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Im Sommersemester war Prof. Dr. Sebastian Schmidt von der University of Colorado, USA, als Leibniz-Professor zu Gast an unserer Universität, an der er 2005 promoviert wurde. Der Atmosphärenphysiker trägt durch die Entwicklung neuer Konzepte für Messung und Modellierung zur Lösung aktueller Probleme des globalen Strahlungshaushalts und des Klimawandels bei. Dazu forscht er mit Prof. Dr. Manfred Wendisch vom Institut für Meteorologie zum Thema der Arktischen Klimaänderungen. Im Universitätsmagazin spricht er über seine Forschung und darüber, wie sich nach seiner Wahrnehmung Leipzig als Lebensraum und Wissenschaftsstandort in den letzten Jahren verändert hat.

Sie wurden 2005 hier in Leipzig promoviert und sind nun für ein Semester als Leibniz-Professor zurückgekehrt. Wie haben sich die Universität und die Stadt seitdem in Ihrer Wahrnehmung verändert?

Es war mir eine große Freude, in meine Heimatstadt zurückzukehren, wenn auch nur auf Zeit. Wie der Zufall es wollte, wohnte ich mit meiner Familie in Marienbrunn, dem Stadtviertel meiner Kindheit, und meine Kinder gingen dort sogar in meine alte Schule. Für mich fühlt es sich dort noch immer so gemütlich an wie damals. Als ich 2005 in die USA ging, vermisste ich vor allem das Kulturleben, die Oper, die vielen Theater in Leipzig und Umgebung, die altehrwürdigen Kirchen, den Universitätschor, an den sich viele prägende Erfahrungen knüpfen, und natürlich Familie, Freund:innen und Kolleg:innen. Viele dieser Erinnerungen kommen zurück, wenn ich durch die Stadt gehe.

Die augenscheinlichsten Veränderungen in Leipzig seit 2005 sind für mich die vielen Um- und Neubauten, angefangen beim Paulinum bis hin zum Neubau der Meteorologie, den ich von meinem Büro in der Stephanstraße verfolgen kann. Aber auch die verstärkte Integration des Wassers hat den Charakter der Stadt durchdrungen – überall gibt es geöffnete Flüsschen, neue Seen und drumherum neue gastliche Plätze zum Haltmachen. Unglaublich, was für ein Leben gerade in Plagwitz entsteht – das war so in der Nachwendezeit gar nicht abzusehen. Die Stadt fühlt sich anders, lebendiger an als früher, nicht zuletzt wegen der größeren Vielfalt an Menschen, die jetzt hier wohnen. Und doch, wenn ich den Leuten im Alltag zuhöre und mit ihnen rede, finde ich etwas Vertrautes – die bodenständige und freundliche Seele „meiner“ Stadt. Vielleicht erfindet sie sich gerade einmal wieder neu.

Welche Projekte konnten Sie als Leibniz-Professor besonders voran treiben? Wie werden Sie in Zukunft noch mit unserer Universität verbunden bleiben?

Ich war und bin mit der Leipziger Meteorologie vor allem über die Forschung zum Klimawandel in der Arktis verbunden. Ich agiere als eine Art Verbindungsperson zwischen einer Flugzeugmesskampagne in Grönland, die von der NASA für 2024 eingeplant ist mit mir als wissenschaftlichem Leiter, und deutschen Messungen in der Arktis, bei denen Leipzig oft federführend ist. So war ich sehr dankbar, dass mich Prof. Wendisch zur HALO-(AC)3 Kampagne nach Kiruna in Nordschweden eingeladen hat, die im März und April dieses Jahres stattfand und vor allem den Transport von Luftmassen in die und aus der Arktis unter die Lupe nahm. Das war ein guter Auftakt der Leibniz-Professur, und ich habe viel gelernt – von der Flugplanung bis hin zum Bedienen der Fallschirmsonden, die ich auf einigen Flügen ausklinken durfte.

  • Die Herausforderungen, die wir mit diesen [NASA-] Missionen in den USA angehen, wie das Erfassen kleinskaliger Interaktionsprozesse, stellen sich auch neuen europäischen Missionen und sollten am besten gemeinsam angegangen werden.
    Prof. Dr. Sebastian Schmidt

 

In der NASA Kampagne werden wir nicht nur auf die deutsche, von Studierenden entwickelte Flugplanungssoftware bauen, sondern auch auf die Zusammenarbeit mit den Leipziger:innen. Prof. Wendisch und hoffentlich auch einige Studierende werden nach Grönland reisen und dort ihre Erfahrungen mit der Planung und Durchführung der Kampagne einbringen. Vielleicht fliegt sogar das eine oder andere deutsche Messgerät auf einem NASA Flugzeug mit.

Am Wichtigsten ist mir aber, eine Art Datenkontinuität zwischen den deutschen und zukünftigen NASA Messungen zu erstellen, die sich in vieler Hinsicht überlappen. So wurden von Kiruna aus Schnee- und Eisreflektanzmessungen im Frühling gemacht, die wir im Sommer 2024 an ähnlicher Stelle wiederholen können und so mehrere Eckpunkte der arktischen Eisschmelze wissenschaftlich abdecken können. Dazu gibt es viel auf dem Gebiet des Lebenszyklus von Wolken zu tun, der leider nur unzureichend bekannt ist, unter anderem weil die satellitengestützte Fernerkundung von arktischen Wolken notorisch schlecht ist. Das zu verbessern ist ein weiteres der vielen gemeinsamen Ziele.

  • Egal ob in Colorado, Leipzig oder anderswo, [es braucht] die Kunst, die Studierenden so früh wie möglich im eigenständigen Denken zu bestärken, immer ein bisschen revolutionär zu sein, statt sich durch allzu bewährte Rezepte fesseln zu lassen.
    Prof. Dr. Sebastian Schmidt

 

Neben der Arktisforschung konnte ich mich mit den Leipziger Kolleg:innen auch über meine anderen Forschungsschwerpunkte austauschen, vor allem über neue NASA Satellitenmissionen zur Messung des Strahlungshaushalts, die ich mitentwickle. Die Herausforderungen, die wir mit diesen Missionen in den USA angehen, wie das Erfassen kleinskaliger Interaktionsprozesse, stellen sich auch neuen europäischen Missionen und sollten am besten gemeinsam angegangen werden – zum Beispiel über den Einsatz künstlicher Intelligenz bei der Fernerkundung. Ich habe, so denke ich, im Verlaufe des Sommers einige deutsche Studierende für diese Themen interessieren können und werde das auch weiterhin tun. Hoffentlich führt das zum Austausch von jungen Wissenschaftler:innen und Ideen zwischen Colorado und Leipzig.

Was können die Universität Leipzig und die University of Colorado in der Graduiertenausbildung voneinander lernen?

Ich würde da fragen: Was kann man gemeinsam lernen? Im Grunde genommen sind sich die Systeme ähnlicher als man denkt. Aus amerikanischer Sicht ist die deutsche Graduiertenausbildung vielleicht etwas hierarchischer, aber die Unterschiede sind zum größten Teil Vorurteile. Überall ist es wichtig, den Studierenden zunächst fundierte Grundlagen zu vermitteln – das Fundament ihres Wissenschaftshandwerks sozusagen.

Aber egal ob in Colorado, Leipzig oder anderswo, danach braucht es die Kunst, die Studierenden so früh wie möglich im eigenständigen Denken zu bestärken, immer ein bisschen revolutionär zu sein, statt sich durch allzu bewährte Rezepte fesseln zu lassen. Dieser Prozess des Flüggewerdens ist für jede:n Student:in anders, und es ist unsere Verantwortung in der Graduiertenausbildung, dabei die Begeisterung, Motivation und Zuversicht zu erhalten und zu fördern. Schließlich sollen sie die Probleme der Welt mit lösen, und dazu braucht es nicht nur Können, sondern auch Optimismus – gerade in der jetzigen Lage.

In diesem Sinne habe ich die Leipziger Zeit auch dazu benutzt, den Horizont meiner eigenen Studierenden zu erweitern. Drei meiner Doktorand:innen aus Colorado kamen für einen Monat nach Leipzig, um hier in eine andere Kultur und in ein anderes Forschungsleben einzutauchen. Dabei gab es so manche Aha-Momente. Meine Gruppe hat sich durch diese Erfahrung geändert: So diskutieren wir jetzt nicht nur die individuellen Forschungsprojekte, sondern auch andere, übergreifende Themen, unternehmen mehr zusammen außerhalb der Arbeit und entwickeln dadurch zusammen Ideen auch dafür, wie man über die Wissenschaft hinausgehen und sich in die Gesellschaft aktiv einbringen kann.

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