Dienstagnachmittags vertiefen sich Christian Schmidt, seit April 2023 Juniorprofessur für Deutsche Literatur des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit, und seine Studierenden in Theaterstücke des 16. und 17. Jahrhunderts, besprechen den jeweiligen historischen Kontext und analysieren, welche Techniken theatraler Selbstreflexion in den Texten auf unterschiedliche Weise genutzt werden.
„Wenn heutzutage der Begriff ‚Metadrama‘ Verwendung findet, setzt er meistens neuzeitliche Vorstellungen von Fiktionalität, ein modernes Gattungsverständnis oder das Prinzip des Illusionstheaters voraus“, schildert Schmidt. Dass dies für die Zeitspanne zwischen etwa 1500 und 1650 nicht unproblematisch ist, macht sein Seminar deutlich: Im 16. Jahrhundert stehen beispielsweise geistliche Spiele, die allem voran mit christlichen Frömmigkeitspraktiken verwoben sind, neben humanistisch beeinflussten Dramen, die sich stärker an Kategorien der antiken Poetik zu orientieren beginnen. Ein ausgeprägtes Interesse an selbstreflexiven Momenten findet sich in beiden Traditionslinien, die sich überdies auch oftmals kreuzen.
Metadrama in der heutigen Forschung – und im 16. Jahrhundert
„Bislang“, sagt Schmidt, „gilt Metatheater – also, wenn Theater auf sich selbst als Medium verweist – als besonders typisch für das 17. Jahrhundert, in dem sich auch die Metapher von der Welt als Bühne, vom theatrum mundi, durchsetzt. Allerdings gibt es selbstreflexive Spieltexte auch in der Zeit davor, nur wurden sie bisher wenig erforscht.“ Diese Lücke will er mit seinen knapp 40 Studierenden (vorrangig aus dem B. A. Germanistik, aber auch Austauschstudierende und Studierende aus dem Wahlbereich, insbesondere der Theaterwissenschaft) schließen.
Wichtig ist Schmidt insbesondere, seine Studierenden dafür zu sensibilisieren, dass unsere heutigen Analysekategorien für literarische Texte stets im historischen Kontext auf ihre Gültigkeit zu befragen sind. „Als typisches Merkmal für Metadrama wird beispielsweise häufig genannt, dass die Schauspieler aus ihrer Rolle fallen oder sich an das Publikum wenden“, erläutert der Dozent. „Dadurch würde die Illusion gebrochen und auf den Scheincharakter der Darstellung reflektiert. Im 16. Jahrhundert war zwar die Wendung ans Publikum, das Sprechen ad spectatores, ein überaus weit verbreitetes Mittel, aber es wäre irreführend, hier immer die Absicht eines Illusionsbruchs zu vermuten, weil sich das Modell des Illusionstheaters erst viel später, im 18. Jahrhundert, flächendeckend durchsetzt.“
Ähnlich ist es mit der Vorstellung, Metadramen gehörten der fiktionalen Literatur an. Gerade Dramentexte, die auf biblischen Geschichten oder geistlichen Stoffen basieren, seien zur damaligen Zeit mit einem starken Wahrheitsanspruch verknüpft. Die Selbstreflexion beziehe sich in diesen Fällen oftmals eher auf Wirkung und Rezeption des Mediums: „Das ‚Münchner Eigengerichtsspiel‘ von 1510, das wir im Seminar unter die Lupe genommen haben, führt dem Publikum in Form eines Spiels im Spiel vor, wie man über Szenen zu Tod und Jenseits meditieren kann und zeigt so beispielhaft auf, wie geistliche Spiele der Zeit rezipiert werden sollten.“ Indem die Zuschauer eine auf der Bühne dargestellte Rezeption von theatralen Sterbeszenen miterleben, sollen sie in ihrem realen Alltag dazu angehalten werden, Buße zu tun, vergangene Taten zu bereuen und ihr Handeln entsprechend zu verbessern.
Kommentare
Keine Kommentare gefunden!