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Unwetter, Flutkatastrophen, steigende Temperaturen – die Negativschlagzeilen zum Klimawandel können ein Gefühl der Machtlosigkeit entstehen lassen. Die Sozialpsychologin Dr. Karen Hamann von der Universität Leipzig hat jetzt mit anderen Forschenden ein Buch herausgegeben, das zeigt, wie Menschen angesichts der Klimakrise zum gemeinsamen Handeln motiviert werden können, anstatt zu resignieren. Das Buch fasst den Kenntnisstand aus wissenschaftlicher Perspektive zusammen und soll gleichzeitig Klimaaktivist:innen unterstützen.

Der Begriff „Klimaangst“ ging in den vergangenen Monaten durch die Medien. Ist dieses Phänomen durch die Forschung belegt?

Dr. Karen Hamann: Wenn wir Leute fragen, ob sie Angst vor der Klimakrise haben, dann sehen wir hohe Zustimmungsraten, insbesondere bei Jugendlichen. Wenn wir aber zum Beispiel eine klinisch angelehnte Skala anlegen, die misst, ob Menschen emotional und verhaltensbezogen durch die Klimakrise stark belastet sind, ist das meistens weniger der Fall. Klimaangst in diesem Sinne ist also kein psychisches Störungsbild, aber sie hat Anteile, die einer leichten Depression ähneln können.

Die Forschung zu diesem Thema wurde sicherlich auch von den Medien befeuert, ich habe es zumindest in meiner Laufbahn noch nie gesehen, dass ein Forschungsbereich in so kurzer Zeit so explodiert ist. Was uns in unserem Buch interessiert, ist aber die andere Seite der Medaille, nämlich wie die Leute ins Handeln kommen, was Protest und Engagement angeht.

Welche Auswirkungen hat denn Klimaangst auf das Engagement der Menschen? Wirkt sie eher aktivierend oder eher lähmend?

Ein gewisser Anteil unserer Bevölkerung zeigt stärkere Symptome von Klimaangst. Diese Menschen fühlen sich ängstlich, liegen vielleicht nachts wach. Vieles weist darauf hin, dass diese Angst dazu führt, dass Menschen eher versuchen, etwas gegen die Klimakrise zu tun. Allerdings gibt es dazu noch keine kausalen Studien, das muss man dazu sagen. Das heißt, es kann auch sein, dass diejenigen, die sich mehr engagieren und sich mehr mit diesen Themen beschäftigen, deswegen auch größere Ängste entwickeln.

In den Medien wird oft mit negativen Begriffen wie „Klimakollaps“ gearbeitet. Wie wirkt sich die öffentliche Berichterstattung auf unsere Haltung zur Klimakrise aus?

Ich würde sagen, es ist abhängig davon, ob man dem Publikum gleichzeitig ein Gefühl der Wirksamkeit und vielleicht auch der Hoffnung vermitteln kann oder ihm auch die Möglichkeit gibt, seine Wut zu äußern. Wenn wir mit angsterfüllten Botschaften konfrontiert werden und nicht wissen, was wir tun sollen, dann haben wir eher die Neigung, uns zurückzuziehen und gar nichts zu tun. Wir brauchen konstruktiven Journalismus, es braucht positive Geschichten, die die Leute auch motivieren. Ich habe letztens einen Film gesehen, der sich 88 Minuten lang um die Klimakrise drehte und darum, wie schlimm es wird. Erst in den letzten zwei Minuten wurde gesagt, wo es einen Funken Hoffnung gibt – dies ist nicht genug. Um wirklich aktiv zu werden, braucht es mehr als die Angst.

Was genau braucht es aus Sicht der psychologischen Forschung, damit wir uns für eine Sache einsetzen?

Über verschiedene Bereiche hinweg hat die Forschung drei Motivationssäulen für gesellschaftliches Engagement als essenziell ermittelt, die gelten auch im Klimaschutz.

Die stärkste Säule von allen ist die Identifikation mit sogenannten politisierten Gruppen. Dass ich mich zum Beispiel mit Fridays for Future identifiziere oder mit der Letzten Generation, aber vielleicht auch mit meiner lokalen Nachbarschaftsinitiative, die sich für Ökostrom einsetzt.
Die zweite Säule ist Moral und Wut: Wenn es mich wütend macht, dass es Ungerechtigkeiten gibt in der Bevölkerung oder dass die junge Generation irgendwie benachteiligt ist, dann bin ich eher bereit, auf die Straße zu gehen und mich zu engagieren.
Die dritte Säule ist die Wirksamkeit, also das Gefühl, dass wir als Kollektiv etwas erreichen können und dass ich als Individuum für das Kollektiv einen wichtigen Beitrag leiste.

Das sind die Motivationssäulen, mit denen wir uns in unserem Buch beschäftigen. Da gibt es viele Möglichkeiten, viele Ideen, auf denen Klimagruppen und Menschen, die sich engagieren wollen, aufbauen können.

Es gibt viele Möglichkeiten, auf denen Klimagruppen und Menschen, die sich engagieren wollen, aufbauen können.

Welche Rolle spielen Galionsfiguren wie Greta Thunberg oder Luisa Neubauer?

Führungspersonen sind ganz wichtig, damit wir uns überhaupt erstmal mit einer Gruppe identifizieren. Das sieht man zum Beispiel bei Luisa Neubauer. Sie passt in die Fridays for Future-Gruppe einfach rein. Die Gruppe besteht überproportional aus Frauen, die ungefähr in ihrem Alter sind und so wie sie nach dem Ende der Schulzeit jetzt am Anfang des Studiums oder der Ausbildung stehen. Doch sogar ein ähnlicher Kleidungsstil wie der von Luisa Neubauer kann schon eine Identifikationsbasis schaffen.

Führungspersonen sind natürlich auch eine moralische Instanz. Wenn Greta Thunberg zu einer Klimakonferenz segelt, anstatt das Flugzeug zu nehmen, dann kann das abfärben auf die Bewegung und ihre Teilnehmenden. Greta Thunberg hat sehr stark die drei Motivationssäulen bespielt. Sie hat sehr schnell ein „Wir“ geprägt. Sie hat sehr häufig davon gesprochen, dass wir auf Regierungen und Unternehmen wütend sein sollen. Und sie hat zum Beispiel ein Buch geschrieben hat mit dem Titel „Niemand ist zu klein, um einen Unterschied zu machen“.  Daran sieht man ziemlich schön, warum die Fridays for Future-Bewegung eigentlich so schnell so groß geworden ist.

Kann es umgekehrt auch sein, dass wir eine Bewegung oder eine Idee ablehnen, weil wir uns mit den Führungspersonen nicht identifizieren? 

Auf jeden Fall. Im Buch gehen wir auch darauf ein, welche Stereotype es in Bezug auf Umweltschützer:innen gibt, die es für andere Leute schwierig machen, sich mit ihnen zu identifizieren. Manchmal werden Klimaschützer:innen als aggressiv wahrgenommen. Die Letzte Generation wurde zum Beispiel oft als militant beschrieben. Das ist aber etwas, das man aktiv beachten kann. Wenn ich mit Menschen das Gespräch suche und nahbar wirken will, kann ich das zum Beispiel durch meine Kleidung, den Sprachgebrauch oder das Hervorheben von Gemeinsamkeiten wie den Wohnort beeinflussen.

Ihr Buch möchte Menschen Mut zu Klimaschutz und auch zu Klimaprotest machen. In einem von Ihnen gegründeten Verein engagieren Sie sich für die Nutzung psychologischer Erkenntnisse in der Klimabewegung. Inwieweit darf – oder sollte – Wissenschaft aus Ihrer Sicht auch aktivistisch sein?

In Bezug auf Klimaschutz werden wir als Wissenschaftler:innen schon ein wenig zu Aktivist:innen, allein schon wenn wir dafür einstehen, dass der Klimawandel menschengemacht ist.

Forschung kann auch durch Aktivismus vorangetrieben werden. Ich sage immer, dass ich durch meinen eigenen Aktivismus und meinen Wunsch, mit meiner Arbeit gegen die Klimakrise vorzugehen, ein höheres Interesse daran habe, wirklich Erkenntnisgewinn zu produzieren und die Wahrheit herauszufinden. Ich würde niemals aus Eigeninteresse Ergebnisse beschönigen oder vorschnell publizieren, weil ich der Klimabewegung nicht schaden möchte.

Dennoch werden manche vielleicht hellhörig, wenn sie das Wort "Aktivismus" im Zusammenhang mit der Wissenschaft hören. Haben Sie praktische Tipps, wie man mit der Doppelrolle umgehen kann?

Wir haben alle mehrere Identitäten, schwierig wird es, wenn sich diese mischen. Wenn ich Vorträge halte, habe ich deshalb immer eine Folie, auf der ich zeige: "Das bin ich als Wissenschaftlerin mit meinem Team" und "Das bin ich als Aktivistin auf einer Fridays for Future-Demo".

Es gibt neuerdings auch sogenannte Positionality Statements in manchen wissenschaftlichen Publikationen, in denen die Forschenden darüber schreiben, wie sie selbst zum Forschungsthema stehen, und ihren demografischen Hintergrund transparent machen. Das habe ich selbst schon in Artikeln gemacht. Wenn ich so etwas lese, gibt mir das das Gefühl, die Aussagen besser einordnen zu können. 

Was ich außerdem versuche in meinen aktuellen und zukünftigen Projekten, ist mehr transdisziplinär zu forschen. In einem Projekt mache ich dann nur die Wissenschaft und andere übernehmen die Kommunikation und Umsetzung. In einem anderen Projekt bin dann vielleicht ich diejenige, die in ihrer lokalen Umgebung beim Nachbarschaftsgarten mitwirkt und an einer Umfrage teilnimmt. Ich kann mir vorstellen, dass man durch solche transdisziplinären Ansätze die Doppelrolle entzerren könnte, die sich daraus ergibt, gleichzeitig sowohl Aktivistin als auch Wissenschaftlerin zu sein.

Wir haben alle mehrere Identitäten, schwierig wird es, wenn sich diese mischen.

Sie erklären im Buch auch an Beispielen, was ein wissenschaftliches Modell ist und welche wissenschaftlichen Methoden angewandt wurden. Wie kam es dazu?

In Diskussionen zur Wissenschaftskommunikation wird immer wieder hervorgehoben, dass wir sicherstellen müssen, dass unsere Aussagen wirklich richtig verstanden werden. Dass die Leser:innen mit dem Wissen ausgestattet werden müssen, das es braucht, um überhaupt Forschung interpretieren zu können. Damit es nicht zu Fehlschlüssen kommt. Es passiert schnell, dass man aus einem Zusammenhang fälschlicherweise auf eine Kausalität schließt. Es war mir wichtig, zu zeigen, wie unsere Herangehensweise als Wissenschaftler:innen funktioniert.

Ihr Buch nimmt ausdrücklich kollektives Handeln im Gegensatz zur individuellen Verantwortung in den Fokus. Wie gehen Sie persönlich mit der Klimakrise um und was würden Sie anderen raten?

Was mich persönlich betrifft, so bin ich bin zum Beispiel seit zehn Jahren nicht mehr geflogen und achte auf eine nachhaltige Ernährung. Seitdem ich vor drei Monaten ein Kind bekommen habe, merke ich wiederum, dass mein ökologischer Fußabdruck gerade steigt. Also treffe auch ich ökologische und unökologische Entscheidungen.

Manchmal verfallen Freundinnen von mir ins Grübeln und machen sich stundenlang darüber Gedanken, welches Produkt sie kaufen sollen, um ökologisch zu handeln. Ihnen rate ich: Lass den Gedanken zu, was kollektiv passieren müsste, wie sich Strukturen verändern müssten, damit du gar nicht erst in diesen Entscheidungszwang hinein gerätst. Wenn eine Gruppe es schafft, dass sich Strukturen verändern, dann beeinflusst das gleich so viel mehr Individuen, die sich nicht den Kopf darüber zerbrechen müssen, ob sie heute die Plastiktüte entgegennehmen oder nicht. Welche Gruppen spiegeln das wider, wofür du stehst? Wo würdest du dich wirksam fühlen?

Wenn ich merke, eine private Entscheidung kostet mich zu viel Kraft, gehe ich auf jeden Fall in diesen Reflexionsprozess rein: Ist es das jetzt gerade wert oder sollte ich nicht lieber meine Kraft in etwas anderes stecken, zum Beispiel gemeinsam mit anderen an einem Buch zur Bekämpfung der Klimakrise zu arbeiten?

Die Fragen stellte Nina Vogt.

Das Buch „Klimabewegt: Die Psychologie von Klimaprotest und Engagement“ ist 2024 im oekom Verlag erschienen. Dr. Karen Hamann gehört zum sechsköpfigen Herausgeber:innen-Team des Wandelwerk e.V., das sich aus Forschenden und Absolvent:innen der Psychologie zusammensetzt.

 

Die Publikation ist laut Hamann sowohl populärwissenschaftlich lesbar als auch wissenschaftlich nutzbar. Sie bietet erstmals einen Überblick über das Forschungsfeld Klimaengagement und Klimaprotest aus psychologischer Sicht. Gleichzeitig war es den Autor:innen wichtig, die Inhalte praxisnah und für Laien verständlich darzustellen.

zur Vergrößerungsansicht des Bildes: Buchcover "Klimabewegt Die Psychologie von Klimaprotest und Engagement"
Buchcover "Klimabewegt Die Psychologie von Klimaprotest und Engagement", Grafik: oekom Verlag

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