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Gerade ist Postdoc Dr. Julius Wilm für seinen Artikel „Old Myths, Turned on Their Heads: Settler Agency, Federal Authority, and the Colonization of Oregon” mit dem Joel Palmer Award 2023 geehrt worden. Die Auszeichnung geht einmal jährlich an den besten Artikel, der im Oregon Historical Quarterly erschienen ist. Der studierte Historiker ist im Sonderforschungsbereichs 1199 „Verräumlichungsprozesse unter Globalisierungsbedingungen“ tätig. Heute stellen wir ihn in der Reihe „Gesichter der Uni Leipzig“ vor, in der das Universitätsmagazin regelmäßig Menschen zeigt, die sich hinter unzähligen kleinen und großen Aufgaben an unserer Hochschule verbergen: im Studium, in der Lehre, in der Universitätsverwaltung oder – so wie diesmal – in der Forschung.

Name: Julius Wilm
Geboren in: Schleswig
Fachgebiet: Anglo-Amerikanische Geschichte, Digitale Geschichte, Globalgeschichte
An der Uni Leipzig beschäftigt als/seit/wo: Postdoc am SFB 1199; seit dem Sommer 2021
Thema der Dissertation: Politiken der freien Landvergabe an Siedler in den USA der Antebellum-Zeit

Herr Wilm, wovon handelt der Artikel, für den Sie mit dem Joel Palmer Award ausgezeichnet wurden?

Mein Artikel untersucht, wie sich bestimmte Mythen über die frühe Kolonisationsgeschichte Oregons trotz einer entschiedenen Abkehr von den beschönigenden Darstellungen vergangener Jahrzehnte im kritischen Geschichtsbild von heute gehalten haben. Es ist heute unumstritten, dass die weiße Siedlungsexpansion in den 1840er und 1850er Jahren ein äußert brutaler und stellenweise genozidaler Vorgang war, der mit der Vertreibung der indigenen Bevölkerung und zahlreichen Massakern einherging. Gehalten haben sich aber Mythen über die Verteilung von Handlungsmacht. In vielen Darstellungen wird stark auf lokale Akteure fokussiert, während strukturelle Faktoren und die Interessen und das Tun der US-Regierung in den Hintergrund rücken. Im Verständnis, dass die Gründung und der Aufbau der weißen Siedlergesellschaft Oregons zweifellos eine gute Sache sei, haben lokale Eliten gerne Zeugnisse hinterlassen, in denen ihr Anteil am Zustandekommen zentraler Entwicklungen übertrieben wird. Heutige antirassistische Darstellungen haben diese Angebereien zu sehr beim Wort genommen – und damit die politische und wirtschaftliche Rahmung sowie Friktionen der siedlerkolonialen Expansion ausgeblendet.

Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?

Ich habe mich gefreut, dass mein kritischer Artikel so offen und wohlwollend aufgenommen wird. In erinnerungspolitischen Debatten ist das überhaupt keine Selbstverständlichkeit.

Worüber forschen Sie aktuell im SFB 1199 und was wollen Sie dabei herausfinden?

Aktuell forsche ich dazu, wie demokratische Reformen der 1860er bis 1880er Jahre der Siedlungsexpansion im US-amerikanischen Westen ihren Stempel aufgedrückt haben. In der Zeit nach dem US-Bürgerkrieg versuchte der Kongress – ziemlich widersprüchlich und halbherzig – gleiche Rechtsnormen auch für ehemals versklavte Afroamerikaner:innen und Indigene geltend zu machen. Offensichtlich wurde keine rechtliche oder gar soziale Gleichstellung erreicht – oder auch nur ernsthaft verfolgt. Wie genau haben sich die Gesetze dann aber ausgewirkt? Dieser Frage gehe ich nach anhand des Beispiels der Landverteilung unter dem Homestead Act von 1862.

Was fasziniert Sie an Ihrem Forschungsthema und seit wann beschäftigen Sie sich damit?

Neben der Problematik, wie sich Ungleichheiten unter den Bedingungen zunehmend gleicher Rechtsnormen fortschreiben können, faszinieren mich am aktuellen Projekt vor allem die ganz neuen Methoden der Quellenanalyse in Geografischen Informationssystemen (GIS). Das Interesse am Homestead Act entwickelte ich 2019/20 als Gerda Henkel Fellow in Digital History am Deutschen Historischen Institut Washington und der George Mason University. Auf der Suche nach einem Quellenkorpus, der mit digitalen Methoden neu zu bearbeiten wäre, stieß ich in den National Archives auf dickleibige Folianten mit kleinteiligen Landstatistiken, die so noch nicht ausgewertet wurden. Ich habe diese Statistiken für den Zeitraum 1862 bis 1912 dann an manchem Wochenende transkribiert und in QGIS mit Zeitmarken versehen und georeferenziert versehen. Die Analyse und Zusammenstellung von historischen Quellen in GIS ermöglicht nun ganz neue Einsichten. Einige dieser Zusammenhänge sind einsehbar in der Webkarte „Land Acquisition and Dispossession“, die ich im vergangenen Jahr zusammen mit Robert K. Nelson und Justin Madron vom Digital Scholarship Lab der University of Richmond veröffentlicht habe. Die Hauptpublikationen stehen noch aus.

Welche Vorteile bietet die Arbeit in einem Sonderforschungsbereich?

Der SFB 1199 „Verräumlichungsprozesse unter Globalisierungsbedingungen“ bietet sehr gute Bedingungen für konzentriertes Forschen und einen disziplinübergreifenden Austausch. Neben Historikern arbeiten hier viele Vertreter anderer Fachrichtungen und durch zahlreiche projektübergreifende Kooperationen stehen wir in einem dauernden Dialog. Vor allem der Austausch mit Geograf:innen, aber auch mit Historiker:innen, die zu ganz anderen Zeiten und Regionen forschen, ist für mich sehr lehrreich. Der SFB ist ein tolles Labor für die gemeinsame Entwicklung von Begriffen, Ideen und Methoden.

Hiermit verbringe ich derzeit die meiste Arbeitszeit…

… gerade habe ich ein längeres Manuskript fertiggestellt über Carl Schurz, den deutschen 1848er, der als US-Innenminister 1877 bis 1881 zentral mitgewirkt hat an den Umbrüchen, zu denen ich arbeite. Der nächste Text wird sozialhistorischer.

Das Beste an meiner Tätigkeit ist für mich…

… die Möglichkeit des vertieften Forschens und der rege Austausch.

Antworten Sie gern mit persönlichem Bezug oder allgemein: Welche Entdeckung, Erfindung oder Erkenntnis wünschen Sie sich in den nächsten zehn Jahren?

Ein bisschen weniger Glauben daran, dass technologische Neuerungen notwendige gesellschaftliche Reformen überflüssig machen können.

Womit verbringen Sie gern Ihre Freizeit?

Ich radele gerne durch die Landschaft.

Was gefällt Ihnen besonders an der Uni und Stadt Leipzig?

Die Uni ist recht international. Studierende und Forscher:innen kommen nicht nur aus dem nordamerikanisch-europäischen Raum, sondern auch aus dem Globalen Süden. Einmalig an Leipzig ist natürlich die Deutsche Nationalbibliothek! Sie ist für mich eine einmalige Ressource – nicht nur für die Forschung, sondern auch privat.

Haben Sie ein bestimmtes Lebensmotto, das Ihnen auch über schwierige Phasen hilft?

Kein Motto. Aber Gelassenheit schadet nie.

Vielen Dank.

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