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Im Juli 2024 übernahm Susanne Chenaoui das Amt als Gleichstellungsbeauftragte der Universität Leipzig. Im Interview spricht sie über ihre Aufgaben und Ziele, die Herausforderungen in Sachen Chancengleichheit an der Universität Leipzig und ihre Einschätzung der Auswirkung der Wahlerfolge der AfD in Sachsen auf ihre Arbeit.

Was sind Ihre Aufgaben als Gleichstellungsbeauftragte der Uni Leipzig?

Meine Hauptaufgabe ist, sicherzustellen, dass das Gleichstellungsgesetz an der Uni Leipzig umgesetzt wird. Das umfasst unter anderem die Überwachung der Einstellungsverfahren, die Beteiligung in Gremien und Kommissionen zu Gleichstellungsthemen sowie die Vernetzung mit anderen Gleichstellungsbeauftragten auf Landes- und Bundesebene. Darüber hinaus bin ich Vorsitzende des Gleichstellungsrats, wo ich die dezentralen Gleichstellungsbeauftragten der Fakultäten und zentralen Einrichtungen zu Sitzungen einlade, um Themen zu besprechen und Erfahrungen auszutauschen. Ein weiterer wichtiger Aspekt meiner Arbeit ist die individuelle Beratung, etwa bei Diskriminierungserlebnissen, die gemeldet werden. Wir bieten Beratung an, dokumentieren und versuchen, wenn sich Fälle häufen, Maßnahmen zu ergreifen.

Wer kann sich in welchen Fällen an Sie wenden?

Grundsätzlich kann sich jeder, der nicht weiß, wohin er sich wenden soll, erst einmal an uns wenden. Wir sind ein Team aus drei Personen: ich als zentrale Gleichstellungsbeauftragte und Tamer Ünal und Merle Jürgens als Stellvertretende. Wir hören zu, ermitteln den Beratungsbedarf und vermitteln gegebenenfalls an die richtigen Stellen weiter, wie das Studentenwerk oder die Stabsstelle Chancengleichheit, Diversität und Familie. Oft reicht es auch schon, einfach ein offenes Ohr zu bieten. Die Funktions-Email-Adresse nutzen wir alle gemeinsam, derzeit vor allem ich und Tamer Ünal, der sehr engagiert mitarbeitet und zahlreiche Vertretungen übernimmt. Eine weitere Email-Adresse speziell zur Meldung von sexualisierter Diskriminierung und Gewalt bediene ich allein.

Susanne Chenoui wurde 1981 in Leipzig geboren. Nachdem sie unter anderem Medien- und Kommunikationswissenschaften und Deutsch als Fremdsprache an der Universität Leipzig studierte, verschlug es sie für mehrere Jahre ins Ausland. Seit 2014 arbeitete sie am Studienkolleg der Universität Leipzig. Gespräche mit Freund:innen, die Diskriminierungserfahrungen erlebten, brachten sie früh zum Thema Chancengleichheit und Intersektionalität.

Die Stabsstelle Chancengleichheit, Diversität und Familie (SCDF) setzt sich ebenfalls mit Gleichstellungsthemen auseinander. Wie werden Sie zusammenarbeiten und Ihre Arbeitsbereiche voneinander abgrenzen?

Die SCDF ist die Servicestelle in Sachen Diversität und Chancengleichheit, die alle Institutionen der Universität Leipzig informativ berät, während die Gleichstellungsbeauftragte (GSB) die individuellen Belange von Personen(gruppen) in den Focus rücken. Es wird Schnittmengen in den Aufgabenbereichen zwischen SCDF und GSB geben, aber die konkreten Zuständigkeiten im Einzelfall werden wir in den nächsten Monaten durch regelmäßigen Austausch mit der Stabsstellenleiterin Carolin Demus festlegen. Die Stabsstelle leistet hervorragende Arbeit und ist ein wichtiges Aushängeschild für die Uni. Mein Fokus wird hauptsächlich auf dem gesetzlichen Auftrag liegen, wie die Begleitung von Einstellungsverfahren, individuelle Beratung und Gremienarbeit als unabhängige Beraterin. Die Veranstaltungen und Programme, die bereits von der Stabsstelle initiiert wurden, bleiben dort, aber wir haben auch die Möglichkeit, eigene Projekte zu entwickeln und Mittel dafür einzuwerben.

Welche Ziele haben Sie sich persönlich gesetzt?

Ich möchte sicherstellen, dass Gleichstellung Chancengleichheit für alle bedeutet. Das geht über die Binarität von Frau und Mann hinaus und umfasst eine intersektionale Betrachtung (Anmerkung der Redaktion: Intersektionalität beschreibt das Zusammenspiel von verschiedenen Diskriminierungs- und Identitätskategorien wie Geschlecht, Herkunft, Klasse, sexuelle Orientierung usw.). Ein persönliches Anliegen von mir ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, da ich selbst Mutter bin. Ich möchte sehen, wie gut das an der Uni Leipzig schon gelebt wird und wo es Verbesserungsbedarf gibt.

Was war Ihre Motivation, dieses Amt zu übernehmen?

Ich wollte eine Veränderung in meinem Berufsalltag. Nachdem ich mich schon am Studienkolleg mit Themen wie Nachteilsausgleich und Chancengleichheit auseinandergesetzt hatte, habe ich gemerkt, dass ich gern verstärkt in diesem Themenfeld arbeiten möchte. Als die Möglichkeit kam, als Gleichstellungsbeauftragte zu kandidieren, dachte ich, ich probiere es einfach. 

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen oder den größten Handlungsbedarf in puncto Gleichstellung an der Uni?

Es mangelt noch an Diversität, Barrierefreiheit und Vereinbarkeit von Beruf und Familie, obwohl es schon Bemühungen gibt. Zum Beispiel sind einige Gebäude der Universität mit einem Rollstuhl nicht erreichbar, auch fehlen noch unkomplizierte Lösungen zur Umsetzung von Nachteilsausgleichen, ich meine dabei vor allem personelle und räumliche Ressourcen. Außerdem muss mehr für den Schutz vor z.B. sexistischer oder rassistischer Diskriminierung getan werden, sowohl personengruppenintern als auch -übergreifend. Es braucht weiterhin viel Aufklärung über verschiedene Diskriminierungsformen und deren Auswirkungen. Wir müssen sicherstellen, dass wir alle Formen der Diskriminierung im Blick haben und nicht nur bei einem Thema stehen bleiben.

Portrait von Susanne Chenaoui, Gleichstellungsbeauftragte der Universität Leipzig, Foto: Christian Hüller

Wir müssen besonders laut sein, um diejenigen zu unterstützen, die es schwerer haben, sich in einer zunehmend polarisierten Gesellschaft für Gleichstellung einzusetzen.

Susanne Chenaoui, Gleichstellungsbeauftragte der Universität Leipzig

Wie blicken Sie auf gesellschaftliche Diskurse zu Gleichstellungsthemen?

Es ist oft niederschmetternd, wenn man sieht, wie gesellschaftliche Entwicklungen rückwärts gehen. Ich versuche, die Politik der guten Gründe zu fahren und zu verstehen, warum Menschen so denken, wie sie denken. Es ist aber schmerzhaft zu sehen, dass Gleichstellung und Gerechtigkeit oft keine Mehrheitsmeinung sind. 

Wie schätzen Sie die Auswirkungen der Landtagswahlergebnisse auf Ihre Arbeit ein?

Die Ergebnisse sind dramatisch. Es ist beängstigend, dass die AfD in Sachsen so stark abgeschnitten hat. Sie haben bereits versucht, Gleichstellungspositionen streichen zu lassen, und das zeigt, wie gefährdet unsere Arbeit ist. Wir müssen besonders laut sein, um diejenigen zu unterstützen, die es schwerer haben, sich in einer zunehmend polarisierten Gesellschaft für Gleichstellung einzusetzen.

Gibt es Fortschritte im Bereich Gleichstellung an der Uni, die Sie positiv wahrnehmen?

Die Einrichtung der Stabsstelle für Chancengleichheit, Diversität und Familie ist eine große Errungenschaft. Dazu hat Georg Teichert, mein Vorgänger, einen großen Beitrag geleistet. Sie zeigt, dass das Thema an der Uni einen zentralen Platz hat. Auch die Förderprogramme für Frauen, etwa das t.e.a.m. Programm für Wissenschaftlerinnen oder Frauen auf allen wissenschaftlichen Qualifikationsstufen, sind wichtige Schritte. Aber wir dürfen uns nicht darauf ausruhen und müssen viel früher ansetzen, um Chancengleichheit schon bei den Studierenden zu fördern. Es gibt sicherlich noch viele Bereiche, in denen Handlungsbedarf besteht. Es braucht Engagement, Offenheit und den Mut, weiterhin die Stimme zu erheben und auch mal Hierarchien zu hinterfragen.

Gleichstellungsbeauftragte an der Universität Leipzig

Susanne Chenaoui ist die Zentrale Gleichstellungsbeauftragte der Universität Leipzig. Ihre Stellvertrenden sind Tamer Ünal und Merle Jürgens. Die Zentrale Gleichstellungsbeauftragte wirkt hochschulweit auf die Chancengerechtigkeit von Frauen und Männern hin. Dazu gibt es außerdem die Gleichstellungsbeauftragten der Fakultäten und zentralen Einrichtungen.

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