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Die Sprache, die wir heute verwenden, ist ein Bruchteil dessen, was möglich wäre, sagt Prof. Dr. Renata Szczepaniak. Die neue Professorin für Historische Sprachwissenschaft des Deutschen am Institut für Germanistik erklärt im Interview ihre Faszination für die sprachhistorische Forschung und gibt einen Einblick, wie sie Studierende für das Thema qualifizieren möchte.

Was haben Sie studiert – und wo?

Mein Magisterstudium der Slavischen und Deutschen Philologie habe ich an der Adam Mickiewicz-Universität in Poznań begonnen und an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz absolviert. Promoviert habe ich in der Germanistik an der Universität Mainz.

Was waren im Anschluss Ihre wichtigsten beziehungsweise Ihre letzten beruflichen Stationen?

2006 wurde ich als Juniorprofessorin für Historische Sprachwissenschaft an der Universität Mainz berufen. Der Weg führte mich dann nach Hamburg, wo ich 2009 meine erste Universitätsprofessur für die Linguistik des Deutschen angetreten bin. 2017 bis 2022 war ich die Inhaberin des Lehrstuhls für Deutsche Sprachwissenschaft in Bamberg, von wo ich 2022 nach Leipzig auf die Professur für die Historische Sprachwissenschaft des Deutschen wechselte.

Was fasziniert Sie an Ihrem Forschungsgebiet und was sind Ihre Schwerpunkte?

Sprache ist ein faszinierendes und vielfältiges Kommunikationsmittel mit unendlich vielen Möglichkeiten. Sprachliche Strukturen sind komplex und dabei variabel und wandelbar. Somit ist auch der heutige Sprachgebrauch historisch erwachsen. Das, was wir heute verwenden, ist ein Bruchteil dessen, was möglich ist oder auch in der Geschichte einer Sprache realisiert wurde. Dies zeigt sprachhistorische Forschung. Sie eröffnet Perspektiven auf Sprache, die man so im Hier und Jetzt gar nicht einnehmen kann. Was heute völlig üblich ist, beispielsweise die Verwendung des unbestimmten Artikels (eine Frau), war im Althochdeutschen nur rudimentär vorhanden. Dafür gab es damals ein ausdifferenziertes Kasussystem. Ein hochinteressanter Aspekt des Sprachwandels ist auch das Zusammenspiel von Sprache und Gesellschaft. So kann Sprache den Wandel von sozialen Stereotypen widerspiegeln.

Die Frage, wie Sprache und Gesellschaft aufeinander wirkten und wirken, ist einer meiner Forschungsschwerpunkte. Diesem Thema widme ich mich mit modernen Methoden, darunter der Aufbau und die Analyse von historischen Spezialkorpora. So wurde in einem DFG-Projekt unter meiner Leitung ein Mehr-Ebenen-Korpus von Protokollen, die im Rahmen der „Hexen“-Verfolgung (sog. „Hexenverhörprotokolle“) im 16. und 17. Jh. verfasst wurden, erstellt und annotiert. Darin haben wir interessante Phänomene gefunden. Es zeigt sich beispielsweise, dass in diesen Texten die noch variable satzinterne Großschreibung soziale Hierarchien widerspiegelt: Je nach Stellung in der Gesellschaft werden Personenbezeichnungen groß- bzw. eben kleingeschrieben. Wir nennen das Phänomen „evaluative Kleinschreibung“.

Sehr wichtig ist es mir auch, dass die Sprachgeschichte in der schulischen und der außeruniversitären Bildung und Fortbildung einen ihr angemessenen Platz findet. Damit verbunden ist ein weiterer Forschungsschwerpunkt, der sich den sog. grammatischen Zweifelsfällen und ihrem Umgang in der Schule und Gesellschaft widmet. Ein Beispiel: „Schreibe ich dank des Gesprächs oder dank dem Gespräch?“ Ein sprachhistorisch fundiertes Wissen in diesem Bereich benötigen nicht nur Lehrkräfte, sondern auch Redakteur:innen, Lektor:innen, Sprachberater:innen und viele andere. In diesem Zusammenhang forsche ich sowohl im Bereich der Sprachgeschichte und Sprachvariation als auch im Bereich der Didaktik der Sprachgeschichte.

Haben Sie sich für Ihre Tätigkeit an der Universität Leipzig ein bestimmtes Forschungsziel gesetzt? Welches?

Ja! Mehrere. Auf eines möchte ich hier näher eingehen: Ein wichtiges Forschungsziel ist der Aufbau eines multimodalen Korpus zum Deutschen als Minderheitensprache (zunächst in Argentinien). Gerade komme ich von einer Forschungsreise in Argentinien, wo ich gemeinsam mit meinen Mitarbeiter:innen in aufwändigen Interviews Sprachdaten deutschsprachiger und nicht-deutschsprachiger Personen und Bilddaten aus der Region gesammelt habe, die in ein Korpus umgewandelt werden. Ein solches multimodales Korpus soll über den schriftlichen wie mündlichen Sprachgebrauch informieren, aber auch über sprachlich und bildlich konstruierte und vermittelte Identität der deutschsprachigen Minderheit. Dass ein solches Korpus noch nicht existiert, ist sehr überraschend, vor allem wenn man bedenkt, wie groß die Anzahl der Deutschsprachigen in Argentinien ist. Das Korpus wird in Zukunft ermöglichen, den Gebrauch und Wandel des Deutschen als Minderheitensprache (also immer im Kontext einer Mehrheitssprache wie Spanisch) zu untersuchen.

Würden Sie bitte kurz einige Schwerpunkte nennen, die Sie in der Lehre setzen wollen?

Mein wichtigstes Ziel ist es, forschungsnahe und aktuelle Hochschullehre zu betreiben und die Lehre den Bedürfnissen der Studierenden abhängig vom Studiengang anzupassen. So sind die bereits genannten sprachlichen Zweifelsfälle ein Beispiel für ein sprachwissenschaftliches Thema, das für verschiedene Berufsfelder relevant ist. Neben forschungsnahen, aktuellen Inhalten möchte ich auch moderne sprachwissenschaftliche Methoden in der Lehre etablieren und so methodische Kompetenzen von Studierenden diversifizieren und stärken. Für Studierende der Sprachwissenschaft ist es wichtig zu wissen, wie Sprachdaten erhoben, aufbereitet und analysiert werden können.

Wie schon in Hamburg und Bamberg möchte ich auch in Leipzig Lehrkooperationen innerhalb und außerhalb der Germanistik etablieren. Im fachübergreifenden Unterricht in Zusammenarbeit mit Didaktik, Psychologie, Geschichtswissenschaften oder Informatik können Grundkompetenzen gesichert werden, die in vielen Berufsfeldern, gerade in Kombination mit Sprachwissenschaft, gebraucht werden.

Bitte beenden Sie folgenden Satz: „Die Universität Leipzig ist für mich…“

… eine in ihrer fachlichen Breite optimale Plattform für den interdisziplinären Austausch und die unabhängige Wissensgenerierung sowie eine für mich perfekte Arbeitgeberin in meiner Wahlheimat Leipzig.

Welche Entdeckung, Erfindung oder Erkenntnis wünschen Sie sich in den nächsten zehn Jahren?

Ich habe das Gefühl, dass mein Wunsch bereits in Erfüllung geht, da in letzten Jahren die Bedeutung von Geisteswissenschaften „wiederentdeckt“ wurde und dies hoffentlich in Zukunft an und außerhalb der Universitäten fortgesetzt wird. Geisteswissenschaften respektieren und stellen den Menschen ins Zentrum und sorgen durch Studien und Wissenstransfer dafür, dass das wohl höchste Gut – das Seelenleben – ständig neue Nahrung bekommt.

Welche Hobbys haben Sie?

Ich liebe Rudern, Segeln und Wandern, gehe gerne in Konzerte und interessante Ausstellungen, die mir neue Welten eröffnen, und lese gerne und viel.

Haben Sie ein bestimmtes Lebensmotto, das Ihnen auch über schwierige Phasen hilft?

Meine Mottos sind nicht besonders originell, aber für mich sehr hilfreich: „Nichts ist ewig“ und „Mit kleinen Schritten nach vorn“.

Verraten Sie uns bitte noch wann und wo Sie geboren sind?

Ich bin 1973 in Jarocin (Polen) geboren.

 

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