Nachricht vom

Laut Klimawandeldienst Copernicus waren das letzte Jahrzehnt (2011 bis 2020) das wärmste und 2020 das Jahr mit dem heißesten Sommer seit Beginn der Aufzeichnungen. Wir wissen auch: Die globale Durchschnittstemperatur ist heute bis zu 1,2 Grad Celsius höher als am Ende des 19. Jahrhunderts, hauptsächlich verursacht durch die Emission von Treibhausgasen, vor allem Kohlenstoffdioxid (CO2). Dass die Erde sich durch CO2 erwärmen würde, prognostizierte bereits 1896 der schwedische Physiker und Chemiker und spätere Nobelpreisträger Svante Arrhenius. Die Nachwuchswissenschaftlerin und Meteorologin Dr. Leonore Jungandreas erläutert im Interview, was genau der Schwede damals schon untersucht und herausgefunden hat, welche Rolle das für ihre eigene Forschung spielt und warum der Klimawandel von weitaus mehr Faktoren als dem CO2-Gehalt der Atmosphäre abhängt.

Frau Jungandreas, welche bahnbrechende wissenschaftliche Leistung hat Arrhenius in Bezug auf die Erderwärmung durch CO2 erbracht – und das schon vor 127 Jahren?

Dr. Leonore Jungandreas: Svante Arrhenius formulierte als erster mathematische Formeln zur Bestimmung des Einflusses von CO2 auf das Energiebudget der Erde, nachdem der britische Naturwissenschaftler John Tyndall (1820-1893) einige Jahre zuvor experimentell herausfand, dass Wärmestrahlung vor allem durch Wasserdampf und Kohlenstoffdioxid absorbiert wird. Zusammen mit seinem Kollegen Arvid Hogbom berechnete Arrhenius die mittlere Temperatur der Erde unter verschiedenen CO2-Leveln. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass eine Verdopplung oder Halbierung des CO2-Gehalts – unter den atmosphärischen Bedingungen jener Zeit – eine Temperaturänderung von fünf bis sechs Grad Celcius zur Folge hätte. Basierend auf diesen Ergebnissen bemerkte er in seiner berühmten Publikation „On the influence of carbonic acid in the air upon the temperature of the earth“, dass der Mensch durch die damals bereits begonnene Verbrennung fossiler Ressourcen aktiv den CO2-Gehalt der Atmosphäre erhöhen würde – und damit auch die Temperatur des Erdsystems.

Inwiefern sind seine Berechnungen richtig gewesen – und davon unabhängig: Welche Bedeutung für die Wissenschaft hat seine Erkenntnis heute noch?

Seine Berechnungen, dass eine Verdopplung des atmosphärischen CO2-Gehalts zu einer durchschnittlichen Temperaturerhöhung von fünf Grad Celsius führen würde, überschätzten die Klimasensitivität, die heutige Klimamodelle berechnen. Das lag vor allem daran, dass Arrhenius einfache lineare Gleichungen für seine Berechnungen verwendet hat. Heutige Klimamodelle bilden die Realität sehr viel besser ab und beziehen eine Vielzahl von weiteren Faktoren und Rückkopplungsmechanismen ein, mit denen sie auf eine Erhöhung von ungefähr drei Grad Celsius bei doppeltem CO2-Gehalt – verglichen zum vorindustriellen Level – kommen.

Nichtsdestotrotz, seine Betonung des menschlichen Einflusses auf das Klima, besonders die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas, bildet die Grundlage für das Verständnis des anthropogenen Klimawandels. Arrhenius brachte damit die Debatte um anthropogene Klimaänderungen erst ins Rollen, auch wenn es zirka bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts dauerte, bis die ersten CO2-Messungen und die ersten Klimamodelle zunehmend Argumente für den menschlichen Einfluss auf unser Klima lieferten.

Woran forschen Sie aktuell – und spielt der schwedische Nobelpreisträger im weitesten Sinne eine Rolle bei Ihrer Arbeit?

Im weitesten Sinne spielt Arrhenius‘ Arbeit für jeden Klimaforscher eine Rolle. Er hat einen der Grundsteine für die Forschung zum anthropogenen Klimawandel gelegt. Heute ist der untersuchte Einfluss des Menschen auf das Klima sehr komplex und vielseitig, viele Faktoren und Wechselwirkungen spielen eine Rolle, werden individuell erforscht und dann wieder zusammengebracht.

In meiner Arbeit beschäftige ich mich vor allem mit Land-Atmosphären-Wechselwirkungen. Es geht darum zu verstehen, wie Veränderungen der Landoberfläche, etwa auf landwirtschaftlichen Flächen, Einfluss auf atmosphärische Bedingungen nehmen, zum Beispiel wie viel Wasser verdunstet oder wie stark sich die Erdoberfläche erwärmt. Das beeinflusst Prozesse wie Wolken- und Niederschlagsbildung, kann aber auch begünstigen, dass sich stationäre Wetterlagen bilden. Die Atmosphäre wiederum beeinflusst durch Regen, Wolken und Sonneneinstrahlung, wie gut Pflanzen wachsen oder wie trocken und heiß es am Boden werden kann – um nur einige wenige Prozesse zu nennen.

Alles steht in stetigem Austausch und bedingt sich gegenseitig. Dass sich das Klima weltweit erwärmt, wie Arrhenius bereits aufgezeigt hat, beeinflusst all diese Prozesse zusätzlich, verstärkt sie in der einen Region und schwächt sie in einer anderen vielleicht ab. An diesem Punkt hat man allerdings noch gar nicht darüber nachgedacht, wie wirtschaftliche und politische Interessen das Geschehen beeinflussen, wie ein Land- oder Forstwirt darüber entscheidet, wie er Feld und Wald bewirtschaftet oder welche chemischen und ökologischen Prozesse eine Rolle spielen. Arrhenius brachte den Stein über den menschlichen Einfluss auf das Klima ins Rollen – heute versuchen wir verschiedenste Interessen und Forschungszweige zusammenzubringen, um die bestmöglichen Informationen für unser zukünftiges Handeln bereitzustellen.

Wenn die Erwärmung der Erde durch CO2 schon fast 130 Jahre lang bekannt ist, warum wurden dann nicht viel früher Gegenmaßnahmen eingeleitet?

Arrhenius sah damals in der Klimaerwärmung noch eine Chance und ging davon aus, dass seine Nachfahren in einem angenehmeren Klima leben würden als er selbst. Seinen Berechnungen nach würde es hunderte oder tausende Jahre dauern, bis sich die Temperatur auf der Erde um fünf Grad Celsius erhöhen würde. Dass die Erwärmung der Erde viel schneller voranschreiten würde, war ihm damals noch nicht klar.
Eine Warnung vor der Gefahr und möglichen Unumkehrbarkeit des anthropogenen Klimawandels gab es erstmal im Jahr 1971. Seitdem kämpfen Klimaforscher und viele andere Menschen um mehr Aufmerksamkeit und stärkere Gegenmaßnahmen. Ich finde es an dieser Stelle auch wichtig, mal zu sagen, dass durchaus schon Einiges passiert ist: Es gibt das Pariser Klimaabkommen, das fast alle Länder dieser Welt unterschrieben haben. Erneuerbare Energien werden mehr erforscht und gefördert. Es gibt tolle Aufforstungs-, Landnutzungs- und Naturschutzprojekte, um mehr CO2 zu binden, um ursprüngliche Lebensräume und Biotope zu erhalten oder neue zu schaffen und um Biodiversität zu erhalten und zu fördern. Es werden neue Technologien zur zusätzlichen Filterung von CO2 aus der Luft entwickelt. Und vieles mehr.
Dass alles nicht so schnell und effektiv geht und wirkt, wie wir uns das wünschen, ist ein ziemlich komplexes Zusammenspiel aus vielen Faktoren. Häufig stehen wirtschaftliche Interessen im Vordergrund, politisch ist es eine Herausforderung, die internationale Zusammenarbeit zu koordinieren und die vielen Interessen verschiedener Länder und Akteure unter einen Hut zu bringen. Außerdem laufen Klimaänderungen auf längeren zeitlichen Skalen ab als wirtschaftliche und politische Prozesse. Als einzelner Mensch fühlt man sich vielleicht auch einfach hilflos oder hat mit drängenderen Problemen wie Gesundheit, finanziellen Sorgen, Stress und anderen Alltagsproblemen zu kämpfen. Dabei noch Kapazitäten für eine Umstellung auf ein nachhaltigeres Leben zu finden, ist verständlicherweise schwer. Trotzdem: Je mehr das Bewusstsein bei jedem einzelnen steigt, je früher für Umweltthemen sensibilisiert wird, desto mehr Motivation wird sich insgesamt aufbauen, auch mehr gegen den Klimawandel zu tun.
 

Zur Person

Die Klimaforscherin Dr. Leonore Jungandreas lebt in Leipzig. Sie arbeitet in den Arbeitsgruppen „Theoretische Meteorologie“ von Prof. Dr. Johannes Quaas am Institut für Meteorologie der Universität Leipzig und „Biodiversitätsökonomik“ von Prof. Dr. Martin Quaas am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv).

„Ich versuche, so gut es mir in meinem Alltag möglich ist, nachhaltige Entscheidungen zu treffen“, sagt sie. „Seit Kindheitstagen liebe ich es, Gewitter zu beobachten, starre in die Wolken, und liebe (die meisten) Tiere (die anderen werden akzeptiert). Ich bin davon überzeugt, dass jeder etwas für eine nachhaltigere Welt tun kann, zum Beispiel aus Überzeugung gegen den Klimawandel kämpfen, weil man die Vögel im Garten behalten möchte, weil man es genießt, auf grünen statt braunen Wiesen im Park zu sitzen oder weil einem einfach der Kopf sagt, das tut meiner Gesundheit gut. Dabei finde ich es extrem wichtig, andere Menschen mit ihren Gefühlen und Meinungen respektvoll zu behandeln, mag ihre Ansicht noch so weit von meiner entfernt sein. Denn jeder möchte das Beste für sich selbst und seine Liebsten. Wichtig ist es zu verstehen, dass es uns dauerhaft nur gut gehen kann, wenn es unserer Erde als Ganzes gut geht.

Kommentare

  • Dipl-Phys. Andreas Menzel,

    Es ist schlimm, dass die Arbeit von Knud Angström vom Oktober 1900 gar nicht verstanden wurde. Es gibt eine "überarbeitete" Version von Dipl.-Phys. Jochen Ebel von 2014, wo man es nachlesen kann: http://www.ing-buero-ebel.de/Treib/Angstroem.pdf
    Allerdings behauptet Ebel, die dort festgestellte Sättigung wäre ein Messfehler, weil Angström 1900 noch nicht so klug war und nicht wissen konnte, dass die Röhre bei angenommenen 20°C so viel Eigenstrahlung hat, dass Angströms Messung falsch ist und dass es deshalb keine Sättigung gibt. Ebel hat leider, wie vermutlich auch viele Andere das Prinzip der Differenzmessung mit zwei Röhren nicht verstanden. Auch die andere Röhre hat die gleiche Eigenstrahlung. Weiterhin meint er, die Emission von Quanten durch Gasmoleküle wäre stark temperaturabhängig, während die Absorption unabhängig ist. Er postuliert damit auf Dauer eine ständige Zunahme angeregter Zustände atmosphärischer CO2-Moleküle seit Milliarden Jahren!
    Freundliche Grüße

    Antworten

  • Dipl-Phys. Andreas Menzel,

    Simon Scherrer von Meteo Schweiz hat gerade eine weitere Zunahme der Temperatur um mehrere Grad bis 2050 vorausgesagt. Er ist da aber nur einer der Weisen. Da die Existenzdauer angeregter Zustände des CO2-Moleküls nach Absorption eines IR-Quants sicher kürzer als 24h ist, kann die von Dipl-Phys. Ebel postulierte ständige Zunahme der angeregten Zustände für diesen langen Zeitabschnitt nicht als Erklärung dienen. Die Impulsantwort des Systems der Erdatmosphäre kann nicht um Jahre verzögert gegen einem Impuls der Ursache sein. Oder doch? Es muss eine Ursache geben. Nachdem die kontinuierliche Zunahme der CO2-Konzentration in der Atmosphäre bislang nur geringfügige Temperatursteigerung seit dem Jahr 1850 bewirkt hat (weniger als 1 Grad durch CO2), nun also ein rasanter Sprung der Temperatur? Wie massiv muss sich dafür die verursachende CO2-Konzentration seit 2020 erhöht haben? Durch welche Emissionen? Wo wurde so viel CO2 zusätzlich emittiert? Und wieso kann man das nicht feststellen?

    Antworten

Ihr Kommentar

Hinterlassen Sie gern einen Kommentar. Bitte beachten Sie dafür unsere Netiquette.