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Die Rechte und Unterstützung benachteiligter Studierender waren Renate Baricz bereits während der Corona-Pandemie ein wichtiges Anliegen, als sie Referentin für Hochschulpolitik des Student*innenRates (StuRa) war. Seit August 2022 ist sie Beauftragte für studentische Angelegenheiten der Universität Leipzig (BfsA). Im Interview berichtet sie, wie sie in dieser Rolle zwischen unterschiedlichen Akteur:innen vermittelt und welche Probleme Studierende besonders häufig an sie herantragen.

Frau Baricz, viele junge Menschen sind in den letzten Monaten auf die Straße gegangen oder haben Protestaktionen organisiert – auch an der Uni Leipzig. Wie erklären Sie sich die Unzufriedenheit?

Renate Baricz: Ich glaube, da kommen die vielen Krisenerlebnisse zusammen. Und ein Gefühl, als junger Mensch eigentlich gar nicht existent zu sein im Bewusstsein und Handeln der Politik. Dass dabei Wut und Frustration und Verzweiflung aufkommen, ist schon irgendwo nachvollziehbar.

Manchmal gibt es pragmatische, sachliche Gründe, die verhindern, dass etwas schneller geht. Aber die Frage ist ja: Was ist uns wichtig, was priorisieren wir? An der Stelle kann sich die Politik die eine oder andere Kritik gefallen lassen.

Wie machen sich die vielen Krisen konkret bei Studierenden bemerkbar?

Ein sehr großes Thema war und ist die enorme finanzielle Belastung. Die Einmalzahlung an Studierende, die die gestiegenen Kosten für Heizung, Strom und Lebensmittel durch den Ukraine-Krieg ausgleichen sollte, wurde sehr spät umgesetzt. Die Studierendenvertreter:innen mussten einen enormen Kraftakt vollziehen, bis sich endlich mal was rührte.

Auch die Corona-Pandemie hat Spuren hinterlassen. Gerade bei jungen Studierenden, die ihr Studium angefangen haben in absoluter Isolation. Wir sollten wirklich darauf achten, das abzufangen und Studierenden genügend Angebote zu machen, sich um ihre psychische Gesundheit zu kümmern.

zur Vergrößerungsansicht des Bildes: Klimaaktivist:innen besetzten im Mai 2022 das Audimax
Klimaaktivist:innen besetzten im Mai 2022 das Audimax, Foto: Ulf Walther

Wer an Protestaktionen teilnimmt erhebt seine Stimme und wird gehört. Aber wie geht es eigentlich den Studierenden, die weniger lautstark auftreten?

Das ist eine berechtigte Frage. Es wäre mir wichtig, diese Studierenden mehr einzubeziehen. Ich fände es gut, wenn es zum Beispiel ein standardisiertes Online-Tool an der Universität gäbe, das man regelmäßig nutzen kann, um die Studierendenschaft insgesamt zu befragen und herauszufinden, was die Problemlagen eigentlich sind.

Entscheidend finde ich allerdings, bereits bestehende Strukturen der studentischen Interessenvertretung zu stärken und auszubauen. Viele wissen gar nicht, dass die Hochschule nach demokratischen Prinzipien organisiert ist und studentische Mitbestimmung sogar gesetzlich verankert ist. Unter anderem sind der StuRa und die Konferenz Sächsischer Studierendenschaften (KSS) gesetzlich verankert, Politik und Hochschule sind verpflichtet, ihre Arbeit zu ermöglichen und zu unterstützen.

Studierende möchte ich ermutigen und anspornen, sich an Gremienarbeit zu beteiligen und im StuRa bzw. im Fachschaftsrat aktiv zu werden. Eine gewisse Beharrlichkeit ist unverzichtbar, aber je mehr wir sind, umso schneller kommen wir voran. Und aus gegebenem Anlass: Geht wählen! Eure Stimme zählt – auch bei den Hochschulwahlen.

Haben Sie selbst denn das Gefühl, dass Ihre Stimme gehört wird?

Mein Amt öffnet auf jeden Fall Türen. Die Universitätsbeauftragte hat sowohl den Rückhalt von den Studierendenvertretungen als auch vom Senat – schließlich wird sie gemäß Grundordnung auf Vorschlag des StuRa vom Senat gewählt. Von Leitungsebenen würde ich mir hier und da eine frühere und regelmäßigere Einbeziehung wünschen, aber grundsätzlich habe ich den Eindruck, gehört zu werden.

Sie sind seit einem Dreivierteljahr im Amt – was schätzen Sie, an wie vielen Sitzungen und Gesprächen Sie in der Zeit bereits teilgenommen haben?

Das ist schwer zu sagen. Es gibt regelmäßige Sitzungen wie die des Senats oder die regelmäßigen Termine mit dem Prorektor für Talententwicklung. Dazu kommen viele spontane und kurzfristige Besprechungen. Während der Vorlesungszeit gibt es Wochen, in denen ich zu sechs verschiedenen Sitzungen gehe.

Als Beauftragte für studentische Angelegenheiten fungieren Sie vor allem als eine Art Vermittlerin. Welche Fähigkeiten und Eigenschaften braucht man, um diese Rolle ausfüllen zu können?

Man braucht eine gewisse fachliche Kenntnis von Strukturen, Verwaltung und Gremienarbeit an der Uni. Die sollte bestenfalls bei Amtsantritt schon vorhanden sein, weil die Amtszeit nur ein Jahr beträgt und man wenig Zeit für die Einarbeitung hat. Mindestens ein halbes Jahr hochschulpolitisches Engagement wäre zur Vorbereitung hilfreich.

Dann ist ein Orientierungssinn wichtig, was hochschulrechtliche Rahmenbedingungen angeht. Man benötigt auch etwas Frustrationstoleranz, denn in einer öffentlichen Institution mahlen die Mühlen manchmal langsam.

Es ist schon ein gewisses Set an Skills erforderlich. Aber gleichzeitig bietet das Amt auch die Möglichkeit, sehr viel zu lernen und sich selbst persönlich weiterzuentwickeln.

Am Ende ist es sehr viel Arbeit mit Menschen. Ich glaube, das wird oft unterschätzt und teilweise vergessen.

Sind Sie auch eine Übersetzerin, die verschiedene Akteur:innen mit teils recht unterschiedlichen Perspektiven in Dialog bringt?

Ja, am Ende ist es sehr viel Arbeit mit Menschen. Ich glaube, das wird oft unterschätzt und teilweise vergessen. Insofern ist Empathie sehr hilfreich, also die Fähigkeit, schnell zu verstehen, was im anderen vorgeht. Gleichzeitig braucht man auch Durchsetzungsvermögen, Verhandlungssicherheit und die Fähigkeit zum Netzwerken.

Das klingt nach sehr vielen Aufgaben, die neben dem Studium zu bewältigen sind.

Die Arbeitsbelastung ist schon sehr hoch, auch wenn sie selbst gewählt ist. Das Amt sollte aus meiner Sicht so gestaltet sein, dass die Person, die es übernimmt, dafür keine großen Rückschläge im Studienverlauf in Kauf nehmen muss. Eine Lösung könnte beispielsweise sein, für die Amtszeit Urlaubssemester zu gewähren.

Vonseiten der Uni würde ich mir noch mehr aktive Unterstützung der Beauftragten wünschen. Beispielsweise könnten Onboarding und Supervision den Einarbeitungsaufwand und die Arbeitsbelastung abfedern, die diese verantwortungsvolle Schnittstellenposition mitunter mit sich bringt. Bereits mein Vorgänger hatte darauf hingewiesen, dass etwa eine personelle Ausstattung der Beauftragten echten Mehrwert bringen würde.

Es ist ein extrem wichtiges Amt, von dem am Ende alle profitieren. Diese Position vermittelt zwischen vielen, man kann dadurch Prozesse vereinfachen und beschleunigen und damit die gesamte Hochschule vorwärtsbringen.

zur Vergrößerungsansicht des Bildes: Studentin im Hörsaal stützt traurig den Kopf auf die Hand
Psychosoziale Beratungsangebote werden von Studierenden immer stärker nachgefragt, Foto: Christian Hüller

Wenn Sie einen Ausblick wagen: Was wird oder sollte die Universität in den nächsten Jahren besonders beschäftigen mit Blick auf Lehre und Studium?

Mir ist es sehr wichtig, die psychosoziale Situation der Studierenden im Blick zu behalten. Wir sollten schauen, wo man Angebote ausweiten kann, damit sich niemand alleingelassen fühlt.

Dem Thema Nachhaltigkeit räume ich persönlich relativ viele Kapazitäten ein. Ich vernetze immer wieder Akteur:innen in diesem Bereich miteinander, versuche das Green Office voranzubringen und arbeite an der Konzeption der Nachhaltigkeitsstrategie der Uni Leipzig mit

Beim Thema Digitalisierung möchten die Studierenden den Prozess aktiv mitgestalten. Ich glaube, die Pandemie hat dem Ganzen einen guten Schub gegeben und das sollten wir ausnutzen, um die Vorteile der Digitalisierung an der Uni zu nutzen, ohne die Risiken aus dem Blick zu verlieren. In dem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, wie generative KI das Prüfungsgeschehen verändern wird.

Welche Botschaft möchten Sie Studierenden und Hochschulangehörigen mitgeben?

Mir ist es sehr wichtig, die Studierendenvertretung zu stärken. Das hat mich tatsächlich in die Hochschulpolitik gebracht. Weil ich wirklich daran glaube, dass Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist und das System, das am meisten Frieden und Freiheit verspricht. Und dafür müssen wir arbeiten, das müssen wir lernen und leben. Dieses Bewusstsein sollten wir schärfen und schulen, indem Studierende aktiv einbezogen werden. Es muss klar sein: Die Uni ist unser aller Hochschule, das ist unser aller Projekt. Wir müssen alle was dafür tun, damit wir hier zusammen gut studieren können.

 

Das Interview führte Nina Vogt.

Zur Person

Renate Baricz studierte Kulturwissenschaften an der Universität Hildesheim und war als Kommunikationsexpertin und Kulturmanagerin in Kreativwirtschaft und Kulturbetrieb tätig, bevor sie sich für den Informatikstudiengang Digital Humanities an der Universität Leipzig entschied.

Neben Studium und Amtstätigkeiten engagiert sie sich an der Universität Leipzig außerdem ehrenamtlich in zentralen Gremien wie der Hochschulentwicklungs- und der Nachhaltigkeitskommission.

Auf Landes- und Bundesebene bringt sie die studentische Perspektive in Facharbeitskreisen zu den Themen Nachhaltigkeit und Digitalisierung an Hochschulen ein. Als Mitglied des Landessprecher*innenrates der Konferenz Sächsischer Studierendenschaften (KSS) war sie an der Novellierung des sächsischen Hochschulgesetzes beteiligt.

 

Der: die Beauftragte für studentische Angelegenheiten

Der:die Beauftragte für studentische Angelegenheiten unterstützt die studentischen Vertreter:innen in den Gremien der akademischen Selbstverwaltung bei ihrer Arbeit. Er:Sie vertritt im Rektorat die studentischen Interessen und ist Ansprechpartner:in für die Mitglieder der Hochschule. Die Hauptaufgabe besteht darin, mit den Akteur:innen der einzelnen Hochschulgremien im regelmäßigen Austausch zu bleiben.

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