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Welche Rolle haben Universitäten als Ort der Meinungs-, Rede- und Wissenschaftsfreiheit? Diese Frage stand im Fokus der ersten Diskussionsrunde des neuen Veranstaltungsformats „Uni Leipzig im Dialog“ am Montagabend (22. Januar 2024) im Paulinum. Die Frage ist komplexer, als mancher zunächst vermuten würde, wurde im Diskussionsverlauf deutlich. Denn „die Universität“ gibt es in unterschiedlichen Ausprägungen und entsprechend unterschiedlich sind die Rollen, die „die Universität“ ausfüllen sollte.

Auf dem Podium nahmen Rektorin Prof. Dr. Eva Inés Obergfell, Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Astrid Lorenz von unserer Uni, Prof. Dr. Peer Pasternack, Direktor des Instituts für Hochschulforschung (HoF) der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Constantin Meyer zu Allendorf, Mitglied des Fachschaftsras der Juristenfakultät Platz. Moderiert wurde die Veranstaltung von Vinz Rauchhaus von Radio mephisto 97.6.

Die Diskussion knüpfte an Proteste während der Feierlichen Immatrikulation am 11. Oktober 2023 im Gewandhaus an, als lautstark gegen die Einladung von AfD-Vertreter:innen zu dieser Veranstaltung protestiert wurde. Wie schon damals machte auch während dieser Diskussionsveranstaltung Rektorin Obergfell deutlich, dass die Universität als Institution Mandatsträger:innen anderer Institutionen, wie Bundestags- und Landtagsabgeordnete sowie Stadträte eingeladen habe: „Ich bin Funktionsträgerin und darf nicht nach politischer Couleur auswählen.“

Mit der Einschätzung des Sächsischen Verfassungsschutzes, dass die sächsische AfD „gesichert rechtsextremistisch“ sei, gebe es nun eine neue Entscheidungsgrundlage, nach der AfD-Vertreter:innen zu solchen Anlässen künftig nicht mehr eingeladen werden würden.

Grundsätzlich sei die Universität als Institution zu politischer Neutralität verpflichtet. Jedoch werde die Universität auch zum politischen Akteur, allerdings nur dann, wenn es um das Vertreten politischer und gesetzlicher Fragen der Hochschulpolitik und Wissenschaft gehe.

Prof. Pasternack pflichtete Obergfell bei, im Rahmen der Verfassung sei die Universität zu Neutralität verpflichtet. Zur Frage, ob bzw. zu welchen Anlässen die AfD eingeladen, nicht eingeladen oder gar ausgeladen werden solle, gelte es zudem die Folgen abzuwägen: Tut sich die Universität einen Gefallen, eine Partei einzuladen, die ein großer Teil der Bevölkerung gewählt hat? Wie wird es von der Gesellschaft aufgenommen, bestimmte Mandatsträger:innen nicht einzuladen? Zeuge es nicht von mehr Souveränität, auszuhalten, jemanden einzuladen, den man eigentlich nicht mag?

Das Rektorat als Institution müsse anders handeln als Personen.  „Die Universität“ habe zudem keine einheitliche Meinung, da sie aus unterschiedlichen Akteur:innen in unterschiedlichen Rollen bestünde. Sie müsse allerdings Raum bieten, um sich eine Meinung zu bilden.

Politikwissenschaftlerin Prof. Lorenz stellte fest: „Wir streiten uns in Nuancen, ob ein bestimmtes Verhalten richtig war oder nicht. Es ist wichtig, uns über unsere Rollen zu verständigen. Ausladen bedient das Opfer-Narrativ. Wir brauchen einen Diskussionsprozess an der Uni, der nicht auf gegenseitiges Misstrauen ausgelegt ist. Wir dürfen nicht über das Ziel hinaus schießen.“

Manche Studierende wünschten sich manchmal, dass Lehrende sich stärker zu Wort melden würden, sich positionieren im Kampf um Demokratie, sagte Student Constantin Meyer zu Allendorf und fragte in die Runde, warum dies nicht passiere.

zur Vergrößerungsansicht des Bildes: Zu sehen ist das Publikum der Veranstaltung: Rund 150 Menschen waren anwesend.
Rund 150 Menschen verfolgten die Podiumsdiskussion. Foto: Swen Reichhold/Universität Leipzig

Darauf, und angesprochen auf einen Aufruf von 50 Wissenschaftler:innen der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg in den vergangenen Tagen, über ein AfD-Verbot zu debattieren, sagte Politikwissenschaftlerin Astrid Lorenz, dass Wissenschaftler:innen auch hin und wieder verunsichert seien, zu welchen Themen sie sich öffentlich äußern sollten. Sie selbst stehe auf dem Standpunkt, dass Forschende in ihrer Funktion als Wissenschaftler:innen öffentlich in erster Linie über ihre Forschung sprechen sollten. Insbesondere Professor:innen seien aber auch Beamt:innen und als solche explizit der Verfassung gegenüber verpflichtet. Deshalb sei es auch völlig legitim, wenn sich Wissenschaftler:innen in dieser Funktion öffentlich äußerten, wenn sie die Verfassung in Gefahr sähen.

Schließlich wurde auch darauf hingewiesen, dass angesichts der Wahlergebnisse und auch aktueller Umfragen davon ausgegangen werden müsse, dass sowohl Wissenschaftler:innen als auch Mitarbeitende und Studierende an dieser Universität mindestens der AfD nahe stünden. Aufmerksam gemacht wurde aus dem Publikum darauf, dass die Universität Leipzig und auch die Stadt Leipzig keine Insel sei, sondern viele bei Heimatbesuchen allein schon in der Verwandtschaft Menschen kennen, die AfD-Anhänger:innen seien oder zumindest mit dem Gedanken spielten, AfD zu wählen. Es ende häufig, so war der Schilderung aus dem Publikum zu entnehmen, in Tränen – oder im Vermeiden einer Diskussion in diese Richtung. Deshalb seien die Universitätsangehörigen, Wissenschaftler:innen wie auch Studierenden gefragt, so Prof. Pasternack: „Hochschulen müssen milieuübergreifend kommunikationsfähig sein.“ Man solle beispielsweise nicht in Döbeln oder Böhlen von „Diskurs“ sprechen, wenn man eigentlich nur meint, miteinander sprechen zu wollen. „Demokratie aushalten heißt, Differenzierungen auszuhalten“, ergänzte Rektorin Obergfell.

Hochschulforscher Peer Pasternack verwies im Verlauf der Veranstaltung mehrmals auf das Hochschulrahmengesetz, genauer §7 „Ziel des Studiums“, der besagt: „Lehre und Studium sollen den Studenten auf ein berufliches Tätigkeitsfeld vorbereiten und ihm die dafür erforderlichen fachlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Methoden dem jeweiligen Studiengang entsprechend so vermitteln, daß er zu wissenschaftlicher oder künstlerischer Arbeit und zu verantwortlichem Handeln in einem freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat befähigt wird.“ Dies sei Aufgabe und Verpflichtung, für Lehrende und Studierende gleichermaßen.

Die Veranstaltungsreihe „Uni im Dialog“ wird im Sommersemester fortgesetzt.

Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) hat am 23. Januar 2024 eine Erklärung veröffentlicht: „Wissenschaft braucht freiheitliche Demokratie und Rechtstaatlichkeit“

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