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Wenn in wenigen Tagen Prof. Dr. Thomas Arendt, der Geschäftsführende Direktor des Paul-Flechsig-Instituts für Hirnforschung an der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig, in den Ruhestand verabschiedet wird, ist es nur ein teilweises Lebewohl: Denn der Experte für die Alzheimersche Erkrankung wird in unterschiedlichen Funktionen auch weiter der Forschung erhalten bleiben. Das Besondere an seiner akademischen Laufbahn ist, dass er diese – von wenigen Auslandsaufenthalten abgesehen – ganz in Leipzig verbracht hat. „Die Medizinische Fakultät ist meine akademische Heimat“, sagt der Mediziner, der 43 Jahre die Alzheimerforschung an der Universität Leipzig entscheidend mitgeprägt hat.

Eigentlich wollte Thomas Arendt nach dem Medizinstudium an der damaligen Karl-Marx-Universität Leipzig in die Psychiatrie gehen, genauer gesagt an die Psychiatrische Klinik der Universität. Das war 1982. Aber dann kam alles anders. Denn die Fakultätsleitung sah zu DDR-Zeiten vor, dass Absolventen zuvor noch eine zusätzliche theoretische Ausbildung absolvieren sollten, die zwei Jahre dauerte. „So kam ich hier an das Institut, um mehr über das menschliche Gehirn zu lernen“, erläutert Prof. Dr. Thomas Arendt rückblickend. Aus zwei Jahren wurden über 40, und das Forschungsfeld der vermeintlichen Vorbereitung erwies sich als Prof. Arendts eigentliche Berufung.

“Das wollte ich weiter erforschen”

Sein damaliger Vorgesetzte, Prof. Dr. Volker Bigl, untersuchte das cholinerge System im Gehirn, dessen Mechanismus für Lern- und Gedächtnisprozesse sehr wichtig ist. „Es gab Hinweise, dass dieser Bereich bei demenziellen Erkrankungen eine Rolle spielt“, erklärt Prof. Arendt. Das Team fand – parallel zu anderen Forscher:innen-Gruppen – heraus, dass bei der Alzheimerschen Erkrankung ein kleiner, klar bestimmter Bereich an der Hirnbasis Nervenzellen verliert und degeneriert – weit, bevor bei Betroffenen Symptome auftreten. Es war ein wissenschaftlicher Durchbruch und die Grundlage für die bis heute einzig mögliche medikamentöse Behandlung. „Dass es gelang, mit dem Mikroskop eine Region fassbar zu machen, die mit dieser schweren Krankheit offensichtlich kausal im Zusammenhang steht, faszinierte mich“, so der Wissenschaftler. „Das wollte ich weiter erforschen", erläutert der Mediziner. 

Erkenntnisse in der Alzheimer-Forschung

Trotz Jahrzehnte intensiver Forschung sei man noch weit davon entfernt, eine kausale Therapie anbieten zu können, sagt der geschäftsführende Direktor des Paul-Flechsig-Instituts für Hirnforschung. Doch auch dank seiner Forschung ist die Wissenschaft weiter als vor 43 Jahren. „Eine wichtige neuere Erkenntnis ist etwa, dass es sich bei Alzheimer um eine evolutionsbiologische Erkrankung handelt“, so der Wissenschaftler. „Sie tritt in Hirnregionen des Menschen auf, die sich relativ spät entwickelt haben, das sind jene, die höhere kognitive Leistungen ermöglichen“, erklärt Arendt. „Die Lernfähigkeit bis ins Alter beruht auf einem hohen Maße an Plastizität des Gehirns – das heißt, es kann sich umbauen.“ Doch dies bedinge eine strukturelle Instabilität, die dazu führen könne, dass sich mit der Zeit Fehler beim Umbau einschleichen würden, so der Forscher. „Möglicherweise ist es einfach der Preis für die lebenslange Lernfähigkeit, die der Mensch entwickelt hat.“ Die Erkenntnis zeigt aber auch, „dass Tiermodelle hier nur bedingt weiterhelfen“, so Arendt. 

Kontext zellulärer Programme ist wichtig

Zudem fanden Prof. Dr. Thomas Arendt und seine Kolleg:innen heraus, dass molekulare Veränderungen, die bei der Alzheimerschen Demenz eine offenbar krankhafte Rolle spielen, in einem anderen Kontext in der Natur eine lebenswichtige Funktion haben, nämlich bei der Regulation des Gehirns von Säugetieren im Winterschlaf. „Das lehrt uns, dass es sich lohnt, übergreifend auf die Ebene der zellulären Programme im Organismus zu schauen“, so der Hirnforscher. Solche könnten aus noch unerkannten Ursachen an unerwarteten Stellen auftauchen oder in ihrer Regelung gestört sein, wie man es aus der Tumorforschung kennt – eine Einsicht, die zu geeigneter Diagnostik und Therapiewegen führen könnte. Ein von Prof. Dr. Thomas Arendt entwickelter Alzheimer-Bluttest nutzt den Umstand, dass auch die Zellteilung der weißen Blutkörperchen bei dieser Demenzform gestört ist. „Ich habe immer versucht, mich von der Mainstream-Forschung ein bisschen fernzuhalten und meine eigene Sicht auf die Dinge zu entwickeln“, resümiert Prof. Arendt seine grundlegende Haltung.  

Konzeptionelle Klarheit bewahren

Bereits 1984 erhielt Arendt – damals wissenschaftlicher Assistent am Institut, welches er später leiten würde – aufgrund seiner international wahrgenommenen Forschungsergebnisse die Einladung für ein einjähriges Welcome-Forschungsstipendium an der University of London – ein großes Privileg, auch wenn es zwei Jahre dauerte, bis er das Visum bekam und seine Ehefrau mit den drei Kindern derweil in der DDR bleiben musste. „Die Forschung in England war mit viel besseren wissenschaftlichen Ressourcen ausgestattet als unsere im Osten“, erinnert sich der Professor. Der Mauerfall eröffnete schließlich auch für ostdeutsche Wissenschaftler:innen neue Möglichkeiten: Forschungsinfrastruktur, Reisefreiheit, neue Kommunikationsformen. „Man darf aber nicht vergessen, dass jeder Fortschritt seinen Preis hat“, sagt er. Die Erweiterung technischer Ressourcen sei eindeutig zu Lasten konzeptioneller und theoretischer Überlegungen gegangen. „Wenn Sie für ein Experiment nicht 300 Versuche haben, sondern nur drei, müssen Sie sich vorher ganz genau überlegen, wie Sie diese einsetzen wollen“, gibt er zu bedenken. Diese Klarheit versuche er auch dem wissenschaftlichen Nachwuchs zu vermitteln – ebenso wie die Fähigkeit zur Selbstreflexion und Selbstkritik. Diese habe „in der Wissenschaft in ähnlicher Weise abgenommen wie in der gesamten Gesellschaft“, beklagt der Forscher. 

Zeit für die wissenschaftliche Kür

Sein Büro in der Liebigstraße weist darauf hin, dass es ein sanfter Übergang in den Ruhestand werden könnte: Es beherbergt nach wie vor historisch gewachsene Bücherstapel, ausladende Grünpflanzen, Kunststoffmodelle des menschlichen Gehirns sowie wissenschaftliche Abbildungen und künstlerische Zeichnungen. Einige wissenschaftliche Projekte zu Alzheimer und angrenzenden Themen wird der mehrfach ausgezeichnete Mediziner weiter begleiten, seine redaktionellen Positionen bei neurowissenschaftlichen Journals beibehalten. Zudem hat er neue Aufgaben in der Academia Europaea übernommen und wird auch weiterhin in der Alzheimer Forschung Initiative e.V. aktiv bleiben, der größten deutschen privaten Förderorganisation der Alzheimer-Forschung, deren wissenschaftlichen Beirat er zwanzig Jahre leitete. Prof. Arendt geht der Forschung also nicht verloren. „Wissenschaftler zu sein, ist eine Berufung, die legt man nicht einfach ab. Die Pflichten verschieben sich nur etwas mehr hin zur Kür“, sagt er. Darauf freut er sich nun. 

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