Zivilisationskrankheiten. 
  • Anita Lauter leitet die Organisations- und Personalentwicklung der Mercateo Gruppe in Leipzig. Sie hat von 2000 bis 2007 Psychologie mit dem Schwerpunkt Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Leipzig studiert.

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