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Studierende des Instituts für Kunstgeschichte der Universität Leipzig haben die Ausstellung „Menschenbilder | Zeitgeschichte. Der Fotograf Joachim Giesel“ im Mädler Art Forum in Leipzig realisiert. Studentin Katrin Kaiser berichtet, wie sie und ihre Kommiliton:innen vorgingen und was sie aus diesem ungewöhnlichen und aufwändigen Lehrprojekt mitgenommen haben.

Wie kam es dazu, dass Sie gemeinsam mit Ihren Kommiliton:innen die Ausstellung kuratiert haben?

Katrin Kaiser: Seit 2022 befindet sich das Werk des hannoverschen Fotografen Joachim Giesel (*1940) in Leipzig. Gegründet wurde das Joachim Giesel Archiv von der Kunsthistorikerin und Enkelin des Fotografen, Rickie Lynne Giesel, die ihren Bachelor an der Universität Leipzig absolvierte und hier zurzeit ihr Masterstudium beendet. Das Archiv, das circa drei Millionen Dokumente umfasst, verfolgt das Ziel der Sichtbarmachung und des Erhalts seines fotografischen Œuvre. 

Im Rahmen des Mastermoduls „Angeleitete Forschungspraxis“ realisierten wir im Wintersemester 2023/24 und im Sommersemester 2024 unter Leitung von Prof. Dr. Martin Schieder und Rickie Lynne Giesel die Ausstellung Menschenbilder | Zeitgeschichte. Der Fotograf Joachim Giesel im Mädler Art Forum in Leipzig. Dabei erlernten und übten wir zum einen das Recherchieren, das Verfassen wissenschaftlicher Texte sowie den praktischen Umgang mit künstlerischen Vor- und Nachlässen. Zum anderen erarbeiteten wir, wie eine Ausstellung  kuratiert, organisiert, finanziert und vermittelt wird – wir realisierten also eine Ausstellung in all ihren Facetten und Anforderungen.

Wie hat Ihr Studium der Kunstgeschichte Sie auf die Arbeit an der Ausstellung vorbereitet? Welche theoretischen und praktischen Kenntnisse konnten Sie anwenden?

Schon in vergangenen Semestern konnten Student:innen der Kunstgeschichte im Rahmen verschiedener Seminare sowohl praktische als auch theoretische Kenntnisse im Fachbereich der Fotografie und des Kuratierens erlernen. Im Bereich der Fotografie konnte ich mir so in einem Modul des Sommersemesters 2022 erstes Wissen über die Entstehungsgeschichte und Technologisierung der Fotografie seit dem 19. Jahrhundert aneignen. Mit diesen Voraussetzungen fiel es mir leichter, historische Entwicklungen in Bezug auf die Fotografie nachzuvollziehen und meine Kenntnisse in wissenschaftlichen Texten anzuwenden. Ebenso hatte ich die Möglichkeit, in einem Modul bei Prof. Dr. Frank Zöllner erste Erfahrungen im Kuratieren einer Ausstellung zu sammeln. Dadurch waren mir relevante Vorgehensweisen, wie die Auswahl der Werke oder das Verfassen von Texten zu den einzelnen Exponaten bereits bekannt.

Wie war das studentische Team organisiert?

In den ersten Sitzungen beschäftigten wir uns mit der Geschichte und Institutionalisierung der Fotografie in Deutschland seit 1945 sowie mit der Rolle und Funktion von (fotografischen) Archiven. Zu Beginn des Semesters wurden zudem die 16 thematischen Sektionen, die Professor Schieder und Frau Giesel zuvor festgelegt hatten, vorgestellt. Jede Sektion, zum Beispiel Behind the Scenes oder die Serie Der Mensch in der Gruppe, wurde von je einer Studentin oder einem Studenten betreut und durch aufwendige wissenschaftliche Recherchen, unter anderem im Joachim Giesel Archiv, aufgearbeitet. Dabei betrachteten und kontextualisierten wir das Material aus verschiedenen methodischen Perspektiven. Nach einem wissenschaftlichen Vortrag der Ergebnisse und anschließender Diskussion im Seminar legten wir eine begründete Auswahl von maximal vier Exponaten pro Sektion fest.

Für die meisten von uns waren es die ersten Texte überhaupt, die wir wissenschaftlich publizieren.

Im zweiten Semester ging es in die Textarbeit sowie die praktische Realisierung der Ausstellung. Jede:r von uns verfasste für die eigene Sektion einen einleitenden Wandtext und je einen halbseitigen Text für jedes Exponat, der über einen QR-Code mit zusätzlichem Anschauungsmaterial in der Ausstellung aufrufbar ist. Die Textarbeit sowie das gemeinsame Lektorieren im Kurs stellten sich als aufwändig, aber auch besonders lehrreich heraus, schließlich sind es für die meisten von uns die ersten Texte überhaupt, die wir wissenschaftlich publizieren.

Parallel dazu bildeten sich verschiedene Arbeitsgruppen. Dazu gehörten die AGs Hängung & Display, Rechte, Herstellung, PR & Öffentlichkeitsarbeit, Podcast, Merchandise, Sponsoring, Grafiken/Katalog und QR-Code. Die Aufgaben der AGs waren breit gefächert und reichten vom Digitalisieren der Negative, dem Erstellen von Objektlisten über das Gestalten von Merchandise-Produkten bis hin der Kontaktaufnahme von dargestellten Personen, um Rechte für die Veröffentlichung zu erbitten. 

zur Vergrößerungsansicht des Bildes: Studierende im Archiv
Die Studierenden stellten auch Recherchen im Archiv an, Foto: Katrin Kaiser

Sie haben sich also auch um die Finanzierung und die Werbung gekümmert?

Ja, unsere Crowdfunding-Kampagne, bei der wir unter anderem von Giesel porträtierte Prominente anschrieben, erzielte 6.250 Euro. Zudem erhielten wir Fördermittel der Universitätsstiftung in Höhe von 2.000 Euro und 3.000 Euro von der Rudolf-Augstein-Stiftung. Mittels dieser Gelder finanzierten wir unter anderem die Herstellung der Barytabzüge, den Kauf der Rahmen und die Folien für die Wandbeschriftungen. 

Die AG Display legte Mock-ups der Wandaufteilung für die Sektionen vor. Für die grafische Gestaltung der beiden Ausstellungsplakate, der Flyer und Vermittungsflyer konnten wir die Grafikdesignerin unseres Instituts, Franziska Kempiak, gewinnen, die eine großartige Unterstützung darstellte. Des Weiteren profitierten wir enorm von der Expertise zweier Gäst:innen im Seminar: Die freie Fotokuratorin Christin Müller sprach mit uns über das Ausstellungsdisplay und mit Dr. Philipp Freytag (Kurator am Museum der bildende Künste Leipzig) diskutierten wir im Museum über Rahmenfarbe, Höhe und Auswahl von Fotografien am Beispiel der dort laufenden Ausstellung des BMW Awards.

Im Zuge der Öffentlichkeitsarbeit verklebten wir zwei verschiedene Ausstellungsplakate in der Stadt, legten Flyer in Cafés, Bars und Galerien aus und luden in Gesprächen zur Ausstellung ein. Die Student:innen betreuten sowohl einen Instagram- als auch einen TikTok-Account und eine Kommilitonin sprach einen Podcast ein, der über das „Hörforum" des Mädler Art Forums veröffentlicht wurde. Außerdem erstellten wir eine Pressemitteilung und eine Pressemappe und veranstalteten einen Presserundgang zur Ausstellungseröffnung. Die AG Vermittlung terminierte für jeden Samstag eine kuratorische Führung und gestaltete einen Vermittlungsflyer, der zur Orientierung durch die Ausstellung dient.

Und schließlich wurde die Ausstellung aufgebaut und eröffnet…

Im letzten Schritt der Realisierungsphase installierten wir im Mädler Art Forum die Abzüge der 80 Exponate an die Wände, sortierten 33 Ausstellungsobjekte in die Vitrinen ein und brachten die Sektionstexte an die Wände an.

Zur Eröffnung der Ausstellung am 4. Juli 2024 durften wir über 200 Besucher:innen begrüßen, darunter die Rektorin der Universität Leipzig, Prof. Dr. Eva Inés Obergfell, sowie Ulrich Krempel, den ehemaligen Direktor des Sprengel Museums Hannover. Zu Wort kamen neben der Leiterin des Mädler Art Forums Dr. Carolin Niederalt, Rickie Lynne Giesel, die Ausstellungsassistentin Marietta Mann, Prof. Dr. Martin Schieder sowie der Fotograf Joachim Giesel.

Während der ersten drei Monate Laufzeit setzen wir ein Rahmenprogramm um, das ein Künstlergespräch mit Giesel sowie eine Midissage umfasste. Im Januar wird es ein fotografisches Kunst-Quiz geben. Die Finissage wird am 1. Februar 2025 gefeiert. Von Leipzig aus wandert die Ausstellung anschließend unter anderem nach Hannover in die Galerie für Fotografie.

Gab es Herausforderungen oder spannende Momente während der Projektarbeit? Was hat Ihnen besonders Spaß gemacht?

Das Besondere bei der Realisierung der Ausstellung war, dass wir wirklich alles selbst gemacht haben – den gesamten Prozess vom Negativ in einer Archivschachtel bis zum Abzug als Exponat an der Wand. Durch den sehr begrenzten Forschungsstand zu dem Fotografen Joachim Giesel mussten zu jedem Exponat intensive Nachforschungen betrieben werden. Die Herausforderungen lagen darin, das Werk zu datieren, zu kontextualisieren und relevante Informationen und Quellen zu recherchieren. Besonders schön war es, dass wir den Fotografen selbst jederzeit kontaktieren konnten, um Fragen zu formulieren.

Das Seminar war hinsichtlich beruflicher Erfahrungen das Lehrreichste in unserem Studium.

Ein weiteres Highlight waren der persönliche Kontakt zu Fotografen wie Ulrich Wüst, der seine Aufnahmen freigab, so dass wir sie denen von Giesel im QR-Format gegenüberstellen durften oder dass uns die Rockband „Scorpions” (Gruppenporträt in der Sektion „Promis“) viel Erfolg für unsere Eröffnung wünschten.

Bisher besuchten gut 3.200 Besucher:innen die Ausstellung, was uns zur erfolgreichsten Ausstellung des Mädler Art Forums bisher macht und uns alle mit Stolz erfüllt.

Welche Erkenntnisse und Erfahrungen nehmen Sie aus der Arbeit an der Ausstellung für Ihr weiteres Studium und die berufliche Zukunft mit?

Kuratorin oder Kurator zu werden, ist für viele von uns ein beruflicher Traum. Aus diesem Grund sind wir für das Seminar sehr dankbar, weil wir das Kuratieren erproben konnten, wir Freiräume in der Auswahl der Werke hatten, unser Name an der Wand steht und wir alle Abläufe einer Ausstellungsproduktion von der Idee bis zur Eröffnung kennenlernen konnten. Viele von uns machten zum ersten Mal eigene Forschungen in Archiven und Bibliotheken und arbeiteten das erste Mal mit und an Originalen. Obwohl wir alle zunächst aufgeregt waren, konnten wir viele wichtige Qualifikationen erwerben, die wir als Kunsthistoriker:innen in der Zukunft brauchen werden.

Abschließend lässt sich sagen, dass das Seminar hinsichtlich beruflicher Erfahrungen das Lehrreichste in unserem Studium war. Wir sind für diese Erfahrungen, die wir sammeln konnten, sehr dankbar!

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