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Das Judentum als Religion und Kultur und Geschichte aus jüdischer Perspektive zu lehren und den Studierenden die Überschneidung von Tradition und Gegenwart zu vermitteln, das ist ein Anliegen von Dr. Yemima Hadad, seit Sommersemester 2022 Juniorprofessorin für Judaistik an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig. Es sei unmöglich, das Judentum als geschlossene und kohärente Einheit zu präsentieren, sagt Hadad im Interview mit dem Universitätsmagazin. Dies halte viel Potenzial für moderne Themenstellungen bereit, das ganz neue Perspektiven und Verschiebungen von Fragestellungen anbiete, betont sie.

Was haben Sie studiert, und über welche Stationen führte Ihr Weg an die Universität Leipzig?

Ich habe an der Universität Tel Aviv Philosophie studiert, wo ich angefangen habe, mich intensiv mit dem jüdischen Denken auseinanderzusetzen. So habe ich zum Beispiel Seminare über „Maimonides und Wittgenstein“, über „Spinoza und Ethik“, und das Denken von Levinas belegt. Danach bin ich für mein Doktorat an die School of Jewish Theology der Universität Potsdam gegangen, wo ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig war. Meine Dissertation habe ich über Chassidismus und Theopolitik im Denken Martin Bubers bei Prof. Admiel Kosman und Prof. Paul Mendes-Flohr geschrieben. Während meiner Zeit in Potsdam war ich Research Fellow an diversen Forschungsinstitutionen, wie dem Franz Rosenzweig Minerva Center, dem Bucerius Institute for Research of German Contemporary History and Society und so weiter. Seit April 2022 halte ich den Lehrstuhl für Judaistik an der Theologischen Fakultät inne.

Wo liegen Ihre Forschungsinteressen, und was fasziniert Sie daran?

Meine Forschungsbereiche liegen in der deutsch-jüdischen Philosophie, dem modernen jüdischen Denken, Chassidismus, jüdisch-feministischer Theologie, modernem Midrash und rabbinischer Literatur. Ein besonderer Schwerpunkt in meiner Forschung ist die Frage nach göttlicher Autorität in der modernen jüdischen Theologie. Besonders faszinierend finde ich die verschiedenen Transformationen vom Judentum und die damit einhergehenden Veränderungen, wenn es um das Selbstbild des Judentums geht. Ich denke, dass die Unmöglichkeit, das Judentum als geschlossene und kohärente Einheit zu präsentieren, viel Potenzial für moderne Themenstellungen bereit hält, die auch ganz neue Perspektiven und Verschiebungen von Fragestellungen anbietet.

Würden Sie bitte kurz einige Schwerpunkte nennen, die Sie in der Lehre setzen wollen?

Wir bieten einen neuen Studiengang in Judaistik an. Die Idee hinter dem Studium ist, das Judentum als Religion und Kultur und Geschichte aus jüdischer Perspektive zu lehren. Den Studierenden soll, wie ja auch der Name des Studiengangs schon sagt, die Überschneidung von Tradition und Gegenwart im Judentum vermittelt werden. Die Betonung liegt auf Überschneidung, denn im Judentum kann weder von einer Kontinuität noch von einem absoluten Bruch zwischen dem Vergangenen und Gegenwärtigen gesprochen werden. Ein inhaltlicher Schwerpunkt, der dieses Anliegen besonders gut vermitteln kann, liegt in der jüdischen Ethik. Im modernen jüdischen Denken formuliert sich ein ganz neuer ethischer Imperativ, der auch das Selbstverständnis des westlichen Denkens hinterfragt. Dieser bildet sich oft im Rückgriff auf rabbinische Traditionsliteratur und wird oft im Frageduktus rabbinischen Denkens gestellt. Den Studierenden die Grundlagen von diesem zu vermitteln, ist also nicht nur hilfreich, um ihnen die Werkzeuge für das Studieren des jüdischen Traditionskanons an die Hand zu geben, sondern eben auch, um ihnen die Aktualität rabbinischer Ethik vor Augen zu führen. Rabbinische Literatur ist keine Sache der Vergangenheit. Sie ist ein integraler Bestandteil des jüdischen Lebens, der Kultur und des Denkens. Sie hat direkt oder indirekt die Praktiken, Werte und Weltanschauungen des Judentums in seinen vielen religiösen und säkularen Formen geprägt.

Ich gebe Lehrveranstaltungen und Seminare zur Einführung in das Judentum, Talmud als Literatur, moderne Auslegung der Torah, jüdischer Feminismus und Gender, jüdische Philosophie. In Planung sind auch Kurse zu jüdischer Theologie und sozialem Aktivismus, Tikkun Olam, Messianismus, und jüdischer Mystik, Judentum als Kultur, jüdisches Leben in Israel heute und die jüdischen Salons und Frauen in Berlin um 1900.

Bitte beenden Sie folgenden Satz: „Die Universität Leipzig ist für mich…“

...ein Ort, an dem ich meinen Studierenden nicht als Konsumenten und Kunden von Wissen betrachte, sondern als engagierte Subjekte, deren aktive und kreative Beteiligung in erster Linie außerhalb des Klassenzimmers wichtig ist. Sowohl in meiner Funktion als Professorin, als auch in meiner Lehre vertrete ich eine große Vielfalt jüdischer Stimmen - europäische, israelische und amerikanische, säkulare und religiöse, progressive und traditionelle.

Antworten Sie gern mit persönlichem Bezug oder allgemein: Welche Entdeckung, Erfindung oder Erkenntnis wünschen Sie sich in den nächsten zehn Jahren?

Dass das Judentum lebt, muss nicht länger ausgerufen werden. Vielmehr ist es doch eher wichtig, nun zu zeigen und zu entdecken, wie es lebt. Ich sehe meine Position als eine Gelegenheit, Studierende in die anhaltende Relevanz und Aktualität der rabbinischen Tradition und der klassischen jüdischen Texte (wie Tora, Talmud und Midrasch) einzuführen. Ich glaube, dass Studierende mit unterschiedlichem religiösem oder nicht-religiösem Hintergrund von den Rabbinern lernen und die rabbinischen Debatten, Fragen und Weisheiten mit ihrem eigenen Leben und Glauben verbinden können. Mein Ziel ist es, Studierenden zu lehren und mit ihnen zu lernen, wie in der uralten jüdischen Tradition der Chevrutha und des Bet Midrash, oder wie Franz Rosenzweig und Martin Buber in moderne es nannten, Lehrhaus.

Haben Sie ein bestimmtes Lebensmotto, das Ihnen auch über schwierige Phasen hilft?

Ich weiß nicht, ob ich wirklich ein konkretes Lebensmotto habe, aber ich habe womöglich etwas Ähnliches, das ich „Wort-Amulette“ nenne. Normalerweise denken wir bei Amuletten an Aberglauben. Aber im Judentum enthalten Amulette oft bedeutungsvolle Verse aus der Tora oder der Heiligen Schrift. Ich nenne sie „Wort-Amulette“, weil sie eine ganz ähnliche Funktionsweise haben, nur dass sie keine toten Gegenstände sind, sondern lebendige Worte bezeichnen. Damit meine ich, dass ich beim Studieren, Lesen und Schreiben immer wieder über Bibelverse, Gedichte, Verse aus Pirkei Avot (Mischna), der talmudischen Agada oder chassidischen Erzählungen und Sprüchen stolpere, die mir am Herzen liegen und an die ich mich in schweren Zeiten erinnere. Ich denke da zum Beispiel an den berühmten Ausspruch von Rabbi Menachem Mendel von Kotsk, der sagte: „Es gibt nichts Festeres als eingebrochenes Herz."

Verraten Sie uns bitte noch wann und wo Sie geboren sind?

Ich wurde im 1981 in Ashkelon, Israel, geboren. 

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