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Das Institut für Wirkstoffentwicklung der Medizinischen Fakultät erhält 1,77 Millionen Euro für die computergestützte Entwicklung von Impfstoffen. Die internationale "Coalition for Epidemic Preparedness Innovations" (CEPI) verfolgt damit das Ziel der 100-Tage-Mission, um im Ernstfall einer neuen viralen Bedrohung zügig einen passenden Impfstoff bereitzustellen. Im Universitätsmagazin spricht Projektleiterin Dr. Clara T. Schoeder unter anderem über zehn zur Auswahl stehende verschiedene Virus-Typen, die in den nächsten fünf Jahren getestet werden sollen und das methodische Vorgehen.

Frau Dr. Schoeder, können Sie vom Institut für Wirkstoffentwicklung in 100 Tagen ein computergestütztes Vakzin bereitstellen?

Das ist eine spannende Frage. Es wird uns vielleicht nicht beim ersten Mal sofort gelingen. Im Zuge der Projektlaufzeit haben wir aber immer wieder die Chance, unsere Arbeitsweise anzupassen und Methoden zu optimieren. Ich kann mir gut vorstellen, dass es für einige der vorgegebenen Viren durchaus gelingt. Dazu sei gesagt, dass dieses Verfahren ein iterativer Prozess von Design und experimenteller Validierung ist. Das heißt, wir erstellen, testen und überarbeiten einen Ablauf so lange, bis wir mit dem finalen Ergebnis zufrieden sind.

Manchmal ist die Lösung, um ein virales Glykoprotein zu stabilisieren oder eine konservierte Antikörperbindestelle freizulegen, offensichtlich und erfordert nur wenig Anpassung – dann geht es schnell. Manchmal ist das Problem aber sehr komplex oder uns fehlen essentielle Informationen, weil die Immunantwort gegen das Virus nicht eingehend charakterisiert ist. Dann ist es oft schwierig, weil man viele Versuche unternehmen muss. Nach den Experimenten können wir sagen, ob unser Design erfolgreich war oder ob wir zurück an den Computer gehen werden, unsere Hypothesen neu überprüfen und einen neuen Versuch wagen. Eine Vorhersage ist schwer zu treffen, denn jedes virale Glykoprotein verhält sich anders.

Für welche Viren werden Sie versuchen, Vakzine zu entwickeln und wieso ist es gerade für diese zehn so wichtig?

Es handelt sich hierbei vor allem um solche Erreger, die großes pandemisches Potenzial haben, aber bisher nur zu sehr kleinen Patientenzahlen geführt haben. Daher werden diese Viren bei der klassischen Vakzinentwicklung oft vernachlässigt. Wie wir an COVID-19 mit dem SARS-Cov-2-Virus erfahren haben, kann es passieren, dass gerade ein solches Virus eine Pandemie hervorruft. Ein Expertenteam sucht zehn Viren aus, die gefährlich werden können und für die wir noch keine optimalen therapeutischen Optionen haben. Dazu gehören unter anderem das Lassavirus, welches klinisch leichte bis schwere Fieberschübe auslösen kann, und das Nipahvirus, welches nur sehr selten auf den Menschen überspringt, dann aber Todesraten bis zu 50 Prozent hervorrufen kann. Am Ende steht die Aufgabe, für jede Art von Virus vorbereitet zu sein und im Ernstfall schnell reagieren zu können.

Viele dieser Viruserkankungen treten heutzutage vor allem in tropischen und subtropischen Gebieten auf. Aber wir beobachten mit dem Klimawandel immer mehr neue Viruserkrankungen, die nach Deutschland und auch nach Sachsen kommen. Ein Beispiel hierfür ist das West-Nil-Virus, das klinisch oft unauffällig ist. Manchmal kann es grippale Infekte verursachen und in seltenen Fällen auch schwere Erkrankungen, wie Gehirnhautentzündungen.

Was soll genau in dem aktuellen Forschungsprojekt passieren?

Unsere Aufgabe ist es, durch computergestütztes Proteindesign die viralen Glykoproteine, also die Antigene für die Antikörpererkennung, optimal in einem Impfstoff zu präsentieren. Oft gibt es Probleme bei der Überführung dieser viralen Bestandteile in eine Impfung bei der Stabilität des Proteins und dadurch eine verminderte Wirkung. Mit dem Design im Computer können wir viele tausende Kombinationen von stabilisierenden Mutationen durchspielen. Basierend auf unseren Analysen suchen wir einige davon aus, um sie auch experimentell im Labor zu überprüfen. Nicht immer sind unsere Vorhersagen korrekt und es ist völlig normal, dass wir an einem Protein immer wieder Optimierungen vornehmen.

Zu sehen ist Dr. Clara Schoeder.

Seit der Corona-Pandemie ist computergestütztes Design aus dem Vakzindesign nicht mehr wegzudenken. Trotz dieser neuen Methoden ist die Impfstoffentwicklung immer noch eine große gemeinsame Anstrengung vieler Wissenschafler:innen.

Dr. Clara T. Schoeder

Was ist an den Methoden so besonders? Und wie viel Computerleistung steckt in der Entwicklung?  

Humboldt-Professor Jens Meiler, der Direktor des Instituts für Wirkstoffentwicklung, bei dem ich gelernt habe, hat eine lange Expertise in der Entwicklung dieser computergestützten Proteindesignmethoden und gehört zu den Gründungsmitgliedern eines Konsortiums, dass die Rosettasoftware für Proteinmodellierung und –design herausgibt. Das Besondere an diesem Softwarepaket ist die flexible Integrierbarkeit von neuen Protokollen. Wir verwenden eine Mischung von Methoden, die sich in der Praxis bewiesen haben und diesen neuen Methoden. Dabei können wir auch verstehen, was diese neuen Methoden leisten können oder wo sie uns keine Vorteile bieten.

Unsere Berechnungen werden auf sogenannten High-Performance Computing Clustern durchgeführt. Zurzeit geschieht dies im Rechenzentrum der Universität Leipzig und in Zukunft im KI-Rechenzentrum der Universität Leipzig. Dort verwenden wir viele hunderte Recheneinheiten, um diese Modelle zu erstellen und durchzurechnen. Die Analysen werden von Wissenschaftler:innen an gut ausgerüsteten stationären Rechnern vorgenommen. Dabei zählt viel Erfahrung in der fachlichen Methode und Verständnis für die wissenschaftliche Fragestellung. Die Komponente „Mensch“ ist also essentiell für den Erfolg unserer Projekte.

Wie ist es möglich, immer schneller Impfstoffe zu entwickeln? Die Bevölkerung ist in mancherlei Hinsicht skeptisch.

Für viele virale Erkrankungen standen uns in der Vergangenheit keine Impfstoffoptionen zur Verfügung – denken Sie nur an HIV, RSV und Ebola. Mit den neuen Methoden können wir nun einen neuen Anlauf nehmen, Impfstoffe für solche Pathogene zu entwickeln. In einigen Fällen gelingt dies auch: Bei RSV musste erst verstanden werden, dass wir das Oberflächenprotein stabilisieren müssen, damit die gebildeten Antikörper das Virus neutralisieren, bevor es Zellen infiziert – denn nur dann wirken sie. Hier befinden sich Impfstoffe in späten klinischen Phasen. Auch für Ebola gibt es nun ein Vakzin. Die Grundlagenforschung ist dafür essentiell, um neue Konzepte und Methoden bereitzustellen, die uns dann auch bei Corona schnell geholfen haben. Seit der Corona-Pandemie ist computergestütztes Design aus dem Vakzindesign nicht mehr wegzudenken. Trotz dieser neuen Methoden ist die Impfstoffentwicklung immer noch eine große gemeinsame Anstrengung vieler Wissenschafler:innen.

Leider sind viele dieser Konzepte sehr abstrakt und nicht immer einfach zu verstehen. Hier sehe ich eine vermehrte Verantwortlichkeit der Wissenschaft, diese Konzepte allgemeinverständlich und zugänglich darzustellen. Vom Institut für Wirkstoffentwicklung sind wir sowohl auf der Langen Nacht der Wissenschaften am 23. Juni 2023 mit dem Vortrag „Going Deep: Künstliche Intelligenz in der Wirkstoffentwicklung“​​, 20.00 Uhr im Studienzentrum der Liebigstraße 27 vertreten und waren auch beim Dies academicus. Ich möchte jeden, der sich für diese Themen interessiert, auffordern, uns bei diesen Gelegenheiten anzusprechen.

Welchen Einfluss hat die Künstliche Intelligenz (KI) auf die rasante Entwicklung?

KI ist eine Mischbezeichnung für Methoden, die zur Selbstoptimierung fähig sind. Gerade im Bereich Strukturvorhersage hat sich das Arbeiten durch KI Methoden stark verändert. Für Aufgaben, an denen wir vor rund zwei Jahren noch viele Tage oder Wochen gearbeitet haben, gibt es jetzt Lösungen in Minuten oder Stunden. Allerdings nicht für alle Anwendungsbeispiele und auch nicht immer in der gewünschten Qualität. Nichtsdestotrotz hilft uns das, uns mehr auf die wissenschaftlichen Fragestellungen zu fokussieren. Das macht viele Prozesse schneller. Im Proteindesign gibt es nun auch viele KI-basierte Methoden. Wir sind aber immer noch in der Erprobungsphase und müssen lernen, für welche Zwecke sich diese Methoden gut anwenden lassen und wo sie herkömmlichen Methoden unterlegen sind.

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