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Die Herausforderungen, vor denen die afrikanischen Staaten stehen, sind gewaltig: Klimawandel, nachhaltige Energieerzeugung, Erhalt von Biodiversität, die besondere Demographie des Kontinents. Hinzu kommen politische und militärische Konflikte, die zu Binnenvertreibung oder Flucht führen. „Viele Gesellschaften sehen sich mit komplexen Herausforderungen konfrontiert, die häufig auch noch von gewaltsamen Konflikten begleitet sind. Der Fähigkeit, dieses Potenzial einzuschätzen und Institutionen in die Lage zu versetzten, die Eskalation von Konflikten eindämmen beziehungsweise langfristig sogar verhindern zu können, kommt daher große Bedeutung zu“, sagt der Leipziger Politikwissenschaftler Prof. Dr. Ulf Engel, der unter anderem in diesem Bereich forscht und nicht nur die Afrikanische Union (AU) wissenschaftlich berät.

Prof. Dr. Ulf Engel ist ein gefragter Mann. In einer halben Stunde geht sein Zug zum Flughafen. Er reist zu einer Konferenz nach Belgrad. Auch in Afrika ist er in wenigen Wochen wieder, unter anderem berät er die Afrikanische Union in Konfliktprävention. „Ein zentrales Ziel der Afrikanischen Union und der regionalen Wirtschaftsgemeinschaften (RECs) des Kontinents ist es, Frühwarnkapazitäten aufzubauen, die – im Zusammenspiel mit anderen Instrumenten – helfen sollen, das Potenzial für gewaltsame gesellschaftliche Konflikte möglichst frühzeitig zu erkennen. Und es sollen Strategien für die Stärkung von Resilienz, also Widerstandsfähigkeit, entwickelt werden. Dieser wissenschaftlichen Expertise hat sich Engel verschrieben. Er arbeitet seit 1998 an der Universität Leipzig und ist Professor für Politik in Afrika am Institut für Afrikastudien und auch Gastprofessor an der Addis Abeba University sowie der Stellenbosch University in Kapstadt. Seit 2021 gibt Engel das „Yearbook on the African Union“ heraus.

Afrika wird vor allem in der europäischen Politik als „Nachbarkontinent“ bezeichnet. Es gibt viele gute Gründe, sich aus einer krisenpräventiven Perspektive mit diesem Kontinent zu beschäftigen, sagt der Politikwissenschaftler: „Die Folgen des Klimawandels, die zunehmende Konkurrenz um knappe Ressourcen wie Wasser oder Weide- und Ackerland, die Verdopplung der Bevölkerung Afrikas auf wohl 2 Milliarden Menschen bis zum Jahre 2050, die Zukunft des öffentlichen Gesundheitswesens – dies alles stellt die Gesellschaften des Kontinents in Zukunft vor noch größere Herausforderungen als bisher. Und dabei seien die negativen Wirkungen globaler Politik und die selten uneigennützigen Interessen nichtafrikanischer Akteure noch gar nicht mitgedacht.

Seit April 2022 forschen Engel und seine Kolleg: innen im Rahmen des BMBF-finanzierten Netzwerkes „African non-military conflict intervention practices (ANCIP)“ gemeinsam mit dem Institut für Entwicklung und Frieden in Duisburg (INEF) und dem Leibniz-Institut Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (HSFK). Ziel der zehnköpfigen Arbeitsgruppe ist es, nicht-militärische Interventionspraktiken genauer zu rekonstruieren und eine Datenbank aufzubauen, die es auch ermöglicht, diese Praktiken zu visualisieren.

Die Gesellschaften Afrikas in die Lage zu versetzen, Konflikte ohne Rückgriff auf Gewalt auszuhalten beziehungsweise zu lösen, wird eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben bleiben, auch für die Afrikawissenschaften.

Prof. Dr. Ulf Engel

Diese Arbeit baut auf die Lehre am Institute for Peace and Security Studies in Addis Ababa auf. Dort bietet das Global and European Studies Institute der Universität Leipzig seit 2012 gemeinsam mit dem IPSS einen Master „Global Studies with an emphasis on peace and security in Africa“ sowie ein Doktorandenprogramm an. Beide Studiengänge werden vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) gefördert. Das IPSS bietet auch ein Fortbildungsprogramm für Führungskräfte von AU und RECs zum Thema Frieden und Sicherheit an, in dem Engel seit 2010 ein Modul zum Thema Frühwarnung und Konfliktprävention unterrichtet. „Das Netzwerk von Alumni aus allen drei Programmen hilft mir enorm, am Ball zu bleiben. Zahlreiche Absolventinnen aus Addis und Leipzig arbeiten mittlerweile in parteinahen politischen Stiftungen, Institutionen wie der AU oder forschen selbst erfolgreich zum Thema Frieden und Sicherheit in Afrika“, so Engel.

Auch jenseits von Forschung und Lehre stellt der Politikwissenschaftler seine wissenschaftliche Expertise der AU und anderen Akteuren zur Verfügung, die den Bereich Frieden und Sicherheit in Afrika stärken wollen. „1995/96 hatte ich die Möglichkeit, für die Europäische Union Konzepte zur Konfliktprävention und entsprechende Fortbildungsmaßnahmen zu entwickeln. Dann kamen kleinere Anfragen der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), ob ich auf Projektebene helfen könnte, das Thema Konfliktprävention in Programmen zur Ernährungssicherheit einzubinden, beispielsweise in Malawi“, sagt Engel. Die Afrikanische Union (AU) hatte für den Bereich Frieden und Sicherheit eine Architektur mit fünf Pfeilern geschaffen. Eines davon ist das „Continental Early Warning System (CEWS)“, ein Frühwarnsystem für gewaltsame Konflikte. „Als ich eingeladen wurde, beim Design des Systems mitzuarbeiten, war das der Einstieg in eine längere Zusammenarbeit“, erinnert er sich.

Die Afrikaforschung an der Universität Leipzig hat eine lange Tradition, die bis ins späte 19. Jahrhundert zurück geht. In den 1990er Jahren, nach der Neugründung des heutigen Instituts für Afrikastudien, gab es deutschlandweit nur in Leipzig eine Professur für Wirtschaft bzw. Politik in Afrika. „Und auch wenn es deutschlandweit heute sechs Studiengänge mit Afrikaschwerpunkt gibt, erfolgt die Wissensproduktion zu Politik und Wirtschaft in Afrika wesentlich an drei Thinktanks in Berlin, Bonn und Hamburg“, sagt Engel.

„Die Gesellschaften Afrikas in die Lage zu versetzen, Konflikte ohne Rückgriff auf Gewalt auszuhalten beziehungsweise zu lösen, wird eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben bleiben, auch für die Afrikawissenschaften“, ist sich Politikwissenschaftler Prof. Dr. Ulf Engel sicher.

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