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In Resonanz auf die erste „Chance for Science“-Konferenz im April lädt die Universität Leipzig nun zum zweiten Mal ein: am 8. und 9. September. Die digitale Veranstaltung vernetzt Studierende, Professor:innen und Akademiker:innen aus der Ukraine mit deutschen Fachkolleg:innen beziehungsweise Kommiliton:innen. Initiatorin ist Prof. Dr. Carmen Bachmann. Für die beiden Professorinnen Maryna Kabanets und Iuliia Pavlova hat das Format bereits konkrete Kooperationsmöglichkeiten gebracht.

Iuliia Pavlova (Lviv)

Professor Iuliia Pavlova von der Staatlichen Universität für Körperkultur in Lviv ist zum zweiten Mal mit bei der Konferenz dabei. Ihre Lehr- und Forschungsschwerpunkte sind sportliche Betätigung und Sportunterricht. Sie erforscht unter anderem die sportliche Aktivität in verschiedenen Bevölkerungsgruppen, gesundheitsfördernde Einstellungen in Verbindung mit Angst sowie die Auswirkungen von Covid-19 auf die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden. Vor dem Krieg war sie für einige der wissenschaftlichen Projekte der Universität verantwortlich, die vom ukrainischen Ministerium für Bildung und Wissenschaft finanziert wurden.

Eingebunden in multidisziplinäres EU-Projekt

Durch die „Chance for Science“-Konferenz im April kam Pavlova in Kontakt mit Prof. Dr. Michael Brach von der Universität Münster. „Er lud mich ein, am internationalen PhysAgeNet-Projekt teilzunehmen, das von der EU finanziert wird.“ Dieses hat zum Ziel, geeignete Bewegungsprogramme für ältere Menschen zu entwickeln, um ihre Gesundheit zu verbessern, chronische Krankheiten und vorzeitige Sterblichkeit zu verringern. Dies soll auch Kosten für die Gesellschaft sparen. „Die Arbeitsgruppen beschäftigen sich mit Standards aus der evidenzbasierten Medizin, Daten zur Nutzung von Biomarkern, Umweltfaktoren sowie mit der Forschungsmethodik für technologiegestützte körperliche Aktivität“, so Iuliia Pavlova. 170 Teilnehmer:innen aus 42 Ländern weltweit sind am Projekt beteiligt. „Ein solches Projekt erweitert den eigenen wissenschaftlichen Horizont ungemein. Sei es, was neue Erkenntnisse betrifft oder die eigenen wissenschaftlichen Kontakte“, sagt sie. Besonders schätze sie die Kommunikation mit Gleichgesinnten und den ständigen Zugang zu neuen Informationen und Daten. „Ich bin sehr beeindruckt von diesem Projekt.“ Es sei von großer gesellschaftlicher Bedeutung, in fast jedem Land der Welt. „Ich bin überzeugt, dass die Ergebnisse auch in der Ukraine Anwendung finden werden.“

Bis zu neun Stunden Alarm am Tag

Seit Kriegsbeginn ist Iuliia Pavlova in ihrer Heimatstadt Lwiw in der Ukraine geblieben. „Auch unsere Stadt wurde bombardiert, und es gibt täglich Luftalarm. In den ersten Kriegsmonaten dauerte der Alarm an manchen Tagen insgesamt bis zu neun Stunden, meistens nachts.“ Man rechne mit Explosionen, jede Arbeit werde zu einer Herausforderung, so Pavlova. „Um unter solchen Bedingungen wissenschaftliche Forschung zu betreiben, ist es meiner Meinung nach wichtig, optimistisch zu sein“, sagt sie.

Jeder hat persönliche Verantwortung für die Zukunft

Mehr denn je werde heute bei jeder beruflichen Tätigkeit die persönliche Verantwortung für die Zukunft des Landes spürbar. „Man muss sich selbst verbessern und das, was man gut kann, so gut wie möglich machen“, sagt sie. Der ukrainische Staat brauche jetzt und in Zukunft hochqualifizierte Fachkräfte. „Mit der Unterstützung verschiedener Länder der Welt eröffnen sich für ukrainische Wissenschaftler Möglichkeiten, ein neues Niveau zu erreichen“, so die Forscherin.

Am Abend, bevor der Krieg ausbrach, saß sie lange am Schreibtisch, um noch einen wissenschaftlichen Artikel zu überarbeiten. „Denn am 24. Februar wurde mein kleiner Sohn zehn Monate alt. Ich wollte ihm Luftballons kaufen und so viel Zeit wie möglich mit ihm verbringen. Doch nur wenige Stunden später weckte mich mein Mann auf, und es heulten Sirenen“, erinnert sie sich.

Maryna Kabanets (Donezk/Bayreuth)

„Die erste Konferenz hat schon eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen ukrainischen und deutschen Wissenschaftlern bewirkt“, sagt Prof. Dr. Maryna Kabanets. Die Pädagogik-Professorin war ebenfalls bereits bei der ersten Konferenz dabei. Dieses Mal ist sie selbst mit im Vorbereitungsteam. „Auf der Konferenz selbst werde ich bei Bedarf übersetzen und bei der technischen Organisation mithelfen“, erläutert sie.

Anschluss an das europäische Wissenschaftssystem wichtig

An der Nationalen Technischen Universität Donezk leitet Kabanets die Sprachausbildungsabteilung. An dieser werden Fremdsprachen und Literatur für Lehramt sowie Business-Ukrainisch gelehrt. Die Professorin kennt die Situation ihrer Kolleg:innen sehr gut. „Unter den schwierigen Umständen, in denen die Menschen in der Ukraine und die Flüchtlinge aus der Ukraine jetzt leben, ist es sehr schwierig, die Kraft und Motivation zu finden, um weiter zu arbeiten“, sagt sie. „Der Austausch mit Kollegen und die Unterstützung, die wir von außen erfahren, helfen uns, neue Kraft und Inspiration zu finden.“

Sie selbst ist dank der Konferenz nun an einem DAAD-Projekt unter Leitung von Professor Roland Happ von der Universität Leipzig beteiligt. Dieses gewährt 24 ukrainischen Doktorand:innen dreier Universitäten ein Stipendium über fünf Monate. Zudem bekommen Bachelor-Studierende quantitative und qualitative Forschungsmethoden der Erziehungs- und Sozialwissenschaften vermittelt, dazu Kenntnisse zum wissenschaftlichen Schreiben und Publizieren. „Für die Studierenden ist dies sehr wichtig, sich mit dem europäischen Wissenschaftssystem vertraut zu machen, damit sie in Zukunft anschlussfähig sind. Unser System, gerade was Veröffentlichungen betrifft, funktioniert noch etwas anders“, so Kabanets. Dieses sei noch an das Wissenschafts-System angelehnt, das aus UdSSR-Zeiten stamme.

„Die deutschen Kolleg:innen geben uns das Gefühl, in die europäische Wissenschaftsgemeinschaft eingebunden zu sein, und das Vertrauen, dass wir alle Probleme bewältigen, den Krieg gewinnen und unsere wissenschaftliche und pädagogische Arbeit fortsetzen können“, sagt Kabanets.

Lehre nur noch digital

Seit 2014 ist ihre Universität, die ursprünglich in Donezk angesiedelt war, mehrfach konfliktbedingt umgezogen: nach der russischen Besetzung von Donezk zunächst nach Pokrowsk (damals noch Krasnoarmiisk). Nach Kriegsbeginn 2022 zog die Uni dann nach Lutzk um, einer Stadt in der Westukraine. „Dank der gut funktionierenden Online-Arbeit, die wir schon während der Covid-19-Pandemie erprobt hatten, mussten wir unsere Arbeit mit den Studierenden nicht unterbrechen.“ Doch der Wohnungsmangel wegen der großen Anzahl der Binnenflüchtlinge veranlasste Maryna Kabanets, mit ihrer Kollegin Liudmyla Adariukova zu Freunden nach Deutschland zu fliehen. „Wir hofften damals, dass wir in ein paar Wochen nach Hause zurückkehren könnten. Leider war das nicht der Fall.“ Seit einigen Monaten gibt sie die Lehrveranstaltungen aus Bayreuth. Von dort betreut sie ihre Studierenden, die selbst über die ganze Ukraine und ganz Europa verstreut sind. „Doch all diese Umstände haben uns flexibler gemacht, ich würde sogar sagen, sie haben uns den Schülern nähergebracht, trotz der Entfernung“, berichtet Kabanets. „Wir machen uns Sorgen um jeden einzelnen und versuchen zu unterstützen, wo es nur geht.“ 

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