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100 Tage (und ein paar mehr) sind vergangen, seitdem Dr. Jörg Wadzack am 2. Mai 2023 sein Amt als Kanzler der Universität Leipzig angetreten hat. Im zweiten Teil seines Interviews mit dem Universitätsmagazin spricht er über die Digitalisierung der Verwaltung, die Motivation der Mitarbeitenden und die IT-Sicherheit.

Lesen Sie dazu auch Teil eins: Interview mit Kanzler Jörg Wadzack nach 100 Tagen im Amt

Die Digitalisierung der Verwaltung ist sicher auch ein drängendes Thema, das auf Ihrer To-do-Liste steht?

Digitalisierung ist ja nicht nur ein Modewort, sondern es ist ein absolutes Muss. Und da hat die Universität Leipzig nach meiner bisherigen Wahrnehmung einigen Aufholbedarf. Es gibt verschiedene Themen, die wir mehr oder weniger parallel bearbeiten müssen, aber dafür haben wir gar nicht die Ressourcen. Insofern werden sich die Prozesse wohl über die nächsten Jahre hinziehen. An allererster Stelle steht das sogenannte ERP-System [Anm. d. Red.: ERP steht für Enterprise Resource Planning], also die Basissoftware, mit der wir Personal und Finanzen verwalten: Letztlich eine große Datenbank, in der alle Finanz- und Personaltransaktionen abgespeichert sind. Damit habe ich noch keine Selbststeuerung im engeren Sinne, keine Workflows und Digitalisierungsprojekte umgesetzt. Es geht lediglich darum, ein modernes System zu haben, in dem Personal und Finanztransaktionen gut abgebildet werden können. Und vor allen Dingen möglichst automatisiert, damit ich die entsprechenden Berichte und Kennzahlen synchronisiert an das Land schicken kann.

Ob und wann wir das erreichen, hängt auch davon ab, für welches System wir uns entscheiden. Gleich am zweiten Tag meiner Amtszeit wurde, vorbereitet durch das Rektorat, das ERP-Projekt mit einem Kick-Off gestartet: Es geht darum, zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen der Verwaltung und im Wesentlichen auch mit den Pilot-Einrichtungen (Anm. d. Red.: die Fakultät für Chemie und Mineralogie, die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät sowie die Universitätsbibliothek), die den selbststeuernden Haushalt testen, zu definieren, wie unser zukünftiges ERP-System aussehen soll. Wir werden uns in den kommenden Wochen Universitäten anschauen, die die beiden in Frage kommenden Systeme nutzen. Auf dieser Informationsbasis werden wir einen direkten Produktvergleich durchführen. Abschließend gibt es dann noch einmal eine Präsentation beider Softwarehersteller. Meine Zielstellung ist, dass wir uns im Herbst, eher Früh- als Spätherbst, für ein System entscheiden. Dann beginnt aber erst der Umsetzungsprozess – und der braucht eine gewisse Zeit.

Das Thema ERP-System beschäftigt die Universität schon seit einer Weile. Auf wie viel Frust oder auch Motivation stoßen Sie da bei den Mitarbeitenden?

Mein Eindruck ist, dass man das alte Projekt wirklich abgehakt hat im Sinne von: War ein netter Versuch, hat nicht funktioniert. Zumindest die Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich jetzt gesprochen habe in der Verwaltung, weinen dem alten Projekt a) nicht mehr nach und b) sehen sie weiterhin die Notwendigkeit, dass wir ein ERP-System brauchen. Das heißt, ich spüre eine nachhaltige Motivation, sich auch einem neuen Prozess zu stellen und diese Software einzuführen. Ich kann mir vorstellen, dass die Motivation vielleicht nicht bei jedem ganz so groß ist, denn bei Vielen liegt wirklich immens viel operative Arbeit auf dem Tisch. Jetzt noch ein zusätzliches Projekt umsetzen zu müssen, wird die ganz große Herausforderung sein. Das sind Change-Management-Prozesse. Es geht also nicht nur um die Implementierung einer Software, die im Sinne von Plug and Play einfach mal schnell aufgespielt wird. Entscheidend ist, dass das System zum Leben erweckt werden muss, dass wir mit den Systemen arbeiten, dass unsere Daten in das neue System transferiert werden müssen. Das sind Prozesse, die sorgfältig vorbereitet werden müssen und somit relativ lange brauchen.

Zu sehen ist Kanzler Dr. Jörg Wadzack im Gespräch.

Wir brauchen zusätzlich ein Dokumentmanagementsystem, damit digitale Vorgänge auch aus den dezentralen Einrichtungen innerhalb von Sekunden in die Dezernate gelangen und dort bearbeitet werden können.

Dr. Jörg Wadzack

Das ist aber nur ein Teil der Digitalisierung?

Richtig. Es geht auch um den Workflow. Stand jetzt ist es so: Ich drucke ein Blatt aus, das ich unterschreibe, das gebe ich meiner Sekretärin, die gibt es zur Poststelle und in der Poststelle wird es entgegengenommen, bearbeitet und dann wieder weitergeschickt. Das muss digital abgebildet werden. Das heißt, ich muss dem System sagen, um welchen Vorgang es sich handelt und wer die nächste Person ist, die sich mit diesem Vorgang beschäftigen soll. Es entsteht nun eine digitale Akte, unabhängig davon, ob diese eine Seite oder 100 Seiten umfasst. Die ERP-Systeme haben kein ausgebautes Dokumentenmanagementsystem integriert, das ich aber brauche, um eine digitale Akte und einen umfassenden digitalen Workflow im weiteren Sinne etablieren zu können.

Das heißt, wir brauchen zusätzlich ein Dokumentmanagementsystem, damit digitale Vorgänge auch aus den dezentralen Einrichtungen innerhalb von Sekunden in die Dezernate gelangen und dort bearbeitet werden können.

Was heißt das für die Selbststeuerung?

Ich kann mir vorstellen, und die Pilot-Einrichtungen praktizieren das ja jetzt schon, dass wir mit dem Einstieg in eine Selbststeuerung schon vorher beginnen. Das würde aber bedeuten, dass die Fakultäten ihre Budgetverwaltung zunächst per Excel erledigen müssen, bis es ein umfassendes Managementsystem plus ERP gibt. Bei den Pilot-Einrichtungen funktioniert das nach meiner Wahrnehmung ganz gut, aber die Frage ist, ob das von allen gewollt wird und ob der Mehrwert der Selbststeuerung so groß ist im Vergleich zu dem Aufwand, der betrieben werden muss. Es braucht ein gewisses Knowhow in den Fakultäten ebenso wie Kapazität. Das gilt es miteinander abzuwägen, da sind wir im Gespräch, insbesondere mit den Dekanatsräten. Von einer kompletten Selbststeuerung der einzelnen Einrichtungen im engeren Sinne sind wir meiner Ansicht nach noch weit entfernt, sowohl bezüglich der Prozesse als auch zeitlich.

Zu sehen ist Kanzler Dr. Jörg Wadzack im Gespräch.

Wir brauchen ein gemeinsames Verständnis von einer Sicherheitsarchitektur dieser Universität. Dazu muss es einen Dialog geben: Welche Freiheiten können wir gewähren? Wie kann die Sicherheit in der Peripherie sichergestellt werden?

Dr. Jörg Wadzack

Ohne IT geht nichts mehr. Das wollen zunehmend Kriminelle für sich nutzen. Wie stark müssen wir uns in Sachen IT-Sicherheit engagieren?

Die Angriffe auf Universitäten und Universitätskliniken sind in den letzten Jahren deutlich angestiegen. Und es hat leider auch sehr viel erfolgreiche Angriffe gegeben, man hat gemerkt, dass die Universitäten nicht gut vorbereitet sind. Sie können gar nicht gut vorbereitet sein, weil sie von ihrem Selbstverständnis heraus komplett offen sind, alles nach außen tragen und letztlich auch mit der Welt kommunizieren wollen. Das ist grundlegende Aufgabe von Wissenschaft und Forschung, also einer Hochschule. Insofern sind eben einige Einrichtungen arg gebeutelt und getroffen worden bis dahin, dass sie richtig viel Geld in die Hand nehmen mussten, um ihre eigenen Systeme wieder zum Leben zu erwecken. Das kann so weit gehen, dass sie drei, vier Monate nicht erreichbar sind. Die TU Berlin hatte im vergangenen Jahr über mehrere Monate den Immatrikulationsprozess nicht digital abbilden können. Anfang diesen Jahres gab es Angriffe auf die TU Freiberg. Es ist eine Riesenbaustelle, die wir bearbeiten müssen.

Das URZ arbeitet gerade an einem neuen Firewall-System. Und wir haben nun ein neue „Endpoint Detektion und Response-Lösung“, also nicht nur eine Virenerkennungssoftware. Diese kann auch im Monitoring erkennen, ob es auf Rechnern auffälliges Verhalten gibt, also auf dem Rechner etwas Ungewöhnliches passiert, was bisher nicht passiert ist. Falls ja, meldet das System dies automatisch,  und der Rechner wird geprüft. Zu 99 Prozent werden das Fehlalarme sein, weil der Rechner genau das tut, was er tun soll, nämlich mit einer wie geplant neu aufgespielten Software arbeiten. Aber diese Endpoint Detektion und Response-Lösung soll uns helfen, Angriffe frühzeitig zu erkennen und abzuwehren.

Eine weitere Frage ist: Wie gehen wir mit Notfällen und in Notfallsituationen damit um? Es kann nicht die Lösung sein, dass wir unsere ganze IT noch einmal ausdrucken und irgendwo ins Regal stellen.

Wir können auch nicht das gesamte System schützen. Das ist praktisch unmöglich bei der Vielfalt, der Heterogenität der Systeme, die wir pflegen. Wir müssen uns auf die absoluten Kernsysteme konzentrieren. Das ist ein laufender Prozess. Das Rektorat wird eine Firma beauftragen, die eine forensische Analyse unseres Netzwerks vornimmt. Sie wird einen Angriff auf die Systeme der Universität Leipzig simulieren und aufzeigen, wo bei uns die Schwachstellen sind. Diese gilt es dann zu schließen. Ein Gesamtkonzept zu dem Thema ist in Arbeit.

Wir brauchen aber auch ein gemeinsames Verständnis von einer Sicherheitsarchitektur dieser Universität. Dazu muss es in den nächsten Monaten einen Dialog geben: Welche Freiheiten können wir gewähren? Wie kann die Sicherheit in der Peripherie sichergestellt werden?

Wenn Ihre Amtszeit 2031 endet: Welcher Wunsch sollte bis dahin in Erfüllung gegangen sein?

Die Digitalisierung in der Verwaltung, vielleicht auch die Neu-Organisation der Verwaltung, eine moderne Strukturierung der Prozesse. Wir werden, darüber haben wir noch gar nicht gesprochen, vielleicht die Verwaltung neu organisieren, Prozesse anders aufsetzen müssen. Ich will nicht sagen, dass bis 2031 alles umgesetzt sein wird.

Wir werden das ERP-System eingeführt haben. Wir, die Verwaltung und ich, stehen ja ganz am Anfang. Und ich möchte betonen: Ich bin sehr, sehr gut aufgenommen worden. Mein Eindruck ist: Die Erkenntnis, dass es notwendig ist, etwas zu ändern, ist bei allen präsent und ich habe das Gefühl, dass die Mitarbeiter:innen bereit sind, dafür die Energie aufzubringen. Wir sprechen natürlich von Teamarbeit, die kann nie der Kanzler alleine realisieren und umsetzen. Das muss eine gemeinsame Aufgabe der Verwaltung und der gesamten Universität sein.

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